Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Tanzende Mänaden beim Fest des Weinausschanks auf einem attischen Weinmischgefäß (Nachzeichnung) (gegen 420 v.Chr.)

 


Theognis von Megara (6. Jh. v. Chr.)
griechischer Dichter





Nicht mehr trink' ich des Weins, da jetzt bei dem zierlichen Mädchen

Schaltet ein anderer Mann, schlechter um Vieles als ich.

Quellfluth trinken bei ihr zum Ärger mir ehrbar die Eltern;

Hat sie das Wasser geschöpft, trägt sie es klagend um mich.

Plötzlich genaht schlang rund um das Kind ich den Arm, und den Nacken

Küsset' ich, ach! und wie zart tönte vom Mund ihr ein Wort.



Übersetzt von Eduard Mörike (1804-1875)

Aus: Classische Blumenlese
Eine Auswahl von Hymnen, Oden, Liedern, Elegien,
Idyllen, Gnomen und Epigrammen
der Griechen und Römer;
nach den besten Verdeutschungen, theilweise neu
bearbeitet, mit Erklärungen
für alle gebildeten Leser
Herausgegeben von Eduard Mörike
Stuttgart E. Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung 1840
(S. 77)


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Zeitig ja auch taucht Eros empor, wann von Neuem die Erde

Unter dem Frühlingshauch lächelt in blumigem Schmuck:

Dann eilt Eros daher von der Kyprier prangendem Eiland

Rings zu den Menschen, und streut über die Erde die Saat.


Übersetzt von Eduard Mörike (1804-1875)

Aus: Classische Blumenlese
Eine Auswahl von Hymnen, Oden, Liedern, Elegien,
Idyllen, Gnomen und Epigrammen
der Griechen und Römer;
nach den besten Verdeutschungen, theilweise neu
bearbeitet, mit Erklärungen
für alle gebildeten Leser
Herausgegeben von Eduard Mörike
Stuttgart E. Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung 1840
(S. 77)


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Während allein ich trank von der schwarz hinrieselnden Quelle,

Schien mir erquicklich und klar sich zu ergießen die Fluth.

Gleich nun ist getrübt und mit Schlamm ist die Feuchte gemischet:

Wohl denn, nach anderem Quell, anderem Strome geschaut!


Übersetzt von Eduard Mörike (1804-1875)

Aus: Classische Blumenlese
Eine Auswahl von Hymnen, Oden, Liedern, Elegien,
Idyllen, Gnomen und Epigrammen
der Griechen und Römer;
nach den besten Verdeutschungen, theilweise neu
bearbeitet, mit Erklärungen
für alle gebildeten Leser
Herausgegeben von Eduard Mörike
Stuttgart E. Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung 1840
(S. 77)


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Arger, dich säugten, o Eros, empor die Gewalten des Wahnsinns,

Durch dich sank in den Staub Ilio's ragende Burg,

Sank auch des Aegeus Sohn, der gewaltige, sank des Oileus

Trefflicher Sproß Aias, deiner Bethörung ein Raub.



Übersetzt von Eduard Mörike (1804-1875)

Aus: Classische Blumenlese
Eine Auswahl von Hymnen, Oden, Liedern, Elegien,
Idyllen, Gnomen und Epigrammen
der Griechen und Römer;
nach den besten Verdeutschungen, theilweise neu
bearbeitet, mit Erklärungen
für alle gebildeten Leser
Herausgegeben von Eduard Mörike
Stuttgart E. Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung 1840
(S. 77)


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Knab', an Gestalt zwar lieblich erwuchsest du, aber der Kranzschmuck

Leidigen Unverstands liegt auf dem Haupte dir schwer,

Und dein Herz hat die Sitte des raschumwendenden Weihen,

Da leichthin dich das Wort böser Gesellen berückt.


Übersetzt von Eduard Mörike (1804-1875)

Aus: Classische Blumenlese
Eine Auswahl von Hymnen, Oden, Liedern, Elegien,
Idyllen, Gnomen und Epigrammen
der Griechen und Römer;
nach den besten Verdeutschungen, theilweise neu
bearbeitet, mit Erklärungen
für alle gebildeten Leser
Herausgegeben von Eduard Mörike
Stuttgart E. Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung 1840
(S. 78)


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Stille mir, Kypros' Tochter, die Pein, und zerstreuend die Sorgen,

Die aufzehren mein Herz, gib mich der Freude zurück.

Schläfre mir ein den versehrenden Harm, und bei heiterem Muthe

Laß, nach der Jugend Genuß, Thaten des Ernstes mich thun.



