Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Tanzende Mänaden beim Fest des Weinausschanks auf einem attischen Weinmischgefäß (Nachzeichnung) (gegen 420 v.Chr.)

 


Theokritos (um 310 - 250 v. Chr.)
griechischer Dichter



II.

Die Zauberin
 

Auf! wo hast du den Trank? wo, Thestylis, hast du die Lorbeern?

Komm', und wind' um den Becher die purpurne Blume des Schafes!

Daß ich den Liebsten beschwöre, den Grausamen, der mich zu todt quält.

Ach! zwölf Tage schon sind's, seitdem mir der Bösewicht ausbleibt!

Seit er fürwahr nicht weiß, ob am Leben wir oder gestorben!

Nie an der Thür' mehr lärmt mir der Unhold! Sicherlich lockte

Anderswohin den flatternden Sinn ihm Eros und Kypris.

Morgenden Tags will ich zu Timagetos' Palästra,

Daß ich ihn seh', und was er mir anthut Alles ihm sage.

Jetzo mit Zauber beschwör' ich ihn denn. – O leuchte, Selene,

Hold! Ich rufe zu dir in leisen Gesängen, o Göttin!

Rufe zur stygischen Hekate auch, dem Schrecken der Hunde,

Wann durch Grüfte der Todten und dunkeles Blut sie einhergeht.

Hekate! Heil! du Schreckliche! komm' und hilf mir vollbringen!

Laß unkräftiger nicht mein Werk sein, als wie der Kirke

Ihres, Medeia's auch, und als Perimede's, der blonden.

Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!

Mehl muß erst in der Flamme verzehrt sein! Thestylis, hurtig,

Streue mir doch! wo ist dein Verstand, du Thörin, geblieben?

Bin ich, Verwünschte, vielleicht auch dir zum Spotte geworden?

Streu', und sage dazu: Hier streu' ich Delphi's Gebeine!

Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!

Mich hat Delphis gequält, so verbrenn' ich auf Delphis den Lorbeer.

Wie sich jetzo das Reis mit lautem Geknatter entzündet,

Plötzlich sodann aufflammt und selbst nicht Asche zurückläßt,

Also müsse das Fleisch in der Lohe verstäuben dem Delphis.

Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!

Wie ich schmelze dieß wächserne Bild mit Hilfe der Gottheit,

Also schmelze vor Liebe sogleich der Myndier Delphis;

Und wie die eherne Rolle sich umdreht durch Aphrodita,

Also drehe sich Jener herum nach unserer Pforte.

Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!

Jetzt mit der Kleie gedampft! – Du, Artemis, zwängest ja selber

Drunten im Aïs den eisernen Gott und starrende Felsen.

– Thestylis, horch, in der Stadt, wie heulen die Hunde! Im Dreiweg

Wandelt die Göttin! Geschwind laß tönen das eherne Becken!

Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!

– Siehe! wie still! Nun schweiget das Meer und es schweigen die Winde!

Aber es schweigt mir nicht im innersten Busen der Jammer.

Glühend vergeh' ich für den, der, statt zur Gattin, mich Arme

Ha! zur Buhlerin macht', und der mir die Blume gebrochen.

Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!

Dreimal spreng' ich den Trank, und dreimal, Herrliche, ruf' ich.

Mag ein Mädchen ihm jetzt, ein Jüngling ihm liegen zur Seite,

Plötzlich ergreife Vergessenheit ihn: wie sie sagen, daß Theseus

Einst in Dia vergaß Ariadne, die reizendgelockte!

Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!

Roßwuth ist ein Gewächs in Arkadien, wenn es die Füllen

Kosten, die flüchtigen Stuten, so rasen sie wild im Gebirge:

Also möcht' ich den Delphis hieher zu dem Hause sich stürzen

Sehen, dem Rasenden gleich, aus dem schimmernden Hof der Palästra!

Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!

Dieses Stückchen vom Saum hat Delphis am Kleide verloren:

Schau, ich zerpflück's und werf' es hinein in die gierige Flamme.

– Weh! unseliger Eros, warum wie ein Egel des Sumpfes

Hängst du an mir und saugest mir all' mein purpurnes Blut aus!

Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!

Einen Molch zerstampf' ich und bringe dir morgen den Gifttrank.

Thestylis, nimm dieß tückische Kraut und bestreiche die Schwelle

Jenes Verräthers damit! (Ach fest an diese geheftet

Ist noch immer mein Herz, doch er hat meiner vergessen!)

Geh', sag' spuckend darauf: Hier streich' ich Delphis' Gebeine!

Roll', o Kreisel, und zieh' in das Haus mir wieder den Jüngling!

Jetzo bin ich allein. – Wie soll ich die Liebe beweinen?

Was bejammr' ich zuerst? Woher kommt alle mein Elend?

– Als Korbträgerin gieng Eubulos' Tochter, Anaxo,

Hin in Artemis' Hain; dort wurden im festlichen Umzug

Viele der Thiere geführt, auch eine Löwin darunter.

Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!

Und die thrakische Amme Theumarida (ruhe sie selig!)

Unsere Nachbarin nächst am Haus, sie bat und beschwor mich,

Mit zu sehen den Zug, und ich unglückliches Mädchen

Gieng, ein herrliches Byssosgewand nachschleppend am Boden,

Auch gar schön Klearista's Mäntelchen übergeworfen.

Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!

Schon beinah' um die Mitte des Wegs, an dem Hause des Lykon,

Sah ich Delphis zugleich mit Eudamippos einhergeh'n;

Jugendlich blond um das Kinn, wie die goldene Blum' Helichrysos;

Beiden auch glänzte die Brust weit herrlicher als du, Selene,

Wie sie vom Ringkampf eben zurück, vom rühmlichen, kehrten.

Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!

Weh! und im Hinschau'n gleich, wie durchzückt' es mich! jählings erkrankte

Tief im Grunde mein Herz; auch verfiel mir die Schöne mit Einmal.

