Aus den Briefen von Annette von Droste-Hülshoff
an Levin Schücking
An Levin Schücking in Mondsee
Meersburg, 5. Mai 1842, Donnerstag
Meersburg den 4 ten May 42
Es muß meinem guten Jungen, an den ich doch fortwährend denke, wohl sehr
unerwartet seyn, daß ich erst heute den ersten Brief an ihn beginne. -
und doch ist nichts Schuld daran, als der Wunsch ihm nur einen recht
guten recht erfreulichen zu schreiben, worin ich von vielen langen und
schönen Gedichten prahlen, und aus dieser Ferne in einem hübschen NIMBUS
leuchten könnte - Bis jetzt habe ich aber nur ein sehr schwaches
Scheinchen um mich, - bin eigentlich erst in den letzten Tagen recht
fleißig gewesen, und darf mit der Antwort nicht warten, bis die Glorie
sich gehörig ausgebildet hat. - weshalb ich so spät wieder an die Arbeit
komme? - Hör zu! - In den ersten acht Tagen war ich todtbetrübt, und
hätte keine Zeile schreiben können, wenn es um den Hals gegangen wäre. -
ich lag wie ein Igel auf meinem Kanapee, und fürchtete mich vor den
alten Wegen am See wie vor dem Tode - dann kam Luise Streng, die mich
fast keine Minute allein ließ, mich immer hinaus zog, und binnen der
ganzen Woche die sie hier blieb, mich, auf eine freylich keineswegs
angenehme Weise, durch ihre werthe Begleitung und aus endlosen Fragen
bestehende Unterhaltung, über die schwersten Momente gewaltsam
wegspatzierte. - jetzt kam aber eine andre Noth, - dein Brief von
Ellingen hätte längst da seyn können, (d. h. der versprochene, gleich
nach der Ankunft) und du nachläßiger Schlingel bist es wirklich gar
nicht werth wie wir uns um dich geänstiget haben. - jeden Morgen habe
ich an der Treppe dem Postboten aufgelauert, und Jenny und Laßberg waren
fast eben so bekümmert als ich - (...)
- Ob ich mich freue nach Haus zu kommen? - nein, Levin, nein - was mir
diese Umgebungen vor sechs Wochen noch so traurig machte, macht sie mir
jetzt so lieb, daß ich mich nur mit schweren Herzen von ihnen trennen
kann. - Hör Kind! - ich gehe jeden Tag den Weg nach Haltenau, setze mich
auf die erste Treppe, wo ich dich zu erwarten pflegte, und sehe, ohne
LORGNETTE, nach dem Wege bey Vogels Garten hinüber, kömmt dann jemand,
was jeden Tag ein paarmahl passirt, so kann ich mir, bey meiner
Blindheit, lange einbilden du wärst es, und du glaubst nicht, wie viel
mir das ist - auch dein Zimmer habe ich, hier wo ich mich Stundenlang in
deinen Sessel setzen kann, ohne daß mich jemand stört, - und den Weg zum
Thurm, den ich so oft Abends gegangen bin, - und mein eignes Zimmer mit
dem Kanapee und Stuhl am Ofen - Ach Gott überall? - kurz, es wird mir
sehr schwer von hier zu gehn - obendrein noch 200 Stunden weiter als wir
jetzt schon getrennt sind. - Solltest Du es wohl recht wissen wie lieb
ich Dich habe? - ich glaube kaum. (...)
Levin! wenn du kannst, wenn du immer kannst, bleib bey Deinem Plane in
zwey Jahren nach Münster zu kommen - meine Gesundheit ist jetzt nicht so
übel, ich werde dann noch wohl am Leben seyn - Hörst du? denke daß ich
alle Tage zähle. - es ist schlimm, daß ich den Winter nicht hier bleiben
kann, aber ich will auch nicht in Rüschhaus bleiben, sondern nach
Hülshoff, und mir täglich Bewegung machen, dann denke ich wird es schon
gehen. - wenigstens einmahl wirst du mir doch noch hieher schreiben? -
es muß aber wieder auf dem alten Fuße seyn, Laßberg bekömmt alle Briefe
zuerst in die Hände, und ist viel zu begierig nach Nachrichten von dir,
als daß ich ihn mit trocknem Munde könnte abziehn lassen - aber verkürze
den offiziellen Bericht, und laß dieses dem PRIVATEN zu Gute kommen. -
schreib' mir aber nicht eher nach Rüschhaus, bis ich dir von dort meine
Ankunft gemeldet, eine so weite Reise kann 100 Zufällen und
Verzögerungen unterworfen seyn, und du weißt, daß ich meiner Mama keine
vollständige briefliche Enthaltsamkeit zutraue, - (...)
den 5ten. guten Morgen Levin! - ich habe schon zwey Stunden wachend
gelegen, und in einem fort an dich gedacht, ach, ich denke immer an dich
- immer, - doch PUNCTUM davon - ich darf und will dich nicht weich
stimmen - muß mir auch selbst COURAGE machen, und fühle wohl, daß ich
mit dem ewigen Thränenweiden-Säuseln sowohl meine Bestimmung verfehlen,
als auch deine Theilnahme am Ende verlieren würde, denn du bist ein
hochmüthiges Thier, und hast Einen doch nur lieb, wenn man was Tüchtiges
ist und leistet. - schreib mir nur oft - mein Talent steigt und stirbt
mit deiner Liebe - was ich werde, werde ich durch dich und um
deinetwillen, sonst wäre es mir viel lieber und bequemer mir innerlich
allein etwas vorzudichten. - sobald ich diesen Brief geschlossen, gehts
CON FURORE ans Werk, ich bin wieder in der fruchtbaren Stimmung, wo die
Gedanken und Bilder mir ordentlich gegen den Hirnschädel pochen, und mit
Gewalt ans Licht wollen - und denke dir die Beytrage sehr bald schicken
zu können, obwohl gewiß der Psalm wieder um zwey Drittel zu lang werden
wird, den du dann mit wahrer Chirurgenkälte AMPUTIRST Mich dünkt, könnte
ich dich alle Tage nur zwey Minuten sehn - o Gott, - nur einen
Augenblick - dann würde ich jetzt singen daß die Lachse aus dem Bodensee
sprängen, und die Möwen sich mir auf die Schulter setzten! - Wir haben
doch ein Götterleben hier geführt, trotz deiner periodischen
Brummigkeit! - ob ich dir bös bin? - ach du gut Kind, was habe ich schon
für bittere Thränen darüber geweint, daß ich dir noch zuletzt so harte
Dinge gesagt hatte - und doch war viel Wahres darin! - aber mich vergißt
du doch nicht, was die Zeit auch daran ändern mag - wenn der eine Haken
bricht so hält der andre - dein Mütterchen bleibe ich doch, und wenn ich
auch noch 40 Jahre lebe - nicht wahr mein Junge? - mein Schulte - mein
kleines Pferdchen, - was hängen alles für Erinnerungen, die nie
verlöschen können an diesen Titeln! - NB. ich habe es jetzt so
eingerichtet, daß meine Briefe mir direckt aus der Küche gebracht
werden, - jetzt schreib was du willst - wenn es mir nicht ansteht lasse
ich es den Laßberg gar nicht erfahren wenn ich einen Brief bekomme, und
es ist schade daß ich so bald fort muß, unsere CORRESPONDENZ würde von
jetzt an hier weit sicherer und bequemer gehn wie in Rüschhaus. -
schreib mir, daß du mich lieb hast, ich habe es so lange nicht
ordentlich gehört, und bin so hungrig darauf! - du dummes nichtswürdiges
kleines Pferd! - aber an Laßberg mußt du auch schreiben - an Laßberg, -
ich kann dich nicht dringend genug antreiben! Jenny war schon zweymahl
hier aus demselben Grunde, (da sie weiß daß ich dir grade schreibe) -
das arme Ding ist ordentlich kümmerlich darüber, in der doppelten Noth
um Laßbergs Betrübniß, (ich kann dir sagen, er ist betrübt, denn er hat
wirklich lieb) und um deine Unehre. - also: - ET CET (...)
