Annette von Droste-Hülshoff und Levin Schücking
 

 



 

Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848) Levin Schücking (1814-1883)


Aus den Briefen von Annette von Droste-Hülshoff
an Levin Schücking
 



An Levin Schücking in Mondsee
Meersburg, 5. Mai 1842, Donnerstag
Meersburg den 4 ten May 42

Es muß meinem guten Jungen, an den ich doch fortwährend denke, wohl sehr unerwartet seyn, daß ich erst heute den ersten Brief an ihn beginne. - und doch ist nichts Schuld daran, als der Wunsch ihm nur einen recht guten recht erfreulichen zu schreiben, worin ich von vielen langen und schönen Gedichten prahlen, und aus dieser Ferne in einem hübschen NIMBUS leuchten könnte - Bis jetzt habe ich aber nur ein sehr schwaches Scheinchen um mich, - bin eigentlich erst in den letzten Tagen recht fleißig gewesen, und darf mit der Antwort nicht warten, bis die Glorie sich gehörig ausgebildet hat. - weshalb ich so spät wieder an die Arbeit komme? - Hör zu! - In den ersten acht Tagen war ich todtbetrübt, und hätte keine Zeile schreiben können, wenn es um den Hals gegangen wäre. - ich lag wie ein Igel auf meinem Kanapee, und fürchtete mich vor den alten Wegen am See wie vor dem Tode - dann kam Luise Streng, die mich fast keine Minute allein ließ, mich immer hinaus zog, und binnen der ganzen Woche die sie hier blieb, mich, auf eine freylich keineswegs angenehme Weise, durch ihre werthe Begleitung und aus endlosen Fragen bestehende Unterhaltung, über die schwersten Momente gewaltsam wegspatzierte. - jetzt kam aber eine andre Noth, - dein Brief von Ellingen hätte längst da seyn können, (d. h. der versprochene, gleich nach der Ankunft) und du nachläßiger Schlingel bist es wirklich gar nicht werth wie wir uns um dich geänstiget haben. - jeden Morgen habe ich an der Treppe dem Postboten aufgelauert, und Jenny und Laßberg waren fast eben so bekümmert als ich - (...)

- Ob ich mich freue nach Haus zu kommen? - nein, Levin, nein - was mir diese Umgebungen vor sechs Wochen noch so traurig machte, macht sie mir jetzt so lieb, daß ich mich nur mit schweren Herzen von ihnen trennen kann. - Hör Kind! - ich gehe jeden Tag den Weg nach Haltenau, setze mich auf die erste Treppe, wo ich dich zu erwarten pflegte, und sehe, ohne LORGNETTE, nach dem Wege bey Vogels Garten hinüber, kömmt dann jemand, was jeden Tag ein paarmahl passirt, so kann ich mir, bey meiner Blindheit, lange einbilden du wärst es, und du glaubst nicht, wie viel mir das ist - auch dein Zimmer habe ich, hier wo ich mich Stundenlang in deinen Sessel setzen kann, ohne daß mich jemand stört, - und den Weg zum Thurm, den ich so oft Abends gegangen bin, - und mein eignes Zimmer mit dem Kanapee und Stuhl am Ofen - Ach Gott überall? - kurz, es wird mir sehr schwer von hier zu gehn - obendrein noch 200 Stunden weiter als wir jetzt schon getrennt sind. - Solltest Du es wohl recht wissen wie lieb ich Dich habe? - ich glaube kaum. (...)

Levin! wenn du kannst, wenn du immer kannst, bleib bey Deinem Plane in zwey Jahren nach Münster zu kommen - meine Gesundheit ist jetzt nicht so übel, ich werde dann noch wohl am Leben seyn - Hörst du? denke daß ich alle Tage zähle. - es ist schlimm, daß ich den Winter nicht hier bleiben kann, aber ich will auch nicht in Rüschhaus bleiben, sondern nach Hülshoff, und mir täglich Bewegung machen, dann denke ich wird es schon gehen. - wenigstens einmahl wirst du mir doch noch hieher schreiben? - es muß aber wieder auf dem alten Fuße seyn, Laßberg bekömmt alle Briefe zuerst in die Hände, und ist viel zu begierig nach Nachrichten von dir, als daß ich ihn mit trocknem Munde könnte abziehn lassen - aber verkürze den offiziellen Bericht, und laß dieses dem PRIVATEN zu Gute kommen. - schreib' mir aber nicht eher nach Rüschhaus, bis ich dir von dort meine Ankunft gemeldet, eine so weite Reise kann 100 Zufällen und Verzögerungen unterworfen seyn, und du weißt, daß ich meiner Mama keine vollständige briefliche Enthaltsamkeit zutraue, - (...)