Übersetzt von Eduard Mörike (1804-1875)

Aus: Classische Blumenlese
Eine Auswahl von Hymnen, Oden, Liedern, Elegien,
Idyllen, Gnomen und Epigrammen
der Griechen und Römer;
nach den besten Verdeutschungen, theilweise neu
bearbeitet, mit Erklärungen
für alle gebildeten Leser
Herausgegeben von Eduard Mörike
Stuttgart E. Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung 1840
(S. 78)


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Wer zu den Schönen gewandt sein Herz, stets drücket ein Joch ihm

Schmerzlich, ein lästiges Mal gastlicher Liebe, den Hals.



Übersetzt von Eduard Mörike (1804-1875)

Aus: Classische Blumenlese
Eine Auswahl von Hymnen, Oden, Liedern, Elegien,
Idyllen, Gnomen und Epigrammen
der Griechen und Römer;
nach den besten Verdeutschungen, theilweise neu
bearbeitet, mit Erklärungen
für alle gebildeten Leser
Herausgegeben von Eduard Mörike
Stuttgart E. Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung 1840
(S. 78)


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Gut ist, der Gunst bei den Schönen sich freun, gut auch ihr entsagen:

Leichter ist Liebe gefaßt, als die Erhörung gewährt.

Zahllos quellen die Schmerzen hervor, zahllos auch die Freuden,

Aber auch darin selbst zeigt sich des Reizes genug.


Übersetzt von Eduard Mörike (1804-1875)

Aus: Classische Blumenlese
Eine Auswahl von Hymnen, Oden, Liedern, Elegien,
Idyllen, Gnomen und Epigrammen
der Griechen und Römer;
nach den besten Verdeutschungen, theilweise neu
bearbeitet, mit Erklärungen
für alle gebildeten Leser
Herausgegeben von Eduard Mörike
Stuttgart E. Schweizerbart'sche Verlagsbuchhandlung 1840
(S. 78)


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Liebeslieder auf einen Knaben


Eros, die Tollheit hat dich am Busen gesäugt, dich Verwegnen!

Ilions ragende Burg stürzte durch dich in den Staub,

Stürzte der Aegeussohn, Held Theseus, stürzte der wackre

Ajas, Ohileussohn, Frevler, betrogen von dir!
(S. 245)

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Höre mich, Kind, und bezwing' dein Herz: kein nicht-überzeugend

Wort, kein deinem Gemüth lästiges, sprech' ich zu dir.

Thu' es! beherzige meine Ermahnung! Genöthiget wärst du

Nicht, etwas dir nicht selber Genehmes zu thun.

Laß den vorhandenen Freund nie los, einen andren zu suchen,

Etwa von schnödem Geschwätz nichtiger Menschen verführt:

Oft noch werden sie viel Grundloses bei dir über mich wohl

Reden, bei mir über dich: merke du nimmer darauf!
(S. 245)

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Wirst dich freuen der früher vergangenen Liebe und Neigung,

Aber du wirst nicht mehr Herr der vergehenden sein.
(S. 245)

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Weit weg bleiben wir Freunde, geselle dich fürder zu andren!

Hast ein falsches, der Treu' feindlich geschaffenes Herz!
(S. 245)

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Wasser und Feuer vermischen sich nie: und eben so wenig

Werden auch wir uns je lieben, einander getreu.
(S. 245)

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Denk' an meinen Verdruß und deine Versündigung: wisse,

Daß ich dich strafen dafür werde, so sehr ich es kann!
(S. 245)

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Knabe, du liefest davon, wie ein Roß vom Haber gesättigt,

Und kommst wieder zu mir in das Gehöfte zurück,

Sehnst nach dem wackeren Reiter dich wieder, den lieblichen Auen,

Nach dem erfrischenden Quell und nach dem Schattengebüsch.
(S. 247)

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Knabe, du hast eine Laune wie weitumschweifende Falken,

Bist in der Reihe herum diesem und jenem geneigt.
(S. 247)

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Knabe, du bist zwar schön von Gestalt, doch sitzt dir ein harter

Rücksichtsloser und starrsinniger Kranz an dem Kopf.