Nimmer gedacht' ich des Fests, und wie ich nach Hause gekommen,

Weiß ich nicht; so verstörte den Sinn ein brennendes Fieber.

Und ich lag zehn Tage zu Bett, zehn Nächte verseufzt' ich.

Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!

Schon, ach! war mir die Farbe so gelb wie Thapsos geworden,

Und mir schwanden die Haare vom Haupt; die ganze Gestalt nur

Haut noch und Bein! Wen frug ich um Hilfe nicht? oder wo hauset

Irgend ein zauberkundiges Mütterchen, das ich vergessen?

Linderung ward mir nicht, und es gieng nur die eilende Zeit hin.

Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!

Meiner Sklavin gestand ich die Wahrheit endlich und sagte:

"Thestylis, schaffe mir Rath für dieß unerträgliche Leiden!

Völlig besitzt mich Arme der Myndier. Geh' doch und suche,

Daß du mir ihn ausspähst bei Timagetos' Palästra;

Dorthin wandelt er oft, dort pflegt er gern zu verweilen."

Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!

"Und sobald du ihn irgend allein triffst, winke verstohlen,

Sag' ihm dann: Simätha begehrt dich zu sprechen! – und bring ihn."

Also sprach ich, sie gieng, und brachte den glänzenden Jüngling

Mir in das Haus, den Delphis. So wie ich ihn aber mit Augen

Sah, wie er leichten Fußes herein sich schwang zu der Thüre –

(Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!)

Ganz kalt ward ich zumal, wie der Schnee, und herab von der Stirne

Rann mir in Tropfen der Schweiß, wie rieselnder Thau in der Frühe;

Kein Wort bracht ich hervor, auch nicht so viel wie im Schlafe

Wimmert ein Kindchen und lallt, nach der lieben Mutter verlangend

Und ganz wurde der blühende Leib mir starr wie ein Wachsbild.

Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!

Als der Verräther mich sah, da schlug er die Augen zu Boden,

Setzte sich hin auf das Lager und redete sitzend die Worte:

"Wenn du zu dir mich geladen in's Haus, noch eh' ich von selber

Kam, nun wahrlich, so bist du zuvor mir gekommen, Simätha,

Eben wie neulich im Lauf ich dem schönen Philinos zuvor kam."

Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!

"Ja bei'm lieblichen Eros, ich wär', ich wäre erschienen!

Mit zwei Freunden bis drei, in der Dämmerung, liebenden Herzens,

Tragend die goldenen Aepfel des Dionysos im Busen,

Und um die Schläfe den Zweig von Herakles' heiliger Pappel,

Rings durchflochten das Laub mit purpurfarbigen Bändern."

Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!

"Ward ich dann freundlich empfangen, o Seligkeit! Wisse, bei unsern

Jünglingen allen da heiß' ich der Schöne, ich heiße der Leichte:

Doch mir hätte genügt, dir den reizenden Mund nur zu küssen.

Wieset ihr aber mich ab und verschloss't mit dem Riegel die Pforte,

Sicherlich kamen dann Aexte zu euch und brennende Fackeln."

Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!

"Jetzo gebühret zuerst mein Dank der erhabenen Kypris;

Nächst der Himmlischen hast du mich dem Feuer, o süßes

Mädchen entrissen: hierher in dein Kämmerchen riefest du Delphis,

Halb schon verbrannt. Denn Eros, fürwahr viel wildere Gluthen

Schüret er oft, als selbst in Lipara's Esse Hephästos."

Sieh, o Göttin Selene, woher mir die Liebe gekommen!

"Jungfrau'n treibt sein wüthender Brand aus einsamer Kammer,

Frauen empor aus dem Bett, das vom Schlummer des Gatten noch warm ist!"

Also sagte der Jüngling, und ich, zu schnelle vertrauend

Faßt' ihm leise die Hand und sank auf das schwellende Polster.

Bald war Leib an Leib wie in Wonne gelös't, und das Antlitz

Glühte mehr denn zuvor und wir flüsterten hold mit einander.

Daß ich nicht zu lange dir plaudere, liebe Selene:

Siehe, gescheh'n war die That, und wir stilleten Beide die Sehnsucht.

Ach, kein Vorwurf hat mich von ihm, bis gestern, betrübet,

Ihn auch keiner von mir. Nun kam zu Besuch mir die Mutter

Meiner Philista, der Flötenspielerin, und der Melixo,

Heute, wie eben am Himmel herauf sich schwangen die Rosse,

Aus dem Okeanos führend die rosenarmige Eos;

Und sie erzählte mir Vieles, auch daß mein Delphis verliebt sei.

Ob ein Mädchen ihn aber, ein Jüngling jetzt ihn gefesselt,

Wußte sie nicht; nur, daß er mit lauterem Wein sich den Becher

Immer für Eros gefüllt, daß er endlich in Eile gegangen,

Auch noch gesagt, er wolle das Haus dort schmücken mit Kränzen.

Dieses hat mir die Freundin erzählt und sie redet die Wahrheit.

Dreimal kam er vordem und viermal, mich zu besuchen,

Setzte, wie oft! bei mir das dorische Fläschchen mit Oel hin:

Und zwölf Tage nun sind's, seitdem ich ihn nimmer gesehen.

Hat er nicht anderswo Süßes entdeckt und meiner vergessen?

Jetzo mit Liebeszauber beschwör' ich ihn; aber wofern er

Länger mich kränkt – bei den Mören! an Aïdes' Thor soll er klopfen!

Solch' ein tödtliches Gift ihm bewahr' ich hier in dem Kästchen;

Ein assyrischer Gast, o Königin, lehrt' es mich mischen.

Lebe nun wohl, und hinab zum Okeanos lenke die Rosse,

Himmlische! Meinen Kummer, den werd' ich fürder noch tragen.

