Dietrich Bonhoeffer (1906-1945) - Brautbriefe Zelle 92

 


Wassily Kandinsky (1866-1944) - paiting with tree spots



Brautbriefe Zelle 92
(1943-1945)


Meine liebste, gute Maria!
[Tegel] 30. VII. 43

Ist das nicht herrlich, daß ich Dir nun auch selbst schreiben kann? Wie habe ich mich nach diesem Augenblick gesehnt! Alle 4 Tage darf ich schreiben und ich werde also zwischen Dir und den Eltern abwechseln. Der heutige Tag war so voller schöner und auch ernster Eindrücke, daß ich noch nicht ganz wieder zur Ruhe gekommen bin, und doch kann ich es nicht lassen, Dir sofort heute noch zu schreiben. Wie soll ich Dir danken für Deine Liebe und Deine Treue und für Deine Tapferkeit, mit der Du alles trägst und mit der Du auch den für Dich doch schrecklichen Gang ins Reichskriegsgericht wieder unternommen hast. Es war heut so unbeschreiblich schön mit Dir zusammen, noch schöner als das letzte Mal - und wie wird es erst sein, wenn wir einmal ganz ohne andere Menschen zusammensein werden. Ich weiß, ich bin schrecklich ungeschickt bei diesen Sprecherlaubnissen Dir etwas zu sagen, was Dich freut und tröstet und Dir zu zeigen, wie lieb ich Dich habe; ich bin nicht fröhlich und selbstlos genug - daran ist eben das gräßliche Gefängnis schuld; aber das weißt Du ja alles und wenn ich zuviel von mir selbst rede, so mußt Du doch wissen, daß Du da in mein Ich immer ganz miteingeschlossen bist. Ich bin nicht mehr ohne Dich, das ist mir in den letzten Monaten noch viel deutlicher geworden, als es mir schon war. -
Nun kam eben auch Dein guter, guter Brief! und morgen werdet Ihr also an Vater's Geburtstag zusammensein und ich werde an Euch denken. Es hat mich wirklich sehr gerührt, was Du von den kleinen Geschwistern und ihrem An-mich-Denken schreibst. Ja, ich will mir die Mühe geben, ihnen ein guter großer Bruder zu sein. Zu Haus war ich fast der Jüngste und das Glück nun noch einmal eine Schar jüngerer Geschwister zu bekommen, ist für mich unbeschreiblich groß. Möchte doch alles gelingen, wie wir es erhoffen und erbitten und möchte ich für das, was ich von Eurer Familie empfange, Euch auch irgendetwas bringen können, was Euch freut. Die Vorfreude auf den ersten Tag in Pätzig überwindet immer wieder allen Kummer in mir. - Daß Du mit der Geige ernst machst, finde ich herrlich. Aber die Laute darfst Du mir nicht schlecht machen! Sie ist ein sehr ernsthaftes Instrument und Du darfst sie nicht mit der Mandoline verwechseln. Wir müssen später mal ein gutes Lautenkonzert zusammen hören. In Mexiko habe ich eine unvergeßliche Sommernacht mit einem großen Lautenspieler verbracht.-
Eben läutet es zum Schlafengehen, morgen früh geht der Brief ab. Es steht nicht viel drin, Gedanken habe ich heute nicht mehr viel, aber das Herz voll großer Liebe, das ist auch ohne viele Gedanken immer da und immer bei Dir. Leb' wohl, meine liebste Maria. Sei weiter fröhlich, geduldig und tapfer und vergiß mich nicht, wie ich Dich nie vergesse, vom Morgen bis zum Abend und in der Nacht, wenn ich aufwache. Grüße die Mutter dankbar und herzlich von mir, auch die Großmutter, und jedem der Geschwister einen besonderen Gruß! Dich umarmt und liebt

Dein Dietrich

(S. 32-33)
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Meine liebste Maria!
[Tegel] 12. VIII. 43

Als ich den letzten Brief an Dich abgeschickt hatte, bekam ich plötzlich einen Schrecken, Dir könnte vielleicht meine Tegeler Adresse auf dem Umschlag im Dorf Unannehmlichkeiten machen. Und wenn ich auch förmlich zu hören glaube, wie Du darüber laut lachst - ich freue mich über dieses Lachen -, so meine ich, man soll solche Dinge doch nicht leichtfertig behandeln; es ist wirklich nicht nötig, daß Du einen Dorfklatsch über Deinen Bräutigam über Dich ergehen lassen mußt. Um auch jede Möglichkeit in dieser Hinsicht auszuschließen, habe ich Dir also nicht wieder geschrieben, sondern zu Haus angefragt, wie Du darüber denkst. Nun kam aber heute Dein lieber Brief; daraufhin kann ich nun einfach nicht stumm bleiben. Aber bitte schreibe mir das nächste Mal, wie ich künftig an Dich schreiben soll; vorher schreibe ich jetzt nicht wieder. -
Und nun also zu Deinem Brief. Du kannst es garnicht ermessen, was es für mich in meiner jetzigen Lage bedeutet, Dich zu haben. Es ist mir gewiß, daß hier eine besondere Führung Gottes über mir waltet. Die Art, wie wir uns gefunden haben, und der Zeitpunkt so kurz vor meiner Verhaftung sind mir zu deutliche Zeichen dafür; es ging wieder einmal <hominum confusione et del providentla>1. Täglich überwältigt es mich aufs neue, wie unverdient ich solches Glück erfuhr, und täglich bewegt es mich tief, in eine wie harte Schule Gott Dich im letzten Jahr genommen hat, und wie es offenbar sein Wille ist, daß ich Dir, kaum daß wir uns kennen, Leid und Kummer zufügen muß, damit unsere Liebe zueinander den rechten Grund und die rechte Tragkraft bekommt. Wenn ich dazu die Lage der Welt, die völlige Dunkelheit über unserem persönlichen Schicksal und meine gegenwärtige Gefangenschaft bedenke, dann kann unser Bund - wenn er nicht Leichtsinn war und das war er bestimmt nicht, - nur ein Zeichen der Gnade und Güte Gottes sein, die uns zum Glauben ruft. Wir müßten blind sein, wenn wir das nicht sähen. Bei Jeremia heißt es in der größten Not seines Volkes <noch soll man Häuser und Äcker kaufen in diesem Lande> als Zeichen des Vertrauens auf die Zukunft2. Dazu gehört Glaube; Gott schenke ihn uns täglich; ich meine nicht den Glauben, der aus der Welt flieht, sondern der in der Welt aushält und die Erde trotz aller Not, die sie uns bringt, liebt und ihr treu bleibt. Unsere Ehe soll ein ja zu Gottes Erde sein, sie soll uns den Mut, auf der Erde etwas zu schaffen und zu wirken, stärken. Ich fürchte, daß die Christen, die nur mit einem Bein auf der Erde zu stehen wagen, auch nur mit einem Bein im Himmel stehen.
Übrigens bin ich durchaus der Meinung, daß Euer Pastor uns trauen soll. Ich finde, man soll in solchen Dingen immer das Nächstliegende tun; das ist wichtiger als irgend ein persönlicher Wunsch. - Und nun habt Ihr also das Haus voller Leute. Wie gern würde ich Dich in diesen Tagen das Hausregiment führen gesehen haben! Die Mutter hat mir wieder so einen sehr schönen Brief geschrieben und mir darin mancherlei erzählt; sag ihr doch bitte vielen Dank dafür; ich weiß, wie sehr sie sich die Zeit absparen muß, um mir zu schreiben. Aber es gibt hier auch keine größere Freude als Briefe zu bekommen. Man liest sie ungezählte Male, um mitleben zu können. - -
Draußen ist ein trüber Regentag, der so recht zu dem vergeblichen Warten auf Klärung und Aufhellung paßt. Aber wir wollen keinen Augenblick vergessen, für wie vieles wir dankbar sein müssen und wieviel Gutes wir immer noch erfahren; ich brauche dabei nur an Dich zu denken und jede kleine Trübung der Seele wird wieder hell. Und nun wollen wir für den Rest der Zeit, der uns noch auferlegt ist, wirklich geduldig bleiben, keine Stunde mit Murren und Hadern vergeuden: diese Wartezeit ist - von Gott her gesehen - eine ungeheuer kostbare Zeit; es liegt viel daran, wie wir sie bestehen und daß wir uns später nicht schämen müssen, daß wir das Geschenk, das Gott uns mit diesen Monaten der Bewährung gegeben hat, nicht erkannt haben. Ich bin gewiß, aus dieser Prüfungszeit wird unsere Liebe und unsere Ehe für immer Kraft ziehen. So laß uns miteinander und aufeinander warten bis zu unserem Freudentag. Es wird nicht mehr lange dauern, liebe, liebe Maria! -
Grüße bitte die Mutter und die Geschwister. Ist es Lütgert, der gefallen ist? Das wird Euch alle sehr betrüben. Bitte grüße seine Frau! -
Leb wohl, liebste Maria, Gott behüte uns und die unseren.
Dich umarmt Dein Dietrich, der sich von einem Brief auf den anderen freut!

