Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Paul Verlaine (1844-1896)
französischer Dichter


[Aus: Capriccios]
Frau und Katze

Sie spielte mit ihrem Kätzchen,
Und reizend waren zu schau'n
Die weissen Hände und Tätzchen
Beim Tändeln im Abendgrau'n.

Versteckt hielt voll lustiger Mätzchen
Im Handschuh, o Tücke der Frau'n,
Die spitzigen Nägel mein Schätzchen,
Die scharf wie Messer, traun.

Auch die andere wollte gefallen
Und versteckt ihre grausamen Krallen,
Doch währt ihre Sanftmut nicht lang ...

Und im Zimmer, in Dämm'rung versunken,
Wo ihr silbernes Lachen erklang,
Erglänzten vier Phosphorfunken.
(S. 17)
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[Aus: Verschiedenes]
Initium

Ich sah sie auf dem Ball im Wirbeltanz der Paare,
Der Geigen Lachen einte sich dem Flötenklang,
Hold spielten um ihr Ohr die feinen, blonden Haare,
Ihr Ohr, zu dem mein Wunsch gleich einem Kuss sich schwang,
Als spräch' er gern und wäre doch zu reden bang.

Und die Mazurka trug in schwebend-stillem Tanze
Mild tönend wie ein Lied sie weiter durch die Reih'n,
Ein Reim von süssem Klang, ein Bild von lichtem Glanze,
Und ihre Kinderseele strahlte hell und rein
Durch ihrer grauen Augen sinnlich weichen Schein.

Und unbewegt seit diesem Augenblicke bete
Ich ihre Schönheit an, der sich mein Herz geweiht,
So schreitet bang, als ob in Tempels Nacht sie träte,
In die Erinnerung der Liebe Herrlichkeit.

Und hier, ich fühl' es wohl, ach hier beginnt mein Leid.
(S. 21)
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[Aus: Verschiedenes]
Serenade

Wie ein Toter, der längst vom Leben schied,
Aus dem Grabe sänge,
Trägt Herrin zu dir mein klagendes Lied
Seine zitternden Klänge.

O öffne Seele und Ohr, den Klang
Meiner Laute hörend.
Für dich ertönt, für dich mein Gesang,
So hold, so zerstörend.

Ich singe dein Auge voll goldenen Glücks,
Das schattenlos klare,
Dann den Lethe deiner Brust, dann den Styx
Deiner dunklen Haare.

Wie ein Toter, der längst vom Leben schied,
Aus dem Grabe sänge,
Trägt Herrin zu dir mein klagendes Lied
Seine zitternden Klänge.

Und das Lob meines Sanges preist und erhebt
Den Leib, den geweihten,
Dessen süsser Duft zur Nacht mich umwebt
In schlaflosen Zeiten.

 Und ich singe die Küsse von rotem Mund,
Dass dein Preis ohne Mängel,
Deine Süsse, die mich gerichtet zugrund,
Meine Dirne, mein Engel!

O öffne Seele und Ohr, auf den Klang
Meiner Laute hörend.
Für dich ertönt, für dich mein Gesang,
So hold, so zerstörend.
(S. 22-23)
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[Aus: Verschiedenes]
Nevermore

Voran mein armes Herz, mein alter Kampfgenosse,
Neu baue im Triumph dein buntes Siegestor,
Von falschem Goldaltar steig' Weihrauchduft empor,
Gib, dass an Abgrundshang der Flor der Blumen sprosse,
Voran mein armes Herz, mein alter Kampfgenosse.

Zu Gott hin dringe deines Lieds verjüngter Klang,
Lass, heis're Orgel, das Tedeum mächtig tönen,
Die frühen Runzeln schmink', dein Antlitz zu verschönen,
Häng' rote Teppiche die morsche Wand entlang,
Zu Gott hin dringe deines Lieds verjüngter Klang.

Klingt Schellen, läutet Glöckchen, tönet Glocken!
Mein weltentrückter Traum ward Wahrheit, es umschlingt
Mein froher Arm das Glück, den Fremdling, leicht beschwingt,
Der schüchtern flieht beim Nah'n der Menschen, die ihn locken.
Klingt Schellen, läutet Glöckchen, tönet Glocken!

Lebendig Seit' an Seite ging mit mir das Glück;
Das Leben, mitleidlos, entschreitet ohne Säumen,
Der Wurm ist in der Frucht, Erwachen ist im Träumen,
Die Reu' ist in der Lieb', so zwingt uns das Geschick.
Lebendig Seit' an Seite ging mit mir das Glück.
(S. 24)
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[Aus: Schäferfeste]
Pantomime

Pierrot, der so ungleich Clitander,
Langt zu und vertilgt nacheinander
Ohne Zaudern Pastete und Wein.

Cassander seh' ich dort stehen,
Eine Träne im Grund der Alleen
Dem enterbten Neffen zu weihn.

Zur Entführung von Colombine
Macht der Schelm von Harlekin Miene,
Der sein Rad hier viermal schlägt.