den 5ten. guten Morgen Levin! - ich habe schon zwey Stunden wachend gelegen, und in einem fort an dich gedacht, ach, ich denke immer an dich - immer, - doch PUNCTUM davon - ich darf und will dich nicht weich stimmen - muß mir auch selbst COURAGE machen, und fühle wohl, daß ich mit dem ewigen Thränenweiden-Säuseln sowohl meine Bestimmung verfehlen, als auch deine Theilnahme am Ende verlieren würde, denn du bist ein hochmüthiges Thier, und hast Einen doch nur lieb, wenn man was Tüchtiges ist und leistet. - schreib mir nur oft - mein Talent steigt und stirbt mit deiner Liebe - was ich werde, werde ich durch dich und um deinetwillen, sonst wäre es mir viel lieber und bequemer mir innerlich allein etwas vorzudichten. - sobald ich diesen Brief geschlossen, gehts CON FURORE ans Werk, ich bin wieder in der fruchtbaren Stimmung, wo die Gedanken und Bilder mir ordentlich gegen den Hirnschädel pochen, und mit Gewalt ans Licht wollen - und denke dir die Beytrage sehr bald schicken zu können, obwohl gewiß der Psalm wieder um zwey Drittel zu lang werden wird, den du dann mit wahrer Chirurgenkälte AMPUTIRST Mich dünkt, könnte ich dich alle Tage nur zwey Minuten sehn - o Gott, - nur einen Augenblick - dann würde ich jetzt singen daß die Lachse aus dem Bodensee sprängen, und die Möwen sich mir auf die Schulter setzten! - Wir haben doch ein Götterleben hier geführt, trotz deiner periodischen Brummigkeit! - ob ich dir bös bin? - ach du gut Kind, was habe ich schon für bittere Thränen darüber geweint, daß ich dir noch zuletzt so harte Dinge gesagt hatte - und doch war viel Wahres darin! - aber mich vergißt du doch nicht, was die Zeit auch daran ändern mag - wenn der eine Haken bricht so hält der andre - dein Mütterchen bleibe ich doch, und wenn ich auch noch 40 Jahre lebe - nicht wahr mein Junge? - mein Schulte - mein kleines Pferdchen, - was hängen alles für Erinnerungen, die nie verlöschen können an diesen Titeln! - NB. ich habe es jetzt so eingerichtet, daß meine Briefe mir direckt aus der Küche gebracht werden, - jetzt schreib was du willst - wenn es mir nicht ansteht lasse ich es den Laßberg gar nicht erfahren wenn ich einen Brief bekomme, und es ist schade daß ich so bald fort muß, unsere CORRESPONDENZ würde von jetzt an hier weit sicherer und bequemer gehn wie in Rüschhaus. - schreib mir, daß du mich lieb hast, ich habe es so lange nicht ordentlich gehört, und bin so hungrig darauf! - du dummes nichtswürdiges kleines Pferd! - aber an Laßberg mußt du auch schreiben - an Laßberg, - ich kann dich nicht dringend genug antreiben! Jenny war schon zweymahl hier aus demselben Grunde, (da sie weiß daß ich dir grade schreibe) - das arme Ding ist ordentlich kümmerlich darüber, in der doppelten Noth um Laßbergs Betrübniß, (ich kann dir sagen, er ist betrübt, denn er hat wirklich lieb) und um deine Unehre. - also: - ET CET (...)

- Du kannst dir das Mahlerische des Ganzen nicht denken! - es ist so romantisch, daß man es in einem Romane nicht brauchen könnte, weil es gar zu romanhaft klänge, und ein fremder Kaufmann, den wir gestern beym Figel trafen, und der grades Weges aus dem südlichen Frankreich, durch Italien, und in letzter Station von Langenargen kam, war ganz entzückt davon, und sagte »er könne es nur den schönsten Aussichten bey Genua und Neapel vergleichen«. - auch ich kann dir nicht sagen wie klein und armselig mir seitdem die hiesige Landschaft vorkömmt - Wenn du mit deinen Zöglingen übers Jahr kömmst, versäume ja Langenargen nicht - Laßberg meint, in höchstens ein paar Jahren werde die Unterminirung vollendet seyn, und an einem schönen Tage die ganze Ruine zusammenprasseln. - lieber Himmel! warum habe ich einen so schönen Tag ohne dich genießen müssen! ich habe immer immer an dich gedacht, und je schöner es war, je betrübter wurde ich, daß du nicht neben mir standest, und ich deine gute Hand fassen konnte, und zeigen dir - hierhin - dorthin. - Levin, Levin! du bist ein Schlingel, und hast mir meine Seele gestohlen - Gott gebe daß du sie gut bewahrst - aber du hast mich auch lieb, und denkst auch an mich an deiner Donau, - suchst Muscheln die wahrscheinlich nicht da sind, und hast schon Pflanzenabdrücke und zwey Steine für mich zusammen gehütet, - so ists recht! und wären es am Ende auch simple Kiesel - so soll man immer für einander denken und schaffen, um die Liebe in sich selbst frisch zu erhalten - ich will auch für dich zusammenscharren, geschnittene Steine, Pasten, Rococo - wie ich nur kann. sobald man soviel zusammen hat, daß man es auf die ordinaire Post geben kann, ist es das Porto immer leicht werth - und es ist eine gar zu große Freude - das Empfangen wie das Geben. - du altes Herz, deine Müschelchen, die du mir hier gesucht, und in den Schwefelholzkästchen gegeben hast, kann ich kaum ohne Thränen ansehn, und sie sind mir lieber, wie alle die schönen seltnen Meermuscheln in meinen Glasschranke zu Rüschhaus - ADIEU, Levin, behalt dein Mütterchen lieb, stelle dir oft vor, daß ich bey dir wäre, und du mir Alles erzähltest und vertrautest wie da wir zusammen waren - bitte - denk das oft, so wird in deinem Herzen nie eine Falte gegen mich kommen, - ich will dir auch immer Alles sagen! - ADIEU, lieb Herz, - Was du von der Beichte und Komunion sagst, ist gewiß sehr richtig, und es liegt ein großes tiefes Heil in dieser unumwundenen Selbsterforschung und Anklage - meinst du ich fühlte das nicht? - an der Heilsamkeit habe ich nie gezweifelt, und auch der Glaube an die Heiligkeit kömmt häufig wie eine unwiderstehliche Gewalt über mich. ADIEU.(...)
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An Levin Schücking in Mondsee
Meersburg, 27. Mai 1842, Freitag
Meersburg den 25ten May - 42