Schimmernde Göttin, gehabe dich wohl! Fahrt wohl auch ihr andern

Sterne, so viele der ruhigen Nacht den Wagen begleiten.

Übersetzt von Eduard Mörike (1804-1875)

Aus: Theokritos, Bion und Moschos
Deutsch im Versmaße der Urschrift
von E. Mörike und F. Notter
Zweite Auflage
Stuttgart Verlag von A. Werther 1883
(S. 34-38)

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III.

Amaryllis
 

Auf! Ich gehe, mein Lied Amaryllis zu singen. Die Ziegen

Weiden am Berg indeß, und Tityros mag sie mir hüten.

Tityros, du mein Freund, mein trautester, weide die Ziegen!

Führe sie d'rauf an den Quell mir, Tityros; doch vor dem weißen

Bock dort nimm dich in Acht, vor dem Libyer, denn er ist stößig.

Ach, Amaryllis, du süße, warum nicht mehr aus der Grotte

Guckst du wie sonst, und nennst mich dein Schätzlein? Bist du mir böse?

Dünkt dir die Nase zu platt an mir, in der Nähe gesehen,

Mädchen? zu lang mein Bart? O du ruhst nicht, bis ich mich hänge!

Hier zehn Aepfel für dich, sieh her! Ich pflückte sie droben,

Wo du mich pflücken geheißen, und andere bring' ich dir morgen.

Schau doch, was ich erleide für Herzensqualen! O wär' ich

Doch die summende Biene, so flög' ich zu dir in die Grotte,

Schlüpfte durch's Epheulaub und das dicht aufschießende Farrnkraut.

Jetzo kenn' ich den Eros! Ein schrecklicher Gott! an der Löwin

Brüsten gesäugt; ihn erzog im wilden Gebirge die Mutter.

Ganz durchglühet er mich und verzehrt mir das Mark im Gebeine.

Nymphe mit lachendem Blick! du steinerne! du mit den schwarzen

Augenbrau'n, o laß im Arme des Hirten dich küssen!

Süße Wonne gewährt auch selber der nichtige Kuß schon.

Wart'! in Stücke zerreiß' ich den Kranz auf der Stelle, du willst es,

Den ich trage für dich, Amaryllis, den schönen, von Epheu,

Rings mit knospenden Rosen durchwebt und würzigem Eppich.

Ach, was soll ich beginnen? Ich Armer! – So hörst du denn gar nicht?

Gut – ich werfe mein Fellkleid weg und spring' in die Fluthen

Gleich, da hinab, wo Olpis, der Fischer, die Thunne belauert.

Bin ich des Todes auch nicht, doch wirst du dich freuen des Anblicks.

Ob du mich liebest, versucht' ich noch jüngst und erfuhr es zu gut nur:

Denn es versagte den Knall das angeschlagene Mohnblatt:

Ganz matt gieng es entzwei, am fleischigen Arme zu welken.

Auch was Agröo gesagt, die Siebwahrsagerin, neulich,

Als sie Aehren sich las im Rücken der Schnitter, bewährt sich:

Brünstig hieng' ich an dir, doch gar nichts fragest du mir nach.

Wisse, die Geiß, die weiße, mit Zwillingen, zog ich für dich auf,

Mermnon's bräunliches Mädchen, Erithakis, hätte sie gerne,

Und ich gebe sie der, dieweil du meiner nur spottest.

Halt! da hüpfet mein Auge, das rechte, mir! Soll ich sie doch noch

Seh'n? Ich will an die Pinie hier mich lehnen und singen.

Ist sie doch nicht von Stein, vielleicht sie thut einen Blick her.

Als Hippomenes einst zur Braut sich wünschte die Jungfrau,

Lief er mit Aepfeln in Händen den Wettlauf, und Atalanta,

Im Hinschauen entbrannt, wie versank sie ganz in die Liebe!

Trieb doch die Heerde vom Othrys daher der Seher Melampos

Froh gen Pylos zuletzt, und es lag in den Armen des Bias

Endlich die reizende Mutter der sinnigen Alphesiböa.

Hat nicht, der im Gebirge die Schafe geweidet, Adonis,

Selbst Kythereia, die schöne, gebracht zum äußersten Wahnsinn,

Daß sie nimmer vom Busen ihn ließ, auch als er nun todt lag?

Mir sei selig gepriesen Endymion, welchen der tiefe

Schlaf umfieng, und selig Ïasion, trautestes Mädchen,

Denn er genoß, was nimmer den Ungeweiheten kund wird.

Wehe! wie schmerzt mir das Haupt! Dich kümmert es nicht. So verstumme

Nun mein Gesang. Hier lieg' ich, da mögen die Wölfe mich fressen!

Wahrlich, das wird dir süß eingeh'n wie Honig dem Gaumen!

Übersetzt von Eduard Mörike (1804-1875)

Aus: Theokritos, Bion und Moschos
Deutsch im Versmaße der Urschrift
von E. Mörike und F. Notter
Zweite Auflage
Stuttgart Verlag von A. Werther 1883
(S. 39-40)

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XI.

Der Kyklop
 

Gegen die Liebe, mein Nikias, ist kein anderes Mittel,

Weder in Salbe, noch Tropfen, so däucht es mir, außer der Musen

Kunst. Ihr Balsam, so mild und lieblich, erzeuget sich mitten

Unter dem Menschengeschlecht, obwohl nicht Jeder ihn findet.

Doch du kennst ihn, mein' ich genau: wie sollt' es der Arzt nicht,

Und ein Mann, vor vielen geliebt von den neun Pieriden.



Also schuf der Kyklop sich Linderung, unseres Landes

Alter Genoß, Polyphemos, der glühete für Galateia,

Als kaum jugendlich Haar ihm keimt' um Lippen und Schläfe,

Rosen vertändelt' er nicht, und Aepfel und Locken: er stürmte

Hitzig auf's Ziel g'radaus und Alles vergaß er darüber.