1 Lateinisch: «nach der Menschen Verwirrung und Gottes Vorsehung».
2 Jeremia 32,15.

(S. 38-39)
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Meine liebste Maria!
[Tegel] 20. August 43

Durch eine gute hilfreiche Idee' ist nun, wie Du siehst, die Möglichkeit geschaffen, Dir ohne Absender zu schreiben. Nun sehen für Dich meine Briefe doch äußerlich wenigstens schon so aus, als kämen sie aus der Freiheit. Besser noch wäre es, wenn es mir gelänge, Dir jetzt schon so zu schreiben, daß nur die Dankbarkeit, die Freude, das Glück, Dich zu haben, laut würde und nichts von dem Druck und der Ungeduld
dieses langen Zellendaseins mit durchklänge. Aber es wäre nicht ganz echt und das käme mir Dir gegenüber wie ein Unrecht vor. Du mußt schon wissen, wie es mir wirklich zumute ist und mich nicht für einen geborenen Säulenheiligen halten. Ich kann mir übrigens auch nicht vorstellen, daß Du Dich mit einem solchen verheiraten möchtest - und ich würde es nach meinen kirchengeschichtlichen Kenntnissen auch
nicht empfehlen. Also, damit Du Dir ein Bild machst: ich sitze bei 30° mit aufgekrempelten Hemdsärmeln und offenem Kragen nach eben zum Abendbrot genossener heißer Mehlsuppe am Schreibtisch und denke sehnsüchtig an Dich, möchte mit Dir durch den Wald und ans Wasser fahren, möchte schwimmen und dann mit Dir irgendwo im Schatten liegen und von Dir hören, vieles hören und selbst nichts
erzählen. Es sind also, wie Du siehst, sehr irdische und greifbare Wünsche, die ich habe, und es ist dementsprechend ein sehr irdischer und lebhafter Widerwille gegen meinen derzeitigen Zustand, dem ich eine Zeitlang durchaus sein Recht einräume. Die Sonne hat es mir von jeher angetan und mich oft genug daran erinnert, daß der Mensch von der Erde genommen ist und nicht aus Luft und Gedanken besteht. Das ging soweit, daß ich einmal, als ich an Weihnachten nach Cuba kam, um dort zu predigen, und aus dem Eis Nordamerika's in die blühende tropische Vegetation gelangte, fast dem Sonnenkult erlegen wäre und kaum wußte, was ich eigentlich predigen sollte. Es war eine richtige Krise; und etwas davon überfällt mich in jedem Sommer, wenn ich die Sonne zu spüren bekomme. Die Sonne ist für mich nicht eine astronomische Größe, sondern so etwas wie eine lebendige Macht, die ich liebe und auch fürchte. Ich finde es so feige, an diesen Realitäten rationalistisch vorbeizusehen. Verstehst Du das? Und so muß eben die Geduld und die Freude und die Dankbarkeit und die Gelassenheit und die Vergebung sich immer wieder neu gegen allerlei Widerstände durchkämpfen und das, wie es im Psalm [84, 12] heißt, <Gott Sonne und Schild ist>, das wirklich zu erkennen und zu erfahren und zu glauben, das ist eine Sache hoher begnadigter Augenblicke, aber keine Alltagsweisheit. -
Ihr werdet nun übermorgen an Vaters Todestag zusammensein. Ich werde die Nachmittagsstunde nicht vergessen als mir die Großmutter am Telephon die Nachricht sagte; wir saßen mit den Eltern gerade draußen im Garten beim Tee; und ich glaubte in dem Augenblick von ferne zu ahnen, was Du verloren hattest; und habe damals, glaube ich, wirklich selbstlos an Dich denken und an Deiner Trauer teilnehmen können. Liebste Maria, auch bei Dir geht der Glaube und das Vertrauen nur durch Widerstände hindurch. <Den Abend lang währt das Weinen, aber des Morgens ist Freude>, dieser Vers des 30. Psalms [30, 6] ist mir seit einer Abendmahlsfeler besonders lieb. Auch Ihr werdet übermorgen so Eure Abendmahlsfeler halten. Später mußt Du mir einmal viel von Vater und vom 22. August erzählen, wenn Du magst. Vielleicht schweigst Du auch lieber darüber. Über manches kann, man nicht reden. -
Ich sehe, daß der Bogen sich schon wieder zu seinem Ende neigt. Und wie wenig habe ich Dir sagen können von dem, was mich bewegt, wenn ich an Dich denke. Nun mußt Du immer noch warten und ich kann Dir immer noch keine gewisse und frohe Nachricht geben. Dies ist sehr hart. Nachts, wenn die Sirenen gehen, bin ich froh, Dich nicht in Berlin zu wissen. Glaube übrigens bitte nicht, daß ich mich irgendwie beunruhige. Es ist merkwürdig, aber ich denke manchmal, ich bin vielleicht stumpf, daß ich mich so garnicht aufregen kann. Wenn nur die Eltern bald aus Berlin herauskönnten; sie sind zwar auch bei Alarmen völlig ruhig, aber die gestörten Nächte sind doch sehr anstrengend. -
Im letzten Paket war eine herrliche Erdbeermarmelade und Anisplätzchen. Stammen sie von Dir oder von der Großmutter? Wenn Du kannst, backe mir nur mal wieder etwas Schönes, nicht nur weil es gut schmeckt, sondern weil ich so gern dabei an Dich denke! Grüße die Mutter herzlich und dankbar. Leb wohl, Du liebe gute Maria, warte noch ein bißchen und dann wird es schön werden! Es wartet mit Dir
immer Dein Dietrich
Viele Grüße auch an die Großmutter! Mir fehlen richtig ihre Briefe!

