Europäische Liebeslyrik

(in deutscher Übersetzung)

Edward Charles Halle (1846-1914) - Die Musik

 


Joost van den Vondel (1587-1679)
niederländischer Dichter




Wenn Weltall endet seine Bahn,
Wo bleibt der Schwan?
Wo bleibt der Schwan,
Der Schwan, der frohe Geselle der Fluth,
Nie satt vom Lieben,
Der stets geblieben
Voll Minnegluth.

Auf der Fluth hat er sein Nest gebaut,
Dort pflegt er traut,
Dort pflegt er traut
Mit der Gefährtin das süsse Glück.
Sie trägt verborgen
Die Muttersorgen,
Bebt nie zurück.
Flatternde Junge um ihn her
Folgen zum Meer,
Folgen zum Meer.

Er taucht mit ihnen in sprudelnde Fluth,
Wäscht sein Gefieder,
Schwebt auf und nieder
Bei Abendgluth.
Singend stirbt er und vergeht
Wo Rietgras steht,
Wo Rietgras steht.
Dem Tod selbst jubelt froh er zu,
Haucht leis und süsse
Die letzten Grüsse,
Und geht zur Ruh.

Sterbend kehrt er das müde Gesicht
Zum ewigen Licht,
Zum ewigen Licht,
Zum Brautschatz, den Natur ihm gab,
Der ihm geblieben
Zu frohen Lieben.
Und sinkt ins Grab.

übersetzt von Wilhelm Berg (Ps. von Lina Schneider 1831-1909)

Aus: W. J. A. Jonckbloet's Geschichte der niederländischen Literatur
Von Verfasser und Verleger des Originalwerkes
autorisierte deutsche Ausgabe von Wilhelm Berg
mit einem Vorwort und einem Verzeichnis der
niederländischen Schriftsteller und ihrer Werke von Ernst Martin
Zweiter Band Leipzig Verlag von F. C. W. Vogel 1872 (S. 207-208)

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Minneliedchen

I.
Anna, du mein Philomelchen,
In dem grünen Lindenbaum
An der klaren Amsel Saum!
Sag, wer lehrte doch dein Kehlchen
Zauber, der so lieblich fließt?
Sing' nicht, Anna, ach du ziehst,
Ach du ziehst, ich sag es dir -
Aus dem Leib die Seele mir.


II.
O grausame Schöne,
Was kann dich bewegen?
Wie treu ich mich sehne
In Hagel und Regen:
Du zeigst mir den Rücken,
Entweichst meinen Blicken -
Schon krankt mein Gemüth,
Da hilft keine Klage, mein Leben entflieht.

übersetzt von Andreas Jansen (1873)

Aus: Das Buch der Liebe
Eine Blütenlese aus der gesammten Liebeslyrik
aller Zeiten und Völker
In deutschen Uebertragungen
Herausgegeben von Heinrich Hart und Julius Hart
Zweite Auflage Leipzig Verlag von Otto Wigand 1889 (S. 367)
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