Oftmals kehrten die Schafe von selbst in die Hürden am Abend

Heim aus der grünenden Au; doch er, Galateia besingend,

Schmachtete dort in Jammer am Felsengestade voll Seemos,

Frühe vom Morgenroth, und krankt' an der Wunde, die Kypris

Ihm, die erhabene, gab mit dem Pfeil, tief innen im Herzen.

Aber er fand, was ihm frommte; denn hoch auf der Jähe des Felsens

Saß er, den Blick zum Meere gewandt, und hub den Gesang an:



O Galateia, du weiße, den Liebenden so zu verschmähn!

Weiß wie geronnene Milch und zart von Gestalt wie ein Lämmchen,

Wie ein Kalb muthwillig, und frisch wie die schwellende Traube!

Immer nur kommst du so her, wenn der süße Schlaf mich umfänget,

Und gleich eilst du hinweg, wenn der süße Schlaf mich entlässet.

Ja du entfliehst wie ein Schaf, das eben den graulichen Wolf sah.

– Damals liebt' ich bereits dich, Mägdlein, als du mit meiner

Mutter das erstemal kamst, Hiakinthosblumen zu pflücken

In dem Gebirg, ich war es ja, welcher die Wege dir nachwies.

Seitdem möcht' ich dich immer nur anschau'n, immer! es läßt mir

Keine Ruh'; doch du, bei'm Zeus, nichts achtest du, gar nichts!

Ich weiß schon, holdseliges Kind, warum du mich fliehest:

Weil mir über die Stirn durchweg sich die borstige Braue

Streckt, ein mächtiger Bogen von einem Ohr zu dem andern,

Drunter das einzige Aug', und die breite Nas' auf der Lefze.

Aber auch so, wie ich bin, ich weide dir Schafe bei Tausend,

Und die fetteste Milch mir zum Leibtrunk melk' ich von ihnen.

Käs' auch mangelt mir nie, im Sommer nicht oder zur Herbstzeit,

Noch im härtesten Frost, schwervoll sind die Körbe beständig.

Auch die Syringe versteh' ich, wie keiner umher der Kyklopen,

Wenn ich, o Honigapfel, dich sing' und daneben mich selber,

Oft noch spät in der Nacht. Auch elf Hirschkälbchen dir füttr' ich

Auf, mit Bändern am Hals, und dazu vier Junge der Bärin.

Ei, so komm' doch zu mir! du sollst nicht schlechter es finden.

Laß du das blauliche Meer wie es will aufschäumen zum Ufer;

Lieblicher soll dir die Nacht bei mir in der Höhle vergehen.

Lorbeerbäume sind dort und schlank gestreckte Cypressen,

Dunkeler Epheu ist dort, und ein gar süßtraubiger Weinstock;

Kalt dort rinnet ein Bach, den mir der bewaldete Aetna

Aus hellschimmerndem Schnee zum Göttergetränke herabgießt.

O wer wählte dafür sich das Meer und die Wellen zur Wohnung?

Aber wofern ich selber zu haarig dir dünke von Anseh'n,

Hier ist eichenes Holz und reichlich Gluth in der Asche:

Schau, gern duld' ich's, und wenn du die Seele sogar mir versengtest,

Oder mein einziges Auge, das Liebste mir, was ich besitze!

– Weh, o hätte die Mutter mich doch mit Kiemen geboren!

Zu dir taucht' ich hinab, und deckte mit Küssen die Hand dir,

Wenn du den Mund nicht gäbst. Bald silberne Lilien brächt' ich,

Bald zartblumigen Mohn, mit purpurnem Blatte zum Klatschen.

(Aber es blüh'n ja im Sommer die einen, die andern im Winter,

D'rum nicht alle zugleich dir könnt' ich sie bringen die Blumen.)

Aber nun lern' ich, – gewiß, o Kind, ich lerne noch schwimmen!

Wenn seefahrend einmal mit dem Schiff anlandet ein Fremdling;

Daß ich seh', was es Süßes euch ist, in der Tiefe zu wohnen.

– Komm' heraus, Galateia! und bist du heraus, so vergiß auch,

So wie ich, der am Strand hier sitzt, nach Hause zu kehren.

Weide die Heerde zusammen mit mir, und melke die Schafe,

Gieße das bittere Lab in die Milch, und presse die Käse.

– Meine Mutter allein ist Schuld, und ich schelte sie billig;

Niemals sprach sie dir noch ein freundliches Wörtchen von mir vor,

Und doch sah sie von Tage zu Tag mich weniger werden,

Aber nun sag' ich, mir klopf' und mir zuck' es im Haupt und in beiden

Füßen, damit sie sich gräme, dieweil ich selber voll Gram bin.

– O Kyklop, Kyklop! wo schwärmete dir der Verstand hin?

Wenn du giengest und flöchtest dir Körb' und brächtest den Lämmern

Abgeschnittenes Laub, wahrhaftig, da thätest du klüger.

Melke das stehende Schaf! was willst du dem flüchtigen nachgehn?

Du kannst mehr Galateien, vielleicht noch schönere, finden.

Laden mich doch oft Mädchen genug zu nächtlichen Spielen.

Geh' ich einmal mit ihnen, das ist ein Jubeln und Kichern.

Traun, ich gelte schon auch in unserem Lande noch etwas.



Also linderte sich damals Pholyphemos die Liebe

Durch den Gesang, und schaffte sich Ruh', die mit Gold nicht erkauft wird.

Übersetzt von Eduard Mörike (1804-1875)

Aus: Theokritos, Bion und Moschos
Deutsch im Versmaße der Urschrift
von E. Mörike und F. Notter
Zweite Auflage
Stuttgart Verlag von A. Werther 1883
(S. 70-72)

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XII.

Der Geliebte
 

Kamst du, geliebtester Knab'? Nacht ward es und Morgen dreimal!

