Henrik Wergeland (1808-1845)
norwegischer Dichter
Liebe und Noth
Sieh, Geliebte, die Rosen erröthen
Gleich Lächeln über den harten Klippen,
Die süßen Erdbeer'n wachsen auf gier'gen Höhen!
Wider Willen soll so das Schicksal
Tragen die Lust unsrer jungen Liebe.
O Noth, wie schön mit seligen Thränen!
Sieh, dein schönes erbleichendes Antlitz,
Bedeckt mit zweier Glücksel'gen Lächeln,
Ist so vergeistigt in holder Verklärung!
Darum, Noth, wir lieben Dich beide!
Deine Strenge vertieft unsre Liebe,
Sei stolz, Du gleichest Norweg, dem theuren!
In den strengen kühlen nordischen Lüften,
Athmet gesund und roth unsre Liebe,
Froh, mein Lieb, es gränzt ja nah an den Himmel!
Beider Natur ist tief verwandt ja.
Die Sterne gleichen mir Deinen Thränen,
Sind Knospen nur von den tiefblauen Blumen der Augen!
Beide haben verwandte Wesen:
Wie gleichen schwärmende Engel nicht
Zarter Gedanken Flug, von Auge zu Auge!
In der Noth armseliger Hütte
Hat Maria den Heiland geboren!
Da wohnte Ruth und Hagars Anmuth.
Durch die Wüsten der Noth auch wandert
Treuer Diener und fand Rebekka.
Muthig! Dein Fuß schafft mir Blumen in Wüsten!
Sieh, die Noth, wir lieben sie beide!
Denn mit dem Ernste der Pflegemutter
Legt' sie die Hände auf unsre Liebe!
Mit meinem Fleiße beperle ich gerne
Ihren Rasen. Und bin doch ein Skalde!
Manche schwitzen um schlecht're Gedichte!
Oede, felsigte Berge sollen -
(Schwarze Schultern armsel'ger Welt)
Wogen vor dir mit goldnen Saaten!
In der Thür uns begegnen zwei Engel;
"Sanftes Genügen", "stilles Bescheiden!"
Decken den Tisch uns, ordnen das Lager!
Fliegen froh dann zurück nach dem Himmel,
Von dem seligen Paare zu melden,
Himmlischen Traum unserm Schlummer zu bringen!
Fürcht' nicht, Weib, daß verstumme mein Singen,
Alten Lorbeer soll frischen mein Schweiß nur;
Wenn blutige Thränen auch quillt mir im Auge!
Nur einen schneefreien Streifen bedarf
Der kluge Staar für sich selbst und sein Weibchen.
Wenig mehr braucht Singen und Liebe.
übersetzt von Edmund Lobedanz (1820-1882)
Aus: Album Nordgermanischer Dichtung
von Edmund Lobedanz
Erster Band: Album Dänisch-Norwegischer Dichtung
Leipzig 1868 Verlag von Albert Fritsch
(S. 188-189)
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Am dunkeln See
Am See, unter Tannen im schwellenden Moose,
Da sah ich, vom Thal dich, die lieblichste Rose,
Wenn Sterne erwachen, wenn Wälder schon träumen,
Die Otter sich schleichet zum See unter Bäumen.
Wenn seelenvoll nur noch dein Auge mir funkelt,
So nußbraun, so freundlich, wenn Alles rings dunkelt,
Dann, Liebchen mein, steure zum einsamen Hafen,
Wo Sterne nur wachen, die Wälder schon schlafen.
übersetzt von Edmund Lobedanz (1820-1882)
Aus: Das Buch der Liebe
Eine Blütenlese aus der gesammten Liebeslyrik
aller Zeiten und Völker
In deutschen Uebertragungen
Herausgegeben von Heinrich Hart und Julius Hart
Zweite Auflage Leipzig Verlag von Otto Wigand 1889 (S. 388)
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