Peter Abelard in Frankkreich unfern Nantes in Britannien / aus einem
adelichen Geschlechte gebohren / verließ das Recht der ersten Geburth
seinen jüngern Brüdern / den freyen Künsten desto ruhiger obzuliegen. Er
begab sich erstlich nach Paris / so damahls in Wissenschafften ein
ziemliches zuthun begunte / und vertrauete sich einem fürnehmen Manne
Compelense genannt / so in gelehrten Händen über die massen erfahren
war; Es wehrete nicht lange so wuchs der Schüller über seinen Meister /
kriegte einen Anhang von jungen Leuthen / begunte selbst zu lehren / und
weil dieses Werck ein übel Ansehen hatte / und er ihm allerhand
Feindschafft damit erweckte / muste er Paris verlassen / und sich nach
Corveil begeben / da er in einer Crone junger Leuthe sich tapfer hören
ließ. Weil dan mitler Zeit sein alter Lehrmeister ein Münch worden /
begab sich Abelard wieder nach Paris / und brachte es dahin / daß der
jenige dem gedachter Compelense sein Lehr-Ampt vertrauet hatte / es ihm
willig überließ / und sein Zuhörer ward. Welches ihn dann wiederumb bey
seinen Wiederwertigen so grossen Neid verursachete / daß er sich mit
seinem Anhange aus Paris / und nach Melun verfügen muste. Nach dem nun
vorgedachter Compelense Bischof zu Chalon erwehlet worden / und auch
daselbst Abelarden zu drucken begunte / so wendete er sich abermahls
zurücke nach Paris / doch nur in die Vorstadt / weil sein voriger
Lehr-Platz schon von einem andern eingenommen war. Compelense treibet
endlich auch aldar Abelarden auf / und nöthigt Ihn sich als ein Schüller
in die Aussicht Anselmes eines berühmten Schrifftgelehrtens zu begeben;
Aber dieses Werck bleibet nicht lange in seinem Stande und dieser
hochmütige Schüler begunte endlich seinem meister zu Kopfe zu wachsen /
und ihn von seiner Stelle zu dringen / welcher Hochmuth dann eine
gefährliche Rache abgab. In dem nun Abelard in seinem Orte Meister
spielete / und sein Nahme in aller Mund und Herzen war / er auch sich
albereit vor unvergleichlich zu halten anfieng / begab es sich / daß ein
Thum Herr / mit Nahmen Folbert, eine junge Vetterin aus dem fürnehmen
Hause Mommoranci in Latein und andern Wissenschaften ziemlich erfahren /
bey sich hatte / und unsern berühmten Abelard dieser Jungfrau in
Sprachen und Wissenschafften eine Stunde zu lesen ansprach. Abelard
schlug dieses nicht ab; Sondern nahm diese anmuthig Schüllerin mit
Freuden an / und sie begunte in kurzen mercklich zu bessern. Es geschah
endlich / daß dieser geschickte Lehr-Meister seiner untergebenen zu tief
in die Augen schaute / und etliche gefährliche Funcken fühlete / so Witz
und Buch Ihm aus Gemüth und Händen wunden. Er begunte albereit mit
seiner Schüllerin freundlicher umbzugehen / er gebrauchte sich
ungewöhnlicher Arten zu reden / und ein Kuß war die erste Losung / daß
er forthin etwas mehr als Lehrmeister seyn wolte. Diese junge Tochter
merckte endlich dieses verborgene Spiel ziemlich deutlich / und ließ Ihr
nicht gänzlich unangenehm seyn / von dem / der an Anmuth und
Beredsamkeit wenig seines gleichen hatte / bedient zu werden; Mit einem
Worte sie waren unfleissig auf eine andere Arth fleissig zu werden;
Abelard fieng nunmehr an seine Schüllerin bald wegen Ihrer entzündeten
Augen / bald wegen Ihrer weissen Hände / bald wegen Ihres röthlichen
Mundes / bald wegen etwas verborgeners zu rühmen / und was er diesen
Augenblick gelobet / wolte er den andern mit Augen schauen; oder mit
Händen und Lippen berühren / der Durst wuchs endlich durch den Trunck /
iemehr kleine Freyheiten unser verliebter genoß / iemehr er geniessen
wolte / und die Anmuth dessen / was er allbereit überkommen / ward durch
die imbrünstige Begierde etwas vollkommenes zu holen gleichsam
vergället. Es gerieth endlich dahin / daß nunmehr das liebe Latein sambt
andern Wissenschafften gänzlich vergessen war / und diese zwey
verliebten in ihrer Muttersprache ziemlich offenherzig zu reden einen
Anfang machten. Heloisse that dem Ansuchen ihres Liebsten endlich Thür
und Angel auf / und der Canari-Zucker gegenwertiger Zeit / ließ sie an
Wermuth der künfftigen nicht wohl gedencken. Was nur ungewöhnlich in der
Liebe zu finden / war sinnreich hergeführet / und sie meyneten / es were
eine Unvollkommenheit / wann sie allein gelehrt reden und schreiben /
und auch nicht zugleich gelehrt buhlen solten. Sie überschütterten sich
endlich dergestalt mit Wollustgerichten / daß unsre schöne Jungfrau sich
in kurzen gegen ihren Liebsten vertrauen ließ; Daß sie diesen Tag der
Stunde wegen Unwillen des Magens nicht abwarten konte / und wenig Zeit