(...)
Gottlob, daß ich die litterarische Prosa dieses Briefes hinter mir habe, und von etwas Anderem reden kann. - Also krank bist du gewesen, mein armes gutes Herz, und so verlassen und gelangweilt dazu! - es ist jetzt vorüber, aber ich werde die Angst daß du wieder krank werden könntest nicht los werden, besonders wenn ich noch 200 Stunden weiter fort bin, - Gott was ist das Getrenntseyn doch für eine harte Sache! - wäre ich dagewesen, niemand hätte mich von Deinem Bette fortgebracht, und dir wäre auch wohler gewesen, wenn du dein Mütterchen gesehn hättest - O! ich kann wohl Kranke pflegen! und bin dann gar nicht hülflos, sondern (ich darf es wohl sagen) recht entschlossen und ausdauernd, wie überhaubt in allen Fällen wo es Noth thut, - du hast mich nur noch in keinem solchen gesehn - und deine schöne Wiener Reise ist dir mit der Gelegenheit auch so lumpig verhunzt worden! - Jenny und Laßberg (bey denen du dich durch deinen schönen langen Brief wieder ganz weiß gewaschen hast) sind auch ganz betrübt darüber, und trösten sich nur damit, daß du die TOUR wohl bald mahl wieder unter besseren Umständen machen würdest. - Beyde haben dich herzlich lieb, und Laßberg ergreift jede Gelegenheit von dir zu sprechen, wäre es auch nur, um mich, auf eine harmlose Weise, ein wenig mit »meinem Seelenfreunde« zu necken. - Von meiner Abreise habe ich weiter nichts gehört, da die Wintgens gegenwärtig in Frankreich sind, zweifle aber nicht daß sie, bey ihrer großen Pünktlichkeit, am festgesetzten Tage (den 15ten Juny) wirklich wie Steine vom Himmel fallen, und mich mit sich fortkollern werden. - dann bin ich wieder in Rüschhaus, und für die jetzigen Erinnerungen treten die alten ein, wo du mein Schulte warst, - denkst du noch an mein Kanapee mit den Harfen? meine Bank unter den Eichen? von der ich so schwer Abschied genommen habe, als ob es mich geahndet hätte, daß ich dir dort nie wieder mit meinem Fernrohr auflauern würde, wenn du durch den Schlagbaum trabtest, deinen Rock auf dem Stocke. - das Vergehen und nie so Wiederkommen ist etwas Schreckliches! - wenn du wieder nach Rüschhaus kömmst bin ich ein altes Madämchen, und auch dir sind derweil hundert Dinge durch den Kopf gegangen, und meine dicke Milch und zusammen gespartes Obst werden dir nicht halb so gut mehr schmecken. - (...)
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An Levin Schücking in Mondsee
Rüschhaus, 12. September 1842, Montag
Rüschhaus den 11ten September 42

Endlich ein Brief von dem kleinen Pferde! - wissen Sie, Levin, daß ich ganz zürnig war? obwohl ich es, GENEREUSER Weise, (vielleicht auch mit aus Hochmuth) in meiner königlichen Brust verschlossen hielt, und that, als könne ich noch gar keinen Brief erwarten. - Wer hätte denken sollen, daß der Klüngelpeter von Laßberg sein BREVE, dem schon bey meiner Abreise nicht viel mehr als das COUVERT fehlte, erst nach Wochen vom Stapel lassen sollte! - mein Junge darf sich also nicht wundern, daß ich mich wunderte, etwas ängstete, und ziemlicher Maßen erzürnte, denn eine innere Stimme sagte mir, daß er gesund wie ein Fisch, und rund wie ein Kegel sey, und blos grenzenlos faul. - Ich gäbe viel darum, liebes Herz, wenn Sie grade dieses Mahl, so recht offen und ausführlich geschrieben hätten, ganz wie zu Ihrem Mütterchen, denn ich sitze hier seit sechs Wochen mutterseelen allein, und weder Hahn noch Huhn kräht nach den Briefen die ich bekomme, und mich verlangte so nach einem recht langen, warmen, lieben, aber das konnten Sie freylich nicht wissen, - das Erstere nämlich - Von der Mitte dieses Monats an bin ich nicht mehr allein. - (also schon in der Woche die heute beginnt) - Daß Briefe an mich erbrochen würden ist fortan gar keine Gefahr mehr vorhanden, selbst wenn ich grade abwesend seyn sollte, aber ich wünsche dennoch dringend sie allein zu bekommen, um nicht genöthigt zu sein sie vorzulesen, wo man dann, noch unvertraut mit dem Inhalte, beym Uebergehen so leicht ungeschickt stockt, was allerley Fatalitäten nach sich ziehn könnte; - Lassen Sie uns also, wenn es Ihrerseits möglich ist, einen regelmäßigen Briefwechsel verabreden, wo es mir dann leicht wird den Moment abzupassen, - schreiben Sie den s1sten jedes Monats, ich will dann jeden 15ten die Antwort zur Post schicken, so fällt auch das fatale Kreuzen fort, was Einem DESPERAT macht, wenn man so eben sein Schiff mit DEFECTER Ladung hat absegeln lassen. - Liebes Herz, Sie werden von Elise einen Brief erhalten haben, worin sie ihre Briefe und PORTRAIT, so wie auch Beydes von mir, zurück wünscht; - Sie können Sich auf mein Wort verlassen, daß diesem Wunsch Elisens keine Bitterkeit zum Grunde liegt, sondern nur eine natürliche Furcht vor dem Schwerte des DAMOCLES, das ihr durch die Klatscherey der Bornstedt erst recht sichtbar geworden ist. (daß diese Klatscherey, die übrigens nur Wenigen bekannt war, fast in der Geburt erstickt ist, haben wir theils Schlüters zu verdanken, theils dem Umstande, daß die Bornstedt mich ganz auf dieselbe Weise angegriffen, und dadurch ihrem boshaften Plane zwey Köpfe gegeben hat, die sich einander auffraßen.) - Ich habe übrigens Elisens Wunsch nicht angeregt, aber ihr allerdings Recht gegeben, - Beydes ist besser bey ihr aufgehoben. - dazu kömmt der fatale Umstand, daß jedermann das Bild kennt, - Rüdiger glaubt, es sey in Minden - ihre Eltern, es sey in Münster, und so muß sie sich damit durchlügen, was auf die Dauer gar nicht geht, sobald die beyden Partheyen zusammen kommen; - es liegt also Alles daran, daß sie es gelegentlich vorzeigen kann, während es doch dein Eigenthum bleibt. (...)