(S. 42-43)
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Meine liebste Maria!
[Tegel] 27. VIII. 43

Wie soll ich Dir beschreiben, was Deine Besuche für mich bedeuten? Sie vertreiben jeden Schatten und jeden Kummer und sind tagelang eine Quelle großen und ruhigen Glücks - wenn Du wüßtest, was das für einen Gefangenen heißt, dann wüßtest Du auch, daß es größeres nicht gibt. Daß ich mich in Gedanken an Dich nicht quälen muß, daß die Sehnsucht, bei Dir zu sein nichts aufreibendes zu haben braucht, sondern daß ich in ruhiger Zuversicht und Freude an Dich denken und mich nach Dir sehnen darf, - das habe ich Dir und Deinem tapferen guten Herzen und Deiner Liebe zu danken. Daß Du Dir die Sprecherlaubnis zu so ungewöhnlicher Stunde um meinetwillen erbeten hast und erbitten durftest, dafür bin ich sehr, sehr dankbar. Wenn ich nach unserem Zusammensein in meine Zelle komme, dann überwiegt nicht etwa, wie Du vielleicht denken könntest, das Gefühl der Verzweiflung über die Unfreiheit, sondern es überwältigt mich der Gedanke, daß Du mich genommen hast. Es hätte ja soviel so begreifliche Gründe gegeben, aus denen Du hättest Nein sagen können. Und gegen alle diese Gründe hast Du Ja gesagt, und ich darf spüren, daß Du es immer freier und gewisser sagst. Vor dieser Wirklichkeit versinken alle Fenstergitter. Dann bist Du bei mir; was geht mich die verschlossene Tür an? Als ich neulich in einer Lebensbeschreibung von L. Pasteur dessen Verlobungsgeschichte las, mußte ich lächeln und etwas an mich denken. Er schrieb an seine künftige Braut: «es gibt nichts an mir, was die Phantasie eines jungen Mädchens bezaubern könnte. Aber ich weiß, daß alle, die mich gut kennen gelernt haben, mich geliebt haben». Darauf nahm sie ihn. Auch ich kann auf nichts verweisen als auf eine Anzahl guter, treuer Freunde, die mich kennen und mir trotzdem treu geblieben sind und bleiben werden, und daß sich ihr Kreis auch in Eure engste Familie hineinerstreckt, wird wohl für Dich auch nicht ganz gleichgültig gewesen sein. Wenn bisher in Stunden unfruchtbarer Selbstkritik der Gedanke an die Treue und Liebe so vieler Freunde mir wieder Mut gegeben hat, so spüre ich nun mehr und mehr wie mir durch Dich, - dadurch, daß Du meine Frau werden willst, - ein ganz neues Vertrauen zum Leben gegeben wird, und wenn ich Dich wieder eine Stunde gesehen habe, dann denke ich, daß dieses Vertrauen garnicht mehr verloren gehen kann, und wie wird das erst sein, wenn wir ganz zusammen sind! -
Daß Du mit Großmutter nicht ganz in der alten Harmonie lebst, tut mir eigentlich sehr leid. Das dürft Ihr mir beide nicht antun! Ich weiß, es handelt sich ja bei Euch immer nur um ganz kleine Schwingungsdifferenzen, aber ich möchte gern, daß Ihr ganz aufeinander eingestimmt seid, und eigentlich kann es zwischen Euch doch auch garnicht anders sein. Die gute Großmutter tut mir mit ihrem - sicher viel zu großen -Kummer um meinen jetzigen Zustand so leid, und ich denke so oft und dankbar an sie. Was habe ich in Krössin für schöne Tage erlebt! Wir müssen unbedingt bald einmal zu ihr fahren. Ich freue mich immer wieder an dem Gedanken, daß sie uns ihre alten Trauringe schenken will. Weißt Du, die sind noch so hübsch altmodisch breit und dick und so ein schönes Gold. Ich habe ja noch auf einen besonderen Gegenstand ihres Hauses ein Auge geworfen. Den verrate ich aber noch nicht, und einstweilen bemühe ich mich, das 9. Gebot nicht zu übertreten. -
Wie Du hoffentlich aus dem Brief ersiehst, bin ich wieder ganz gesund. Dein Besuch hat mir den entscheidenden Stoß gegeben. Heute wurde rührenderweise eine warme Griessuppe und ein Rotweinsago für meinen Magen von Hause gebracht und nun ist alles wieder gut. Übrigens bin ich hier seit ein paar Tagen entschieden aufgerückt: ich kriege zu jeder Mahlzeit Messer und Gabel geliefert! Ich hatte es fast verlernt, damit zu essen. Es ist sehr komisch, wie gleichgültig man gegen derartige Dinge ist - d. h. vielleicht nicht jeder. - Ich versuche nun, mir das Gewusel in Eurem Hause vorzustellen; es ist doch vielleicht sehr nett und wenn man sich nach Belieben retirieren kann, dann habe ich auch gar keine Angst davor. Ob die Verpflanzungen vielleicht aufs Große gesehen den Sinn der Städter für das Land etwas öffnen und damit eine hoffentlich einmal eintretende Rückwärtsbewegung aufs Land vorbereiten helfen? Was meinst Du? Das wäre in der Tat ein sehr großer Gewinn. -
Eigentlich sollte ich längst einmal der Mutter persönlich für ihre lieben Briefe gedankt haben, die mich immer so sehr erfreuen. Aber ich denke dann immer, daß die gute Mutter es versteht, wenn ich keine Gelegenheit vorbeigehen lassen möchte, Dir zu schreiben. So ist es doch, nicht wahr? Schreib es mir bitte mal! Grüße sie bitte herzlich und dankbar. - Die kleine Christine tut mir leid. Sie ist mir aus einigen Tagen bei der Großmutter in Stettin in eindrucksvoller Erinnerung. Grüße alle Geschwister.
Dich, liebste Maria umarmt
Dein Dietrich
Hab vielen Dank für alles Mitgebrachte und für den Kuchen, den Du der Mama gebacken hast.

(S. 46-48)
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Meine liebste Maria!
[Tegel] 9. 9. 43

