Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


William Thom (1798-1848)
schottischer Dichter


Hannchen's Grab

Ich sah mein Lieb zuerst
Am Strand des stolzen Tay,
Mein zitternd Herz, nicht ahnt' ich,
Daß ich's verschenkt dabei.
Ich schwelgt' in ihrem Auge,
Und liebt' es mehr und mehr,
Denn einen Blick so liebreich
Sah ich noch nie bisher.

Ich hört' mein Liebchen singen,
Sie lehrt' mich manchen Sang,
Mein Ohr, es hört nie wieder
So süßer Stimme Klang.
In bitt'rer Wanderungen,
Freudlosem Mißgeschick
Ihr Sang blieb immer lieblich,
Stets freundlich blieb ihr Blick.

Ich sah mein Liebchen welken,
Fühlt' ihren letzten Hauch,
Ich weint', nicht eitle Thränen,
Als ich zudrückt' ihr Aug'.
Vom heim'schen Tay ruht fern sie,
Und Urys Welle schleicht
Um Hannchen's Grab - kein Denkmal,
Kein Baum die Stätte zeigt.

Geräuschlos, guter Ury,
Fließ' um ihr Bett und stumm,
Wo immer ich auch weile,
Du bist mir werth darum.
Eh' deine Feenwelle
Vom Meer zurücke fließt,
Eh' ich vergess' das dunkle Grab,
Und was es mir umschließt.

übersetzt von Eduard Fiedler (1817-1850)

Aus: Geschichte der volksthümlichen schottischen
Lieder-Dichtung von Eduard Fiedler
Zweite Ausgabe Erster und zweiter Band
Leipzig 1858 Verlag von Wilhelm Violet (Band 2 S. 214-215)

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Zu spät

Marie, wenn du denkst an mich,
Mögst Mitleid Du mir weih'n, Liebe,
Wenn Andere spotten meines Leids,
So schone Du nur mein, Liebe.
Mein Herz, Marie, ersehnte Dich,
Es suchte Deins so inniglich,
Die Schmerzensthräne, die beschlich
Mein Auge, sie war Dein, Liebe.

Blick nicht mit diesem Zauberblick,
Der meine Ruh mir stahl, Liebe,
Und deine Seufzer mir verbirg,
Denn sie sind meine Qual, Liebe.
O trage lieber Groll mir nach;
Die Thräne nicht mehr frommen mag,
Und nah ist schon der Todestag;
Träf' bald mich seine Wahl! Liebe.

Wär's möglich, daß die kalte Stirn
Barg einen Sinn so hold, Liebe,
Ein gebrochen Herzen heilet nicht
Selbst durch ein Band von Gold, Liebe.
Marie, sieh des Regens Flut,
Er fehlt', als Alles sengt die Glut,
Umsonst er bringen frischen Muth
Der welken Blume wollt', Liebe.

übersetzt von Eduard Fiedler (1817-1850)

Aus: Geschichte der volksthümlichen schottischen
Lieder-Dichtung von Eduard Fiedler
Zweite Ausgabe Erster und zweiter Band
Leipzig 1858 Verlag von Wilhelm Violet (Band 2 S. 216)

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