- Darüber daß Du mir auf vier Briefe nicht geantwortet, schien sie mir PIQUIRTER, als sie es sich gegen mich wollte dünken lassen, und vielmehr behauptete, es müsse ein Brief verloren gegangen seyn, ich dagegen machte auch BONNE MINE A MAUVAIS JEU, und sagte, »du seyst blos ein fauler Schlingel« obwohl mir innerlich schlecht genug dabey zu Muthe war. - zu deiner Rechtfertigung habe ich ihr nun, nebst dem Gelde, den ganzen Brief geschickt, sie aufmerksam darauf gemacht, daß Laßbergs Brief mit meiner Aufforderung an Dich, statt vor sechs Wochen erst jetzt eingelaufen, einige Reue über eine PIQUIRTHEIT, die ich wohl nicht ganz verbergen können, geäußert, schließlich alle deine Aufträge, nach denen sie nur die Hand auszustrecken braucht (da Junkmann in Münster ist) ich aber meine armen Füße durch Regen und Koth treiben müßte, bey ihr nieder gelegt, und erwarte nun stündlich die Antwort. Du wunderst Dich wohl, daß ich auch mein Bild und Briefe zurück verlangt habe? - mein gutes Herz, das habe ich blos aus Rücksicht für Elise gethan, mich dünkte es war ein Opfer was ich ihrem Selbstgefühl schuldig war, um der Sache so ganz das trübe Ansehn eines Austausches alter Liebespfänder zu nehmen. - Zum Glücke ist jetzt von ihr selbst die Idee ausgegangen, daß dieses ja gar nicht nöthig sey, und sie ist, in ihrem letzten Briefe ganz der Meinung, daß ich Dir mein PORTRAIT doch ja lassen solle, - ich brauche Dir nicht zu sagen, wie angenehm mir dieses zu lesen war, und mit wie betrübtem Herzen ich es würde haben wieder anrücken sehn. - mit den Briefen ist es ein Andres, - manche sind gefährlich für Elise, und diese müssen durchaus aus der Welt. (auch dieser Brief darf das Leben nicht behalten, deshalb lasse ich mich auch so ruhig gehn mit dem lieben alten »Du«, dem es mir recht schwer wird fortan zu entsagen) - wenn ich sicher wüßte, daß Du deine Faulheit soweit bezwingen könntest, sie alle (d. h. die Meinigen) gewissenhaft wieder durchzulesen, und, nebst jenen, worin von Elise die Rede ist noch alle zu verbrennen, worin ich dich dutze, oder die sonst Mißverständnisse und Spöttereyen über mich schütten könnten, so wollte ich Dir die andern gern lassen, - aber das kannst Du nicht, - du kannst keine alten Briefe lesen, das geht gegen deine Natur, - darum sind sie Dir auch zu nichts nütze; - Wenn die Vor-Meersburglichen aber noch in Münster sind, und Du auf Elisens Vorschlag, daß wir, mit einem Passe von Dir versehn, hingehn, und jeder das Seinige zu sich nehmen soll, eingehst, so kann ich, nach geschehener Auswahl, Dir den Rest ja zuschicken, wenn Du es wünschest, obwohl du noch neue Briefe genug von mir bekommen wirst. - NB. richte deine Briefe, von jetzt an, doch so ein, daß ich sie, wenigstens zuweilen, Elise zeigen kann, - es wird Dir nicht schwer werden, denn da sie einerseits dein volles Vertrauen besitzt, und anderseits wohl weiß wie lieb du mich hast, so kannst Du Dich ja fast ganz gehn lassen, - und willst Du mir ein EXTRAblatt einlegen, - nun, so läugne ich nicht, daß dies mir um so lieber ist, und ich es wohl eher lesen werde, als alles Uebrige. - Mein altes Kind! mein liebes liebstes Herz! - ich denke, in meiner Einsamkeit, alle Tage wohl zehnmahl an Dich, und wette, Du Schlingel denkst alle zehn Tage kaum einmahl an mich. - darum mag ich es Dir auch gar nicht sagen, wie lieb ich Dich habe, denn »Spiegelberg! ich kenne Dir!« ich bin zwar eine unvergleichliche Person, und Rüschhaus ist ein höchst GRANDIOSES Schloß, aber die zuletzt aus dem Nile gestiegenen Kühe Pharaonis fraßen auch die alten auf, so hundsmager und schäbigt sie selbst waren, und so schön fett und gleißend die andern. - (...)

den 12ten, Guten Morgen, Levin, - es regnet draußen, in mir aber ist heller Sonnenschein, weil ich bey Dir bin, und dein gutes Affengesicht mir so recht vor Augen tritt. - NB. dein PORTRAIT ist mir doch jetzt von großem Werthe, und ich gäbe es um Vieles nicht hin, obwohl du mich anstuurst wie ein grimmiger Leu, daß ich immer sagen möchte »friß mich nicht, kleines Pferd!« - Um jetzt auch mahl auf mich selbst zu kommen: Es geht mir denn so leidlich, von meinen Gesichtsschmerzen bin ich, Gottlob, total geheilt, durch eine wahrhaft wunderbar wirkende Salbe, die mir ein altes Layenschwesterchen in Meersburg gegeben, aber übrigens ist mir doch zuweilen hundsschlecht, und ich kann des Climas noch ganz und gar nicht gewöhnen, obwohl ich alle Tage renne wie ein Postbothe, immer den Weg durch die Haide entlang, bis zu dem Schlagbaum, wo ich dich zuerst konnte kommen sehn, (ich denke doch auch jedesmahl daran!) was zusammen anderthalb Stunde macht. - (sieben mahl auf und nieder nämlich.) - dennoch ist mir häufig übel, schwindlig, ohrensauserig, und auch zuweilen beklemmt, doch ists schon etwas besser geworden, und ich habe es für den Anfang gar nicht anders er-wartet. - Zu meinen Gedichten ist noch manches recht Gelungene hinzu gekommen, und die Pastete bald gar. - dann habe ich aber einen Plan damit, den ich Dir nur im tiefsten Vertrauen mittheile, und über den ich voraus sehe sehr ausgeschumpfen zu werden. - (...)

