Erster Brief
Ihrem Herrn, ja Vater; ihrem Gatten, ja Bruder; seine Magd, ja Tochter;
sein Weib, ja Schwester:
an Abälard seine Heloise
Dein Trostbrief an einen Freund, mein Geliebtester, hat neulich mir
Jemand zufällig überbracht. Da ich ihn sogleich nach dem Anblick der
Aufschrift als den Deinigen erkannte, so begann ich um so glühender ihn
zu lesen, je inniger ich den Schreiber selbst umfasse, daß wenn mir
auch seine Person verloren ist, ich doch durch sein Wort wenigstens wie
durch ein Bild von ihm erquickt werde. Es war, erinnere ich mich, im
Briefe fast Alles Galle und Wermuth; er erzählte ja die jammerreiche
Geschichte von unsrer Einkehr in's Kloster und Dein fortwährendes Kreuz!
Dort hast Du in der That erfüllt, was Du im Eingange dem Freund
versprachst, daß nehmlich im Vergleich mit der Deinigen er seine Noth
für keine oder eine kleine halten könnte. Du erzählst die Verfolgungen
Deiner Lehrer gegen Dich, dann den schmählichen Verrath, der Deinen
Körper traf, und wendest hierauf den Griffel zum fluchwürdigen Neid und
der unersättlichen Feindschaft Deiner Mitschüler, Alberichs und Lodulfs
des Lombarden. Auch jenes übergehst Du nicht, wie durch ihren Einfluß
gegen das ruhmvolle Werk Deiner Theologie, wie gegen Dich selbst
verfahren ward, den sie gleichsam zum Kerker verdammten. Dann kommst Du
zu den Anschlägen Deines Abtes und der treulosen Brüder, zu den
unerträglichen Verleumdungen jener beiden falschen Apostel, die Dir die
genannten Nebenbuhler angeregt, und zu dem Ärgerniß, das die Meisten an
dem Namen Paraklet genommen, den Du unserm Bethhaus gegen die
herkömmliche Sitte beigelegt, endlich zu den schrecklichen und noch
andauernden Angriffen auf Dein Leben durch jenen grausamen Landverwüster
und die niederträchtigen Mönche, welche Du Söhne nennst, und hiermit
vollendest Du die jammerreiche Geschichte. Niemand, glaub' ich, kann
dies Alles mit trocknen Augen lesen oder hören, meinen Schmerz aber
mußte es um so mächtiger erneuen, je genauer das Einzelne dargestellt
war, um so höher ihn steigern, da Du erzählst, wie jene Gefahren für
Dich noch wachsen, sodaß wir Alle auf gleiche Weise dahin gebracht sind
an Deinem Leben zu verzweifeln, und stündlich unser Busen und pochendes
Herz jener Kunde von Deinem Tod entgegensehen. Bei ihm selber also, der
Dich bis heute für seinen Dienst auf jede Weise schirmt, bei Christus
beschwören wir Dich, Du mögst seine und Deine Mägde würdigen, ihnen
recht oft über den Sturm, von dem Du noch schiffbrüchig
einhergeschleudert wirst, brieflich sichere Nachricht zu geben, damit Du
uns wenigstens, die wir Dir einzig geblieben sind, zu Genossen des
Schmerzes oder Freude habest. Mitleidende pflegen ja dem Leidenden
einigen Trost zu gewähren, und jede Last, die Mehreren aufgelegt ist,
wird leichter getragen oder abgeworfen. Wenn aber jenes Ungewitter ein
wenig ruht, so müssen Deine Briefe um so schneller kommen, je mehr sie
uns erfreuen werden. Was Du aber auch schreiben magst, es wird uns Alles
zum Heile gereichen. Und wie angenehm die Briefe abwesender Freunde
sind, das lehrt uns ja auch Seneca durch sein eignes Beispiel, wenn er
irgendwo an Lucilius also schreibt: "Ich danke Dir, daß Du mir häufig
schreibst; denn Du zeigst Dich mir auf die einzige Art, die Dir möglich
ist; niemals empfange ich Deinen Brief, ohne daß wir sofort vereint
wären." Wenn uns schon die Bilder abwesender Freunde angenehm sind,
welche die Erinnerung auffrischen und die Sehnsucht der Abwesenheit mit
eitlem und leerem Trost erleichtern, wie viel angenehmer sind uns erst
die Briefe, welche die wahren Züge des fernen Freundes bringen! Gott sei
Dank, daß wenigstens diese Gegenwart uns zu gewähren kein Neid Dich
abhält, keine Schwierigkeit Dich hindert; o möge, ich beschwöre Dich,
auch keine Nachlässigkeit Dich säumen lassen! Du hast dem Freunde einen
langen Brief geschrieben zum Troste zwar für seine Widerwärtigkeiten,
aber über die Deinigen. Indem Du die Deinigen sorgsam aufzähltest und
ihn zu trösten gedachtest, hast Du meine Trostlosigkeit nur noch erhöht,