Colombine staunt, dass im Winde
Ein Herz sie träumend empfinde,
Und ihr Herz ein Flüstern bewegt.
(S. 35)
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[Aus: Schäferfeste]
Mondschein

Wie eine seltne Gegend ist dein Herz,
Wo Masken, die mit Bergamasken schreiten,
Zum Tanze spielen voll geheimem Schmerz
Im Truggewand, mit dem sie bunt sich kleiden.

Obgleich in weichem Ton sie singen, wie
Der Liebe Sieg dem Lebensglück sich eine,
So glauben doch nicht an die Freude sie,
Und ihr Gesang fliesst hin im Mondenscheine.

Im kalten Mondenschein, des trübe Pracht
Die Vögel träumen lässt auf ihren Zweigen,
Und der die Wasserstrahlen weinen macht,
Die schlank aus weissen Marmorschalen steigen.
(S. 36)
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[Aus: Schäferfeste]
Auf dem Rasen

Der Abbé schwärmt. - Und Euch Marquis
Sitzt die Perücke der Quere.
Wenn der Cyperwein so leuchtend wie
Euer Nacken, Camargo, wäre!

- Meine Holde! - Do, mi, sol, la, si.
- O Abbé! Du schwarze Seele!
Dass mich, meine Schönen, - wenn ich für Sie
Keinen Stern vom Himmel stehle!

Ein kleines Hündlein wär' ich gern!
Umarmt und küsst um die Wette
Die Schäferinnen. - Wie, meine Herrn?
Do, mi, sol - He Mond! Geh' zu Bette!
(S. 37)
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[Aus: Schäferfeste]
Cythere

Ein Gartenhaus in stiller Sonne
Birgt sanft und zärtlich unsre Wonne,
Umweht von lieber Rosen Luft.

Der Rosen Atem süss und linde
Mischt sich im leichten Sommerwinde
Mit ihres Haares holdem Duft.

Ihr Blick war ihrer Kühnheit Pfand,
Es gab mir ihrer Lippen Blüte
Ein Fieber, das betörend glühte.

Da Liebe nicht den Hunger bannt,
So muß Sorbet mit süssen Dingen
Erquickung uns, den Müden, bringen.
(S. 38)
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[Aus: Schäferfeste]
Im Kahn

Zitternd wie durch feuchte Schleier
Schwimmt der Abendstern im Weiher,
Und der Fischer zündet Feuer.

Heute oder nie ist's Zeit,
Dass Ihr Herrn verwegen seid,
Lustig wag' ich jeden Streit.

Auf der Laute klimpert Lieder
Athis und blickt glühend nieder
Zu der spröden Chloris Mieder.

Eglé beichtet dem Abbé
Allzugern ihr Liebesweh,
Und der Graf ist toll wie je.

Mondlicht blinkt schon in den Räumen,
Und der Kahn streicht ohne Säumen
Durch der Wasser stilles Träumen.
(S. 39)
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[Aus: Schäferfeste]
In der Stille

In Waldes Dämmerschein
Lass unter Zweig und Strauch
Uns tief durchdrungen sein
Von dieses Schweigens Hauch.

Dass unsrer Herzen Drang
Hinschmilzt und zärtlich schweigt
Im Duft, der sehnsuchtsbang
Von Busch und Fichte steigt.

Schliess' deine Augen du,
Die Händ' kreuz' auf der Brust,
Aus deines Herzens Ruh
Vertreibe Leid und Lust.

Die Seelen neigen wir
Dem Weh'n, das lind sich regt
Und sanft zu Füssen dir
Das braune Gras bewegt.

Und wenn der Abend kam
Und schwarz von Bäumen sinkt
Leiht Stimme unserm Gram
Die Nachtigall - und singt.
(S. 40)
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[Aus: Schäferfeste]
An Clymene

Geheime Gondelsänge,
Wortlose Liederklänge,
Weil mir dein Auge nur
Licht wie Azur.

Weil deiner Stimme Milde
Gleich wie ein fremd Gebilde
Verstörend mir gebannt
Sinn und Verstand.

Weil deine holden Glieder
Blass wie des Schwans Gefieder,
Dein Atem, der ein Hauch
Vom Blütenstrauch.

Ach! Weil dein ganzes Wesen,
Das mir Musik gewesen
Aus eines Engels Gruft,
Wohlklang und Duft,

Mit seligem Verlangen
Sanft schwebend mir umfangen
Mein Herz in zartem Schein,
Soll's also sein.
(S. 41)
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[Aus: Schäferfeste]
Wehmütiges Zwiegespräch

Im alten Park, der einsam und verschneit,
Sah ich zwei Schatten gehn in Dunkelheit.

Tot ist ihr Aug', von welken Lippen beben
Die leisen Worte, die in Nacht entschweben:

Der alte Park ist einsam und verschneit,
Zwei Schatten wecken die Vergangenheit.

- Gedenkst du noch der Wonne einst'ger Liebe?
- Wie willst du, dass mir die Erinn'rung bliebe?

- Schlägt immer noch dein Herz für mich allein?
Kommt meine Seel' im Traume zu dir? - Nein.