Nun komme ich zu Etwas, was mir eigentlich am Meisten auf dem Herzen liegt, weshalb grade ich es bis zuletzt verschoben habe, deine Lage nämlich. - wüßtest Du es wie viel ich an Dich denke, wie manche Stunde ich wach in meinem Bette liege, und mich über deine Zukunft zergrübele und zersorge! - Levin, mein einziges geliebtes Kind, du bist in sehr schlimmer Umgebung, - das Herz ist mir so voll, ich möchte dir so Alles auf einmahl sagen, und doch ists am Besten ich warte ab, wie sich die Dinge gestalten, was nutzts, Fälle zu erörtern die vielleicht nicht eintreten! - aber ich fürchte mit dem Tode der guteng, wahrscheinlich todt gequälten, Fürstinn weicht das letzte sittlich edle Bild, an dem sich eine ehrliche Seele noch aufrichten kann, aus eurem Hause, - mehr will ich für jetzt nicht sagen, und dich nur noch bitten, ihres Sterbebettes, und dessen was sie darauf gebracht hat, nie zu vergessen, und dich fest zu deinen Zöglingen zu halten, - Es ist die ehrenvollste und in Zukunft vielleicht die einzigehrenvolle Stellung die du nehmen kannst, wenn Jeder voraussetzen darf, du seyst da aus Liebe zu den armen Kindern, und um ihnen REEL zu nützen. - Ich wollte ich könnte bey dir seyn, dann wär mir nicht bange, was mir vielleicht an Klugheit abgienge, würde meine Liebe und Sorge ersetzen, die dein Bestes zehnmahl schärfer im Auge hält, als ihr eigenes. - Könnte ich dich nur einmal eine Stunde wieder hier haben, hinter dem Teller mit aufgesparten Birnen und Nüssen! - es ist doch ein lieber heimlicher Ort, das Rüschhaus! - zwar klein kam es mir nach dem großen Meersburger Schlosse vor - klein wie ein Mauseloch - aber doch sehr lieb! ich hatte es so kurz nach dir verlassen, daß mir war als wärst du gestern erst fortgegangen, und Alles, Bücher, Papiere, noch von deiner Hand so hingelegt, was auch mit Einigem seyn mochte, denn mein Zimmer ist seitdem unbewohnt geblieben, und war noch nicht aufgeräumt. mein Alleinseyn (Mama ist noch immer in Apenburg) nährt diese Täuschung fortwährend. - neulich war mir so ungewohnt wohl zu Muthe, ich wußte selbst nicht warum, endlich merkte ich daß es Dienstag war, und ich dich erwartete. - Lieber Gott! wo sind die Zeiten hin! - ich konnte es denn doch nicht lassen mit meinem Fernrohr zu meiner Bank zu wandern, und das Herz klopfte mir ordentlich, als ich etwas durch den Schlagbaum kommen sah, - es war aber nur ein sehr schäbiger Bauer mit einem noch schäbigerem Hunde. - habe ich Dir nun thörichtes Zeug genug vorgeschwätzt? - bist du ungeduldig alter Philister? - (...)
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An Levin Schücking in Mondsee
Rüschhaus, 10. Oktober 1842, Montag
Rüschhaus den 10 ten OCTOBRE 42

Die bösen kurzen Tage sind jetzt gekommen, lieber Levin, und die noch schlimmere Heizungszeit, wo mein warmer Ofen (NB. nicht mehr der mit dem Loche, durch das man die Flamme so artig spielen sah, sondern ein ganz prosaischer, rundum zu, wie andre gemeine Oefen) mir jeden Augenblick Gäste bringt, so fange ich heute schon an Ihnen zu schreiben, um durch alle INTERRUPTIONEN, durch zahllose Stürme und QUARANTAINEN, diesen Brief doch sicher bis zum 15 ten in den Hafen der Poststube zu bringen. Wie es mir geht? jetzt schon gut, ich habe mich wieder ins Clima eingeübt, qualifizire mich täglich mehr zur Schnellläuferinn, gehe ganz bequem in einem Tage nach Hülshoff oder Münster und zurück, und setze Alle außer Athem die Schritt mit mir halten müssen. - QU'EN DITES VOUS? - ich denke die acht und achtzig Jahre die sie mir angewünscht haben, werden mir wirklich nach und nach auf den Rücken steigen. - Was soll ich Ihnen von meiner Lebensweise sagen? sie ist so einförmig wie Sie sie kennen, und sie mir grade zusagt, - Rüschhaus in seiner bekannten melancholischen Freundlichkeit - im Garten die letzten Rosen, die mich immer rühren, wenn ich denke, wie ich sie Ihnen vor nun schon zwey Jahren beym Abschiede gab, als sie Ihr Schultenamt niederlegten, und ich nach Hülshoff zog, um den einen kleinen Ferdinand sterben und den andern gebohren werden zu sehn. - Lieber Levin, unser Zusammenleben in Rüschhaus war die poetischeste und das in Meersburg gewiß die heimischeste und herzlichste Zeit unseres beyderseitigen Lebens, und die Welt kömmt mir seitdem gewaltig nüchtern vor. - Ich war, um das bewuste Paket zu holen, in Münster bey Ihrer Tante, die ich noch immer hübsch und sehr angenehm finde, - ich hoffte bey dieser Gelegenheit Manches von Ihren Sachen, woran mir liebe Erinnerungen hängen, mahl wieder vor Augen zu bekommen, - Ihr Schreibzeug, Ihre Bücher, alle die kleinen Andenken von Ihrem Nippetisch - aber wahrscheinlich war Alles in einer Plunderkammer aufgestapelt, denn die Tante setzte mich in den Kanapee, und holte das Bezeichnete herbey. - Ich that natürlich als sey mir der Inhalt unbekannt, und als wünschten Sie nur Ihre wichtigsten Papiere an einem Ort, wo sie, binnen den acht Jahren, nicht durch Umziehn dem möglichen Verlust ausgesetzt wären, doch schien die Tante etwas PIQUIRT, und meinte »auf die DISCRETION Ihres Onkels könnten Sie Sich sonst verlassen« ich fand das natürlich ganz unzweifelhaft, und machte nebenbey auf die guten festen Siegel aufmerksam, die eine derartige Sorge gar nicht zuließen. - (...)
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An Levin Schücking in Mondsee
Rüschhaus, 17. November 1842, Donnerstag
Rüschhaus den 15ten
NOVEMBRE 42

(...)
den 16ten, Gestern, als ich von Kopfweh überwältigt eben die Feder weggelegt hatte, kam Ihr Kistchen an, - mein altes gutes Herz! wie haben Sie Sich geplagt das Alles zusammen zu bringen! - Sie sind doch ein gar liebes kleines Pferdchen, blos klein weil klein lieb ist - und wie schön ist Alles! besonders die Münzen - Sie wissen vielleicht selbst nicht, daß eine ganz vortreffliche altgriechische darunter ist - die kleine grasgrüne - die übrigen sind römisch, alle so prächtig erhalten, und mehrere darunter von der grösten Seltenheit auch die neugriechischen Münzen sind mir sehr lieb, und fast noch mehr die Mineralien und Versteinerungen, weil mein gutes Kind sie theilweise mit seinen eignen guten Händen für mich heraus geklopft hat, - Lieber Levin, deine treue Sorge und Liebe thut deinem Mütterchen sehr wohl - sie hat ja auch nur den einen Jungen, auf den sie Alles was von Mutterliebe in ihr ist CONCENTRIREN MUß. - Gott segne dich, mein Kind, du weißt nicht wie es mich rührt, daß du so oft an mich gedacht und deine Freude in der meinigen gefunden hast. - ich bin etwas mistrauisch und gar nicht eitel, darum glaube ich immer schnell vergessen zu seyn. - (...)
 