und während Du seine Wunden heilen wolltest, hast Du mir alte Wunden
aufgerissen und neue schmerzliche geschlagen. Heile selbst, ich
beschwöre Dich, was durch Dich geschehen, der Du der Sorge für das ein
Genüge thust, was durch Andre geschehen ist. Einem Freund und Genossen
warst Du willfährig und löstest die Schuld der Freundschaft und
Genossenschaft; aber in größrer Verpflichtung hast Du Dich uns
verbunden, die Dir nicht sowohl Freundinnen als Geliebte, nicht sowohl
Genossinnen als Töchter zu nennen ziemt, oder wenn ein noch süßeres und
heiligeres Wort erdacht werden kann.
Wie sehr Du aber uns verbunden und verpflichtet bist, das bedarf nicht
Beweis oder Zeugniß, als ob etwas Zweifelhaftes bestätigt werden sollte;
und wenn Alle schwiegen, würde die Sache selber laut reden. Denn Du bist
nächst Gott der einzige Gründer dieses Orts, der einzige Erbauer dieses
Bethhauses, der einzige Urheber dieses Zusammenseins. Nichts hast Du auf
fremden Grund gebaut, Alles, was hier ist, ist Deine Schöpfung. Diese
Einöde war nur für wilde Thiere und Räuber ein Aufenthalt, sie kannte
keine menschliche Wohnung, sie hatte kein Haus. In den Lagerstätten des
Wildes, in den Höhlen der Räuber selbst, wo Gott nicht pflegt genannt zu
werden, hast Du ein göttliches Zelt aufgeschlagen und hast dem heiligen
Geiste einen Tempel geweiht. Nichts hast Du zu seiner Erbauung aus den
Schätzen der Könige und Fürsten genommen, da Du selber das Meiste und
Größte vermochtest, und was geschah, kann Dir allein zugeschrieben
werden. Geistliche und Schüler strömten zu Deinem Unterricht hier
zusammen und brachten Dir um die Wette alles Nöthige dar; und die von
den Wohlthaten der Kirche lebten und Opfer nicht zu bringen, sondern nur
zu empfangen wußten, und ihre Hände nur zum Nehmen, nicht zum Geben
hatten, die brachten hier verschwenderisch und ungestüm das Ihrige dar.
Dein ist also, in Wahrheit Dein eigen diese neue Pflanzung in heiligem
Willen, deren meist noch zarte Pflanzen häufiges Begießen verlangen,
damit sie gedeihen. Schwach genug ist schon nach der Natur des
weiblichen Geschlechts diese Pflanzung; sie ist nicht stark, auch wenn
sie nicht eine neue wäre. Darum fordert sie um so sorgsamere und
häufigere Pflege, nach dem Spruch des Apostels: "Ich habe gepflanzt,
Apollo hat begossen, aber Gott hat das Gedeihen gegeben." Gepflanzt
hatte der Apostel und gegründet im Glauben durch die Lehre seiner
Predigt die Korinther, denen er schrieb. Begossen hatte sie der Schüler
des Apostels, Apollo, mit heiligen Ermahnungen, und so gab ihnen die
göttliche Gnade das Gedeihen der Tugend in reichem Maße. Den Weinberg
fremder Reben, den Du nicht gepflanzet hast, der Dir zur Bitterkeit
verkehret ist, den pflegst Du oft mit fruchtlosen und umsonst heiligen
Reden. Was Du den Deinen schuldig bist, beachte, der Du so für Feinde
Deine Sorge aufwendest. Du belehrest und ermahnest die Aufrührerischen
und förderst nichts. Vergebens wirfst Du die Perlen göttlicher Rede vor
die Säue. Der Du den Widerstrebenden so Vieles bietest, erwäge, was Du
den Gehorsamen schuldig bist. Der Du den Feinden so reichlich und
vielfach gibst, besinne Dich, was Du den Töchtern schuldig bist. Und um
von den Andern zu schweigen, bedenke, wie Du mich Dir verbunden hast,
daß das, was Du gemeinsam den ergebenen Frauen schuldig bist, Du Deiner
Einzigen um so ergebener lösen mögest. Deine Herrlichkeit aber weiß es
besser als meine Schwachheit, welche und wie viele Schriften zur Lehre,
zur Ermahnung oder auch zum Trost heiliger Frauen die heiligen Väter und
mit welchem Fleiß verfaßt haben. Darum sehe ich Dich jetzt nicht ohne
schmerzliche Verwunderung die noch zarten Anfänge unserer Bekehrung
schon eine Zeit lang vergessen, da weder die Ehrfurcht vor Gott, noch
die Liebe zu uns, noch das Beispiel der heiligen Väter Dich antreibt,
daß Du mich, die noch Schwankende und von langem Kummer Darniedergeschlagene, entweder gegenwärtig durch Deine Rede, oder
abwesend durch einen Brief zu trösten suchest.