- Du kannst dir das Mahlerische des Ganzen nicht denken! - es ist so
romantisch, daß man es in einem Romane nicht brauchen könnte, weil es
gar zu romanhaft klänge, und ein fremder Kaufmann, den wir gestern beym
Figel trafen, und der grades Weges aus dem südlichen Frankreich, durch
Italien, und in letzter Station von Langenargen kam, war ganz entzückt
davon, und sagte »er könne es nur den schönsten Aussichten bey Genua und
Neapel vergleichen«. - auch ich kann dir nicht sagen wie klein und
armselig mir seitdem die hiesige Landschaft vorkömmt - Wenn du mit
deinen Zöglingen übers Jahr kömmst, versäume ja Langenargen nicht -
Laßberg meint, in höchstens ein paar Jahren werde die Unterminirung
vollendet seyn, und an einem schönen Tage die ganze Ruine
zusammenprasseln. - lieber Himmel! warum habe ich einen so schönen Tag
ohne dich genießen müssen! ich habe immer immer an dich gedacht, und je
schöner es war, je betrübter wurde ich, daß du nicht neben mir standest,
und ich deine gute Hand fassen konnte, und zeigen dir - hierhin -
dorthin. - Levin, Levin! du bist ein Schlingel, und hast mir meine Seele
gestohlen - Gott gebe daß du sie gut bewahrst - aber du hast mich auch
lieb, und denkst auch an mich an deiner Donau, - suchst Muscheln die
wahrscheinlich nicht da sind, und hast schon Pflanzenabdrücke und zwey
Steine für mich zusammen gehütet, - so ists recht! und wären es am Ende
auch simple Kiesel - so soll man immer für einander denken und schaffen,
um die Liebe in sich selbst frisch zu erhalten - ich will auch für dich
zusammenscharren, geschnittene Steine, Pasten, Rococo - wie ich nur
kann. sobald man soviel zusammen hat, daß man es auf die ordinaire Post
geben kann, ist es das Porto immer leicht werth - und es ist eine gar zu
große Freude - das Empfangen wie das Geben. - du altes Herz, deine
Müschelchen, die du mir hier gesucht, und in den Schwefelholzkästchen
gegeben hast, kann ich kaum ohne Thränen ansehn, und sie sind mir
lieber, wie alle die schönen seltnen Meermuscheln in meinen Glasschranke
zu Rüschhaus - ADIEU, Levin, behalt dein Mütterchen lieb, stelle dir oft
vor, daß ich bey dir wäre, und du mir Alles erzähltest und vertrautest
wie da wir zusammen waren - bitte - denk das oft, so wird in deinem
Herzen nie eine Falte gegen mich kommen, - ich will dir auch immer Alles
sagen! - ADIEU, lieb Herz, - Was du von der Beichte und Komunion sagst,
ist gewiß sehr richtig, und es liegt ein großes tiefes Heil in dieser
unumwundenen Selbsterforschung und Anklage - meinst du ich fühlte das
nicht? - an der Heilsamkeit habe ich nie gezweifelt, und auch der Glaube
an die Heiligkeit kömmt häufig wie eine unwiderstehliche Gewalt über
mich. ADIEU.(...)
__________
An Levin Schücking in Mondsee
Meersburg, 27. Mai 1842, Freitag
Meersburg den 25ten May - 42
(...)
Gottlob, daß ich die litterarische Prosa dieses Briefes hinter mir habe,
und von etwas Anderem reden kann. - Also krank bist du gewesen, mein
armes gutes Herz, und so verlassen und gelangweilt dazu! - es ist jetzt
vorüber, aber ich werde die Angst daß du wieder krank werden könntest
nicht los werden, besonders wenn ich noch 200 Stunden weiter fort bin, -
Gott was ist das Getrenntseyn doch für eine harte Sache! - wäre ich
dagewesen, niemand hätte mich von Deinem Bette fortgebracht, und dir
wäre auch wohler gewesen, wenn du dein Mütterchen gesehn hättest - O!