Aus: Annette von Droste-Hülshoff. Historisch-kritische Ausgabe. Werke. Briefwechsel. Hrsg. Winfried Woesler. Max Niemeyer Verlag Tübingen 1995
 



Aus den Briefen von Levin Schücking
an Annette von Droste-Hülshoff
 


Von Levin Schücking
Münster, 21. November 1840, Samstag

Donnerstag.
Es ist acht - nun sind Sie doch allein, mein liebes liebes Mütterchen, daß ich etwas mit Ihnen plaudern kann - ich wollte es könnte Sie so aufrichten, wie ich es möchte, so recht Ihnen allen Kummer für eine halbe oder ganze Stunde fortschwatzen - es ist heute Ihr Namenstag ja, ich denke deßhalb auch, Sie sind heute in einer Stimmung, die so ernst beschaulich und großartig ist, das alles Unangenehme um Sie her nicht mehr auf Sie wirken kann, daß es zu Ihrer Höhe nicht hinaufkann: halb freu ich mich, daß Sie diesen Abend nicht schon diese Zeilen zu lesen bekommen, denn ich bin bange, mein Geschwätz käme auch nicht bis zu Ihrer Stimmung hinauf. Soll ich Ihnen Glück zu Ihrem Namenstage wünschen? Das würde sich schön machen, lächerlich in Ihrem Trouble, Ihrem Schmerz um die Ihrigen, egoistisch von mir, der sich selber damit Glück wünschte - soll ich Ihnen was schenken? ich habe kaum den Muth: doch, einige vertrocknete Blumen, womit es also zusammenhängt-. sie sind gestern (Mittwoch) schon aus dem Schloßgarten geholt, ich wollte heute Morgen sie Ihnen schicken, wenn keine Gelegenheit wäre, expreß, da höre ich gestern Abend von der BORNSTEDT daß Ihr armer kleiner Ferdinand todt ist und nun hatte ich keinen Muth mehr, so gern ich auch mit Ihnen geplaudert hätte ich bin so bange, daß Sie sich zu sehr abäschern und plagen und als einzige Person die den Kopf frei behält in jeder Lage für Alle und Alles nun sorgen müssen. Um Gotteswillen, Mütterchen, Sie sollen sich etwas mehr schonen, meinetwillen schon, darf ich das nicht fordern? und weil ich mich immer mehr anlasse, als hätte ich die Literatur im Münsterlande allein gepachtet, so verbiete ich Ihnen hiermit irgend etwas jetzt zu schreiben, außer Briefen an mich. (...)

Bin müde, Mütterchen, erzählen Sie mir etwas, ich will die Augen zumachen und hören wie Sie sprechen, oder von Ihnen träumen. Gestern Nacht träumt' ich von Ihnen, Sie saßen und schrieben, ich fragte Sie mehrmals ob Sie denn wüßten, wie es zusammen hing daß die Drosten früher von Tekennbroch sich genannt? ob Sie wohl was von Hermann Manenschien wüßten. Sie sagten nichts und schrieben weiter, hinter zwei Wachskerzen wie die weiße Frau. Mütterchen, lieb Mütterchen, ich habe gewiß im Schlafe Sie gesehen und bin magnetisch bei Ihnen gewesen, wie Sie an mich geschrieben haben. Bekomme ich morgen das? Gottes Segen über Sie mein armes geplagtes Mütterchen: ich will sogleich recht für Sie beten wenn ich nach Bett gehe, daß der liebe Gott Sie segnet und ich Ihr frommes Kind bin

Sonnabend Morgen

Guten Morgen, lieb Mütterchen, wie haben Sie geschlafen? wunderbar daß man immer in seinen Fragen banal wird, wenn man jemand recht lieb hat - wie geht's Ihnen? dieser gemeinste aller Gemeinplätze ist meine weichste Gefühlsäußerung, die Sie glaub ich je von mir gehört haben, ohne es vielleicht zu wissen.

Mir geht's gut, ich hoffe, ich bekomme heute einen Brief von Ihnen, ein paar Zeilen, mehr haben Sie gewiß nicht schreiben können. Vorigen Samstag war ich erschreckt förmlich, daß Sie nicht etwas wenigstens geschrieben: der Brief kam Sonntags.

