Adam S-ki (Zofia Trzeszczakowska) (1847-1911)
polnische Dichterin
Erloschene Augen
Und stehst du an meiner Bahre dereinst,
Da mich umschließt die finstere Flur
Des Todes, daß du nicht zitterst noch weinst,
O, küß die erloschenen Augen mir nur.
Sie haben so traurig und düster nach dir
Geschaut - o du Strahl aus sonnigen Höhn,
Und hebst die erstorbenen Lider du mir,
Dann wirst du dein eigenes Bildnis drin sehn.
Hab niemals geklagt um das leuchtende Glück
Noch, daß mir verwirrt ward des Lebens Band.
Ein Dichter nur hätt wohl in meinem Blick
Die irrende Sehnsucht des Lebens erkannt.
Und keinem stand jemals im Wege mein Weh,
Hab keinem die goldenen Träume zerstört,
Ich war wie ein Schatten - als Schatten ich geh;
Doch kommst du, dann sei mir die Bitte gewährt:
Bevor ich für ewige Zeiten von hier
Zieh fort in des Todes umdüsterte Flur,
Will weder Blumen noch Tränen von dir - -
O küß die erloschenen Augen mir nur.
Wer weiß, was uns birgt des Grabes Nacht,
Ob ewiges Nichts, ob Glückseligkeit,
Drum sei meinen traurigen Augen sacht
Dein erster - und letzter - Kuß nun geweiht.
(S. 130-131)
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Sehnsucht
Wie möchte ich breiten die zitternden Hände
In diese mit Wundern gesegnete Welt,
Daß seltsam erschauernd ich wiederfände
Den Traum, der die Jugendzeit mir erhellt.
Ich würde mein Haupt dann tief vor ihm neigen,
Vom schmeichelnden Atem des Frühlings umweht,
Und fühlen, wie Flammen dem Herzen entsteigen
Und heimlich die Seele ins Traumland geht.
O daß doch die Liebe mich singend umgleite,
Die lauter und schneller das Herz schlagen macht,
Daß nochmals ich schaue die sonnige Weite,
Bevor mich umdunkelt die ewige Nacht . . .
Wie glücklich der Vogel, den jäh das Verderben
Ereilt, wenn er hurtig flattert einher!
Ich will nicht verzweifelnd noch sehnend sterben,
Ich bin wie der Vogel: will sterben wie er!
(S. 132)
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übersetzt von Lorenz
Scherlag (1881-1941)
Aus: Moderne polnische Lyrik
Eine Anthologie deutscher Übertragungen
Herausgegeben von Lorenz Scherlag
Amalthea Verlag Zürich Leipzig Wien 1923