Und Du weißt doch, daß Du mir größrer Schuld verpflichtet bist, je
inniger der Bund des ehelichen Sakramentes uns aneinanderkettet, daß Du
mir um so mehr ergeben sein mußt, je heißer ich Dich stets, wie Alle
wissen, mit unendlicher Liebe umfaßt habe. Du weißt, Geliebtester, Alle
wissen es, wie viel ich in Dir verloren habe, und durch welches unselige
Geschick der äußerste Verrath mich selber und Dich mir entrissen hat,
und wie unvergleichlich größer der Schmerz des Verlustes jetzt ist, als
der des Schadens war. Je größer aber die Ursache des Leidens ist, desto
größere Mittel des Trostes müssen angewandt werden, nicht von einem
Andern sonst, sondern von Dir selbst, daß der Du allein des Leidens
Ursache warst, auch allein seist in der Gnade des Trösters. Du bist es
ja allein, der mich betrüben, der mich erfreuen oder mich trösten kann.
Und Du bist es allein, der vorzüglich das mir schuldig ist, und darum am
meisten, weil ich Alles, was Du befohlen, soweit erfüllt habe, daß ich,
die Dir in nichts zuwider sein konnte, auf Deinen Befehl mich selbst
dahinzugeben vermochte. Und was noch ein Größeres ist und wunderbar
klingt, in solche Raserei ist meine Liebe verwandelt, daß, was sie
einzig begehrte, sie selber sich ohne Hoffnung des Wiedergewinnes
entzog, da ich sogleich auf Dein Gebot ein andres Kleid und einen andern
Sinn annahm, auf daß ich Dich als den alleinigen Herrn meines Leibes wie
meiner Seele erwiese. Nichts habe ich jemals, Gott weiß es, in Dir
gesucht, als Dich selber, rein nur Dich und nicht das Deinige begehrend.
Nicht den Bund der Ehe, nicht andre Heirathsgüter habe ich erwartet,
nicht meinen Willen und meine Lust, sondern Deine zu erfüllen gestrebt,
wie Du es selber weißt. Und wenn der Name der Gattin heiliger und
würdiger scheint, süßer doch war mir's immer, Deine Geliebte zu heißen,
oder, wenn Du nicht darüber zürnen willst, Deine Buhle oder Hetäre;
damit je tiefer ich mich für Dich erniedrigte, ich um so größere Huld
und Gnade bei Dir fände, und den Glanz Deiner Herrlichkeit weniger
beleidigte.