Wahrlich du hast im Gemüthe die Art unruhiger Falken,

Leih'st auch gern dem Gered' anderer Leute das Ohr.
(S. 247)

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O mein Knabe, du gibst für Wohlthat schlechte Vergeltung,

Nimmst wohl Gutes, den Dank aber vergissest du gern,

Hast noch nie mich erquickt: und oft schon that ich dir Gutes,

Achtung aber dafür wurde mir wenig zu Theil.
(S. 247)

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Knab' und Roß sind einerlei Art: wenn der Reiter am Boden

Liegt, sehr wenig beweint seinen Gefährten das Roß,

Sondern nimmt einen anderen auf, der's füttert mit Haber:

Und ein Knab' ist dem anwesenden Freunde geneigt.
(S. 247)

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Knabe, du brachtest mich um die Vernunft durch tolle Begierden,

Schamrot hast du gemacht unsere Freunde sogar,

Und nicht lang' mich erquickt: ich hab' aus wildem Gestürme,

Ehe die Nacht einbrach, Anker geworfen im Port.
(S. 247)

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Jugendlich schön steigt Eros empor im Lenz, wenn die Erde,

Schön mit Blumen geziert, grünet in Keimen und schwillt,

Dann verlässet er Kypros, die reizende Insel, der Eros,

Geht zu den Menschen und streut Samen herum in das Land.
(S. 249)

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Übeles will ich dir nicht zufügen, und sollten die ew'gen

Götter, du liebliches Kind, besser verfahren mit mir.

Freilich ich fordre dich nicht um leichte Vergeh'n: aber Strafe

Gibt's für ein reizendes Kind, auch wenn es sündiget, nicht.
(S. 249)

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Thu' mir, Kind, kein Unrecht an: noch will ich dir herzlich

Bleiben: mit freundlichem Wohlwollen beherzige dies:

Sieh, mich wirst du mit List nicht kriegen, und nie einen Vortheil

Haben, sofern du mit Trug mich zu bewältigen suchst.

Sondern ich werde dich Fliehenden selbst noch schlagen, wie weiland

Jasios Mädchen im Jung-Frauen Gebirge entfloh,

Sagt man, reif für Männer, und dennoch die Männer verschmähend,

Rüstig gegürtet, und führt' aus ein vergebliches Werk,

Weg vom Aeltern-Hause gezogen, die blond' Atalante:

Und gieng fort nach den Hoch-Spitzen des fernen Gebirgs,

Wollte dem reizenden Bett entgehen, der Gold-Aphrodite

Gaben, erfuhr sie zuletzt, allem Vermeiden zum Trotz!
(S. 249)

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Kind, ach rege mir nicht im Schmerz noch mehr das Gemüth auf,

Daß mich die Liebe zu dir nicht in Proserpina's Haus

Völlig hinabreißt: nimm dich in Acht vor dem Grolle der Götter

Und vor der Welt Urtheil! Denke versöhnlich und mild!
(S. 249)

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Knabe, wie lang' noch willst du mich meiden? ich gehe dir nach und

Such' dich: allein o nun kann ich erreichen das Ziel

Deiner Launen? Du hast ein heftiges stolzes Gemüth, und

Fliehst, mit der gräulichen Art flüchtiger Falken begabt.

Bleib' und gönne dich mir! denn die Gabe der veilchenbekränzten

Kyprosbürtigen bald wird sie entschwinden von dir!
(S. 249-251)

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Nimm es zu Herzen: die Blüth' anmuthiger Knaben verwelket

Schneller wie Wettlauf: dies merke und lüpfe das Band,

Daß nicht einst du, hartherziger Knabe, gezähmt wirst,

Nicht, so wie ich um dich, mißliche Händel bekommst

Wegen der Kyprosbürtigen: dies, Kind, mußt du verhüten,

Um nicht ähnlicher Qual einst zu erliegen, wie ich.
(S. 251)

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Knabe, die Falschheit ward entdeckt: drum will ich dich scheuchen!

Und dem, welchem du jetzt innig befreundet und hold

Bist, und hast mein Lieben verschmäht, gleichgiltig verlassen,

Warest du doch dem nie hold in der früheren Zeit!

Aber ich hofft' aus dir einen treuen Gefährten zu machen

Ganz vorzüglich: und jetzt liebst du den anderen Freund:

Der dir wohlthat schwand aus dem Sinn. Kein Mensch in der Welt soll

Dich zum Lieblinge mehr wählen, indem er dich sieht!
(S. 251)

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O Kind, weil dir Kypris, die Göttin, gewinnende Anmuth

Gab und deine Gestalt alle die Jünglinge reizt,

Hör' mein Wort und nimm dies, mir zu Liebe, zu Herzen,

Denke, wie schwer ein Mann trägt an der Liebe Gewalt!
(S. 251)

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Kyprosbürtige, ende die Pein, und wende mich wieder

Hin zum Frohsinn, scheuch  lebenverzehrenden Gram,

Ende die leidigen Sorgen, und laß mich heiteres Muthes

Jugendstufe besteh'n, nüchterne Handlungen thun!
(S. 251)

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Knabe, so lang' dein Kinn noch glatt ist, werd' ich dich immer

Bitten, und wäre mir auch so zu verscheiden bestimmt!