Also seit einem Monat wartest Du auf einen Brief von mir? Das ist allerdings schauderhaft und mir ganz unverständlich. Pünktlich alle 4 Tage ist ein Brief abwechselnd an Dich und die Eltern abgegangen. Mit Ausnahme vom 5. 9., als ich nach dem Alarm an die Eltern schrieb! Aber auch mir ist es ähnlich gegangen. Der von Dir neulich bei der Sprecherlaubnis angekündigte Brief ist bis heute nicht gekommen, statt dessen kam gestern der vom 27. 8. Von den Eltern und Geschwistern fehlt alle Post zwischen dem 11. und 30.8.! Ich nehme an, daß in dem Umzugstrubel des RKG einiges vorübergehend untergetaucht ist. Hier kam auch plötzlich ein nicht ganz verständlicher Anruf des RKG, ich möchte künftig meine Briefe an Dich doch über die Eltern schicken. Kurz, ein kleines Durcheinander, das uns beide vermutlich etwas in Unruhe gebracht hat. Es ist wunderlich, einerseits lernt man ja in der Zelle das Rechnen mit langen Zeiträumen; aber wenn etwas, worauf man bestimmt gerechnet hat, also ein Brief oder das Paket auch nur um wenige Zeit später kommt, wird man kribblig und macht sich dumme Gedanken, und sagt sich dabei doch immerfort, daß es nur dumme Gedanken sind; so ist man eben, wenn man kein Stoiker ist; und das bin ich nicht und will es auch garnicht sein. -
Und nun muß ich Dich zunächst mal ausschimpfen, daß Du Dir immer noch über meine Gesundheit Gedanken machst! Wenn ich nach 3 Tagen Fasten und Fieber mal etwas mäßig aussehe, so ist das doch kein Wunder. Inzwischen geht es mir wieder so gut wie vorher. Ich finde, wir müssen das so halten: wenn wir krank sind, sagen wir das ruhig; aber wenn wir sagen, daß wir wieder gesund sind, müssen wir uns das auch glauben! Sonst sind wir nämlich später beide dauernd krank, jedenfalls jeder in den Augen des anderen, wie das in manchen Ehen ist; und dafür bin ich garnicht! Also, ich bin gesund und habe das Fasten mit Hilfe Eures Pakets längst wieder aufgeholt! Alles übrigens ohne <Atemkünste> - wie ich Dir (- ich lache natürlich nicht! Du doch auch nicht!?) gestehen muß! -
Ich bin so froh, daß Du jetzt nicht in Berlin bist. Das macht mir die Alarmnächte leichter, und Euer 34köpfiger Haushalt wird Dir reichlich zu tun geben. Außerdem ist es ein sehr beruhigender Gedanke, Dich mit der Aussteuer beschäftigt zu wissen. Ich male mir das in jeder Richtung und in allen Farben aus und freue mich daran; es ist so ein Bild der Ruhe, der Zuversicht und des Glücks. Wann werde ich all die Dinge sehen, bewundern und mich daran freuen können? Und wann werden wir sie gemeinsam im täglichen Leben gebrauchen und uns dabei an die seltsame Zeit ihrer Entstehung erinnern? Es kann nun nicht mehr sehr lange sein; aber wir wollen auch bis zum letzten Tag geduldig sein und auch diese schwere Wartezeit für Gottes Weg mit uns halten, bis wir vielleicht eines Tages besser verstehen, wozu er uns gut war. Meine liebste Maria, Du kannst es nicht ermessen, was es für mich bedeutet, darin mit Dir eins zu sein. Wie wunderlich muß Dir Dein Lebensweg jetzt oft vorkommen. Aber auf einen Berg steigt man ja auch im Zick-Zackweg, sonst käme man garnicht herauf und von oben sieht man oft ganz gut, warum man so gehen mußte. Lies doch mal das Lied von Gottfr. Arnold, das die meisten Leute nicht kennen und das ich ganz besonders liebe; es ist schwer nach Inhalt und Melodie, fast zu schwer für ein Gemeindelied, aber man gewinnt es immer lieber; es beginnt <So führst Du doch ... > und steht im Gesangbuch. - Denke Dir, eben kommt Dein Brief vom 23.8., dem Tage nach Vaters Todestag. Nicht wahr, Du erwartest nicht, daß ich Dir darauf antworte; das kann man nicht im Brief. Nur danken kann ich Dir, daß und wie Du mir schriebst. Ach, es wird wirklich Zeit, daß wir uns allein sehen und sprechen und miteinander in Pätzig durch den Wald gehen können! -
Grüße die Mutter sehr! auch die Geschwister! Leb wohl, meine gute Maria. Du begleitest mich vom Morgen bis zum Abend durch den ganzen Tag. Gott behüte Dich und uns alle!
Von ganzem Herzen
Dein Dietrich

(S. 52-54)
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Liebste Maria
[Tegel] 20. 9. 43

Morgen fängt nun der Herbst an. Als in den letzten Wochen die Leute
schon dann und wann vom frühen Herbst sprachen, mochte ich dieses
Wort garnicht hören. Der Wechsel der Jahreszeiten wird einem hier
schwerer als draußen. Ihr werdet jetzt in den späten Abenstunden
und wieder vor Tagesanbruch viel im Walde auf den Wildkanzeln sein.
Ich liebe die Herbstmorgen mit ihren Nebeln und den langsamen Durchbrechen der Sonne so sehr. Aber ich weiß, wo Du letzt auch sein magst, Du wartest jeden Tag  und jede Stunde mit mir. Es wird allmählich ein Warten, dessen äußeren Sinn ich nicht begreife, den inneren Sinn muß man täglich neu finden. Es ist uns beiden durch die
vergangenen Monate unendlich viel genommen worden; Zeit ist heute das kostbarste Gut; denn wer weiß, wieviel Zeit ihm noch geschenkt ist. Und doch weigere ich mich zu denken, daß es verlorene Zeit war und ist, in der wir getrennt sind, weder für jeden einzelnen von uns noch für uns beide zusammen. Wir sind in anderer Weise zusammengewachsen als wir es wohl gedacht und gewünscht haben, aber es sind auch andere Zeiten und werden wohl noch lange solche Zeiten bleiben, in denen alles darauf ankommt, daß man im Letzten eins ist und zueinander steht. Dein Leben wäre sehr anders geworden, leichter, übersichtlicher, einfacher, wenn unsere Wege sich nicht vor einem Jahr gekreuzt hätten. Aber es sind eigentlich nur kurze Augenblicke, in denen mir dieser Gedanke zu schaffen macht. Ich glaube, daß nicht nur ich, sondern auch Du in Deinem Leben an den Punkt gekommen bist, an dem wir uns begegnen mußten. Nach einem leichten Leben hatten wir imgrunde beide kein Verlangen, so sehr wir uns gewiß beide an den schönen und frohen Stunden des Lebens freuen können und heute wohl auch eine große Sehnsucht nach solchen Stunden haben. Aber das Glück liegt, glaube ich, für uns beide an einer anderen, verborgeneren Stelle, die manchem unverständlich ist und bleiben wird. Imgrunde suchen wir beide Aufgaben, bisher jeder für sich, von nun an aber gemeinsame Aufgaben. In denen werden wir erst ganz zusammenwachsen - wenn Gott uns die Zeit dazu schenkt. -
Ich warte wieder sehr auf Post von Dir. Es ist alles jetzt so unregelmäßig. Im letzten Paket fand ich Plätzchen, die ich Dir zugeschrieben habe. Sie erfreuen und erinnern mich jeden Nachmittag. Hab vielen Dank für alles! Sag es bitte auch der Mutter. - Ich habe viel gelesen und geschrieben. Aber das Leben geht eben darin - für mich jedenfalls - nicht auf. Später werde ich Dir aus dem vorlesen und Du wirst meinen Stil glätten und manchen Gedanken klären helfen! - Was wißt Ihr von Konstantin [v. Kleist-Retzow] aus Sardinien? Mein Vetter Hans Christoph v. Hase war zuletzt Divisionspfarrer in Calabrien. Er hat 5 kleine Kinder. Wie mag es ihm gehen? Hast Du Deine gefallenen Schönrader Vetter nahegestanden? Wie ist Eure Familie getroffen! - Nun leb wohl, mein liebste Maria, warte noch ein bißchen! Es ist gut zu wissen, daß Du mitwartest! Grüße die Mutter und die Geschwister. Bald wird es soweit sein, daß ich bei Euch sein kann! Es kann nicht mehr lange dauern! Bis dahin Geduld und guten Mut! Von ganzem Herzen
Dein Dietrich

(S. 56-57)
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Liebste Maria!
[Tegel] 30. 9. 43