Kamst! Ach ein einziger Tag macht Sehnsuchtsvolle zu Greisen.

So viel süßer als Winter der Lenz, als die Schlehe der Apfel.

So viel dichter bevließet das Schaf als sein saugendes Lämmchen,

So wie die Jungfrau ragt ob dreimal vermähletem Weibe,

So viel rascher das Reh als das Kalb, wie der Nachtigall klangvoll

Lied vor allem Gevögel am sangdurchdrungensten tönet,

Also erhob mich in Jubel dein Kommen, und unter der Buche

Schatten aus dörrender Sonne, wie müde ein Wand'rer, enteilt' ich.

– Daß einträcht'ge Eroten das Herz durchhauchten uns Beiden,

Und wir würden zum Lied für alle Gebor'nen der Zukunft:

"Wie doch lebeten einst in der Vorzeit Jene zusammen!

Einer der Odemumwallte, wie's nennt die lakonische Sprechart,

Aber den Andern würd' ein Thessalier nennen den Lauscher.

Beide sie liebten einander mit gleichem Gewichte; von Neuem

Blühte die goldene Zeit als der Liebende war der Geliebte!"

– Würd' doch dieß, o Kronion, o würd', nie alternde Götter,

Dieß mir gewährt! und einst nach zweimal hundert Geschlechtern

Käm' an des Acheron Ufern, des rückkehrlosen, mir Botschaft:

"Noch ist dein Lieben und jenes des anmuthvollen Geliebten

Allen im Mund, vor Andern den Jünglingen aber am meisten!"

Doch fürwahr, deß werden die Himmelsbewohner, die hohen,

Walten, wie's ihnen gefällt; ich aber erheb' dich, den Schönen,

Und nie wächset das Zeichen der Lüge mir über die Nase.

Wenn du mich etwa verletzt, gleich heiltest du wieder die Wunde,

Daß ich doppelt gewann und Zuwachs hatte im Weggehn'.

Megara's Söhne in Nisa, ihr Meister in Führung des Ruders,

Segen euch her um das Haus! weil hoch ihr den attischen Gastfreund,

Weil ihr Diokles geehrt, deß Brust für den Knaben erglühte.

Immer ihm her um das Grab im beginnenden Lenze geschaaret

Streiten die Jünglinge dort, zu erringen im Kusse den Siegspreis.

Wer am süßesten da an Lippen geheftet die Lippen,

Schwer mit Kränzen behängt kehrt solcher zurück zu der Mutter.

Glücklicher, welcher den Knaben der Richter ist über die Küsse!

Traun, oft ruft er wohl an Ganymedes, den Strahlenden, flehend,

Daß wie der lydische Stein ihm der Mund sei, welcher unirrend

Ob unlauter das Gold andeutet dem prüfenden Wechsler.

Übersetzt von Friedrich Notter (1801-1884)

Aus: Theokritos, Bion und Moschos
Deutsch im Versmaße der Urschrift
von E. Mörike und F. Notter
Zweite Auflage
Stuttgart Verlag von A. Werther 1883
(S. 73-74)

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XIX.

Der Honigdieb

Einmal Eros, den Dieb, stach übel ein Bienchen, als Waben

Er aus den Stöcken geplündert; die Spitzen der sämtlichen Finger

Setzte der Stachel in Gluten; er hauchte im Schmerz sich die Hand an,

Stampfte den Boden und sprang in die Höh' und wies Aphroditen,

Was für Weh' ihm geschehen, und jammerte, daß ein so winzig

Tierlein die Biene doch sei und mache so mächtige Wunden.

Lachend die Mutter darauf: Gleichst nicht du selber der Biene?

Wie bist winzig auch du, und machest so mächtige Wunden!

Übersetzt von Friedrich Notter (1801-1884)

Aus: Theokritos, Bion und Moschos
Deutsch im Versmaße der Urschrift
von E. Mörike und F. Notter
Zweite Auflage
Stuttgart Verlag von A. Werther 1883
(S. 99)

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XX.

Der junge Kuhhirt


Als ich ein Mäulchen versuchte, verlachte mich drüber Eunika,

Und mit schmähenden Worten erwidert' sie: Geh mir vom Leibe,

Unverschämter! Mich küssen, ein Kuhhirt, willst du? Nicht lernt' ich

Bauerngeschmatz', ich versteh' nur städtische Lippen zu drücken;

Auch im Traume nicht sollst du dem blühenden Munde mir nahen!

Welch ein Gesicht das ist und Geschwätz! was für tölpische Späße!

Wie du so weich aussprichst! welch kosende Worte du redest!

Wie ist so zierlich dein Bart, wie lieblich das Haar dir herabfließt!

Lippen da hast du voll Schrunden, und schwarz sind die Hände gebrannt dir.

Schlimm auch ist der Geruch; drum packe dich, mich nicht besudelt!

Also redete jene und spützt' in den Busen sich dreimal,

Musterte mich vom Kopfe hinab zu den Füßen der Läng' nach,

Pustet' dazu mit den Lippen und, seitwärts gehalten die Augen,

That sie mit ihrer Gestalt gar jüngferlich, und mit verzog'nem

Munde verhöhnte sie mich hochmütig; da kochte das Blut mir

Und rot ward mein Gesicht aus Schmerz wie die Rose vom Frühtau.

Sie ließ stehn mich und ging; ich trage im Herzen den Grimm nach,

Daß mich Hübschen so boshaft gehudelt die hämische Dirne.

Sagt mir, bin ich nicht schön, ihr Hirten? o sagt mir die Wahrheit:

Hat mich plötzlich ein Gott zum anderen Menschen verwandelt?