Diese hast Du um Deiner selbst willen nicht ganz in dem oben erwähnten
Briefe vergessen, den Du einem Freunde zum Troste geschrieben. Dort hast
Du auch nicht verschmäht einige Gründe aus einander zu setzen, durch die
ich Dich von unsrem Ehebund und seinem unheilvollen Lager abzuhalten
versuchte, die meisten aber verschwiegen, aus denen ich die Liebe der
Ehe, die Freiheit der Fessel vorzog. Gott rufe ich zum Zeugen an,
wenn Augustus, der Beherrscher der ganzen Welt, mich der Ehre seiner
Gattin würdigen und mir die Herrschaft des ganzen Erdkreises für alle
Zeit bestätigen wollte, so würde es mir lieber und würdiger erscheinen,
Deine Buhle genannt zu werden, als seine Kaiserin; denn der Reichste und
Mächtigste ist darum nicht auch der Beste, jenes ist des Glückes, dieses
der Tugend Werk. Täusche sich auch Die nicht darüber, daß sie sich
bloß verkauft, die lieber einem Reichen als einem Armen sich vermählt
und mehr in ihrem Manne das Ihrige, als das Seine begehrt. Gewiß, welche
von solcher Begierde zur Ehe geführt wird, der gebührt mehr ein Sold,
als die Huld der Liebe. Denn gewiß, ihr gilt es um das Vermögen, nicht
um den Mann, sie würde sich, wenn sie könnte, dem Reicheren preisgeben.
Dieses beweist auch offenbar das Gespräch, welches beim Sokratiker
Aeschines die Philosophin Aspasia mit dem Xenophon und seiner Gattin
führt; dieses Gespräch, das die genannte Philosophin zur Aussöhnung der
Beiden begonnen, schloß sie folgendergestalt: "Denn wenn ihr
dieses vollbringt, daß weder ein Mann besser noch eine Frau auf Erden
fröhlicher sei, wahrlich, dann werdet ihr vor Allem zumeist nach dem
trachten, was ihr für das Beste halten werdet, daß Du der Gatte des
besten Weibes und sie dem besten Manne vermählt sei." Wahrlich ein
heiliger und mehr als philosophischer Ausspruch, den die himmlische
Weisheit selbst, nicht blos das Streben nach Weisheit geboren. Ein
heiliger Irrthum ist dies und eine selige Täuschung der Gatten, wodurch
die vollkommne Liebe den Bund der Vermählung unverletzt bewahrt, nicht
so sehr in Enthaltsamkeit des Leibes, als in Keuschheit der Seele.
Aber was Täuschung bei Andern, das hatte die offenbarte Wahrheit bei mir
bewirkt; denn was jene von ihren Männern meinen möchten, das hab' ich,
das hat die ganze Welt von Dir nicht sowohl geglaubt, als gewußt, sodaß
meine Liebe zu Dir um so wahrer erfunden ward, je ferner alle Täuschung
blieb. Denn wer der Könige oder der Philosophen konnte Deinem Ruhme
gleichkommen? Welches Land, welche Stadt, welches Dorf brannte nicht
Dich zu sehen? Wer, ich bitte Dich, eilte nicht Dich zu erblicken, wenn
Du öffentlich auftratest, wer folgte, wenn Du wegginst, nicht mit
vorgestrecktem Halse, mit auf Dich gerichteten Augen? Welche Vermählte,
welche Jungfrau sehnte sich nicht nach dem Fernen, entbrannte nicht für
den Gegenwärtigen? Welche Königin, welche hochgestellte Frau beneidete
nicht meine Freuden oder mein bräutliches Lager?
Zweierlei aber, ich gestehe es, war Dir eigenthümlich, wodurch Du die
Herzen aller Frauen sogleich gewinnen konntest: die Anmuth des Worts und
des Gesanges; und das war den andern Philosophen bekanntlich keineswegs
verliehen. Indem Du hieran wie an einem Spiel Dich von der Anstrengung
philosophischer Arbeiten erholtest, hast Du viele im Maß oder Rhythmus
der Liebe gedichtete Lieder hinterlassen, die wegen überschwänglicher
Süßigkeit so der Worte wie der Melodie häufig nachgesungen meinen Namen
in Aller Munde unaufhörlich erhielten, sodaß die Lieblichkeit
wohllautenden Gesanges auch die Ungebildeten Deiner niemals vergessen
ließ. Und daher besonders seufzten die Frauen in Liebe zu Dir. Und da
der größte Theil jener Lieder unsre Liebe besang, so verkündeten sie
vielen Ländern meinen Namen in kurzer Zeit, und entzündeten gegen mich
den Neid vieler Frauen. Denn welches Gut der Seele oder des Leibes
schmückte Deine Jugend nicht? Welche von Allen, die mich damals
beneideten, triebe nicht mein Unglück jetzt zum Mitleid, da ich solcher
Wonnen beraubt worden bin? Welchen Mann oder welche Frau, mögen sie mir
auch Anfangs feind gewesen sein, erweichte mir jetzt nicht das verdiente
Mitleid? Und am meisten schuldig, bin ich dennoch, wie Du weißt, am
meisten unschuldig. Denn nicht im Erfolg der That, sondern in des
Thäters Gesinnung besteht das Verbrechen, und die Billigkeit wägt nicht
was geschieht, sondern in welchem Geiste es geschieht. Welche Gesinnung
ich aber immer gegen Dich hegte, das kannst Du allein beurtheilen, der
es erfahren hat. Deiner Prüfung stelle ich Alles anheim, in Allem
unterwerfe ich mich Deinem Zeugniß.