hernach fragte / was es doch wohl bedeutete / wann einem zwey Herzen
zugleich im Leibe schlügen; Abelard war dieses Uhrwerck / so er selbst
aufgezogen / nicht unbekandt / er verständigte seine Schöne / daß sie
ehestens ein stummer Gast verrathen würde / und entschloß sich Spott und
Schaden zu vermeiden / endlich heloissen aus ihres Vatern Hause zu
seiner Schwester in das Französische Britannien zu führen / da sie dann
einen jungen Sohn / den sie Astrolabe nennen ließ / auf die Welt
brachte. Abelard bemühete sich darauf seien Schwagern / der Zorn-Gluth
und Feuer bließ / so viel möglich zu besänftigen / verspricht seine
Freundin in der Stille zu ehlichen / doch mit der Bedingung / daß es
nicht der Welt allzu sehr lautbar werden möchte. Mit welchem Fürschlage
sich auch gedachter Thum-Herr dem Scheine nach befriedigte / und solches
mit Kuß und vielen verbündlichen Worten versiegelte Abelard begiebt sich
hiermit wiederum zu seiner Geliebten / erzehlete ihr den Fürsatz der
abgeredeten Verehligung / wurd aber durch allerhand bündige Einwürfe
davon abgehalten / sie stellete ihm unter andern von / daß ihres Vettern
rechgieriges Gemüthe durch nichts dergleichen würde besänfftiget werden
können: Sie gab ihm zu erkennen / daß es höchlich zu beklagen were /
wenn ein so hohes Gemüthe / so die Natur zu etwas edelern gewidmet durch
/ Sorgen der Nahrung und andere unvermeindliche Mühseeligkeiten
geschwächet werden solte. Sie erinnert ihn / daß sein und ihr Name die
bißhero vor ein Beyspiel aller Tugenden gehalten weren worden /
mercklich gekräncket / ja der Glanz beyder Ehr und Tugend durch diese
ungebundene Händel ganz dunckel werden würden mit angeheftem Vermelden /
daß es Ihr annehmlicher seyn solte seine Freundin als seine Ehefrau
genennet zu werden. Nach dem sie aber ihres geliebten Fürsatz durch
diese und andere Einwürfe nicht zurücke lencken konte / gab sie sich
endlich mit diesen Worten in seinen Willen / daß gewiß mit Verderb ihrer
beyden / die kommende Schmach grösser als die vergangene Freude seyn
würde / sie übergab darauf den jungen Sohn des Abelards Schwester /
machte sich auf den Weg und ward in Beyseyn etlicher weniger Freunde in
Pariß mit diesem / der neben den Zucker der Wissenschafft / ihr auch
zugleich die Galle der Unkeuschheit eingeflößt / ordentlich vermählet.
Folbert begunte darauf dieses Ehewerck durch die ganze Stadt ruchtbar
zumachen Heloisse aber ihren so hochgeschätzten bey Ehren zu erhalten /
leugnete so gut sie konte / und dieses Werck gerieth endlich dahin / daß
Abelard gezwungen war / seine Ehegattin nach Argenteil unsern von Pariß
gelegen / in ein kloster zu senden / und sie biß auf den Fechel aldar
einkleiden zu lassen. Diese Entweichung der Heloisse verbitterte den
Folbert iemehr und mehr / der sich auch endlich aus Nachgier dahin
verleiten ließ / bey Abelard / nach dem er zuvor seinen Knecht mit Gelde
bestochen / bey nächtlicher Zeit seines Herren Schlafgemach zu eröfnen /
durch dazu gleichfalls erkaufte Personen in seiner Ruh zu überfallen /
und zu entmannen. Diese ungewöhnliche That war alsobald durch ganz Paris
ruchtbar / und Abelard / dem die angethane Schmach / mehr als der
LeibesSchmerz empfindlich war / schauete in wehrender Niederlage
stündlich eine grosse Anzahl Frembde umb sich / so ihr Mitleiden / mit
Seuffzen / Worten / und Thränen scheinbar spühren liessen. Nach dem nun
besagter unglückseeliger Zufall unsern Abelard untüchtig gemacht /
seiner Liebsten Heloisse nach voriger Arth künftig beyzuwohnen / so
entdeckte er derselben / den unvollkommenen Zustand seines Leibes / so
dann nach Vergiessung tausend Thränen / endlich ihr Gemüthe / als ein
gelehrtes Weib weißlich bestillete / und sich völlig als Nonne zu
Argenteil einkleiden ließ / Abelard aber in den Kloster des H. Dionis.
die MünchKappe gleichfalls anlegte. Den elenden Zustandt / darein
Abelard in besagtem Kloster / wegen eines geistlichen Streites / dazu er
wegen seines hitzigen Gemüthes sehr geneigt war / in kurzen gerieth /
were zuverdrießlich hier ausführlich zu erzehlen. Die Geistlichkeit
erhub insgesambt wider ihn / also daß er aus Furcht auch in des
damahligen Königs in Franckreich Ungenade zu fallen / unter eines Grafen
in Champagnien Schutz mit Namen Thiboult sich begab / der sich nicht
ungeneigt erzeigte auf allerhand Weisse auszusöhnen / so aber keinen
andern Ausschlag gewinnen wolte / als daß er endlich Erlaubniß überkam /
einen einsamen Orth zu seiner Wohnstadt ihm zu erkiesen / sein Leben /
doch allzeit unter der Beschaffenheit eines Bruders des Klosters des H.
