Bernardino Zendrini (1838-1879)
italienischer Dichter
Noch kann ich auf die Hoffnung nicht verzichten
Wenn deine Augen still auf mir verweilen,
Erwacht in meines Herzens tiefstem Grunde
Ein alter Reim, zwei unscheinbare Zeilen,
Die einst ein Freund mir las in ernster Stunde.
Er las sie zu Pavia mir, im schlichten
Studentenstübchen, wohl gedenkt es mir:
"Noch kann ich auf die Hoffnung nicht verzichten,
Zu leben und zu sterben einst mit dir!"
An diese Hoffnung klammert sich die Seele
Noch scheiternd an, von Stürmen umgetrieben.
Kein Stern mehr winkt, den ich zum Führer wähle,
Der eine Traum nur ist mir treu geblieben,
Von ihm nur spricht mein Denken und mein Dichten,
Wie Duft die Blume haucht im Lenzrevier:
Noch kann ich auf die Hoffnung nicht verzichten,
Zu leben und zu sterben einst mit dir.
Ach, aller andern konnt' ich mich entschlagen,
Daß kaum ein leiser Schmerz in mir sich bäumte,
Ja selbst dem Paradiesesglück entsagen
Der großen Zukunft, die der Knabe träumte.
Jetzt heft' ich meinen Sehnsuchtsblick mit nichten
Auf die versagte grüne Lorbeerzier,
Nur auf die Hoffnung kann ich nicht verzichten,
Zu leben und zu sterben einst mit dir.
Nie schwand sie ganz. Und ward sie jemals schwächer,
Ein freundlich Wort, ein Blick, der mich getroffen,
Ein Lächeln nur, ein Winken mit dem Fächer -
Und gleich aufs Neu' entloderte mein Hoffen.
Es spielt um mich in hellen Traumgesichten,
Und sollten sie mich trügen für und für:
Noch kann ich auf die Hoffnung nicht verzichten,
Zu leben und zu sterben einst mit dir.
Denn muß ich auch, wenn Andre dich umfassen
Und stolz im Reigen dir zur Seite gehn,
Ich Ärmster, fern von dir und glückverlassen,
In Jedem den erwählten Liebsten sehn:
Bis zum Altar sich deine Schritte richten
An eines Andern Arm, vorbei an mir,
Kann auf die Hoffnung nimmer ich verzichten,
Zu leben und zu sterben einst mit dir!
(S. 77-78)
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Du sprachst: Verlaß mich nicht!
Der Mond ging auf. Es glitzerten die Wogen
In seinem Strahl. Vom weiten Uferring
Kam schmeichelnd süßer Blütenduft geflogen,
Wie, oder war's dein Hauch, der mich umfing?
Rings lag dein schöner See im Dämmerscheine,
Ich ließ die Ruder müssig ruhn im Boot.
Da senktest du die Augen tief in meine
Und sprachst: Verlaß mich nicht, es wär' mein Tod!
In jener Nacht sah ich im Traum erschrocken
Ein schönes todtes Weib, weiß ihr Gewand,
Ein duft'ger Blumenkranz in ihren Locken,
Ein kleines Bildniß in der kalten Hand.
Seitdem hat man dich stets mit mir gesehen,
Schuf auch dein Kaltsinn oft mir bittre Noth;
Doch wollt' ich einmal früher von dir gehen,
Sprachst du: Verlaß mich nicht; es wär' mein Tod!
Nein, hör mich an. Nach Liebe, Licht und süßen
Gefühlen schmachtet tief ein junges Herz;
Du aber sprichst mir nur von Sterbenmüssen
Und lebst so frisch und roth und voller Scherz.
Mit einer Thräne stärke mir den Glauben,
Der mehr und mehr mir zu entschwinden droht.
Doch du, um jeden Zweifel mir zu rauben,
Sprachst nur: Verlaß mich nicht; es wär' mein Tod!
Ein andres Leben, hellere Gestirne
Erhofft' ich mir und strebt' empor voll Muth.
Es starrt der Pfad von Dornen, und die Stirne,
Die Lorbeern träumte, wird betrieft mit Blut.
Die Flügel sehnt mein Geist sich zu entfalten
In freierm Horizont, als hier sich bot;
Doch du, Geliebte, um mich festzuhalten,
Sprachst: O verlaß mich nicht; es wär' mein Tod!
Was dann geschehn, du weißt's. Seit sieben Wochen
Irr' ich allein umher in düstrem Groll
Und denk' an Herzen, die Verrath gebrochen,
Und meines blutet, das dich missen soll.