Früher umblühte mich doch so etwas von reizender Anmut,

Gleich wie Epheu den Strunk, und hüllte die Wang' in Geringel,

Und wie Eppich umflossen die lockigen Haar' mir die Schläfen;

Schneeweiß glänzte die Stirn hoch über den dunkelen Brauen,

Blauer noch strahlte mein Aug' als der  bläulichgeaugeten Pallas,

Süßer als Milchklöß' war mein Mund, und süßer zum Munde

Floß mir die Stimme heraus, als Honig entfließet den Waben.

Lieblich ist meine Musik, mag auf der Syringe ich blasen,

Mag ich spielen die Flöte, das Schilfrohr oder die Querpfeif'.

Schön auch nennet mich alles, was in dem Gebirge an Weibern,

Alle auch küssen mich; einzig das städtische Dinglein da will nicht,

Sondern ging an mir vorbei und hörte nicht, weil ich ein Kuhhirt.

[Hat Dionysos, der Schöne, doch Kälber geweidet im Thalgrund!]

Weiß sie nicht, daß auch Kypris um einen der Hirten geschmachtet,

Und auf phrygischen Bergen die Hirtin gemacht, den Adonis

Küssend im Eichenwald, und im Eichenwald ihn beweinend?

Dann der Endymion, wer? war Hirt er nicht, welchen Selene

Als Kuhhüter geliebt und drum, vom Olympos gestiegen,  dem Jüngling?

Kuhhirt! - ist er's nicht auch, dem Rhea weinet? und strichest,

Zeus, als Vogel du nicht um den kühaustreibenden Knaben?

Nur die Eunika versagte dem Hüter der Kühe die Lippen:

Traun, sie ist mehr als Kypris, als Kybele oder Selene!

Küß denn nimmer den Liebsten, o Kypris, je auf den Bergen,

Noch in der Stadt, und schlaf' hübsch einsam hinfort in den Nächten!

Übersetzt von Friedrich Notter (1801-1884)

Aus: Theokritos, Bion und Moschos
Deutsch im Versmaße der Urschrift
von E. Mörike und F. Notter
Zweite Auflage
Stuttgart Verlag von A. Werther 1883
(S. 100-101)

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XXIII.

Der unglücklich Liebende



Giften der Lieb' zugänglich entbrannte ein Mann einem Jüngling.

Hold war der von Gestalt, doch hart, in dem Herzen ihr ungleich;

Haß für Liebe gewährt' er, und nichts an ihm wußte von Milde.

Kund war Eros ihm nicht, welch Gott er sei, welch ein Geschoß er

Führ' in Händen, wie bitter die Knaben er treff' mit den Pfeilen:

Ganz in Reden sowohl wie im Umgang schien er ein Wilder.

Nimmer was Linderndes kam für die Glut je, nimmer ein leuchtend

Zucken der Lippen, ein Strahl aus den Augen, Erröten der Wange,

Nimmer ein Wort, noch ein Kuß zu erleichtern die lastende Liebe.

So wie des Waldes Getier zu den Jägern im Grolle hinaufschaut,

That er dem Trauernden alles; die Lippen zur Herbe verzogen,

Hatt' in den Augen er immer den schrecklichen Blick der Entseelung.

Bitterkeit sprach sein Gesicht; es entfloh ihm die Farbe, umflossen

Stets vom Hohne des Zornes, des bleichenden; aber auch also

Blieb er noch schön, und am Zorn ward stärker entflammt der Verliebte.

Endlich ertrug er nicht länger so mächtige Glut Aphrodites,

Sondern er kam und weint' an dem unmitleidigen Hause,

Küßte die Schwell' und also erhob er die klagende Stimme:

"Grausamer Knabe, du finst'rer, genährt von der grimmigen Löwin,

Steinerner Knab', unwürdig der Lieb', ich komm' mit der letzten

Gabe für dich in den Händen, dem Stricke für mich; denn nicht länger

Will ich, zürnender Jüngling, dich ärgern: ich gehe hinunter

Wo du hin mich verdammst, da wo, wie sie sagen, der Heiltrank

Liegt, der gemeinsame für heiß Liebender Pfade: - Vergessung.

Doch wenn ganz ich ihn auch ausschlürfe mit durstigen Lippen,

Werd' ich auch so nicht löschen die Sehnsucht. Jetzo den Abschied

Werf' ich der Pforte zu dir noch zu und weiß, was gescheh'n wird.

Schön ist die Rose wie du und nach kurzem Verlaufe verdorrt sie;

Schön ist das Veilchen im Lenz und schnell kommt d'rüber das Alter;

Weiß ist der Lilie Glanz und welkt, wenn vom Stengel sie abfällt;

Weiß ist der Schimmer des Schnees und schmilzt doch, wenn er sich ballet;

Schön ist die Schönheit der Knaben, doch lebt kurzdauernde Zeit sie:

Einst wird kommen der Tag, wo dich auch fasset die Liebe,

Wo, in dem Herzen verbrannt, du bittere Thränen vergießest!

Aber du, Knabe, gewähr' dies Süße, das letzte, gewähr' nur:

Wenn aus der Thür' nun tretend im Vorplatz deiner Behausung

Hängen mich Armen du siehest, so geh' nicht an mir vorüber;

Steh', wein' Eine mir nur, nur Eine der Thränen zum Opfer,

Löse mich dann von dem Strick, und dir vom Leib die Gewänder

Nehmend, verhülle mich d'rein und endlich nun küsse mich Einmal:

Auch dem Entseeleten gönne die Lippen und fürcht' dich nicht vor mir;

Nicht mehr kehr' ich in's Leben, entselb'st du dich auch bis zum Kusse.

Höhl' eine Grube mir dann, die deckend den Liebenden berge,

Ruf' beim Weggang dreimal: Lieber, du ruhest in Frieden!

Und wenn du willst, auch dieses: ein treuer Gefährt' ist dahin mir!