ich kann wohl Kranke pflegen! und bin dann gar nicht hülflos, sondern
(ich darf es wohl sagen) recht entschlossen und ausdauernd, wie
überhaubt in allen Fällen wo es Noth thut, - du hast mich nur noch in
keinem solchen gesehn - und deine schöne Wiener Reise ist dir mit der
Gelegenheit auch so lumpig verhunzt worden! - Jenny und Laßberg (bey
denen du dich durch deinen schönen langen Brief wieder ganz weiß
gewaschen hast) sind auch ganz betrübt darüber, und trösten sich nur
damit, daß du die TOUR wohl bald mahl wieder unter besseren Umständen
machen würdest. - Beyde haben dich herzlich lieb, und Laßberg ergreift
jede Gelegenheit von dir zu sprechen, wäre es auch nur, um mich, auf
eine harmlose Weise, ein wenig mit »meinem Seelenfreunde« zu necken. -
Von meiner Abreise habe ich weiter nichts gehört, da die Wintgens
gegenwärtig in Frankreich sind, zweifle aber nicht daß sie, bey ihrer
großen Pünktlichkeit, am festgesetzten Tage (den 15ten Juny) wirklich
wie Steine vom Himmel fallen, und mich mit sich fortkollern werden. -
dann bin ich wieder in Rüschhaus, und für die jetzigen Erinnerungen
treten die alten ein, wo du mein Schulte warst, - denkst du noch an mein
Kanapee mit den Harfen? meine Bank unter den Eichen? von der ich so
schwer Abschied genommen habe, als ob es mich geahndet hätte, daß ich
dir dort nie wieder mit meinem Fernrohr auflauern würde, wenn du durch
den Schlagbaum trabtest, deinen Rock auf dem Stocke. - das Vergehen und
nie so Wiederkommen ist etwas Schreckliches! - wenn du wieder nach
Rüschhaus kömmst bin ich ein altes Madämchen, und auch dir sind derweil
hundert Dinge durch den Kopf gegangen, und meine dicke Milch und
zusammen gespartes Obst werden dir nicht halb so gut mehr schmecken. -
(...)
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An Levin Schücking in Mondsee
Rüschhaus, 12. September 1842, Montag
Rüschhaus den 11ten September 42
Endlich ein Brief von dem kleinen Pferde! - wissen Sie, Levin, daß ich
ganz zürnig war? obwohl ich es, GENEREUSER Weise, (vielleicht auch mit
aus Hochmuth) in meiner königlichen Brust verschlossen hielt, und that,
als könne ich noch gar keinen Brief erwarten. - Wer hätte denken sollen,
daß der Klüngelpeter von Laßberg sein BREVE, dem schon bey meiner
Abreise nicht viel mehr als das COUVERT fehlte, erst nach Wochen vom
Stapel lassen sollte! - mein Junge darf sich also nicht wundern, daß ich
mich wunderte, etwas ängstete, und ziemlicher Maßen erzürnte, denn eine
innere Stimme sagte mir, daß er gesund wie ein Fisch, und rund wie ein
Kegel sey, und blos grenzenlos faul. - Ich gäbe viel darum, liebes Herz,
wenn Sie grade dieses Mahl, so recht offen und ausführlich geschrieben
hätten, ganz wie zu Ihrem Mütterchen, denn ich sitze hier seit sechs
Wochen mutterseelen allein, und weder Hahn noch Huhn kräht nach den
Briefen die ich bekomme, und mich verlangte so nach einem recht langen,
warmen, lieben, aber das konnten Sie freylich nicht wissen, - das
Erstere nämlich - Von der Mitte dieses Monats an bin ich nicht mehr
allein. - (also schon in der Woche die heute beginnt) - Daß Briefe an
mich erbrochen würden ist fortan gar keine Gefahr mehr vorhanden, selbst
wenn ich grade abwesend seyn sollte, aber ich wünsche dennoch dringend
sie allein zu bekommen, um nicht genöthigt zu sein sie vorzulesen, wo
man dann, noch unvertraut mit dem Inhalte, beym Uebergehen so leicht
ungeschickt stockt, was allerley Fatalitäten nach sich ziehn könnte; -
Lassen Sie uns also, wenn es Ihrerseits möglich ist, einen regelmäßigen
Briefwechsel verabreden, wo es mir dann leicht wird den Moment
abzupassen, - schreiben Sie den s1sten jedes Monats, ich will dann jeden
15ten die Antwort zur Post schicken, so fällt auch das fatale Kreuzen
fort, was Einem DESPERAT macht, wenn man so eben sein Schiff mit
DEFECTER Ladung hat absegeln lassen. - Liebes Herz, Sie werden von Elise
einen Brief erhalten haben, worin sie ihre Briefe und PORTRAIT, so wie
auch Beydes von mir, zurück wünscht; - Sie können Sich auf mein Wort
verlassen, daß diesem Wunsch Elisens keine Bitterkeit zum Grunde liegt,
sondern nur eine natürliche Furcht vor dem Schwerte des DAMOCLES, das
ihr durch die Klatscherey der Bornstedt erst recht sichtbar geworden
ist. (daß diese Klatscherey, die übrigens nur Wenigen bekannt war, fast
in der Geburt erstickt ist, haben wir theils Schlüters zu verdanken,
theils dem Umstande, daß die Bornstedt mich ganz auf dieselbe Weise
angegriffen, und dadurch ihrem boshaften Plane zwey Köpfe gegeben hat,
die sich einander auffraßen.) - Ich habe übrigens Elisens Wunsch nicht
angeregt, aber ihr allerdings Recht gegeben, - Beydes ist besser bey ihr
aufgehoben. - dazu kömmt der fatale Umstand, daß jedermann das Bild
kennt, - Rüdiger glaubt, es sey in Minden - ihre Eltern, es sey in
Münster, und so muß sie sich damit durchlügen, was auf die Dauer gar
nicht geht, sobald die beyden Partheyen zusammen kommen; - es liegt also
Alles daran, daß sie es gelegentlich vorzeigen kann, während es doch
dein Eigenthum bleibt. (...)