- O sel'ges Glück in jenen hellen Tagen,
Da Mund auf Mund geruht! - Wer kann es sagen?

Blau war der Himmel, gross der Hoffnung Macht!
- Die Hoffnung floh besiegt in schwarze Nacht.

So schritten sie durchs Gras den Pfad, den schlimmen,
Und nur die Nacht erlauschte ihre Stimmen.
(S. 42)
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[Aus: Schäferfeste]
Mandoline

Sie, die klimpern auf den Saiten,
Und die Schönen, welche lauschen,
Tauschen matte Höflichkeiten,
Wo die grünen Zweige rauschen.

Tircis und Aminte sind es,
Auch Clitander darf nicht fehlen.
Damis, um manch spröden Kindes
Herz mit zartem Reim zu stehlen.

Ihrer langen Schleppen Seide,
Ihre Westen, ihre glatten,
Ihre Feinheit, ihre Freude,
Ihre weichen, blauen Schatten

Wirbeln, wo der Mond verdüstert
Ros'ger bald erscheint, bald grauer,
Und die Mandoline flüstert
In des Abendwindes Schauer.
(S. 43)
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[Aus: Schäferfeste]
Der Faun

Dreist lacht in grünem Parkesgrunde
Ein Satyr aus gebranntem Ton,
Für künftig uns mit schlimmer Kunde
Nach jenem heitern Tag zu drohn,

Der mich geführt mit dir im Bunde
Bis heut, da leichten Fluges schon
Uns trüben Pilgern diese Stunde
Beim Klang des Tamburins entflohn.
(S. 44)
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[Aus: Das schlichte Lied]

Bald weicht der Prüfung bitt'rer Schmerz:
Der Zukunft lächle du, mein Herz.

Es fliehn die Tage voller Sehnen,
Wo ich betrübt war bis zu Tränen.

Nicht zähle mehr die lange Zeit,
Bald bist, o Seele, du befreit.

Die bitt'ren Worte, sie versanken,
Es flohn die finsteren Gedanken.

Mein Auge, das sie nicht mehr sieht,
Weil schmerzensvolle Pflicht mich schied,

Mein Ohr, in brennendem Begehren,
Der Stimme gold'nen Klang zu hören,

Mein ganzes Herz, mein ganzes Ich
Sehnt nach dem sel'gen Tage sich,

Wo, einzig Hoffen und Verlangen,
Ich die Geliebte werd' umfangen.
(S. 50)
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[Aus: Das schlichte Lied]

Flieg zu ihr, mein Lied, mit leichten
Schwingen und verkünde ihr,
Welch ein stilles, frohes Leuchten
In dem treuen Herzen mir.

Das mit heiligem Gefunkel
Aufhellt unsrer Liebe Nacht,
Misstraun, Furcht und banges Dunkel
Scheucht des Tages lichte Pracht.

Lang' von stummer Furcht bezwungen,
Hörst du? hat der heit're Sinn
Gleich der Lerche froh gesungen
Durch den klaren Himmel hin.

D'rum zu ihr den Flug genommen,
Dass von keinem Leid beschwert
Ich sie heisse hochwillkommen,
Sie, die endlich wiederkehrt.
(S. 51)
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[Aus: Das schlichte Lied]

Nicht wahr? Vom Zwang boshafter Toren frei,
Die uns gewiss um unser Glück beneiden,
Lass oft uns stolz sein, doch stets mild dabei.

Nicht wahr? Wir wandeln heiter und bescheiden
Den Pfad, den uns die Hoffnung lächelnd zeigt,
Gleichviel, ob man uns sehn mag oder meiden.

Einsam im Lieben, wie im Wald, der schweigt,
Sei'n unsre Herzen wie zwei Nachtigallen,
Die zärtlich singen, wann der Tag sich neigt.

Und was die Welt sagt, ob wir ihr gefallen,
Ob sie uns zürnt, gleichviel! Da ihre Hand
Ja schmeichelt oder Wunden schlägt uns allen.

Uns eint das teuerste und stärkste Band,
Froh lächelnd, dass zu nichts der Mut uns fehle.
Denn uns bewehrt ein Schwert aus Diamant.

Und unbekümmert, welchen Weg uns wähle
Das Los, lass gleichen Schrittes immerdar
Uns Hand in Hand gehn, mit der Kinderseele

Der Brust, die nichts als Liebe fühlt, nicht wahr?
(S. 53)
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[Aus: Das schlichte Lied]

 Ja, dann erglänzt ein heller Sommertag,
Es fühlt die ew'ge Sonne meine Freude,
Die dir in Atlas und in lichter Seide
Die liebe Schönheit noch verschönen mag.

Blau leuchtend wird der Himmel sich erheben
Gleich einem Zelt, an üpp'gen Falten reich,
Hoch über unsern Stirnen, welche bleich
Im bangen Glücke der Erwartung beben.

Sanft wird das Spiel des Abendwindes sein,
Der schmeichelnd dann in unsern Schleiern fächelt,
Der Liebesblick der Sterne aber lächelt
Den Gatten zu mit freundlich mildem Schein.
(S. 54)
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[Aus: Das schlichte Lied]

Auf irren Pfaden ohne Ende
Schritt ich dahin in banger Qual,
Mich führten deine lieben Hände.