Ich habe mich frisch und wohl an's Tageslicht gemacht, denken Sie, ich schlafe jetzt wie ein Einsiedler auf einem Strohsack, als Remplacant für nicht zu habende Matratzen. Das muß ich meinem Mütterchen deßhalb erzählen, weil ich denke, wie das meine Mutter freute, wenn ich es ihr erzählen könnte-. die hätte so gern mich auf dem kühlen Roßhaar früher gebettet, weil ich immer ein etwas schwächlich und zart Gebäude war, konnte mich aber nicht dazu bringen, weil es sich in den weichen Federn so hübsch bis in den hellen Morgen tief hinein schlief - bis sie mir endlich eine Vogelflinte, prächtig und kostbar gearbeitet mit allen möglichen modernsten Zierrathen, und Percussionsschloß - von unsrern Dorfvulkan, dem tausendkünstelnden Meister dafür versprach. Ich weiß noch lebhaft, wie ich ihr meine Verse, (die sonst Niemand zu sehen bekommen hätte für die ganze Welt nicht) zeigte, und wie sie eines Abends, indem ihre kleine zarte Figur sich auf meine Schulter stützte und mit mir die lange Allee nach dem Dorfe hinabwandelte, sagte, wenn ich nun nächstens wieder solch eine mittelmäßige Charade machte und mich anstrengte, sie noch besser zu machen, dann sollte sie in den Merkur geschickt werden. Ich hatte eine merkwürdige Freude darüber: denn daß meine Verse in dies so höchst gediegene und geistreiche Blatt kommen sollten, wo die ihrigen standen, MON DIEU, welche Ehre, an die ich nicht im Traum gedacht. Merkwürdig war ihre Art, mich zu ermuntern, ohne je zu loben. Das that sie nie, dafür mußte ich bei jeder passenden Gelegenheit hören, wie häßlich ich armer Teufel sei, daß ich oft seelenbetrübt wurde. Zum Troste hieß es dann, das schadete einem Mann nicht, wenn der nur edler Haltung und gelehrt sei. Ich rangirte nun danach alle Gesichter in zwei Categorien; die mir im Habitus ähnlichen, waren häßlich, die ganz verschiedenen, ovalen, mit einer Habichtnase versehenen schön und kam nur mit meiner Ansicht in's Gedränge, als einmal behauptet wurde, der Gilou sei ein so hübscher Bursche (ein belgischer Lakai); den hatte ich schon längst von der Natur so stiefmütterlich behandelt erklärt, wie gewisse andre Leute. Die Großen fragten mich kleinen Knirps aber doch immer, ob einer hübsch oder häßlich sei, wenn die seltne Rede darauf kam: ich mußte auch immer Stahlen aussuchen helfen. Hatte dann einer ein regelmäßiges Gesicht, das Geist aussprach und ungewöhnliche Züge, so war er schön: Sie hätte ich für die DAME SOUVERAINE DE LA BEAUTE erklärt. Meine gute arme Mutter! ich wollte sie lebte noch, wir wohnten zusammen, und ich hätte sie durch meine Feder zu ernähren! Dann wollt' ich mal mit Lust arbeiten - (Sie, mein lieb Mütterchen bekämen gewiß so lange Briefe voll unsinnigen Geplauders nicht -) sie sollte erst alles durchsehen und ich hätte dann auch nie etwas geschrieben, was Ihnen nicht recht gewesen wäre. Dann kämen Sie mal oft hierhin und besuchten uns, nicht wahr? und wie freute meine Mutter sich, daß Sie mich auch lieb hätten und wenn - JE NE PEUX PLUS
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Von Levin Schücking
Münster, 7. Dezember 1840, Montag

Montag Abend. Ich wollte, Sie wären eben ein Viertelstündchen hier gewesen, mein Mütterchen, es war so wunderhübsch hier auf meinem Zimmer; durch meine Wappenscheiben warf der Mond die tageshellen blanken Stralen, wie in ein Gemach aus dem 15 Jahrhundert, ein Funke glühte auf dem Rande Ihres Bechers wie ein goldner Tropfen, das rothe Licht aus dem Ofen in der Ecke huschte über die Wände und die Bilder her, der Sonderrath sah ganz düster schwarz von seiner beschatteten Mauer herab und - nun wenn ich so malen könnte wie Sie, könnte ich Ihnen einen Begriff geben, wie hübsch es eben auf meiner Klause war. Selbst der kleine Gustav, das 4jährige Jüngelchen von meiner Tante, den ich eben mitgenommen hatte, um ihm einige von Ihren Aepfeln zu schenken, brach in Entzücken darüber aus. Ich habe die runde niedliche Blage so lieb, wenn ich ihn sprechen höre, ist's mir immer, als hört' ich mein gutes Großmütterchen, die ihn immer auf dem Schooß hatte; er kann sich noch nicht darüber trösten, daß der liebe Gott ihm die todt gemacht hat.

Lieb Mütterchen, malen Sie mir doch in Ihrem nächsten Brief einen Grundriß von Ihrem Zimmer, ich möchte so gern wissen, wie Sie so zuhalten: ich will Ihnen meines auch hier hin malen:
(siehe nebenstehende Zeichnung)
Die Art brauner Tapete, die einmal in BON VIEUX TEMPS ihre Geschmackvollheit behauptet haben mag, ist noch jetzt so übel nicht, daß man sie nicht für eine Couleur halten sollte, wie in Clemenswerth in der Klosterküche herrschte, die seit den Tagen des Guardian Nicolaus, wie es in Scotts Kloster heißt, nicht mehr geweißt war. Nun müssen Sie, liebes Mütterchen, mit Ihrer blühenden Phantasie die Vorhänge so hübsch einräuchern, wie ich mit meinen Pfeifen thue, die grellgemalten Wappenscheiben blitzen lassen, vornehmlich die Drostesche Karpfe, die Bücher etwas in Unordnung bringen, die grüne Wolldecke des Tisches mit diversen Papieren, Heften, Federn, Pfennigen, Lack Briefen, Ringen, Karten, das Kanapee ebenso mit Büchern und Sachen wie Ihr Klavier in Rüschhaus in wüßten Costüm belasten, und VOILA TOUT!

Liebes Mütterchen, Sie haben mir gesagt, wir wollten uns allerhand Unsinn schreiben, da haben Sie nun den ganzen Brief bis jetzt davon voll. Ich will jetzt sinniger werden, und schreibe meinen angefangenen Brief von voriger Woche hier wieder ab:

Wenn wir doch einmal zusammen wieder sagen könnten: »Es war tief in die Nacht hinein und draußen heulte noch der Sturm;« so wäre das in den mannigfachsten Beziehungen sehr ersprießlich: denn erstens hörte ich Sie wieder so hübsch plaudern und das höre ich so gern, Und dann wäre das so bequem, o so bequem Sie glauben's gar nicht, und endlich würde ich dabei so nett schläfrig, wie nur je ein unartiger Junge, wenn ihm seine Mutter gute Lehren gibt; und dann hätt' ich mich auch gleich gegen den Vorwurf vertheidigen können, ich sei ein Windbeutel mit allen meinen Citaten; das ist ein schreiendes Unrecht, sie sind ächt wie 24karätiges Gold, alle mit großer Mühe aus ich weiß nicht mehr welchem Schweinsleder zusammengesucht auf der Münchener Universitätsbibliothek, wo ich nur zu viele Stunden mit solchen fruchtbringenden Studien verquängelt habe. Den Zettel, worauf ich's aufgeschrieben habe, könnte ich Ihnen mit beilegen, wenn Sie noch nicht glauben. (...)

