Ludwig (Lajos) Tolnai (1837-1902)
ungarischer Dichter
Klag' an mich, klag' . . .
Klag' an mich, klag', wenn deinem Herzen
Dies Ruh' gibt, wenn's befriedigt dich;
Ich will den Vorwurf gern ertragen,
Will gern vor dir demüth'gen mich.
Nie will ich, nein, niemals verfluchen
- Obgleich in ihm jetzt Hassesbrand -
Dies Augenpaar, das einst vor Zeiten
In mir sein Licht und Leben fand.
Die Pein des Nichtverstandenwerdens
Soll nie verblenden mich, fürwahr!
Dass hassen ich könnt' und verfluchen
Dies süssberedte Lippenpaar.
Gesegnet sei's für alle Zeiten,
Gesegnet reich in jedem Sinn;
Vielleicht erkennst du einstens doch noch
Wer ich gewesen, wer ich bin.
Süss ist mir's, dass du mich beschuldigst,
Mich hassest doch, wenn auch nicht liebst,
Dein Hass, dein Fluch sind Bürgschaft, dass du
Nie durch Vergessen mich betrübst.
Glaub' mir, dein Hass, dein Fluch, sie sagen:
Es wird noch kommen einst die Zeit,
Wo wiederkehrt vergangner Tage
Glanz, Zauber, Süsse, Seligkeit.
Wenn neu der Wald in Grün sich kleidet,
Schmückt reich'res, schön'res Laub den Baum,
Ach, unter dem in meinen Armen
Du einst geträumt so süssen Traum.
Und wo wir damals uns umschlangen,
Da ruh'n wir wieder im Verein,
Den alten Platz in Herz und Lippe
Nimmt dann die Liebe wieder ein.
Und deine Mutter, die mich hasst jetzt,
Sitzt wieder, wo sie damals sass,
Und blickt auf uns mit stiller Freude
Durch des halb offnen Fensters Glas.
übersetzt von Gustav Steinacker
(1809-1877)
Aus: Ungarische
Lyriker
von Alexander Kisfaludy bis auf die neueste Zeit
(die letzten 50 Jahre)
In chronologischer Reihenfolge metrisch übertragen
und mit literar-historischer Einleitung
und biographisch-kritischen Notizen versehen
von Gustav Steinacker
Zweite Ausgabe
Leipzig Joh. Ambr. Barth Buda-Pest
Grill'sche (vormals Geibel'sche) Buchhandlung 1874 (S. 413-414)
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