Ich sah am Horizont, dass fahl
Ein schwacher Schein der Hoffnung glimme,
Dein Auge war der Morgenstrahl.

Ermut'gend durch die Nacht, die schlimme,
Kam nur der eig'nen Schritte Klang:
Geh weiter! sagte deine Stimme.

Mein Herz, so düster und so bang,
Es weinte still in bitt'rem Leide,
Die Liebe, die den Sieg errang

Hat uns geeint in sel'ger Freude!
(S. 55)
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[Aus: Vergessene Sänge]

Es ist das selige Bangen,
Es ist das müde Umfangen,
Der Schauer im dämmernden Wald,
Der Winde schmeichelnd Umschlingen,
Wann vom grauen Gezweige das Singen
Der kleinen Stimmen erschallt.

O dies zarte Zirpen und Girren,
Dies junge Gezwitscher und Schwirren,
Klingt hold wie Gräser im Wind,
Als ob über blanken Kieseln
Mit heimlichem Rauschen und Rieseln
Das murmelnde Wasser verrinnt.

Die Seele, die lebt im Zagen
Der leise schlummernden Klagen,
Ist es die unsere? sag!
Die meine ja und die deine,
Die so mit stillem Geweine
Verhaucht im scheidenden Tag.
(S. 61)
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[Aus: Vergessene Sänge]

Es weint mein armes Herz,
Wie auf die Stadt es regnet,
Ach, welch ein banger Schmerz
Durchdringt und quält mein Herz?

Wie rauscht so sanft der Regen
Auf Strasse und auf Dach.
Mein müdes Herz zu hegen
O, wie singt der Regen!

Es weint ohn' allen Grund
In meinem blut'gen Herzen.
Ward durch Verrat es wund?
Mein Leid ist ohne Grund.

Das ist das schwerste Leiden,
Zu wissen nicht warum.
Da Hass und Lieb' mich meiden -
Mein Herz muß so viel leiden.
(S. 63)
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[Aus: Vergessene Sänge]

 Ins ros'ge Abendgraun wie leises Klagen
Tönt das Klavier, geküsst von schmaler Hand.
Und wie mit schwachem, lindem Flügelschlagen
Hält eine alte Weise mich gebannt,
Die schmeichlerisch und zaghaft zu mir fand,
Im Raum, des Duft von ihr noch schien zu sagen.

Wie sanft die Wiege auf und nieder geht,
Die mild einlullt mein Herz, das seufzt und leidet!
Was willst du, Lied, das spielend mich umweht?
Was meinst du, Klang, der schwindet und vergeht,
Der nach dem Fenster hin verlöschend scheidet,
Das nach dem kleinen Garten offen steht?
(S. 64)
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[Aus: Aquarelle]
Green

Hier hast du Zweige, Blätter, Früchte, Blumenspenden
Und hier mein Herz, es schlägt ja einzig dir allein.
Zerreiss' es nicht mit deinen feinen, weissen Händen:
Dir Schönen möge lieb die schlichte Gabe sein.

Noch ganz bedeckt von klarem Tau will ich dich grüssen,
Der meine Stirn erfrischt im kühlen Morgenwind.
Lass den Ermatteten ausruhn zu deinen Füssen,
Dass seine Müdigkeit in sel'gem Traum zerrinnt.

Und lass mein Haupt an deinem jungen Busen liegen,
Mein Haupt, das noch von deinen letzten Küssen bebt;
Mag nach dem freien Sturm mein Herz in Ruh sich wiegen
Und schlummern, da auch dich ein leiser Schlaf umwebt.
(S. 77)
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[Aus: Aquarelle]
Spleen

Aus dem schwarzen Efeu grüsste
Der Rosen leuchtendes Rot,

Sobald du dich wendest, Süss'ste,
Fasst mein Herz die alte Not.

Mir waren die Lüfte, die zarten,
Zu licht und die See zu grün.

Furcht fasst mich und banges Erwarten,
Du möchtest mich grausam fliehn.

Mich lockt nicht der Blätter Glänzen
Und des Buchsbaums schimmernde Zier,

Nicht das weite Land ohne Grenzen,
Und nichts mehr, nichts, ausser dir!
(S. 78)
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[Aus: Aquarelle]
Streets

Tanzt mir den Reigen!
Ich liebt' ihr holdes Augenpaar,
Das heller als ein Stern mir war,
Ich liebt' die Augen spöttisch-klar,
Tanzt mir den Reigen!

Sie plagte ihren Freund so lieb,
Dass sie ihn zur Verzweiflung trieb
Und immer doch entzückend blieb.
Tanzt mir den Reigen!

Doch ist das Süss'ste, was sie bot,
Der Kuss von ihrer Lippen Rot,
Jetzt, da sie meinem Herzen tot.
Tanzt mir den Reigen!