Dionis. daselbst zuzubringen Es ward ihm ein kleiner Platz / als ein
Allmosen / unfern bey dem Flecken Nogent an der Seene angewiesen / allwo
er auf die armseeligste Weisse ein enges GottesHauß aus gar schlechten
Zeuge aufbauete / und nebenst einen dürfftigen Geistlichen ihm an den
Gottesdienst Handreichung zu leisten / in solcher einsamkeit sein Leben
zu enden entschlossen war. Nach dem aber seine vorige Schüller aus Liebe
ihres Meisters sich häuffig bey ihm einfunden / und zu ihrem Auffenthalt
geringe Zellen baueten / begunten seine Wiedersacher theils wegen des
Namens / so er dem Kloster gegeben / theils wegen daß er wiederum aufs
neue zu lehren anfieng / ihn zu verfolgen / also daß der Fürst von
Nieder-Britannien / weil die Abten des Klosters Hildasse sich entlediget
/ solche Abelard auftrug. Diese den Schein nach gelückseelige
Begebenheit verkehrte sich alsobald in neues Unheil / in dem er durch
treue Versorge / viel Unordnung / so unter den Brüdern eingerissen /
nach und nach vernünfftig abstellen wolte / und also ihm tausenderley
verfolgunf auf dem Halß zoge. Nachdem nun der Abt zu H. Dionis. die
geistliche Jungfrauen zu Argenteil, ich weiß nicht / unter was vor einen
Vorwand wandt aus dem Kloster drang / und es mit München besetzte /
reimete Abelard sein GottesHauß Paraclit gedachter Nonnen ein / allwo
Heloisse als Aebtissin ein strenges Leben führete / und mit ihrem
unbefleckten Wandel es dahin brachte / daß die Bischoffe sie vor ihre
Tochter / die Abtisse sie vor ihre Schwester und die weltlichen sie vor
ihre Mutter hielten. Bey welcher gelegenheit theils die gegen dem
Abelard übelgesinnte / ihm daß er gegen gedachtem Kloster nicht gnugsam
Vorschub thete / feindseelig vorrückten / andere / weil er dieses
JungfrauKloster nicht selten zu besuchen pflegete / ihm daß er die
Fleisch-Töpfe Argypten / und wegen der in der Natur noch steckende
Regung seiner alten Buhlschaft nicht müssig gehen konte / ungeschämet
aufbürdeten. Welches aber der unschuldig Verleumbdete / mit Gedult
vertrug / und die Rache / in dem er mit Stahl und Gift von seinen
Widerwertigen verfolget war / Gott allein heimstellete / so ihn auch
hernach in seinem hohen Alter und zwar des 63sten seiner Jahre von
Sorgen und Ungemach abgemattet / ausspannete / nach dem er vor seiner
letzten TodesStunde befohlen seinen Lein seiner geliebten Heloisse zu
überantworten / so ihn auch mit ihren Thränen wohl benetzet / in den
besten Orth ihrer Kirchen begraben ließ. Und viel Jahr hernach aus
dieser Welt scheidende den geistlichen Jungfrauen anbefahl ihren toden
Leib gleichfalls unter die Leichen ihres getreuen Abelards zu legen / so
auch dergestalt erfolget / und melden die geschichtschreiber selbiger
Zeit / daß Abelard / als man seine geliebte Heloisse (so mir in
folgenden zwey Briefen wegen des Reimes Helisse zu nennen erlaubet seyn
wird ) nach verlauf vieler Jahre zu ihm in das Grab bracht / mit
ausgestreckten Arm solche umbfasset und an die Brust gedruckt haben
solte. Welches mich dann auch bewogen / diesen so wandelbaren
lebens-Lauf mit folgender Grabschrifft zu beschliessen.
Ein Freund / den Noth berühmt / Verlust hat groß gemacht /
Drückt seine Freundin noch allhier an Brust und Armen
Lieb und Vertrauligkeit / so Tod und Grab verlacht /
Heist die Verliebten Zwey auch in dem Grab erwarmen.
Ein edles Leben macht auch einen edlen Todt /
Getreue Liebe will auch aus dem Grab entspriessen /
Zum Zeugniß daß Sie nun besiegen Todt und Noth /
So wollten sie sich hier auch in der Asche küssen.
Aus: Hofmann von
Hofmannswaldau Christian: Gesammelte Werke; Nach dem Druck vom Jahre
1697
(Hrsg. von Franz Heiduk. Nachdruck Olms 1984, Hildesheim, Zürich)
aus Band I 2 (darin alle Heldenbriefe) (S. 584-600)