Gestern bekam ich nach schon etwas ungeduldigem Warten Deinen lieben Brief vom 13.9., den Du auf der Fahrt nach Klein-Reetz geschrieben hast. Ich bin sehr froh, daß die Familie Dich dorthin kommandiert hatte; denn ich weiß, Du bist gern dort und wärest nur um der Hoffnung auf meine Entlassung willen nicht gefahren. Ich kann Dir garnicht beschreiben, wie es mich in Gedanken an Dich bekümmert, daß wir noch immer im Ungewissen sind. Für mich ist dieser Zustand ja gewissermaßen die Hauptaufgabe, mit der ich fertig zu werden habe, Dich aber hemmt und unterbricht der Gedanke der Ungewißheit immer wieder in Deiner Arbeit und Deinen Plänen. Ja, wenn ich Dir selbst irgendeinen Rat geben könnte für das, was Du tun sollst. Ist denn die Arbeit bei Euch zu Hause wirklich für Dich so wenig ausfüllend? Ganz kann ich es eigentlich nicht verstehen. Es ist eben doch so, daß wir erst einen gemeinsamen Plan machen können, wenn die Dinge hier klar sind. Endlos kann es ja nicht mehr dauern. Andrerseits will ich natürlich nicht, daß Du Dich um meinetwillen noch länger mit einer unbefriedigenden Tätigkeit herumquälst. Im Grunde hängt eben alles davon ab, wann wir heiraten können und gerade das läßt sich einfach heute noch nicht sagen. Wenn Dir die weitere Wartezeit jetzt wirklich als verlorene Zeit erscheint, dann mußt Du natürlich irgendetwas anderes ergreifen. Aber wirst Du nicht doch später einmal jeden Tag bereuen, den Du nicht noch zu Hause gewesen bist, und an Aufgaben kann es doch bei Eurem Betrieb garnicht fehlen? Du mußt mir Deine Überlegungen und Gründe möglichst doch noch genauer schreiben. Weißt Du, es ist wirklich gräßlich, daß man nicht einfach zusammensein und alles beraten kann. Bei so einer Sprecherlaubnis kommt ja doch auch nicht alles heraus. Und das letzte Mal hat Dich die Umgebung noch so gestört! Ich spüre das schon garnicht mehr, so abgestumpft ist man dagegen. Du mußt das verzeihen! -
Hast Du eigentlich alle meine Briefe gekriegt? Bis auf einmal jeden achten Tag! - Die kleine Ina hat mir so einen reizenden Brief geschrieben. Sag ihr doch bitte, wie sehr ich mich darüber gefreut habe. Übrigens, vor Deiner großen Familie brauchst Du Dich für mich, glaube ich, nicht zu fürchten. Die mütterliche Seite kenne ich ja gut genug; außerdem, weißt Du, habe ich ja schon eine ganze Menge sehr verschiedenartiger Menschen - auch <schrecklich festgelegte>, wie Du Dich ausdrückst - kennengelernt, und gegebenenfalls kann ich, - was Du wohl noch nicht erlebt hast, - auch <schrecklich festgelegt> sein! Im übrigen ist die Zeit, in der wir leben, eigentlich für <Festgelegtheiten> nicht sehr geeignet, sondern jeder muß versuchen, den anderen Menschen zu nehmen und zu verbrauchen wie er ist; dabei kommt immer am meisten für alle Teile heraus. -
Nun leb wohl, meine liebste Maria, am besten wäre es doch, Du hättest noch etwas Geduld, finde ich! Es kann ja auch alles ganz schnell gehen, daß wir uns wiedersehen!! Das sage ich nicht nur so hin, sondern weil ich es im Grunde glaube und erwarte. - Gott behüte Dich und uns alle, bis wir uns wiedersehen.
Immer Dein Dietrich

Liebste Maria, wir wollen doch bei allem täglichen Hoffen und Bitten um ein baldiges Wiedersehen und Zusammensein keinen Tag vergessen, Gott für das unendlich Viele zu danken, das er gegeben hat und noch täglich gibt. Dann werden alle unsere Gedanken und Pläne klarer und ruhiger werden und wir werden unser persönliches Schicksal leicht und willig auf uns nehmen. Das Evangelium dieser Woche - von der Dankbarkeit - ist mir eines der allerliebsten und wichtigsten.

(S. 63-64)
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Liebste Maria!
[Tegel] 8. 10. 43

Gestern Dein Besuch und Dein Paket, heute Dein Brief vom 21. 9. - fast habe ich das Gefühl, als ob zu meinem Glück garnicht mehr viel fehlte! Der Besuch hatte nur den einen Fehler, daß er trotz langen Wartens so plötzlich kam - ich erfuhr es erst 2 Minuten vorher - daß die Vorfreude nicht zu ihrem Recht kam und daß mir nachher natürlich ungezählte Fragen einfielen, die ich vergessen hatte als wir zusammen waren; so nett es ist, daß man uns die scheußliche Atmosphäre der kleinen dunklen Sprechzellen erspart, so kommt man sich auf diesem Sofa doch immer etwas wie auf der ersten Bank in der Schule vor, wo man sich besonders brav betragen muß. Aber schön war es eben doch und ich danke Dir von ganzem Herzen, daß Du gekommen bist! Kamst Du eigentlich direkt aus Kl.-Reetz? und wie war es dort? -
Mit Deinem Paket hast Du meine Liebhabereien so getroffen als wären wir schon 10 Jahre verheiratet! Es war wirklich verblüffend und begeisternd zugleich. Sag bitte auch der Mutter vielen Dank dafür! Die Grüße von Ina fand ich ganz besonders hübsch! Den Vers aus dem Oktoberlied von Storm: <und geht es draußen noch so toll,/ unchristlich oder christlich,/ ist doch die Welt, die schöne Welt,/ so gänzlich unverwüstlich!>/ - diesen Vers, den ich noch nicht kannte, aber gleich gelernt habe, werde ich von nun an immer mit Ina's Gruß ins Gefängnis verbinden. Und nun Dein Rilke! Ich danke Dir dafür, daß Du ihn mir geschickt hast. Ich kannte diese Briefe, aber habe sie in Gedanken an Dich neu und sehr gern gelesen. Aber Du weißt ja schon - ich bin irgendwie auf einen anderen Ton gestimmt und habe mich beim Lesen immer wieder gefragt, wie man sich wohl zu solchen Briefen, die ja ursprünglich rein persönlich gemeint sind (ich nehme das jedenfalls an und hoffe es!), stellen soll. Ich kann sie ja nicht einfach als mir geltend aufnehmen, und ich glaube, es wäre ein Fehler, wollte man sich durch die schönen Gedanken und Worte dazu verleiten lassen und gar dementsprechend sein Leben einrichten. An mich - und ich glaube auch an Dich - hätte Rilke sicher sehr anderes geschrieben (wobei ich überzeugt bin, daß er bei mir überhaupt darauf verzichtet hätte!). In einem musikalischen Vergleich gesagt, muß ich für mich Rilke immer von des-dur nach c-dur transponieren und sein pianissimo würde ich auch gelegentlich nicht einhalten - Du auch nicht! Verzeih, daß ich das alles so sage; aber ich spüre, daß mir das irgendwie mehr als eine literarische Wichtigkeit hat. Wir müssen da noch manchmal drüber sprechen. Hab vielen vielen Dank! -
Dein Brief hat mich wieder ganz ungeheuer gefreut. Du hast gelegentlich gesagt, Du könntest keine Briefe schreiben. Erstens habe ich es nie geglaubt, zweitens war es von vornherein sehr unwahrscheinlich bei Dir als Enkelin Deiner Großmutter, drittens hast Du Dich nun oft genug so gründlich selbst widerlegt, daß ich garnichts hinzuzufügen brauche. Frauen schreiben überhaupt bessere Briefe als Männer, und wenn Männer auch glücklicherweise wenigstens meist bessere Bücher schreiben, so ist das doch nicht halb so wichtig wie ein guter Brief! Und von Dir habe ich schon viele! Habe ich nicht allen Grund, auch wenn es nur ein entfernter Schimmer von dem Glück ist, das einmal über uns aufgehen soll , schon dafür unendlich dankbar und glücklich darüber zu sein; ja, schon daß ich an Dich denken kann, wann ich will und sooft ich will und daß mir das kein Mensch nehmen kann, ist das nicht ein unbeschreibliches Glück?
Der Bogen ist zu Ende! Schon wieder eine Grenze! Daß Hans Werner besondere Grüße von mir erwartet, ist wirklich sehr nett von ihm. Sag ihm, daß ich mich auf ihn freue, wie man sich eben auf den Bruder seiner Braut, der etwas von ihrem Wesen und ihren Zügen trägt, freut. Nein, sag ihm das nicht, denn das ist nichts für ihn, sag ihm, daß ich mich auf ihn freue wie auf einen jüngeren Bruder, der einem unerwartet geschenkt wird, und daß ich wirklich gespannt darauf bin, ihn richtig kennenzulernen; denn das vor 5 Jahren gilt ja kaum. Ina habe ich bei der Großmutter kennen gelernt und sie braucht nur so geblieben zu sein wie sie damals war, dann kann ich mir keine bessere Schwägerin wünschen. Leb wohl, liebste Maria! Verlier nur nicht die Geduld!