Noch denke sehnend ich zurück
An ferne Zeit, an Wort und Blick,
Und dieses ist mein höchstes Glück.
Tanzt mir den Reigen!
(S. 79)
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[Aus: Liebe]
Ein Witwer spricht:

Ich seh eine Gruppe auf dem Meer,
Welch Meer? Dem Meer meiner Tränen!
Meine Augen, vom Salzwind feucht und schwer
In der Nacht voll Sturm und Sehnen,
Sind zwei Sterne über dem Meer!

Eine junge Frau seh ich nahen
Mit ihrem Kind, das schon gross,
In einem Schiff ohne Rahen,
Ohne Ruder und Segel im Flutgetos',
Ein Kind, eine Frau seh ich nahen.

Im Flutentosen, im Sturmgebraus
Umklammert die Mutter der Kleine,
Die nicht mehr weiss wo ein noch aus
Und doch hofft, dass Rettung erscheine
Im Flutentosen, im Sturmgebraus.

Ja, hoff auf Gott, arme Törin,
Zu dem Vater flehe, Kind,
Rast auch der Sturm übers Meer hin,
Mein Herz weissagt euch, dass der Wind
Bald schweigt, o Kind, arme Törin.
(S. 109-110)
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[Aus: Die Freundinnen]
Auf dem Balkon

Die beiden schauten, wie die Schwalben leicht entflogen,
Die eine rosig blond, bleich und mit schwarzem Haare
Die andre, und das matte Nachtkleid floss dem Paare
Sanft nieder, wolkengleich, in weichen, üpp'gen Wogen.

Und beide schmachtend, gleich dem Asphodelos, sogen,
Da weich der Mond gen Himmel stieg, der runde, klare,
Tief atmend die Erregung ein, die wunderbare,
Der Dämmerung, das Herz von trübem Glück durchzogen.

So träumten Arm in Arm geheimnisvoll durchschauert,
Ein seltsam Paar, das andre Liebende bedauert,
Am Rande des Balkons die beiden jungen Frauen.

Dahinter, tief im Zimmer, das in Nacht sich tauchte,
Erschloss, stolz wie ein Thron im Singspiel anzuschauen,
Sich das zerwühlte Bett, das süssen Duft enthauchte.
(S. 117)
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[Aus: Die Freundinnen]
Pensionärinnen

Die eine fünfzehn Jahr, die andere sechzehn, rüsten
Blauäugig-schlank, zum Schlafe sich. Beklommen
Und schwül ist die Septembernacht gekommen.
Die Wangen färbt ein zärtliches Gelüsten.

Die feinen Hemden gleiten von den Büsten
Und hauchen holden Duft, süss und verschwommen,
Es dehnt die Jüngre sich, die Freundin lustentglommen
Küsst sie, die Hände auf der andern Brüsten.

Dann sinkt sie in die Knie, vom Wahnsinn fortgezogen,
Und taucht den Mund in der Erregung Wogen
In Schatten unter goldnem Lockenglanze.

Und während der Umarmung regt die Kleine
Die Fingerchen, als spiele sie zum Tanze,
Und rosig lächelt sie in süsser Reine.
(S. 118)
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[Aus: Die Freundinnen]
Per Amica Silentia

Der reiche Stoff von weichem Musseline,
Wo bleich der Schein der nächt'gen Ampel wachte
Und die opalgleich schimmernde Gardine
Geheimnisvoll im Schatten fliessen machte,

Der reiche Stoff am Bett von Adeline
Vernahm, wie Klaras Silberstimme lachte,
So süss, als ob sie nur der Liebe diene,
Bis sie ein heisser Ton zum Schweigen brachte.

O lieben! lieben! sagten eure Stimmen,
Klara und Adeline, eng umschlungen,
O edle Herzen, die ihr Wunsch bezwungen.

Liebt, liebt, Vereinsamte! Wenn auch in schlimmen
Und trauerreichen, öden Unglückstagen
Ihr das erhabne Brandmal still müsst tragen.
(S. 119)
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[Aus: Die Freundinnen]
Frühling

Die junge, rothaarige Schöne
Sprach, liebentflammt für die reine
Hellblonde, unschuldige Kleine
Die zärtlich flüsternden Töne:

Dass die Blüte die Pflanze kröne,
Lass in deiner Kindheit Haine
Mich tasten im Moos, dass die schöne
Holdleuchtende Rose erscheine.

Lass im Gras, das schimmernd mich grüsste,
Die Tropfen des Taus mich trinken,
Die zart im Blumenkelch blinken.

Dass die Lust der Liebe, o Süss'ste
Auf der reinen Stirn dir erglühe,
Wie im schüchternen Äther die Frühe.
(S. 120)
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[Aus: Die Freundinnen]
Sommer

Und mit Wangen, die sich entfärben,
Sprach das Kind von den Liebkosungen
Der trunkenen Freundin bezwungen:
Ach, Liebste, ich fühle mich sterben!

Ich sterbe. O sel'ges Verderben,
Du hältst mich glühend umschlungen,
Dein blühendes Fleisch ist durchdrungen
Von Düften, die süss mich umwerben.