Sage mir das Eine, wenn Du kannst, wie ich je nach unsrer Einkehr in das
Kloster, die Du allein beschlossen hattest, bei Dir in solche
Vernachlässigung und Vergessenheit kommen mochte, daß ich mich weder an
der Rede des Gegenwärtigen erfreue, noch durch einen Brief des
Abwesenden getröstet werde; sprich, sage ich, wenn Du kannst, oder ich
will aussprechen, was ich fühle, was Alle argwöhnen. Die Begierde hat
Dich mir mehr verbündet als die Freundschaft, die Gluth der Sinnenlust
mehr als die Liebe. Da nun, was Du verlangtest, entwichen ist, so
verschwand zugleich, was Du dafür thatest. Das, Geliebtester, ist nicht
sowohl meine Vermuthung, als die der Welt, nicht sowohl eine besondere,
als die allgemeine, nicht sowohl eine private, als die öffentliche. O
daß es mir doch allein so scheinen möchte, und daß sich für Deine Liebe
Andre fänden sie zu entschuldigen, damit durch sie mein Schmerz ein
wenig gestillt würde! O daß ich doch Umstände erdichten könnte, durch
welche ich Dich entschuldigen und damit meine Niedrigkeit und Blöße
irgendwie bedecken könnte!
Merke auf, ich bitte Dich, was ich verlange, und es wird Dir klein und
ganz leicht dünken. Während ich um Deine Gegenwart betrogen bin,
vergegenwärtige mir wenigstens die Süßigkeit Deines Bildes durch die
Zeichen Deiner Worte, deren Du solche Fülle hast. Vergebens hoffe ich
auf Deine Freigebigkeit in Thaten, wenn ich Deinen Geiz in Worten
schmerzlich empfunden habe. Jetzt aber hatte ich am meisten von Dir zu
verdienen geglaubt, da ich Alles für Dich erfüllt und vor Allem in Deinem
Gehorsam beharrt habe. Denn mich trieb in zarter Jugend zur Härte des
Klosterlebens nicht religiöse Hingebung, sondern allein Dein Wille.
Daher urtheile, ob ich nichts von Dir verdient habe, als vergebliche
Mühe. Keinen Lohn habe ich dafür von Gott zu erwarten, denn es steht
fest, daß ich es nicht aus Liebe zu ihm gethan habe. Als Du zu Gott
hineiltest, da bin ich Dir gefolgt und habe den Schleier genommen, ja
ich bin Dir vorausgegangen. Denn als gedächtest Du an Lot's Weib, welche
sich rückwärts wandte, so hast Du früher mich als Dich selber durch das
heilige Kleid und klösterliche Gelübde in den Dienst des Herrn gegeben.
Und ich bekenn' es, mit heftigem Schmerz und Erröthen sah ich Dich
hierin allein mir weniger vertrauen. Ich aber, Gott weiß es, hätte nicht
angestanden, und wenn Du zu vulkanischen Orten hinstürztest, nach Deinem
Willen Dir voranzugehen oder zu folgen. Denn nicht bei mir, sondern bei
Dir war meine Seele. Und auch jetzt besonders, wenn sie nicht bei Dir
ist, so ist sie nirgends; sein aber ohne Dich kann sie auf keine Weise.
Doch daß es ihr bei Dir wohl sei, das schaffe, ich beschwöre Dich. Es
wird ihr aber bei Dir wohl sein, wenn sie Dich liebevoll findet, wenn Du
Huld für Huld erwiederst, Geringes für Großes, Worte für Thaten. Wenn
doch, Geliebter, Deine Liebe weniger auf mich baute, daß Du besorgter
wärest! Aber je sicherer ich Dich nun gemacht habe, desto größere
Vernachlässigung muß ich ertragen. Gedenke, ich beschwöre Dich, was ich
gethan habe, und was Du mir schuldig bist, das beachte.