Ich möchte heut all mein Papier an Sie voll schreiben, ich muß Ihnen noch einmal auf diesem Adieu sagen, o mein gutes Mütterchen, was hab ich Sie lieb!
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Von Levin Schücking
Mondsee, 13. Mal 1842, Freitag
MONDSEE den 13 Mal 1842.

Es sind jetzt sechs Wochen, seit ich von Meersburg fort bin - mir scheinen es 6 Monate - und bis auf diese Stunde habe ich noch keine Zeile von Ihnen erhalten - was ist das? Wissen Sie, daß ich recht ängstlich und besorgt deshalb bin? mein einziger Trost ist die Annahme, daß Sie das schöne Wetter benutzt haben zu Ihrer intendirten Mailänder Reise - oder hat man Ihren Brief auf der Post verloren? oder sind Sie krank? Bitte, wenn Sie können, nur ein paar winzige Zeilen, daß ich nicht länger unruhig sein brauche! ich hoffe, Ihr Brief ist verloren gegangen, - der Portier in Ellingen, der mir Briefe nachschicken soll, ist sehr im Stande dazu - ich hoffe es, so traurig es auch wäre, wenn mir eine Zeile von dem verloren ginge, was Sie mit so viel Mühe zu stande bringen müssen: deßhalb bitte ich ja auch nur um ein paar kurze Zeilen, um eine Seite höchstens, daß es Ihnen wohl geht.

Unterdeß muß ich fortfahren Sie von mir zu unterhalten. Am 24 vorigen Monats bin ich von Engelszell mit den beiden Prinzen nach Wien abgereist und am andren Tage Nachmittags angekommen, aber krank. Die schwere Krankheit, welche ich zu Heidelberg im Mal 1834 zu überstehen hatte, kam von Erkältung und Aufenthalt in frisch gefärbten Zimmern: das war jetzt wieder die Ursache, denn in Engelszell war ein frischer Farbengeruch nicht zum Aushalten und dazu kam eine Erkältung auf der Donau. Nun denken Sie sich einen verwöhnten Menschen, der bettlägerig krank ist und trotzdem den ganzen Tag durch das Gewühl einer ungeheuern Stadt fiakern und Merkwürdigkeiten sehen muß, zum Theil in winterlich kalten, wüßten Räumen - der grimmiges Zahnweh hat und die Mundfäule dazu! und nun des Nachts diese quälenden Träume von ungeheuren nie endenden Säälen mit Merkwürdigkeiten und lauter Merkwürdigkeiten bis in die aschgraue Unendlichkeit hinein! - was habe ich geseufzt, aus dieser Tortur fort, in Rüschhaus aus Ihrem Fenster nur eine Viertelstunde lang die grüne Wiese ansehen zu können und keinen Laut zu hören - es wäre ein Himmel für mich gewesen! (...)

Gott segne Sie, liebes gnädiges Fräulein mit seinem besten Schutze und aller Liebe, die Sie verdienen: könnten die tausend herzlichen Grüße, die ich Ihnen zurufe, so warm an Ihr Ohr klingen, wie sie mir aus dem Herzen kommen!
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Von Levin Schücking
Mondsee, 1. Mal 1843, Montag
Mondsee den 1sten Mal.

Der 1ste Mal heute und am letzten Februar hab' ich geschrieben und noch immer keine Antwort! Sie glauben nicht wie ich darüber in Unruhe bin: ich hätte schon längst wieder geschrieben, hätte ich nicht befürchtet Sie wären sehr krank und mein Brief käm' nicht in Ihre Hände gleich. (...) Weiß Gott, es ist recht bös von Ihnen, mich hier in Mondsee ohne eine Zeile zu lassen. Denn wenn auch ein Brief verloren ist, so ist es doch so lange, daß ich schon eine Anfrage hätte bekommen können, ob er verloren sei? Nur etwas weiß ich von Ihnen. CARVACHI hat mir am 1 April geschrieben die Frau Mertens sei da und führe alle Tage zu Ihnen. Ist sie's in Schuld, daß Sie nicht schreiben, so steh ihr Gott bei. (...)

Ich muß aufhören, ich habe mich ganz in Schweiß geschrieben - o Gott, wann seh ich Sie wieder, um einmal wieder mit Ihnen alles von Anfang bis zu Ende durchschwatzen zu können, ich habe Ihnen so unendlich viel zu erzählen - es wär' eine wahre Wonne. O Harfen Sions, weßhalb hangt Ihr nicht an den Weiden des Mondsee! -
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Von Levin Schücking und Louise von Gall
Darmstadt, 5. Juni 1843, Montag
(Druck)
Darmstadt,
Zimmer Nr. 21 in der Traube

Seit vier Tagen bin ich hier - und eines jener verwunderlichen Geschöpfe, welche man »Bräutigam« nennt! Mein Mütterchen, mein herziges, gutes, liebes, mein ewiges Mütterchen, was sagst Du dazu? Ich will Dir Alles der Reihe nach erzählen!

Als ich meinen vorigen Brief auf die Post brachte, fand ich den Ihrigen und sah daraus zu meinem Schrecken, wie schlecht es Ihnen erging.

O Gott, mein Mütterchen, wär' ich doch bei Dir, um den Arzt zu machen ich meine, ich verstände es zu leisten, daß Du gesund bliebest - wenn wir zusammen spazieren liefen und ich Dir die kalten Pasteten aufessen hülfe, wie in Meersburg, bloß aus der sorgfältigen Rücksicht, daß mein Mütterchen sich nicht den Magen verderbe! Gott Dank, daß es nun vorüber ist. Nur über Eins muß ich mit Ihnen zanken, weshalb gehen Sie nicht, wie andere angegriffene Leute, in ein Bad? Ich muß auch in eins, können wir nicht zusammen hin?

Mit Ihrem Briefe marschirte ich ins Gebirge und war drei Tage in Berchtesgaden, wo ich zum Zeichen, daß ich stets an Sie denke, eine Schachtel voll prachtvoller Mineralien für Sie einkaufte; ich habe noch zwei Kistchen voll für Sie, die aber noch in Mondsee stehen und mir erst im Herbst von dort nachgesendet werden. (...)
 

Aus: Annette von Droste-Hülshoff. Historisch-kritische Ausgabe. Werke. Briefwechsel. Hrsg. Winfried Woesler. Max Niemeyer Verlag Tübingen 1995



 

 

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