Dein Fleisch birgt die dunklen Gefahren
Der sommergereiften Schöne,
Wo Düfte und Schatten sich paaren.

Sturm sind deiner Stimme Töne,
Und der Locken blutig Gefunkel
Fliesst jäh in das bleierne Dunkel.
(S. 121)
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[Aus: Die Freundinnen]
Sappho

Mit hohlen Augen, wild, mit starren Brüsten,
Eilt Sappho, die die Gluten ihres Wunschs verzehren,
Gleich einer Wölfin längs der eis'gen Küsten.

Von Phaon träumt sie, nicht von den Altären,
Und da verschmäht sie sieht der Sehnsucht bittre Tränen,
Reisst sie ihr Haar sich aus in langen, üpp'gen Strähnen.

In sehnsuchtsvoller Reue ruft sie schmerzlich jene
Entschwundnen Tage junger Glut, die allzuschnellen,
Die sie in süssen Liedern sang, die sich gesellen
Der Jungfrau reinem Traum, dass sie sich selig wähne.

Ihr tiefumschattet Augenlid verbirgt die Träne,
Und auf der Moira Ruf stürzt sie sich in die Wellen,
Und silbern glänzt, die schwarzen Wasser zu erhellen,
Die bleiche Rächerin der Liebenden, Selene.
(S. 122)
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[Aus: Verschiedenes]
Casta Piana

Dein schwarzes, rotdurchflimmertes Haar,
Dein kaltes und süsses Augenpaar,
Deine Schönheit, die eigentlich keine,
Deine Brüste, geformt vom Teufel, o du!
Und deine feine Blässe dazu,
Gestohlen dem Mondenscheine,

Sie halten gefangen mich Nacht und Tag,
Du heilige Jungfrau vom Dachverschlag,
Die mit nicht geweihten Kerzen,
Mit heidnischen Aves man ehren muss,
Mit Gebeten dazu nach dem Angelus,
Das uns ruft zu unheiligen Scherzen.

Man riecht den Scheiterhaufen dir an,
Einen Lumpen machst du aus einem Mann,
Einen Schemen, durch deine Süsse,
In der Zeit, wo ein Ja man stammeln mag,
In der Zeit für ein lockendes: Guten Tag,
In der Zeit dir zu küssen die Füsse.

Deine Dachkammer ist ein Schreckensort,
Stets bist du auf deinem Lager dort
Und stellst manchem Schelm eine Falle,
 Und wenn die Liebenden weitergehn
Mit all' deinen Sakramenten versehn,
Dann lachst du über sie alle.

Recht hast du, doch liebst du sicherlich
Mehr als die Alten und Jungen mich,
Die dich nicht traktieren können ....
Mich, der ich in deinen Künsten gewandt,
Mich, der genügend mit dir bekannt,
Um dir jede Feier zu gönnen.

Drum diese Falte fort geschwind,
Und maule nicht mehr länger, Kind!
Lass all deinen Balsam mich trinken,
Ja, lass versüsst, gesalzt und gewürzt,
Versüsst, gepfeffert und unverkürzt,
Deinen heiligen Balsam mich trinken.
(S. 125-126)
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[Aus: Verschiedenes]
Monde

Ich will, o trübe Zeit, die mich zerstört im Innern,
Mich an die blauen Tage reiner Lieb' erinnern,
Einwiegend meine Schmach und meine bittre Lust
Im Kuss auf ihre Hand, nicht auf der andern Brust!
Und ich, Tiberius gleich, in diesen finstern Stunden,
Ob ich nun Freude oder ob ich Schmerz empfunden,
Will ruhn und denken, fern vom Glück, das schlecht uns lohnt,
Der blassen Mädchen, deren Ehre wir geschont,
Wenn auf dem Rasenplatz nach Tanz und frohen Tagen
Im weissen Mondenschein die Kirchuhr zwölf geschlagen.
(S. 127)
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[Aus: Lieder für Sie]

Gutherz'ge, fröhliche Vertraute,
Auf die ich meines Herzens Ruh,
Auf die ich ganz mein Leben baute,
Mein letzter, einz'ger Zeuge du,
Komm, Schatz, dass ich dich an mich drücke,
Du küsse lang und innig mich,
So schlägt mein Herz in heiterm Glücke
Und Liebe bis zum Tod für dich!
Liebe mich,
Ohne dich
Ist dahin,
Was ich bin.

Dein Reichtum, Kind, sind deine Hände,
Und ich bin wie 'ne Kirchenmaus;
Mit unserm Tisch sieht's trüb am Ende
In Dachverschlag und Keller aus,
Doch unser Lager, unser weiches,
Fehlt nie, vergnügt und dauerhaft,
Und König ich des Königreiches,
All deiner Heiterkeit und Kraft.
Liebe mich,
Ohne dich
Ist dahin,
Was ich bin.

 Aus der Umarmung unsrer Nächte
Erhebe ich mich neugestählt,
Denn deine Süsse ist das rechte,
Da meinem armen Fleisch gefehlt.
Dein Kuss giesst Mut gleich starkem Weine
In meine Brust mit Lieb und Scherz,
Du kennst die Kunst, ja, du alleine,
Zu schwellen mir ein göttlich Herz.
Liebe mich,
Ohne dich
Ist dahin,
Was ich bin.