- Darüber daß Du mir auf vier Briefe nicht geantwortet, schien sie mir
PIQUIRTER, als sie es sich gegen mich wollte dünken lassen, und vielmehr
behauptete, es müsse ein Brief verloren gegangen seyn, ich dagegen
machte auch BONNE MINE A MAUVAIS JEU, und sagte, »du seyst blos ein
fauler Schlingel« obwohl mir innerlich schlecht genug dabey zu Muthe
war. - zu deiner Rechtfertigung habe ich ihr nun, nebst dem Gelde, den
ganzen Brief geschickt, sie aufmerksam darauf gemacht, daß Laßbergs
Brief mit meiner Aufforderung an Dich, statt vor sechs Wochen erst jetzt
eingelaufen, einige Reue über eine PIQUIRTHEIT, die ich wohl nicht ganz
verbergen können, geäußert, schließlich alle deine Aufträge, nach denen
sie nur die Hand auszustrecken braucht (da Junkmann in Münster ist) ich
aber meine armen Füße durch Regen und Koth treiben müßte, bey ihr nieder
gelegt, und erwarte nun stündlich die Antwort. Du wunderst Dich wohl,
daß ich auch mein Bild und Briefe zurück verlangt habe? - mein gutes
Herz, das habe ich blos aus Rücksicht für Elise gethan, mich dünkte es
war ein Opfer was ich ihrem Selbstgefühl schuldig war, um der Sache so
ganz das trübe Ansehn eines Austausches alter Liebespfänder zu nehmen. -
Zum Glücke ist jetzt von ihr selbst die Idee ausgegangen, daß dieses ja
gar nicht nöthig sey, und sie ist, in ihrem letzten Briefe ganz der
Meinung, daß ich Dir mein PORTRAIT doch ja lassen solle, - ich brauche
Dir nicht zu sagen, wie angenehm mir dieses zu lesen war, und mit wie
betrübtem Herzen ich es würde haben wieder anrücken sehn. - mit den
Briefen ist es ein Andres, - manche sind gefährlich für Elise, und diese
müssen durchaus aus der Welt. (auch dieser Brief darf das Leben nicht
behalten, deshalb lasse ich mich auch so ruhig gehn mit dem lieben alten
»Du«, dem es mir recht schwer wird fortan zu entsagen) - wenn ich sicher
wüßte, daß Du deine Faulheit soweit bezwingen könntest, sie alle (d. h.
die Meinigen) gewissenhaft wieder durchzulesen, und, nebst jenen, worin
von Elise die Rede ist noch alle zu verbrennen, worin ich dich dutze,
oder die sonst Mißverständnisse und Spöttereyen über mich schütten
könnten, so wollte ich Dir die andern gern lassen, - aber das kannst Du
nicht, - du kannst keine alten Briefe lesen, das geht gegen deine Natur,
- darum sind sie Dir auch zu nichts nütze; - Wenn die
Vor-Meersburglichen aber noch in Münster sind, und Du auf Elisens
Vorschlag, daß wir, mit einem Passe von Dir versehn, hingehn, und jeder
das Seinige zu sich nehmen soll, eingehst, so kann ich, nach geschehener
Auswahl, Dir den Rest ja zuschicken, wenn Du es wünschest, obwohl du
noch neue Briefe genug von mir bekommen wirst. - NB. richte deine
Briefe, von jetzt an, doch so ein, daß ich sie, wenigstens zuweilen,
Elise zeigen kann, - es wird Dir nicht schwer werden, denn da sie
einerseits dein volles Vertrauen besitzt, und anderseits wohl weiß wie
lieb du mich hast, so kannst Du Dich ja fast ganz gehn lassen, - und
willst Du mir ein EXTRAblatt einlegen, - nun, so läugne ich nicht, daß
dies mir um so lieber ist, und ich es wohl eher lesen werde, als alles
Uebrige. - Mein altes Kind! mein liebes liebstes Herz! - ich denke, in
meiner Einsamkeit, alle Tage wohl zehnmahl an Dich, und wette, Du
Schlingel denkst alle zehn Tage kaum einmahl an mich. - darum mag ich es
Dir auch gar nicht sagen, wie lieb ich Dich habe, denn »Spiegelberg! ich
kenne Dir!« ich bin zwar eine unvergleichliche Person, und Rüschhaus ist
ein höchst GRANDIOSES Schloß, aber die zuletzt aus dem Nile gestiegenen
Kühe Pharaonis fraßen auch die alten auf, so hundsmager und schäbigt sie
selbst waren, und so schön fett und gleißend die andern. - (...)
den 12ten, Guten Morgen, Levin, - es regnet draußen, in mir aber ist
heller Sonnenschein, weil ich bey Dir bin, und dein gutes Affengesicht
mir so recht vor Augen tritt. - NB. dein PORTRAIT ist mir doch jetzt von
großem Werthe, und ich gäbe es um Vieles nicht hin, obwohl du mich
anstuurst wie ein grimmiger Leu, daß ich immer sagen möchte »friß mich
nicht, kleines Pferd!« - Um jetzt auch mahl auf mich selbst zu kommen:
Es geht mir denn so leidlich, von meinen Gesichtsschmerzen bin ich,
Gottlob, total geheilt, durch eine wahrhaft wunderbar wirkende Salbe,
die mir ein altes Layenschwesterchen in Meersburg gegeben, aber übrigens
ist mir doch zuweilen hundsschlecht, und ich kann des Climas noch ganz
und gar nicht gewöhnen, obwohl ich alle Tage renne wie ein Postbothe,
immer den Weg durch die Haide entlang, bis zu dem Schlagbaum, wo ich
dich zuerst konnte kommen sehn, (ich denke doch auch jedesmahl daran!)
was zusammen anderthalb Stunde macht. - (sieben mahl auf und nieder
nämlich.) - dennoch ist mir häufig übel, schwindlig, ohrensauserig, und
auch zuweilen beklemmt, doch ists schon etwas besser geworden, und ich
habe es für den Anfang gar nicht anders er-wartet. - Zu meinen Gedichten
ist noch manches recht Gelungene hinzu gekommen, und die Pastete bald
gar. - dann habe ich aber einen Plan damit, den ich Dir nur im tiefsten
Vertrauen mittheile, und über den ich voraus sehe sehr ausgeschumpfen zu
werden. - (...)
Nun komme ich zu Etwas, was mir eigentlich am Meisten auf dem Herzen
liegt, weshalb grade ich es bis zuletzt verschoben habe, deine Lage
nämlich. - wüßtest Du es wie viel ich an Dich denke, wie manche Stunde
ich wach in meinem Bette liege, und mich über deine Zukunft zergrübele
und zersorge! - Levin, mein einziges geliebtes Kind, du bist in sehr
schlimmer Umgebung, - das Herz ist mir so voll, ich möchte dir so Alles
auf einmahl sagen, und doch ists am Besten ich warte ab, wie sich die
Dinge gestalten, was nutzts, Fälle zu erörtern die vielleicht nicht
eintreten! - aber ich fürchte mit dem Tode der guteng, wahrscheinlich
todt gequälten, Fürstinn weicht das letzte sittlich edle Bild, an dem
sich eine ehrliche Seele noch aufrichten kann, aus eurem Hause, - mehr
will ich für jetzt nicht sagen, und dich nur noch bitten, ihres
Sterbebettes, und dessen was sie darauf gebracht hat, nie zu vergessen,
und dich fest zu deinen Zöglingen zu halten, - Es ist die ehrenvollste
und in Zukunft vielleicht die einzigehrenvolle Stellung die du nehmen
kannst, wenn Jeder voraussetzen darf, du seyst da aus Liebe zu den armen
Kindern, und um ihnen REEL zu nützen. - Ich wollte ich könnte bey dir
seyn, dann wär mir nicht bange, was mir vielleicht an Klugheit abgienge,
würde meine Liebe und Sorge ersetzen, die dein Bestes zehnmahl schärfer
im Auge hält, als ihr eigenes. - Könnte ich dich nur einmal eine Stunde
wieder hier haben, hinter dem Teller mit aufgesparten Birnen und Nüssen!