Als ich in fleischlicher Lust Dein genoß, da galt es den Meisten für
ungewiß, ob ich es aus Liebe oder aus Sinnlichkeit that. Jetzt aber
bezeugt es das Ende, aus welcher Quelle der Anfang kam. Alle Freuden
habe ich mir untersagt, um Deinem Willen zu gehorchen. Nichts habe ich
für mich behalten, als daß ich so nun am meisten die Deine würde. Wie
groß aber Deine Unbilligkeit ist, das erwäge, wenn Du mir, je mehr ich
verdiene, um so weniger gibst, ja am Ende gar nichts; besonders da es
ein Kleinod ist, was ich fordere, und Dir ganz leicht.
Bei ihm selber also, dem Du Dich geweiht, bei Gott flehe ich zu Dir, daß
Du, auf welche Art Du kannst, mir wieder Deine Gegenwart schenkest und
mir ein Wort des Trostes schreibest, mindestens auf den Beding, daß ich
dadurch erquickt dem göttlichen Dienste heiterer obliegen könne. Als Du
mich einst zu zeitlichen Freuden verlangtest, da besuchtest Du mich mit
manchen Briefen, da brachtest Du durch manches Lied Deine Heloise in
Aller Mund. Von mir hallten alle Straßen, von mir alle Häuser. Aber mit
welch größerm Recht würdest Du mich jetzt zu Gott, als damals zur Lust
erwecken! Erwäge, ich beschwöre Dich, was Du schuldig bist, beachte, was
ich fordere, und so schließe ich den langen Brief mit dem kurzen Ende:
Lebe wohl, Du Einziger!
(S. 61-73)
__________
Dritter Brief
Ihrem Einzigen nach Christus seine Einzige in Christus
(...) O wenn es erlaubt wäre zu sagen, daß Gott mir in Allem grausam
ist! O über diese ungnädige Gabe, dies unselige Geschick, das alle
Geschosse seines ganzen Angriffs gegen mich schon so sehr verwandt hat,
daß es keine mehr besitzt, um mit ihnen gegen Andre wüthen zu können!
Den vollen Köcher hat es gegen mich erschöpft, daß nun die Andern seinen
Kampf umsonst fürchten. Und hätte es auch noch ein Geschoß übrig, an mir
fände es keinen Raum mehr zu neuen Wunden. Eins hat das Geschick
gefürchtet, daß ich unter so vielen Wunden durch den Tod die Martern
endigen möchte. Es läßt nicht ab mich zu Grunde zu richten, nur will es
meinen Untergang nicht, den es doch beschleunigt.
O ich Jammerreichste aller Jammerreichen! Ich Unseligste der Unseligen,
einen je erhabenern Rang ich behauptete, vor allen Frauen in Dir erhöht,
um so schwereres Leid hab' ich in Dir und mir getragen, als ich von dort
herabgestürzt ward! Je höher die Stufe der Emporsteigenden, desto
schwerer der Sturz der Herabfallenden. Welche unter allen edlen und
mächtigen Frauen konnte mir je das Glück voranstellen oder gleichsetzen?
Und welche hat es endlich so darniedergeworfen, konnte es so mit
Schmerzen erdrücken? Welche Herrlichkeit hat es mir in Dir verliehen!
Welchen Verlust hat es in Dir mir bereitet! Wie gewaltig war es mir auf
beiden Seiten, sodaß es weder im Guten noch im Schlimmen Maß hielt! Und
mich zur Unglücklichsten von Allen zu machen hatte das Schicksal mich
vorher seliger als Alle werden lassen, daß wenn ich bedächte, wie Großes
ich verloren, ich dann von einer desto tiefern Wehklage verzehrt werden
sollte, je größrer Verlust mich darniederdrückte; daß ein desto
stärkerer Schmerz über das Entrissene nachfolgen sollte, je größre Liebe
zu dem, was ich besaß, vorausgegangen war; daß die Freuden der höchsten
Wonne das Leid des tiefsten Wehs endigen sollte. Und daß aus dem Unglück
noch ein heftigeres Gefühl der Kränkung erwüchse, wurden alle Rechte der
Billigkeit gleicherweise bei uns verkehrt. (...)