Was schadet, Schatz, dein einst'ges Leben?
Was kümmert wohl das meine mich?
Ich bin dir treu in Lieb ergeben,
Nur Gutes tatest du für mich.
Lass im Umarmen uns vergessen,
Dass man uns Armen nicht verzieh,
Lass glühend Herz an Herz uns pressen,
Was schert die Welt uns? - Höhne sie!
Liebe mich,
Ohne dich
Ist dahin,
Was ich bin.
(S. 133-134)
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[Aus: Lieder für Sie]

Des schwarzen Augenpaars Gewalt,
Gleichgültig-kalt,
Bis zu der Hüften weissem Scheine,
Der stolzen Reine
Des Busens, all der Schönheit Pracht,
Die süss mir lacht -

Ach, alles flieht, ach, alles schied, was ich gedacht.

Du tiefe Falschheit so im Bunde
Mit blüh'ndem Munde,
Wie du mich zu umgarnen denkst,
Erkannt ich längst,
Ach, alles, was wir reizend wähnen,
In Wunsch und Sehnen,

Wie es mir winkt, wie es mich zwingt zu künft'gen Tränen.

O sprich doch, Liebste, Flötenklang
Zu meinem Sang,
Wie Schrein der Hirsche soll mein Singen
Zu dir sich ringen.
Sprich, Liebste, dass die Flöte bei
Dem Liede sei,
Und wenn ich schon dein Esel bin, so gib mir Heu!
(S. 135)
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[Aus: Lieder für Sie]

Wir haben mehr Geist, als uns frommt,
Geliebte!
Der uns am Ende schlecht bekommt,
Geliebte!
So stets zu kämpfen, Brust an Brust,
Noch immer!
Und ohne Reu und ohne Lust
Noch immer!

O sage nicht mehr dieses Ringen
So lang,
Nicht der Flöten verstimmtes Klingen!
Der Sang,
O, der Sang der zärtlichen Herzen,
Das Lied,
Das die Luft in wehmüt'gen Schmerzen
Durchzieht!

Und drum genug mit allem Licht
Des Geistes,
Denn er bekommt uns wirklich nicht,
Du weisst es.
Lass töricht uns und einfach sein,
Mein Kätzchen,
Und du sei mein, und ich bin dein,
 Mein Schätzchen.
(S. 136)
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[Aus: Lieder für Sie]

Nein, ich lieb dich nicht im Putze,
Kalt lässt in des Schleiers Schutze
Mich dein Auge, mein Azur,
Und ich hasse all die schönen
Zierlichkeiten, denn sie höhnen
Deine wahren Reize nur.

Feindlich bin ich allen Röcken,
Die vor meinem Blick verstecken,
Was das Schönste doch im Grund,
Deinen Hals, den wundervollen,
Und den sinnverwirrend tollen
Reiz der Waden, schlank und rund.

Pfui den allzu schmucken Frauen,
Schatz, ich will im Hemd dich schauen,
Das am reizendsten dir steht,
Messgewand zu heil'gen Tagen,
Fahne, die im Feld geschlagen,
Spät und frühe, früh und spät.
(S. 137)
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[Aus: Lieder für Sie]

Göttlich Naive, wenn es dein Verlangen,
So bin ich nur des einen noch bewusst,
Mit kund'ger Hand dich schmeichelnd zu umfangen
In irren Gluten fieberhafter Lust,

Göttlich Naive, wenn es dein Verlangen.

Versinken lass im Rausch uns ohne Scham
Wie Hirsch und Hindin tief in Waldesreichen;
Die Keuschheit, mag sie gehn, woher sie kam,
Und nichts soll unserm dreisten Feuer gleichen,

Versinken lass im Rausch uns ohne Scham.

Vor allem lass uns nichts von Büchern sagen,
Zum Teufel Leser, Dichter und Verlag,
Wir folgen der Natur in jungen Tagen,
Die selig nichts von Fesseln wissen mag.

Und o, lass ja nichts uns von Büchern sagen.

Geniessen, schlafen, Liebste, meinst du nicht?
Soll unsre höchste Seligkeit uns geben,
Nur das allein sei unsre höchste Pflicht,
Gewissen uns und alles Licht im Leben.
 Geniessen, schlafen, Liebste, meinst du nicht?
(S. 138)
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[Aus: Lieder für Sie]

Es strahlt in mein altes Herz hinein
Dein Lachen wie eine Laterne
In einen Keller voll köstlichen Wein
Aï, Grave, Beaune, Sauterne,

Dein Lachen strahlt in mein Herz hinein.

Deine Stimme klingt hell in mein Dunkel
Voller Lust wie ein Kampfsignal,
Wie erglänzt deiner Augen Gefunkel
Ich gehorche! Teufel nochmal!

Deine Stimme klingt hell in mein Dunkel.

Dein Schick, feiner Putz, dein Schneid,
Sie haben mich ganz bezwungen:
Komm! - prodeo, o Studienzeit,
Mit deinen Erinnerungen!