Schreib' mir den Spruch dann aufs Grab, ich schreib' ihn dir auf die Wände:

"Dem ward Liebe zum Tod! geh', Wanderer, nicht ihm vorüber,

Sondern verweil' und sage: ein Grausamer war der Geliebte."


Sprach's und faßte den Stein, und hin an der Mauer ihn wälzend

Bis inmitten der Schwelle, den schrecklichen, knüpfte von ihm aus

D'rauf er das schmächtige Seil und warf um den Hals sich die Schlinge,

Stieß dann weg mit den Füßen den Tritt und schwebete ob ihm

Tot. Bald öffnete jener die Thür' und gewahrend den Toten,

Der im eigenen Hof ihm dahing, brach er der Seele

Trotz nicht, weinte nicht über den Mord, den frisch er begangen,

Sondern, die Kleider der Jugend befleckend am Leichnam, zur Ringschul'

Ging er, und fern von Freunden begehrte für sich er der Bäder.

Aber er kam zu dem Gott, dem verachteten: rasch von dem Steinrand

Sprang er hinab in das Wasser und über dem Haupt ihm hinunter

Stürzte das Bild auch des Eros, erschlagend den frevelnden Jüngling.

Purpurn wurde die Flut und der Ruf schwamm auf ihr des Knaben:

"Freut ihr Liebenden euch, denn der Hassende wurde getötet!

Zärtlicher seid, o Geliebte, der Gott weiß Strafe zu finden."

Übersetzt von Friedrich Notter (1801-1884)

Aus: Theokritos, Bion und Moschos
Deutsch im Versmaße der Urschrift
von E. Mörike und F. Notter
Zweite Auflage
Stuttgart Verlag von A. Werther 1883
(S. 113-115)

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XXVII.

Liebesgespräch


Mädchen

Helenen, klug wie sie war, hat Paris geraubt, auch ein Hirte!

Hirte

Doch freiwillig geküßt hat Helena selber den Hirten.

Mädchen

Weg mit der Hand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hirte

. . . . . . . . . . . . . . . . Und nochmal werd' ich die Lippe dir saugen.

Mädchen

Satyr, mach' dich nicht mausig, ein Kuß heißt nichtige Ware.

Hirte

Liebliche Wonne gewährt auch selber der nichtige Kuß schon.

Mädchen

Ich doch spüle den Mund und von mir spei' ich den Kuß weg.

Hirte

Spülst du die Lippen? so gib, daß wieder darauf ich dich küsse.

Mädchen

Dir ziemt, Kälber zu küssen, und nicht jungfräuliche Mädchen.

Hirte

Mach' dich nicht mausig: vorüber ist bald wie ein Traum dir die Jugend.

Mädchen

Weinbeer' wird zur Rosin' und dürr noch duftet die Rose.

Hirte

Unter die Ölbäum' komm', daß ich dir sage ein Wörtlein.

Mädchen

Mag nicht; hast mich vorhin mit lieblichen Wörtlein betrogen.

Hirte

Unter die Ulmbäum' komm', daß meine Syringe du hörest.

Mädchen

Habe du Freude daran, sonst niemand gefällt solch' Gewinsel.

Hirte

Ho! ho! Fürchte das Zürnen des Paphia, Mädchen, und meid' es.

Mädchen

Leb' doch Paphia wohl; mir sei nur Artemis gnädig.

Hirte

Nimmer dem Eros entfliehst du, entflohen ist nie ihm ein Mädchen.

Mädchen

Ich, beim Pan, doch entflieh', sein Joch bleibt stets unerträglich.

Hirte

Sag's nicht, daß er nicht schießt und ins Netz du unlöslich geratest.

Mädchen

Schieß' er doch, wie er es mag! auch hier schafft Artemis Abwehr.

Hirte

Daß er dem schlechteren Mann noch hin dich werfe, besorg' ich.

Mädchen

Viel schon freiten um mich, doch rührete keiner das Herz mir.

Hirte

Einer der vielen erschein' auch ich auf dem Platz als dein Freier.

Mädchen

Und - was soll ich denn, Freund? voll bitterer Plag' ist die Heirat.

Hirte

Schmerzen und Qual nicht bringet, es bringt Heiraten den Reigen.

Mädchen

Doch man sagt, daß die Frau vor des Lagers Genossen erzitt're.

Hirte

Vielmehr Herrin ist sie: vor wem doch erzitterten Weiber?

Mädchen

Ich vor Wehen: Geschosse der Eileithya sind herbe.

Hirte

Doch der Gebärenden Hilfe ist Artemis, deine Gebiet'rin.

Mädchen

Aber mich schreckt die Geburt, ich könnte die Schönheit verlieren.

Hirte

Wenn du Kinder geboren, so glänzt in den Söhnen sie neu dir.

Mädchen

Und welch' würdig Geschenk für Gewährung gibst du zur Hochzeit?

Hirte

All' mein Vieh und Gehölz und sämtliche Weiden erhältst du.

Mädchen

Schwör' denn, nach dem Genuß nicht treulos von mir zu gehen.

Hirte

Nie, beim Pan, und wolltest du selber mich von dir verjagen.

Mädchen

Bau'st du Kämmerchen mir und bau'st du Haus und Gehöfe?

Hirte

Kämmerchen bau' ich dir und weid' dir treulich die Herden.

Mädchen

Aber dem alternden Vater was doch, was geb' ich für Wort' ihm?

Hirte

Loben das Bündnis wird er, sobald mein Nam' ihm zu Ohr kommt.

Mädchen

Sage den Namen mir denn, wohl kann auch erfreuen ein Name.

Hirte

Daphnis bin ich, ein Sohn von dem Lykidas und der Nomäa.

Mädchen

Traun von guter Geburt, doch bin ich geringer als du nicht.

Hirte

Weiß es, geehrt weit um; dein Vater ja ist der Menalkas.

Mädchen

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Hirte

. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

Mädchen

Zeig' mir denn dein Gehölz und wohin zu steht dein Gehöfe.