- es ist doch ein lieber heimlicher Ort, das Rüschhaus! - zwar klein kam
es mir nach dem großen Meersburger Schlosse vor - klein wie ein
Mauseloch - aber doch sehr lieb! ich hatte es so kurz nach dir
verlassen, daß mir war als wärst du gestern erst fortgegangen, und
Alles, Bücher, Papiere, noch von deiner Hand so hingelegt, was auch mit
Einigem seyn mochte, denn mein Zimmer ist seitdem unbewohnt geblieben,
und war noch nicht aufgeräumt. mein Alleinseyn (Mama ist noch immer in
Apenburg) nährt diese Täuschung fortwährend. - neulich war mir so
ungewohnt wohl zu Muthe, ich wußte selbst nicht warum, endlich merkte
ich daß es Dienstag war, und ich dich erwartete. - Lieber Gott! wo sind
die Zeiten hin! - ich konnte es denn doch nicht lassen mit meinem
Fernrohr zu meiner Bank zu wandern, und das Herz klopfte mir ordentlich,
als ich etwas durch den Schlagbaum kommen sah, - es war aber nur ein
sehr schäbiger Bauer mit einem noch schäbigerem Hunde. - habe ich Dir
nun thörichtes Zeug genug vorgeschwätzt? - bist du ungeduldig alter
Philister? - (...)
__________
An Levin Schücking in Mondsee
Rüschhaus, 10. Oktober 1842, Montag
Rüschhaus den 10 ten OCTOBRE 42
Die bösen kurzen Tage sind jetzt gekommen, lieber Levin, und die noch
schlimmere Heizungszeit, wo mein warmer Ofen (NB. nicht mehr der mit dem
Loche, durch das man die Flamme so artig spielen sah, sondern ein ganz
prosaischer, rundum zu, wie andre gemeine Oefen) mir jeden Augenblick
Gäste bringt, so fange ich heute schon an Ihnen zu schreiben, um durch
alle INTERRUPTIONEN, durch zahllose Stürme und QUARANTAINEN, diesen
Brief doch sicher bis zum 15 ten in den Hafen der Poststube zu bringen.
Wie es mir geht? jetzt schon gut, ich habe mich wieder ins Clima
eingeübt, qualifizire mich täglich mehr zur Schnellläuferinn, gehe ganz
bequem in einem Tage nach Hülshoff oder Münster und zurück, und setze
Alle außer Athem die Schritt mit mir halten müssen. - QU'EN DITES VOUS?
- ich denke die acht und achtzig Jahre die sie mir angewünscht haben,
werden mir wirklich nach und nach auf den Rücken steigen. - Was soll ich
Ihnen von meiner Lebensweise sagen? sie ist so einförmig wie Sie sie
kennen, und sie mir grade zusagt, - Rüschhaus in seiner bekannten
melancholischen Freundlichkeit - im Garten die letzten Rosen, die mich
immer rühren, wenn ich denke, wie ich sie Ihnen vor nun schon zwey
Jahren beym Abschiede gab, als sie Ihr Schultenamt niederlegten, und ich
nach Hülshoff zog, um den einen kleinen Ferdinand sterben und den andern
gebohren werden zu sehn. - Lieber Levin, unser Zusammenleben in
Rüschhaus war die poetischeste und das in Meersburg gewiß die
heimischeste und herzlichste Zeit unseres beyderseitigen Lebens, und die
Welt kömmt mir seitdem gewaltig nüchtern vor. - Ich war, um das bewuste
Paket zu holen, in Münster bey Ihrer Tante, die ich noch immer hübsch
und sehr angenehm finde, - ich hoffte bey dieser Gelegenheit Manches von
Ihren Sachen, woran mir liebe Erinnerungen hängen, mahl wieder vor Augen
zu bekommen, - Ihr Schreibzeug, Ihre Bücher, alle die kleinen Andenken
von Ihrem Nippetisch - aber wahrscheinlich war Alles in einer
Plunderkammer aufgestapelt, denn die Tante setzte mich in den Kanapee,
und holte das Bezeichnete herbey. - Ich that natürlich als sey mir der
Inhalt unbekannt, und als wünschten Sie nur Ihre wichtigsten Papiere an
einem Ort, wo sie, binnen den acht Jahren, nicht durch Umziehn dem
möglichen Verlust ausgesetzt wären, doch schien die Tante etwas PIQUIRT,
und meinte »auf die DISCRETION Ihres Onkels könnten Sie Sich sonst
verlassen« ich fand das natürlich ganz unzweifelhaft, und machte
nebenbey auf die guten festen Siegel aufmerksam, die eine derartige
Sorge gar nicht zuließen. - (...)
__________
An Levin Schücking in Mondsee
Rüschhaus, 17. November 1842, Donnerstag
Rüschhaus den 15ten
NOVEMBRE 42
(...)
den 16ten, Gestern, als ich von Kopfweh überwältigt eben die Feder
weggelegt hatte, kam Ihr Kistchen an, - mein altes gutes Herz! wie haben
Sie Sich geplagt das Alles zusammen zu bringen! - Sie sind doch ein gar
liebes kleines Pferdchen, blos klein weil klein lieb ist - und wie schön
ist Alles! besonders die Münzen - Sie wissen vielleicht selbst nicht,
daß eine ganz vortreffliche altgriechische darunter ist - die kleine
grasgrüne - die übrigen sind römisch, alle so prächtig erhalten, und
mehrere darunter von der grösten Seltenheit auch die neugriechischen
Münzen sind mir sehr lieb, und fast noch mehr die Mineralien und
Versteinerungen, weil mein gutes Kind sie theilweise mit seinen eignen
guten Händen für mich heraus geklopft hat, - Lieber Levin, deine treue
Sorge und Liebe thut deinem Mütterchen sehr wohl - sie hat ja auch nur
den einen Jungen, auf den sie Alles was von Mutterliebe in ihr ist
CONCENTRIREN MUß. - Gott segne dich, mein Kind, du weißt nicht wie es
mich rührt, daß du so oft an mich gedacht und deine Freude in der
meinigen gefunden hast. - ich bin etwas mistrauisch und gar nicht eitel,
darum glaube ich immer schnell vergessen zu seyn. - (...)