Von ganzem Herzen Dein Dietrich

Bitte sag doch Bismarck's, wie sehr ich mich mit ihnen über den zweiten Jungen freue. Hoffentlich geht es Ruth Alice bald wieder ganz gut und Mutter kann dort wirklich ein bißchen ausruhen. Ich wünschte es ihr sehr. Am 26. Oktober werdet Ihr wohl wieder in Pätzig zusammen sein? Das Reiterbuch habe ich noch nicht gelesen; ich freue mich darauf. Mit wie seltsamen Empfindungen habe ich die Schachtel Zigaretten, die Max Dir noch geschenkt hat, geöffnet. -

(S. 67-68)
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Meine liebe, liebe Maria!
[Tegel] 10. Nov. 43

Ich muß es wenigstens versuchen, den Brief, den ich Dir eigentlich erst in 3 Tagen schreiben darf, schon heute zu schreiben. Dafür muß ich dann allerdings 7 Tage warten, bis der ersehnte Nachmittag, an dem ich nicht nur in Gedanken, sondern auf dem Schreibpapier mit Dir sprechen kann, wieder herankommt. Trotzdem! Es war so gut, daß Du heute hier warst. Ich hatte es nach Deinem Brief über Ruth Alice's Ergehen diesmal nicht mehr zu hoffen gewagt und nun kamst Du doch. Es war viel zu kurz natürlich, ich hatte all die Fragen und Bitten, die ich an Dich hatte, gestern und heute noch aufgeschrieben, um sie nicht zu vergessen und habe natürlich doch alles vergessen. Es war aber auch ganz unwichtig gegenüber der einfachen Tatsache, daß Du eine Welle neben mir auf dem Sofa gesessen hast und bei mir warst. Da hast Du nun eine durchwachte Nacht gehabt, bist gereist und vom Bahnhof wahrscheinlich ohne Mittagessen direkt hierher gekommen und Du sagst natürlich nur: das ist doch selbstverständlich! ja, Maria, aber daß es selbstverständlich ist, das ist ja gerade das Wunder, das mir immer wieder unbegreifliche Glück, das so ganz und gar Unselbstverständliche! Vor mir hängt Dein Bild, mit dem ich mich wochenlang begnügen muß, aber nun höre ich wieder Deine Stimme. Dein Lachen nicht wahr, auch wenn wir lachen, sind wir ein bißchen traurig? - ich sehe Deine Augen, ich spüre Deine Hand. Alles ist wieder ganz wirklich. Wie soll ich Dir für alles danken; ich kann es nicht, ich kann Dir nur sagen, daß alles gut ist, wenn Du bei mir bist. Und nun wollen wir einander helfen, auch den Rest dieser schweren Geduldsprobe in der rechten Weise dankbar und still durchzuhalten. Ist es wohl unerlaubt zu hoffen, daß nach der Last der vergangenen Monate ein umso strahlenderes Glück auf uns wartet, ja, daß wir einen Teil des Kreuzes, das auf jeder Ehe liegt, nun schon getragen haben? Ich weiß es nicht, wir dürfen Gottes Wegen nicht vorgreifen, aber wir wissen doch jedenfalls, daß er uns auch in harten Zeiten nicht verläßt, sondern uns nur umso fester zusammenschließt und darauf allein kommt es an. Ich freue mich so, daß Du in den letzten Wochen auch ein paar frohe Tage hattest. Wie unendlich gern käme ich zur Taufe. Sage bitte Ruth Alice und ihrem Mann vielen Dank für ihren Gruß und für das Buch. Ich habe den Volkmann Leander besonders gern. Und nun werde ich heute noch den <Fischer und syne Fru> lesen. Ja, wenn es nur wenigstens eine Fischerhütte wäre, in der wir zusammen sein könnten! Aber es wird alles kommen wie es gut ist und wir werden finden, daß es auch für uns gut ist. Als ich in meine Zelle kam, fand ich Deinen Brief vom 23., den vom 26. hatte ich schon. Ich glaube, es ist alles ganz richtig, wie Du über Rilke schrelbst. Ich verstehe es genau und freue mich so, daß Du über das <Einrichten des Lebens> ebenso denkst wie ich auch. Nein, weder Rilke, noch sonst irgendeiner, noch auch die gute liebe Großmutter, sondern wir beide, so wie es uns geschieht und geschenkt wird. Darauf kommt es allein an. Nun leb wohl, liebste Maria. Gott behüte uns, bis wir in Freiheit zusammen sind. Grüße die Mutter besonders und die Geschwister und auch die Großmutter sehr. Vor allen aber laß Dich von Herzen grüßen und liebhaben von

Deinem Dietrich

Eben hatte ich noch zwei schöne Stunden beim Lesen Eurer Bücher. Wie besonders hübsch habt Ihr sie ausgesucht! Nun gehe ich schlafen. Gute Nacht!

(S. 77-78)
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Meine liebste Maria!
[Tegel] 21. XI. 43

