Hendrik Franciscus Caroluszoon Tollens (1780-1856)
niederländischer Dichter
Blandine
An des Blumenbaches Rand
Sitzt Blandine bleich und trübe;
Und die Thränen ihrer Liebe
Rollen nieder in den Sand
An des Blumenbaches Rand.
An des Blumenbaches Rand
Fragt' sie trüb' die stillen Wogen,
Wo ihr Glück sei hingezogen,
Seit sie Damon untreu fand
An des Blumenbaches Rand.
An des Blumenbaches Rand
Hielt er Lina jüngst umfangen;
Küßte Lippen ihr und Wangen,
Bis ihm Ehr' und Treue schwand
An des Blumenbaches Rand.
An des Blumenbaches Rand
Sinkt Blandine kraftlos nieder;
Ruft den Schläfer zärtlich wieder,
Dessen Herz sich ihr entwand
An des Blumenbaches Rand.
An des Blumenbaches Rand,
Wo die Trauerpappel zittert,
Ruft sie, wie vom Tod durchzittert:
"Deck' mich bald, o kühler Sand,
An des Blumenbaches Rand!"
Übersetzt von Peter
Friedrich Ludwig Christian von Eichstorff (1799-1848)
Aus: Orient und Occident Eine Blütenlese aus den vorzüglichsten Gedichten
der Weltlitteratur in deutschen Übersetzungen
Nebst einem biographisch-kritischen Anhang
Herausgegeben von Julius Hart
Minden i. Westf. J. C. C. Brun's Verlag 1885 (S. 357)
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Die Maienrose
Stralend blickt der Lenz hernieder,
Festlich prangt die Erde wieder
Im erneuten Hochzeitskleid:
Komm hinaus in das Gelände,
Wo Natur als Gruß und Spende
Blumen dir zu Füßen streut!
Nimm, o meines Lebens Leben,
Der mein Herze sich ergeben,
Da vom Schlummer es erwacht;
Nimm die erste Maienrose,
Die aus dunkelfeuchtem Moose
Lieblich dir entgegenlacht!
Nimm sie, drin mein Herz gefangen,
Laß sie frei am deinen prangen,
Fürchte nicht die scharfe Wehr!
Hab die Finger wohl zerstochen,
Doch die Dornen abgebrochen -
Nein, das Röslein sticht nicht mehr.
Nimm, und lausch' dem stummen Munde:
Heilig ist mir auch die Wunde,
Die ich dir zu lieb empfing.
Mögen mich die Dornen ritzen,
Kann ich dich vor ihnen schützen,
Acht' ich jeden Schmerz gering.
Nimm sie freundlich hin; vor allen
Mög' sie, Liebste, dir gefallen,
Weil sie dich ja nicht mehr sticht;
Hab die Finger wohl zerstochen,
Doch die Dornen abgebrochen,
Dornen giebt die Liebe nicht.
Nimm das Blümchen, meine Liebe,
O, und daß es doch so bliebe
Unser ganzes Leben lang!
Himmel, gieb von unserm Lose
Mir die Dornen, ihr die Rose,
Und für alles sag' ich Dank!
übersetzt von Wilhelm Rudow (1858-1897?)
Aus: Um die Erde. Eine Auswahl der schönsten und
kennzeichnendsten Dichtungen der wichtigsten Kultursprachen
übersetzt von W. Rudow
Leipzig Verlag von Karl Kaupisch 1891 (S. 172-173)
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