Aus: Annette von
Droste-Hülshoff. Historisch-kritische Ausgabe. Werke. Briefwechsel.
Hrsg. Winfried Woesler. Max Niemeyer Verlag Tübingen 1995
Aus den Briefen von Levin Schücking
an Annette von Droste-Hülshoff
Von Levin Schücking
Münster, 21. November 1840, Samstag
Donnerstag.
Es ist acht - nun sind Sie doch allein, mein liebes liebes Mütterchen,
daß ich etwas mit Ihnen plaudern kann - ich wollte es könnte Sie so
aufrichten, wie ich es möchte, so recht Ihnen allen Kummer für eine
halbe oder ganze Stunde fortschwatzen - es ist heute Ihr Namenstag ja,
ich denke deßhalb auch, Sie sind heute in einer Stimmung, die so ernst
beschaulich und großartig ist, das alles Unangenehme um Sie her nicht
mehr auf Sie wirken kann, daß es zu Ihrer Höhe nicht hinaufkann: halb
freu ich mich, daß Sie diesen Abend nicht schon diese Zeilen zu lesen
bekommen, denn ich bin bange, mein Geschwätz käme auch nicht bis zu
Ihrer Stimmung hinauf. Soll ich Ihnen Glück zu Ihrem Namenstage
wünschen? Das würde sich schön machen, lächerlich in Ihrem Trouble,
Ihrem Schmerz um die Ihrigen, egoistisch von mir, der sich selber damit
Glück wünschte - soll ich Ihnen was schenken? ich habe kaum den Muth:
doch, einige vertrocknete Blumen, womit es also zusammenhängt-. sie sind
gestern (Mittwoch) schon aus dem Schloßgarten geholt, ich wollte heute
Morgen sie Ihnen schicken, wenn keine Gelegenheit wäre, expreß, da höre
ich gestern Abend von der BORNSTEDT daß Ihr armer kleiner Ferdinand todt
ist und nun hatte ich keinen Muth mehr, so gern ich auch mit Ihnen
geplaudert hätte ich bin so bange, daß Sie sich zu sehr abäschern und
plagen und als einzige Person die den Kopf frei behält in jeder Lage für
Alle und Alles nun sorgen müssen. Um Gotteswillen, Mütterchen, Sie
sollen sich etwas mehr schonen, meinetwillen schon, darf ich das nicht
fordern? und weil ich mich immer mehr anlasse, als hätte ich die
Literatur im Münsterlande allein gepachtet, so verbiete ich Ihnen
hiermit irgend etwas jetzt zu schreiben, außer Briefen an mich. (...)
Bin müde, Mütterchen, erzählen Sie mir etwas, ich will die Augen
zumachen und hören wie Sie sprechen, oder von Ihnen träumen. Gestern
Nacht träumt' ich von Ihnen, Sie saßen und schrieben, ich fragte Sie
mehrmals ob Sie denn wüßten, wie es zusammen hing daß die Drosten früher
von Tekennbroch sich genannt? ob Sie wohl was von Hermann Manenschien
wüßten. Sie sagten nichts und schrieben weiter, hinter zwei Wachskerzen
wie die weiße Frau. Mütterchen, lieb Mütterchen, ich habe gewiß im
Schlafe Sie gesehen und bin magnetisch bei Ihnen gewesen, wie Sie an
mich geschrieben haben. Bekomme ich morgen das? Gottes Segen über Sie
mein armes geplagtes Mütterchen: ich will sogleich recht für Sie beten
wenn ich nach Bett gehe, daß der liebe Gott Sie segnet und ich Ihr
frommes Kind bin
Sonnabend Morgen
Guten Morgen, lieb Mütterchen, wie haben Sie geschlafen? wunderbar daß
man immer in seinen Fragen banal wird, wenn man jemand recht lieb hat -
wie geht's Ihnen? dieser gemeinste aller Gemeinplätze ist meine weichste
Gefühlsäußerung, die Sie glaub ich je von mir gehört haben, ohne es
vielleicht zu wissen.
Mir geht's gut, ich hoffe, ich bekomme heute einen Brief von Ihnen, ein
paar Zeilen, mehr haben Sie gewiß nicht schreiben können. Vorigen
Samstag war ich erschreckt förmlich, daß Sie nicht etwas wenigstens
geschrieben: der Brief kam Sonntags.
Ich habe mich frisch und wohl an's Tageslicht gemacht, denken Sie, ich
schlafe jetzt wie ein Einsiedler auf einem Strohsack, als Remplacant für
nicht zu habende Matratzen. Das muß ich meinem Mütterchen deßhalb
erzählen, weil ich denke, wie das meine Mutter freute, wenn ich es ihr
erzählen könnte-. die hätte so gern mich auf dem kühlen Roßhaar früher
gebettet, weil ich immer ein etwas schwächlich und zart Gebäude war,
konnte mich aber nicht dazu bringen, weil es sich in den weichen Federn
so hübsch bis in den hellen Morgen tief hinein schlief - bis sie mir
endlich eine Vogelflinte, prächtig und kostbar gearbeitet mit allen
möglichen modernsten Zierrathen, und Percussionsschloß - von unsrern
Dorfvulkan, dem tausendkünstelnden Meister dafür versprach. Ich weiß
noch lebhaft, wie ich ihr meine Verse, (die sonst Niemand zu sehen
bekommen hätte für die ganze Welt nicht) zeigte, und wie sie eines
Abends, indem ihre kleine zarte Figur sich auf meine Schulter stützte
und mit mir die lange Allee nach dem Dorfe hinabwandelte, sagte, wenn
ich nun nächstens wieder solch eine mittelmäßige Charade machte und mich
anstrengte, sie noch besser zu machen, dann sollte sie in den Merkur
geschickt werden. Ich hatte eine merkwürdige Freude darüber: denn daß
meine Verse in dies so höchst gediegene und geistreiche Blatt kommen
sollten, wo die ihrigen standen, MON DIEU, welche Ehre, an die ich nicht
im Traum gedacht. Merkwürdig war ihre Art, mich zu ermuntern, ohne je zu
loben. Das that sie nie, dafür mußte ich bei jeder passenden Gelegenheit
hören, wie häßlich ich armer Teufel sei, daß ich oft seelenbetrübt
wurde. Zum Troste hieß es dann, das schadete einem Mann nicht, wenn der
nur edler Haltung und gelehrt sei. Ich rangirte nun danach alle
Gesichter in zwei Categorien; die mir im Habitus ähnlichen, waren
häßlich, die ganz verschiedenen, ovalen, mit einer Habichtnase
versehenen schön und kam nur mit meiner Ansicht in's Gedränge, als
einmal behauptet wurde, der Gilou sei ein so hübscher Bursche (ein
belgischer Lakai); den hatte ich schon längst von der Natur so
stiefmütterlich behandelt erklärt, wie gewisse andre Leute. Die Großen
fragten mich kleinen Knirps aber doch immer, ob einer hübsch oder
häßlich sei, wenn die seltne Rede darauf kam: ich mußte auch immer
Stahlen aussuchen helfen. Hatte dann einer ein regelmäßiges Gesicht, das
Geist aussprach und ungewöhnliche Züge, so war er schön: Sie hätte ich
für die DAME SOUVERAINE DE LA BEAUTE erklärt. Meine gute arme Mutter!