Es ist gut, daß gestern noch Dein und Deiner Mutter Brief kam; es war schon etwas lang, geworden! Hab vielen vielen Dank! Heute ist Totensonntag, da seid Ihr zusammen in der Kirche und an den Kreuzen. Bei Stifter heißt es einmal sehr schön: <der Schmerz ist der heiligste Engel, der den Menschen Schätze zeigt, die sonst ewig in der Tiefe verborgen gewesen wären, durch ihn sind Menschen größer geworden als durch alle Freuden der Welt>. Es ist wohl so - und ich sage es mir hier in meiner Lage auch immer wieder der Schmerz des Entbehrens; der oft bis ins Physische hinein spürbar ist; soll da sein und wir sollen und brauchen ihn uns nicht wegzudisputieren, aber er will doch auch jedesmal wieder überwunden sein, und so gibt es doch noch einen heiligeren Engel als den Schmerz, das ist die Freude an Gott. Wenn Du den Brief kriegst, ist wohl schon der Advent da, eine Zeit, die ich besonders liebe. Weißt Du, so eine Gefängniszelle, in der man wacht, hofft, dies und jenes - letztlich Nebensächliche  - tut, und in der man ganz darauf angewiesen ist, daß die Tür der Befreiung von außen aufgetan wird, ist garkein so schlechtes Bild für den Advent. Könnte ich doch in diesem Jahr bei Eurem Krippenspiel sein, von dem ich seit Jahren aus der Ferne höre und weiß! -
Dein Gedanke, miteinander irgendwo in den Schnee zu reisen, ist wunderbar. Eigentlich wäre Friedrichsbrunn dafür das Gegebene, aber ich weiß nicht, ob dann die Leipziger noch oben sind? Übrigens finde ich es doch auch sehr schön, mit Dir in den verschiedenen Familien zusammen zu sein und die Zeit zum Alleinsein wird uns gewiß niemand mißgönnen. Es geht zwar fast nichts über einen stillen Winterabend in den Bergen, und sobald es möglich ist, machen wir eine solche Reise bestimmt! Wünschen und erträumen wollen wir uns ruhig jetzt schon alles Erdenkliche, Pläne machen werden wir dann schnell genug - und auch mit dem nötigen Nachdruck! - wenn ich erst frei bin und wir alles übersehen. Was wird nun bis dahin aus Dir? Nach dem vorgestrigen Alarm bin ich nicht mehr ganz so begeistert über den Berliner Plan. Aber ich will Dich in bereits gefaßten Entschlüssen nicht mehr unsicher machen.
Daß Du mit Hans Werner noch eine Reitjagd machst, finde ich sehr nett, wie ich mich überhaupt über jede Freude freue, die Du Dir gönnst. Beunruhigen würde mich nur alles, was Dir Kummer bereitet - zu all dem hinzu, was sowieso schon auf Dir lastet. Nein, denke Dir, ich bin früher nie auf Jagd gegangen. Ich sitze abends sehr gern auf einer Wildkanzel oder am Waldrand und freue mich - bis zum Herzklopfen die Tiere heraustreten zu sehen. Aber ich habe nie die geringste Lust verspürt, auf sie zu schießen. Warum auch, wenn es nicht sein muß? Ich glaube also, Eure Rehböcke werden auch künftig von mir nichts zu befürchten haben. Aber Reiten, das ist etwas ganz anderes, danach sehne ich mich! und zwar mit Dir zusammen durch den Wald und über Land und Felder! Weißt Du übrigens, daß Friedrich Wilhelm I. jeden Pfarrer, den er traf, danach fragte, ob die Jagd eine Sünde sei - er war ein leidenschaftlicher Jäger -, und ich glaube, sie sind, einschließlich A. H. Franke, alle so vernünftig gewesen, es nicht für eine Sünde zu erklären. Trotzdem, es ist, wie so manches, nicht jedermanns Sache. Walter, dessen Bild Du gesehen hast, ging regelmäßig mit dem Förster aus und wäre am liebsten schon Förster geworden, aber ich glaube mich zu erinnern, daß der erste Bock, den er mit 15 oder 16 Jahren schoß, ihm ein ganz starkes Erlebnis gewesen ist. - Du fragst, ob ich die Wurst von Bismarck's auch mit <Andacht> gegessen habe? Damit beschreibst Du den Vorgang richtiger als Du Dir wahrscheinlich selbst denken kannst. Alles <Materielle> was Ihr mir hierher schickt, verwandelt sich bei den Mahlzeiten zu Zeichen Eurer Gemeinschaft und Liebe und Treue. Das Unnatürliche, daß man hier das tägliche Brot nicht miteinander teilen kann, sondern für sich allein ißt, wird dadurch aufgehoben, daß ich mich als Gast an Euerm Tisch weiß und so esse ich wirklich <mit Andacht>, was von Euerm Tisch als gutes Zeichen in meine Zelle kommt. Die Tischgemeinschaft ist ja mehr als <gemeinsames Essen>. Nun ist der Bogen zu Ende und ich habe der Mutter noch nicht für ihren Brief gedankt. Ich liebe ihre Erzählbriefe immer so sehr. Bis in jede Einzelheit versuche ich mit Euch mitzuleben, wenn ich diese Briefe lese. Danke ihr doch sehr! Es ist so sehr gut von ihr.
Leb wohl, liebste Maria! Hab Dank für alles, alles! Nimm einen Kuß von Deinem

Dietrich

(S. 83-84)
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Meine liebste Maria!
[Tegel] 1. Dez. 43

Durch die bösen Nächte der vergangenen Woche ist, wie Du Dir hoffentlich schon gedacht hast, die Postbestellung eine Zeitlang hier nicht möglich gewesen. Du hast aber gewiß von den Eltern gehört, wie alles gegangen ist. Es ist über viele Menschen großes Unglück gekommen und wir anderen, die wir verschont geblieben sind, müssen die kleinen Entbehrungen, die uns getroffen haben, wirklich ohne Worte und selbstverständlich auf uns nehmen. jedes Murren über zerbrochene Fensterscheiben, Kälte und etwas erschwerte Ernährungsverhältnisse kommt mir angesichts des Ganzen fast frevelhaft vor. Die einzige wirklich kaum zu ertragende Entbehrung ist die Unmöglichkeit, in diesen schweren Tagen anderen Menschen helfen zu können;
jemand, der das nicht erlebt, kann sich diese Situation garnicht vorstellen; aber ich will auch darüber nicht viel Worte machen, es gibt so sehr viel Wichtigeres.
Schlimmer als für mich müssen diese Tage für Dich gewesen sein. Aber nun ist ja hoffentlich wieder für eine Weile Ruhe; trotzdem ist es mir doch viel beruhigender, Du kommst jetzt nicht nach Berlin. Außerdem ist ja das Haus der Eltern kaum bewohnbar. Dein Adventskranz, den ich um das kleine Krippenbild an die Wand gehängt habe, und der warme Mantel, der mir ebenso wie Max' Shawl die Kälte vom Leibe hält, erinnert mich unaufhörlich an Dich und erfüllt mich mit immer neuer Dankbarkeit für alles, was Du für mich denkst, fühlst und tust. Es ist so wirklich ganz friedlich, still und adventlich bei mir in der Zelle und die unzähligen Advents und Weihnachtslieder, die ich seit der Kindheit kenne, umgeben mich wie lauter gute Geister. So darfst Du Dir um mich wirklich keine Sorgen machen, ebenso wie ich Dich in den Vorbereitungen Eures Krippenspiels und in der Fürsorge für Eure Bombenflüchtlinge gut aufgehoben weiß. Was wir entbehren und worunter wir leiden, wissen wir beide; aber es ist doch besser in Ruhe und Vertrauen aneinander zu denken als in Unruhe und Sorge.
Ich glaube, wir gehen einem besonders schönen Weihnachten entgegen. Gerade weil sich alles äußere Sorgen diesmal von selbst verbietet, wird es sich herausstellen, ob wir am Wesentlichen allein genug haben. Ich habe früher furchtbar gern Geschenke bedacht und besorgt; aber wo wir nun nichts mehr zu schenken haben, strahlt das Geschenk, das Gott uns in der Geburt Christi gemacht hat, umso heller; je leerer unsere Hände sind, desto besser erkennen wir, was Luther mit seinem letzten Wort vor seinem Tod gemeint hat: <wir sind Bettler, das ist wahr>; je dürftiger unsere Beherbergung ist, desto besser verstehen wir, daß unser Herz Christi Herberge auf Erden sein soll. So wollen wir ohne jede Verzagtheit, viel mehr mit voller Zuversicht diesem Weihnachtsfest entgegengehen. Und wenn Gottes Freundlichkeit uns gar in diesen Tagen wieder zusammenführt, dann haben wir aneinander das schönste irdische Weihnachtsgeschenk! Und wie schön wäre es auch für unsere Familien! Du glaubst garnicht, wie ich mich nach jedem einzelnen sehne; nach so langen Monaten der Einsamkeit habe ich einen richtigen Hunger nach Menschen. Ich fürchte allerdings, daß ich am Anfang ein längeres Zusammensein mit vielen Menschen kaum werde bestehen können schon früher konnte ich Famillenfeste, die ich an sich sehr liebe, immer nur durchhalten, indem ich mich von Zeit zu Zeit auf eine halbe Stunde in mein Zimmer flüchtete. Diesmal wirst Du dann hoffentlich mit mir flüchten! Du darfst mich deswegen nicht für menschenfeindlich halten; aber ich finde eben leider, daß Menschen ungeheuer anstrengend sind. Aber diese meine geselligen Laster und Tugenden wirst Du noch früh genug kennen lernen! Du brauchst keine Angst zu haben, Verstöße gegen Knigge lasse ich mir nicht zu schulden kommen!
Nun wieder einmal Schluß. Es ist immer wieder ein kleiner Abschied, wenn der Brief wieder zu Ende ist. Nun wollen wir aber bald einmal nicht immerfort Abschied, sondern ein gründliches und langes, langes Wiedersehen feiern! Leb wohl, liebste Maria! Grüße Mutter, Großmutter und Geschwister! Und nimm einen Kuß von
Deinem Dietrich