Allein Gottlob! wie ich vorbeiging heute,
Hört' ich dich lachen, - du bist frisch und roth!
Aus diesem Lachen klang kein Grabgeläute -
Und doch - "Verlaß mich nicht; es wär' mein Tod!"?
(S. 78-79)
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Eine anatomische Vorlesung
Komm doch! so sagten sie.
Willst du nicht hören
Unsern Professor heut
Das Herz erklären? -
Ich, der so viel davon
Zu schwatzen pflege
Und nie ergründete,
Wie sich's bewege,
Betrat gedankenvoll
Des Hörsaals Schwelle.
Birgt doch ein Menschenherz
Himmel und Hölle.
Bald soll's ein Ocean,
Bald ein Vulkan sein:
Etwas Besonderes
Muß wohl daran sein.
Nein, Herr Professor,
's ist nur Ihr Scherz:
Der kleine Muskel hier
Ist nicht das Herz.
Wohl hat Bewunderung
Mir abgenommen,
Wer solch ein künstliches
Pumpwerk ersonnen,
Diese Gefäße, die
Seltsam geöhrten -
Freilich noch nützlicher,
Wenn sie auch hörten! -
Die halbmondförmigen
Klappen, - fürwahr,
Laut mit der übrigen
Entzückten Schaar
Rief' ich ein staunendes
Bravo! am Ende,
Wenn, was ich selber hier
Gesucht, sich fände.
Nein, Herr Professor,
's ist nur Ihr Scherz:
Der kleine Muskel hier
Ist nicht das Herz.
Zwar hat Napoleon
Sein Herz im Sterben
Eigens ans Herz gelegt
Dem nächsten Erben,
Daß als ein Unterpfand
Der Vaterliebe
Dies theure Stück von ihm
Dem Sohn verbliebe.
Auch als ein leckeres
Ragout vor Zeiten
Ließen sich's liebende
Gatten bereiten.
Von so barbarischen
Delicatessen
Wahre der Himmel mich
Jemals zu essen!
Nein, Herr Professor,
's ist nur Ihr Scherz:
Der kleine Muskel hier
Ist nicht das Herz.
Zeigen Sie, wo in den
Nerven und Venen
Der Haß zu nisten pflegt,
Wo süßes Sehnen;
All unsrer Leiden und
Freuden Gewühle,
Wo die unzähligen
Zarten Gefühle,
Zügellos schwärmende
Illusionen,
Wo wilde Leidenschaft
Und Lüste wohnen;
Wo ich das Langen und
Bangen gewahre,
Die holden Täuschungen
Der achtzehn Jahre.
Nein, Herr Professor,
's ist nur Ihr Scherz:
Der kleine Muskel hier
Ist nicht das Herz.
Sehn Sie, die Leiche da,
Mein Herr Professor,
Die so bedächtiglich
Secirt Ihr Messer,
War eine Nähterin,
Ein armes Wesen,
Die eine Stunde nur
Glücklich gewesen.
Als der Verführer sie
Bracht' ins Verderben,
Mußt' an gebrochenen
Herzen sie sterben.
Ihr hat das Herz gesprengt
Getäuscht Vertrauen;
Doch hier - wo wäre denn
Ein Riß zu schauen?
Nein, Herr Professor,
's ist nur Ihr Scherz:
Der kleine Muskel hier
Ist nicht das Herz.
Im dumpfen Leichenhaus
Bleibe, wer mag!
Mich lockt der Sonnenschein
Zum Veilchenhag,
Weit, weit von schaurigen
Verwesungsdüften,
Die nur im Busen mir
Das Herz vergiften.
Nicht zu zergliedern erst
Hab' ich's gebraucht,
Doch nach dem lieblichen
Duft, den es haucht,
All seinen zärtlichen
Trieben, den jungen,
Scheint's eine Blüte mir,
In Lenz entsprungen.
Nein, Herr Professor,
's ist nur Ihr Scherz:
Der kleine Muskel hier
Ist nicht das Herz.
(S. 80-83)
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übersetzt von Paul Heyse (1830-1914)
Aus: Paul Heyse Italienische Dichter in Übersetzungen
Lyriker und Volksgesang (darin: Italienisches Liederbuch)
Gesammelte Werke (Gesamtausgabe)
Reihe V Band 4
George Olms Verlag Hildesheim Zürich Neu York 1999
(Nachdruck der Ausgabe Berlin 1889)