(S. 86-87)
(...)
So süß waren mir aber jene Freuden der Liebe, die wir zusammen genossen,
daß sie mir nimmer mißfallen und kaum in der Erinnerung verbleichen
können. Wohin ich mich wende, überall tritt ihr Verlangen mir vor Augen,
und ihre Bilder lassen mich nicht ruhig schlafen. Bei der Feier der
Messe sogar, wo das Gebet das reinste sein soll, halten die üppigen
Phantasiegestalten jener Lust so sehr meine unglückliche Seele gefangen,
daß ich mehr ihrem schmählichen Reiz als dem Gebet nachhange. Über das
Begangene sollte ich weinen, aber ich seufze nach dem Verlorenen.
Und nicht blos was wir gethan, auch Ort und Zeit, da wir es thaten, sind
so meinem Geist eingeprägt, daß ich dort mit Dir zusammen bin und auch
im Schlafe keine Ruhe davon habe. Ja manchmal werden durch die Bewegung
meines Körpers die Gedanken meiner Seele verrathen und vor
unvorsichtigen Worten können sie sich nimmer hüten. O ich bin in
Wahrheit elend und würdig jenes Klagerufs der seufzenden Seele: "Ich
elender Mensch, wer wird mich erlösen von dem Leibe dieses Todes?" Daß
ich doch auch das Folgende der Wahrheit gemäß hinzufügen könnte: "Die
Gnade Gottes durch Jesum Christum, unsern Herrn."
Diese Gnade, mein Theuerster, kam Dir zuvor, sie befreite Dich von
diesem Sinnenreiz und heilte viele Wunden der Seele durch die eine des
Körpers, und da, wo Gott Dir am härtesten zuwider scheint, hat er sich
Dir mild erwiesen nach Art eines treuen Arztes, der unsres Schmerzes
nicht schont, aber für unsere Genesung sorgt. Mir aber entzündet das
jungendliche Feuer meines Alters und die Erfahrung der süßesten Freuden
jene Reizungen des Fleisches, jenen Brand der Lust auf's heftigste, und
in diesem Kampf werde ich um so leichter überwältigt, je schwächer die
Natur ist, die er angreift. Keusch nennen sie mich, die die Heuchlerin
nicht ertappt haben. Die Reinheit des Leibes legen sie mir als Tugend
aus, da doch die Tugend nicht des Körpers, sondern des Geistes ist.
Einiges Lob habe ich vor den Menschen, keines verdiene ich vor Gott, der
Herzen und Nieren prüft und in das Verborgene sieht. (...)
(S. 91-92)
(...) In jeder Lage meines Lebens aber, Gott weiß es, habe ich mehr
gescheut, Dich zu beleidigen, als Gott; mehr als ihm strebte ich Dir zu
gefallen. Dein Gebot trieb mich zum Nonnenstand, die Liebe zu Gott zog
mich nicht dazu heran. Siehe, welch ein unglückliches, wie ganz
unseliges Leben ich führe, da ich hier so Vieles vergebens ertrage und
dort in Zukunft keinen Lohn dafür habe. Auch Dich, wie Viele, hat lange
der Schein getäuscht, für Religion nahmst Du die Heuchelei; darum
besonders befiehlst Du Dich meinem Gebet, und forderst von mir, was ich
von Dir erwarte. O traue mir nicht zu viel zu, daß Du nicht säumest, mir
mit Gebet zur Seite zu stehen! Halte mich nicht für gesund, damit Du mir
die Gunst der Heilmittel nicht entziehest. Erachte mich nicht für reich,
damit Du nicht zauderst meiner Noth Hilfe zu bringen. Glaube nicht, daß
ich wohl und stark sei, damit ich nicht eher zusammensinke, als Du die
Wankende stützest. Erdichtetes Lob hat Manchen geschadet und ihnen den
Schutz entzogen, dessen sie bedurften. (...)
(S. 93)
______
Aus: Abälard und Heloise
Ihre Briefe und die Leidensgeschichte
übersetzt und eingeleitet durch eine Darstellung
von Abälards Philosophie und seinem Kampf mit der Kirche
von Moriz Carriere [1817-1895]
Gießen J. Ricker'sche Buchhandlung 1844