Hirte

Sieh dort meine Kypressen, die schmeidigen, wie sie sich treiben!

Mädchen

Weidet denn, Ziegen, ich gehe des Hirten Gelände zu schauen.

Hirte

Graset in Ordnung, Stiere, ich zeig' das Gebüsche dem Mägdlein.

Mädchen

Satyr, was soll das? was in den Busen da greifst du hinein mir?

Hirte

Wollte die Äpfelchen nur, die eben sich färben, erkunden.

Mädchen

Mir vergehen die Sinne. Heraus gleich wieder die Hand da!

Hirte

Mutig, du liebliches Kind: was zitterst du vor mir? wie zaghaft!

Mädchen

Wirfst in den Graben mich hin und beschmutzest die schönen Gewande!

Hirte

Nein; dir unter das Kleid, sieh, werf' ich das weichliche Schaffell.

Mädchen

Weh, auch den Gürtel entrissen! Wozu hast den du gelöset?

Hirte

Ihn als Erstlingsgab' vor Paphia leg' ich darnieder.

Mädchen

Halt! ob niemand sich nahet, Verweg'ner! ich höre was rauschen.

Hirte

Deine Vermählung flüstern einander ins Ohr die Kypressen.

Mädchen

Hast ja zum Fetzen gemacht mein Mäntelchen! Bloß bin ich worden!

Hirte

Werde ein anderes dir und größeres Mäntelchen geben.

Mädchen

Sagst, wollst alles mir geben, und gibst wohl endlich kein Salzkorn.

Hirte

Könnt' ich die Seele, die eig'ne, dazu noch fügen als Zugab'.

Mädchen

Artemis, zürn' nicht der, die treulos deinem Gebot ward!

Hirte

Eros opfr' ich ein Kalb, Aphroditen die Kuh, die es säuget.

Mädchen

Jungfrau kam ich hierher, rückkehr' ich als Weib nach dem Hause.

Hirte

Aber ein mütterlich Weib, das Kinder gebiert, nicht ein Dirnlein.
 

So in schmelzender Lust durchwärmend die blühenden Glieder

Flüsterten jene zusammen. Sie schieden vom heimlichen Lager,

Und sich erhebend enteilte die Ziege zu weiden sie leise,

Mit verschämten Augen, doch innerlich hüpfte das Herz ihr;

Er zur Herde der Stier', noch voll von Wonn' der Umarmung.

Übersetzt von Friedrich Notter (1801-1884)

Aus: Theokritos, Bion und Moschos
Deutsch im Versmaße der Urschrift
von E. Mörike und F. Notter
Zweite Auflage
Stuttgart Verlag von A. Werther 1883
(S. 132-138)

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XXIX.

An den Geliebten


Wein, o lieblichster Knab', ist gepaart mit der Wahrheit, heißt's:

Uns auch, weil wir Betrunkene, ziemt es sich, wahr zu sein.

Ich sprech' weg von der Seel', was im Winkel verborgen liegt:

Daß du ganz aus dem Herzen mich lieben noch nie gewollt,

Weiß ich wohl, denn die Hälfte des Lebens erhalte ich

Durch dein Bild, doch die andere ist mir geschwunden schon.

Willst du's, leb' ich den Tag den beseligten Göttern gleich,

Willst du's nimmer, verhüllet in Dunkel und Finsternis.

Wie paßt solches? Den Liebenden gibst du den Schmerzen hin?

Willst du, Jüngerer, mir dem Bejahrteren, Folge thun,

Hast du selber es besser und lobest noch mich dazu.

Mach' ein einziges Nest dir auf einzigem Baum zurecht,

Da wo nimmer sich wagt ein verderblich Gewürme hin.

Dort nun wählest du heute dir einen der Äste aus,

Einen anderen morgen und hüpfest von dem zu dem:

Lobt dein reizend Gesicht ein Erblickender dann etwa,

Auf drei Jahre und weiter, ein Freund ihm, erstehst du gleich,

Und drei Tage bescheid'st du dem früher dich Liebenden.

Gleich stolzsinnigen Männern erscheinst du an hohem Geist:

Lieb', so lange du lebst, den ähnlich Gesinnten nur,

Thust du dieses, so heißt in der Stadt du ein Wackerer,

Und von Eros bekommst du nichts Schweres zu tragen auf,

Der den Männern die Herzen bewältiget ohne Müh'

Und zum Schwächling mich selbst aus dem Ehr'nen gewandelt hat.

Dennoch häng' ich mich dir an den lieblichen Rosenmund.

Denk', daß vorigen Jahres du jünger gewesen bist,

Und daß Greise wir werden, bevor du nur ausgespuckt,

Und uns runzeln, und Jugend zurücke zu rufen uns

Nicht ermöglicht ist: Fittiche trägt an den Schultern sie,

Und zu langsam sind wir zu erhaschen Geflügeltes.

Dies bedenkend geziemt dir zu werden ein Milderer,

Und mich Liebenden wieder zu lieben, des Truges los,

Daß wenn männlich das Kinn dir umschattet geworden ist,

Wir doch stets uns gesellt wie achillische Freunde sei'n.

Doch wenn dieses den Winden zur Beute du hin nun wirfst,

Und im Herzen du flüsterst: was plagst du mich, Grämlicher:

Ging' für dich ich auch dann zu den goldenen Äpfeln fort

Und zum Wächter der Toten, dem gräßlichen Kerberos,

Nie doch, riefst du mich auch, zu den Thoren des Hofs heran

Käm' vom schmerzlichen Sehnen der Liebe ich ausgeheilt.

Übersetzt von Friedrich Notter (1801-1884)

Aus: Theokritos, Bion und Moschos
Deutsch im Versmaße der Urschrift
von E. Mörike und F. Notter
Zweite Auflage
Stuttgart Verlag von A. Werther 1883
(S. 143-144)

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