ich wollte sie lebte noch, wir wohnten zusammen, und ich hätte sie durch
meine Feder zu ernähren! Dann wollt' ich mal mit Lust arbeiten - (Sie,
mein lieb Mütterchen bekämen gewiß so lange Briefe voll unsinnigen
Geplauders nicht -) sie sollte erst alles durchsehen und ich hätte dann
auch nie etwas geschrieben, was Ihnen nicht recht gewesen wäre. Dann
kämen Sie mal oft hierhin und besuchten uns, nicht wahr? und wie freute
meine Mutter sich, daß Sie mich auch lieb hätten und wenn - JE NE PEUX
PLUS
Schkg
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Von Levin Schücking
Münster, 7. Dezember 1840, Montag
Montag Abend. Ich wollte, Sie wären eben ein Viertelstündchen hier
gewesen, mein Mütterchen, es war so wunderhübsch hier auf meinem Zimmer;
durch meine Wappenscheiben warf der Mond die tageshellen blanken Stralen,
wie in ein Gemach aus dem 15 Jahrhundert, ein Funke glühte auf dem Rande
Ihres Bechers wie ein goldner Tropfen, das rothe Licht aus dem Ofen in
der Ecke huschte über die Wände und die Bilder her, der Sonderrath sah
ganz düster schwarz von seiner beschatteten Mauer herab und - nun wenn
ich so malen könnte wie Sie, könnte ich Ihnen einen Begriff geben, wie
hübsch es eben auf meiner Klause war. Selbst der kleine Gustav, das
4jährige Jüngelchen von meiner Tante, den ich eben mitgenommen hatte, um
ihm einige von Ihren Aepfeln zu schenken, brach in Entzücken darüber
aus. Ich habe die runde niedliche Blage so lieb, wenn ich ihn sprechen
höre, ist's mir immer, als hört' ich mein gutes Großmütterchen, die ihn
immer auf dem Schooß hatte; er kann sich noch nicht darüber trösten, daß
der liebe Gott ihm die todt gemacht hat.
Lieb Mütterchen, malen Sie mir doch in Ihrem nächsten Brief einen
Grundriß von Ihrem Zimmer, ich möchte so gern wissen, wie Sie so
zuhalten: ich will Ihnen meines auch hier hin malen:
(siehe nebenstehende Zeichnung)
Die Art brauner Tapete, die einmal in BON VIEUX TEMPS ihre
Geschmackvollheit behauptet haben mag, ist noch jetzt so übel nicht, daß
man sie nicht für eine Couleur halten sollte, wie in Clemenswerth in der
Klosterküche herrschte, die seit den Tagen des Guardian Nicolaus, wie es
in Scotts Kloster heißt, nicht mehr geweißt war. Nun müssen Sie, liebes
Mütterchen, mit Ihrer blühenden Phantasie die Vorhänge so hübsch
einräuchern, wie ich mit meinen Pfeifen thue, die grellgemalten
Wappenscheiben blitzen lassen, vornehmlich die Drostesche Karpfe, die
Bücher etwas in Unordnung bringen, die grüne Wolldecke des Tisches mit
diversen Papieren, Heften, Federn, Pfennigen, Lack Briefen, Ringen,
Karten, das Kanapee ebenso mit Büchern und Sachen wie Ihr Klavier in
Rüschhaus in wüßten Costüm belasten, und VOILA TOUT!
Liebes Mütterchen, Sie haben mir gesagt, wir wollten uns allerhand
Unsinn schreiben, da haben Sie nun den ganzen Brief bis jetzt davon
voll. Ich will jetzt sinniger werden, und schreibe meinen angefangenen
Brief von voriger Woche hier wieder ab:
Wenn wir doch einmal zusammen wieder sagen könnten: »Es war tief in die
Nacht hinein und draußen heulte noch der Sturm;« so wäre das in den
mannigfachsten Beziehungen sehr ersprießlich: denn erstens hörte ich Sie
wieder so hübsch plaudern und das höre ich so gern, Und dann wäre das so
bequem, o so bequem Sie glauben's gar nicht, und endlich würde ich dabei
so nett schläfrig, wie nur je ein unartiger Junge, wenn ihm seine Mutter
gute Lehren gibt; und dann hätt' ich mich auch gleich gegen den Vorwurf
vertheidigen können, ich sei ein Windbeutel mit allen meinen Citaten;
das ist ein schreiendes Unrecht, sie sind ächt wie 24karätiges Gold,
alle mit großer Mühe aus ich weiß nicht mehr welchem Schweinsleder
zusammengesucht auf der Münchener Universitätsbibliothek, wo ich nur zu
viele Stunden mit solchen fruchtbringenden Studien verquängelt habe. Den
Zettel, worauf ich's aufgeschrieben habe, könnte ich Ihnen mit beilegen,
wenn Sie noch nicht glauben. (...)
Ich möchte heut all mein Papier an Sie voll schreiben, ich muß Ihnen
noch einmal auf diesem Adieu sagen, o mein gutes Mütterchen, was hab ich
Sie lieb!