Dein Schick, feiner Putz, dein Schneid,

Deine Glieder und Brust, deine Hüften,
All die Süsse, die meine Glut vermehrt,
Mahnt mich zum Bleiben mit zauberischen Düften ...
 Ob ich bleibe im Bett, das mich verzehrt

Deine Glieder und Brust, deine Hüften.
(S. 139)
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[Aus: Lieder für Sie]

Du, Kind, glaubst an den Kaffeegrund,
Aufs Lottospiel verlässt du dich:
An deine Augen glaube ich.

An Unglückstage, Märchen und
An Träume glaubst du, die nicht trügen,
Ich glaub allein an deine Lügen.

An Gott glaubst du ganz wesenlos,
Du weisst, dass man zu Heil'gen fleht,
Für jeden Kummer ein Gebet.

Ich glaube an die Stunden bloss,
Die blau und rosig mir erblühen
In unsrer blassen Nächte Glühen.

Und alles dieses glaube ich
So fest und unerschütterlich,
Dass ich nur lebe noch für dich.
(S. 140)
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[Aus: Lieder für Sie]

Heut nacht im Traume sah ich dich,
Du dehntest dich mit leisem Lachen
Und schwätztest gurrend tausend Sachen.

Ich kostete gleich Früchten dich,
Wie ich mit durst'ger Lippe küsste
Berg, Tal und Hügel, Wang' und Brüste.

Ich war von einer Biegsamkeit,
Die wirklich man bewundern musste,
Herrgott, welche Kraft, welche Puste!

Und du, Geliebte, zur selben Zeit,
Welche Puste und Kraft, welche Schnelle
Und Biegsamkeit der Gazelle.

Am Morgen gab's in deinem Arm,
Nur viel vollkomm'ner, im Erwachen
Genau dieselben süssen Sachen.
(S. 141)
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[Aus: Lieder für Sie]

Mein Herz war gläubig, das ist nun dahin,
Und wiederum erfüllt das Weib mich ganz,
Wenn ich auch noch voll tiefer Ehrfurcht bin
Für des verlor'nen Bildes Zauberglanz,

Jedoch, das Weib erfüllt mich wieder ganz.

Ich betete zum Gott der Kinderzeiten,
Doch heute kniee ich vor dir allein;
Ach gläub'ges Mitleid, lichte Hoffnung weihten
Mir die erglüh'nde Seele zart und rein.

Doch heute kniee ich vor dir allein.

Von neuem wird durch dich das Weib zum Herren,
Der mir allmächtig jede Freiheit raubte,
Der tückisch ins Verderben mich zu zerren
Voll Hinterlist mir jeden Wunsch erlaubte ...

O sel'ge Zeiten, da mein Herz noch glaubte!
(S. 142)
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[Aus: Posthumes]

Die Stunde schlägt, dein Ende kam,
Das schwerste Leid von allen Leiden,
Die tiefste Nacht, der tiefste Gram, -
Fast meine selber ich dahinzuscheiden.

Ach, all die Glut dahingerafft,
Zerrissen alle zarten Bande!
Die Heiterkeit, die schöne Kraft,
O Wahnsinn, so viel Glanz verscharrt im Sande!

Trug! Ja das Nichts ist gut für mich,
Für dies verkehrte, schwache Wesen,
Da will ich ruhn - jedoch für dich ...
Fürwahr, du bist aus anderm Ton gewesen.

In mir haust Finsternis, gepaart
Mit Schweigen nach des Sturmes Toben,
Doch dich entrückt die Himmelsfahrt
Der Frauen, die der Liebe Ruhm erhoben.

Denn in der Nacht, in die man geht,
Wird dich dein Reiz im Kranz der Schönen,
Zu denen Liebe je gefleht,
Vor allen Liebenden und Jungfraun krönen.

 Und letzte Gabe deinem Treun
Beglänzt den Ort, wo ich begraben,
Wie stolzer, Feldherrn Leichenstein,
Der Ruhm vor allen dich geliebt zu haben.
(S. 159-160)
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[Aus: Posthumes]
Letzte Hoffnung

Am Kirchhof steht ein Baum alleine
In einer jungen Herrlichkeit.
Ihn pflanzt kein hergebrachtes Leid, -
Sanft neigt er sich dem schlichten Steine.

Im Sommer wie im Winter singt
Ein Vöglein auf dem Baum, wie klingt
So zart der Schmerz der treuen Töne.

Der Vogel und der Baum sind wir,
Du das Gedenken, ich die Ferne.
Der einst'gen Tage, mild wie Sterne -
Ach lebt ich noch zu Füssen dir!

Ach leben, leben! Meine Schöne,
Das kalte Nichts besiegte mich,
Doch leb ich dir im Herzen? Sprich!
(S. 161)
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Übersetzt von Wolf von Kalckreuth (1887-1906)
Aus: Paul Verlaine Ausgewählte Gedichte
Übertragen von Graf Wolf von Kalckreuth
Insel Verlag Leipzig 1906




 

 


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