Weil noch dir das Gewähren, dem Liebenden mir das Begehren

Ziemt. Bei den Aeltern darum fleh' ich dich, unserm Haus,

Nimm eine Rücksicht, schenke dich mir, wenn anders du selbst noch

Bittend zu anderen einst kommst um der goldigen und

Veilchenkränzigen Gabe, der Kyprosbürtigen. Möge

Dir von dem Schicksal dann werden die gleiche Gewähr!
(S. 253)

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Selig der Turner, der liebende, der, nach Hause gekommen,

Neben dem Lieblinge Tag lange, dem reizenden, schläft.
(S. 253)

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Weg ist die Liebe zum Knaben, ich stoße den lästigen Kummer

Dannen: wie bin ich so froh, daß ich den Qualen entrann!

Schönumkränzte Kythere, du hast mich erlöst von der Sehnsucht!

Aber der Knabe verdient nimmer den mindesten Dank.
(S. 253)

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Ach! ich lieb' einen Knaben so zart, der allen den Freunden

Gar mich verräth, ich mag's wollen, verwehren vielleicht!

Unfreiwilligen Zwang gern duld' ich ihn ohne Verhehlung:

Wahrlich der Knabe ist kein häßlicher, dem ich erlag.
(S. 253)

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Schwärme du nicht, mein Sohn, und folge dem älteren Manne:

Ständchen zu halten ist nicht tauglich dem jüngeren Mann.
(S. 253)

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Bitter zugleich und süß, hinreißend und schroff ist die Liebe,

Bis sie Erfüllung gewinnt, Kyrnos, der jüngeren Welt.

Wird sie erfüllt, mundet sie süß, doch ohne Erfüllung

Ihr nachlaufen ist sehr traurig, das Traurigste wohl !
(S. 255)

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Knabenverehrern liegt ein drückendes Joch auf dem Halse

Immer, ein mißliches Andenken der freundlichen Huld.

Sicherlich wer sich um Knaben bemüht, muß in die Umarmung,

Wie in ein Reisigfeu'r, strecken die schüchterne Hand.
(S. 255)

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Bist auf Klippen gestoßen, du Schiff, giengst meiner Umarmung,

Knabe, verlustig; das Tau, welches du packtest, ist morsch!
(S. 255)

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Will, auch ungern nicht, dir wehthun: und in der Liebe

Wird kein Mensch in der Welt je mich entfernen von dir.
(S. 255)

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Allerschönster der Knaben, du anmuthsvoller, o bleibe

Steh'n einen Augenblick, höre ein einziges Wort!
(S. 255)

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Dank wohl kennet ein Knab', ein Weib hat keinen Getreuen,

Sondern dem Nahen und Anwesenden wird sie geneigt.
(S. 255)

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Liebe zu Knaben ist schön im Haben und schön im Verzichten,

Leichter um Vieles geknüpft als zur Erfüllung gebracht:

Tausend Uebel umschweben dieselbe und tausend Genüsse,

Doch ein Behagen gewährt auch die Beendigung noch.
(S. 255)

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Niemals hast du noch mir zu Gefallen gewartet, und immer

Pflegst du nach jeglicher recht ernsten Bestellung zu geh'n.
(S. 255)

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Selig der Mann, der nichts von der See weiß, und einen Knaben

Liebt, und schrecket im Meer nicht ihn die drohende Nacht!
(S. 257)

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Bist zwar schön, doch gesellst dich zu lumpigen Männern aus schlechter

Neigung, und erntest davon auch einen mißlichen Ruf,

O mein Kind! ich aber verlier' ungern deine Lieb', und

Hab', indem ich so frei bleibe, den Segen davon.
(S. 257)

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Wird für Menschen zu tragen die schwerste der Bürden, wofern nicht,

Kyprosbürtige, du schenkest Erlösung des Drucks.
(S. 257)

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Kyprosbürtige Göttin Kythere, verschmitzte, ein arges

Recht hat dir als Ehr' Zeus zu besitzen verlieh'n,

Daß du den klugen Verstand eines Menschen bezwingest, und keiner

Stark oder klug genug je, dir zu entrinnen, erscheint.
(S. 257)

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Die Liebeslieder auf einen Knaben

übersetzt von Johann Adam Hartung (1801-1867)

Aus: Die Griechischen Elegiker
Griechisch mit metrischer Übersetzung
und prüfenden und erklärenden Anmerkungen
von J. A. Hartung
Erster Band
Leipzig Verlag von Wilhelm Engelmann 1859




 

 

 


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