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Von Levin Schücking
Mondsee, 13. Mal 1842, Freitag
MONDSEE den 13 Mal 1842.
Es sind jetzt sechs Wochen, seit ich von Meersburg fort bin - mir
scheinen es 6 Monate - und bis auf diese Stunde habe ich noch keine
Zeile von Ihnen erhalten - was ist das? Wissen Sie, daß ich recht
ängstlich und besorgt deshalb bin? mein einziger Trost ist die Annahme,
daß Sie das schöne Wetter benutzt haben zu Ihrer intendirten Mailänder
Reise - oder hat man Ihren Brief auf der Post verloren? oder sind Sie
krank? Bitte, wenn Sie können, nur ein paar winzige Zeilen, daß ich
nicht länger unruhig sein brauche! ich hoffe, Ihr Brief ist verloren
gegangen, - der Portier in Ellingen, der mir Briefe nachschicken soll,
ist sehr im Stande dazu - ich hoffe es, so traurig es auch wäre, wenn
mir eine Zeile von dem verloren ginge, was Sie mit so viel Mühe zu
stande bringen müssen: deßhalb bitte ich ja auch nur um ein paar kurze
Zeilen, um eine Seite höchstens, daß es Ihnen wohl geht.
Unterdeß muß ich fortfahren Sie von mir zu unterhalten. Am 24 vorigen
Monats bin ich von Engelszell mit den beiden Prinzen nach Wien abgereist
und am andren Tage Nachmittags angekommen, aber krank. Die schwere
Krankheit, welche ich zu Heidelberg im Mal 1834 zu überstehen hatte, kam
von Erkältung und Aufenthalt in frisch gefärbten Zimmern: das war jetzt
wieder die Ursache, denn in Engelszell war ein frischer Farbengeruch
nicht zum Aushalten und dazu kam eine Erkältung auf der Donau. Nun
denken Sie sich einen verwöhnten Menschen, der bettlägerig krank ist und
trotzdem den ganzen Tag durch das Gewühl einer ungeheuern Stadt fiakern
und Merkwürdigkeiten sehen muß, zum Theil in winterlich kalten, wüßten
Räumen - der grimmiges Zahnweh hat und die Mundfäule dazu! und nun des
Nachts diese quälenden Träume von ungeheuren nie endenden Säälen mit
Merkwürdigkeiten und lauter Merkwürdigkeiten bis in die aschgraue
Unendlichkeit hinein! - was habe ich geseufzt, aus dieser Tortur fort,
in Rüschhaus aus Ihrem Fenster nur eine Viertelstunde lang die grüne
Wiese ansehen zu können und keinen Laut zu hören - es wäre ein Himmel
für mich gewesen! (...)
Gott segne Sie, liebes gnädiges Fräulein mit seinem besten Schutze und
aller Liebe, die Sie verdienen: könnten die tausend herzlichen Grüße,
die ich Ihnen zurufe, so warm an Ihr Ohr klingen, wie sie mir aus dem
Herzen kommen!
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Von Levin Schücking
Mondsee, 1. Mal 1843, Montag
Mondsee den 1sten Mal.
Der 1ste Mal heute und am letzten Februar hab' ich geschrieben und noch
immer keine Antwort! Sie glauben nicht wie ich darüber in Unruhe bin:
ich hätte schon längst wieder geschrieben, hätte ich nicht befürchtet
Sie wären sehr krank und mein Brief käm' nicht in Ihre Hände gleich.
(...) Weiß Gott, es ist recht bös von Ihnen, mich hier in Mondsee ohne
eine Zeile zu lassen. Denn wenn auch ein Brief verloren ist, so ist es
doch so lange, daß ich schon eine Anfrage hätte bekommen können, ob er
verloren sei? Nur etwas weiß ich von Ihnen. CARVACHI hat mir am 1 April
geschrieben die Frau Mertens sei da und führe alle Tage zu Ihnen. Ist
sie's in Schuld, daß Sie nicht schreiben, so steh ihr Gott bei. (...)
Ich muß aufhören, ich habe mich ganz in Schweiß geschrieben - o Gott,
wann seh ich Sie wieder, um einmal wieder mit Ihnen alles von Anfang bis
zu Ende durchschwatzen zu können, ich habe Ihnen so unendlich viel zu
erzählen - es wär' eine wahre Wonne. O Harfen Sions, weßhalb hangt Ihr
nicht an den Weiden des Mondsee! -
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Von Levin Schücking und Louise von Gall
Darmstadt, 5. Juni 1843, Montag
(Druck)
Darmstadt,
Zimmer Nr. 21 in der Traube
Seit vier Tagen bin ich hier - und eines jener verwunderlichen
Geschöpfe, welche man »Bräutigam« nennt! Mein Mütterchen, mein herziges,
gutes, liebes, mein ewiges Mütterchen, was sagst Du dazu? Ich will Dir
Alles der Reihe nach erzählen!
Als ich meinen vorigen Brief auf die Post brachte, fand ich den Ihrigen
und sah daraus zu meinem Schrecken, wie schlecht es Ihnen erging.
O Gott, mein Mütterchen, wär' ich doch bei Dir, um den Arzt zu machen
ich meine, ich verstände es zu leisten, daß Du gesund bliebest - wenn
wir zusammen spazieren liefen und ich Dir die kalten Pasteten aufessen
hülfe, wie in Meersburg, bloß aus der sorgfältigen Rücksicht, daß mein
Mütterchen sich nicht den Magen verderbe! Gott Dank, daß es nun vorüber
ist. Nur über Eins muß ich mit Ihnen zanken, weshalb gehen Sie nicht,
wie andere angegriffene Leute, in ein Bad? Ich muß auch in eins, können
wir nicht zusammen hin?
Mit Ihrem Briefe marschirte ich ins Gebirge und war drei Tage in
Berchtesgaden, wo ich zum Zeichen, daß ich stets an Sie denke, eine
Schachtel voll prachtvoller Mineralien für Sie einkaufte; ich habe noch
zwei Kistchen voll für Sie, die aber noch in Mondsee stehen und mir erst
im Herbst von dort nachgesendet werden. (...)
Aus: Annette von Droste-Hülshoff. Historisch-kritische
Ausgabe. Werke. Briefwechsel. Hrsg. Winfried Woesler. Max Niemeyer
Verlag Tübingen 1995