(S. 90-91)
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Meine liebste Maria!
[Tegel] 13. XII. 43

Ohne schon die Hoffnung aufzugeben, daß sich die Dinge doch noch zu rechter Zeit zum Guten wenden, muß ich Dir nun den Weihnachtsbrief schreiben. Sei mir zu lieb tapfer, liebste Maria, auch wenn Du in den Weihnachtstagen nur diesen Brief als Zeichen meiner Liebe haben solltest. Es wird uns beiden ein paar schwere Stunden kosten warum sollten wir das voreinander verhehlen? Es wird uns die Unbegreiflichkeit dieser Schickung zu schaffen machen, wir werden von der Frage bedrängt werden, warum zu aller Dunkelheit, die sowieso schon auf den Menschen liegt, uns noch die bittere Qual dieser Trennung, die wir nicht zu verstehen vermögen, auferlegt ist. Wie schwer ist es, das innerlich zu bejahen, was sich dem Begreifen entzieht, wie groß die Gefahr, sich einem blinden Zufall ausgeliefert zu fühlen, wie unheimlich schleicht sich in solchen Zeiten Mißtrauen und Bitterkeit in unser Herz und wie leicht nimmt der kindische Gedanke von uns Besitz, als seien wir mit unserem Leben, unseren Wegen und Widerfahrnissen in den Händen von Menschen und wenn das alles sich so an uns herandrängt, daß wir uns kaum mehr erwehren können, dann kommt zu rechter Zeit die Weihnachtsbotschaft und sagt uns, daß alle unsere Gedanken verkehrt sind und daß das, was uns böse und finster erscheint, in Wahrheit gut und licht ist, weil es von Gott kommt; unsere Augen sehen nur falsch; Gott ist in der Krippe, der Reichtum in der Armut, das Licht in der Nacht, die Hilfe in der Verlassenheit; es widerfährt uns nichts böses; was Menschen uns auch zufügen, sie müssen in allem doch nur dem Gott dienen, der sich im Verborgenen als Liebe offenbart und die Welt und unser Leben regiert. Wir müssen es lernen zu sagen: <ich kann niedrig sein und kann hoch sein; ich kann satt sein und hungern, übrig haben und Mangel leiden. Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht, Christus> (Phil. 4, 13) und dieses Weihnachten kann uns dazu besonders helfen. Es ist nicht die stoische Unberührtheit von allen äußeren Geschehnissen, die hier gemeint ist, sondern ein wirkliches Erleiden und ein wirkliches Sich freuen, weil wir wissen, daß Christus dabei ist.
Liebste Maria, laß uns Weihnachten so feiern. Sei mit den anderen zusammen, so froh, wie man es nur Weihnachten sein kann. Male Dir keine schrecklichen Bilder über mich in meiner Zelle aus, sondern denke nur daran, daß Christus auch durch die Gefängnisse geht und an mir nicht vorübergehen wird. Im übrigen hoffe ich für die Feiertage ein schönes Buch zu finden und darin in Ruhe zu lesen. Ich wünsche Dir
das auch. So ein klein wenig Vergessen ist doch neben dem anderen auch erlaubt. Erst muß man einen Kummer ehrlich überwunden haben, dann muß man an ihm vorbeidenken lernen und schließlich darf man ihn auch vergessen; aber die umgekehrte Reihenfolge wäre falsch und unfruchtbar. Liebste Maria, laß uns nicht von dem reden, was wir beide empfinden; wir wissen es und jedes Wort macht nur das Herz schwer. Vor allem wollen wir uns davor hüten, uns selbst zu bemitleiden; das wäre wirklich eine Lästerung Gottes, der es mit uns gut meint. Bei allem Schweren wollen wir mit Jesaja sagen: <verdirb es nicht; es ist ein Segen drin> auch in diesem Weihnachtsfest.
Eben kamen Deine zwei Briefe vom 27. 11 und 1. 12. und der von Großmutter. Wenn Du so fröhlich schreibst, schlägst Du in mir eine Seite an, die noch lange nachklingt. Sehr respektlos, aber sehr nett finde ich Deine Randbemerkung <Unsinn!> zu Großmutter's Lob über Dein <Wachstum>! Ich bin übrigens auch kein Freund von solchen Konstatierungen; aber einer Großmutter steht das Recht darauf gewiß zu. Sag doch auch ihr vielen Dank für ihren lieben Brief. Ich glaube manchmal, viel viel später wirst Du einmal ähnliche Briefe schreiben, wie Du ihr ja überhaupt am ähnlichsten aus der ganzen Familie bist. Aber einstweilen freue ich mich, daß Du so schreibst wie Du schreibst ! Denn in Deinen Briefen bist Du selbst wie Du bist und etwas anderes will ich nicht als dies eine, Dich so wie Du bist. Es wird nicht dieses oder jenes einzelne sein, was mich glücklich macht, sondern Du selbst wirst mich glücklich machen, das weiß ich. Erspare es mir, von mir selbst zu reden; ich weiß, daß ich Dir nichts bringen kann, was Deinem Leben Inhalt gibt als die eine Bitte bei mir zu bleiben, mit mir zu gehen, meine geliebte Frau und <Gehilfin> zu sein, wie ich Dein Mann sein will, der Dich liebhat. -
Nun tu mir die Liebe und sei froh in diesen Tagen und laß mich an allen Euren Freuden teilnehmen. Grüße die Mutter in großer Dankbarkeit von mir und die Geschwister mit geschwisterlichen Grüßen. Grüße die Großmutter, an der ich in unveränderlicher Treue hänge, grüße die Kieckower, mit denen mich so viele schöne und schwere unvergeßliche Erinnerungen verbinden; ich denke oft an Konstantin [v. Kleist- Retzowj; grüße bitte auch die Lasbecker und nun sei Du selbst, meine geliebte Maria, gegrüßt, umarmt und geküßt von
Deinem Dietrich

(S. 95-96)
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Meine geliebte Maria!
[Tegel] Heilig Abend, 1943

Dies ist ein Augenblick, in dem man so viel zu sagen hat, daß man eigentlich nur schweigen kann. Das Herz ist so voll von guten, friedlichen und dankbaren Gedanken und es weiß sich so geborgen vor allen Gefahren und Anfechtungen, daß es etwas abgeben möchte von dem, was es unverdient empfangen hat. Ich habe eben die Weihnachtsgeschichte gelesen, habe in Ruhe die Weihnachtsbilder aus Deinem schönen Buch betrachtet, habe ein paar Lieder mir still aufgesagt und bei all dem an Dich, an Euch alle, an die Brüder im Feld, an die Menschen in diesem Haus gedacht; vor mir steht, von Deinen Kerzen beleuchtet, die kleine Marienfigur, die Du mir schenktest - ein Geschenk Deines Vaters -, dahinter stehen die aufgeschlagenen Losungen, links von ihnen die <betenden Hände>, rechts das geöffnete Futteral mit Deinen Bildern, das Du mir selbst gearbeitet und geschenkt hast. Etwas oberhalb hängt noch Dein Adventskranz, hinter mir auf der Bettkante habe ich die Handschuhe, die Du mir genäht hast, die Bücher, die Du mir ausgesucht hast - dazu die von Mutter und Großmutter - und die Pfefferkuchen aufgestellt, an meinem Arm trage ich Vaters Uhr, die er trug als er fiel, und die Du mir geschenkt, gebracht und selbst an meinem Arm befestigt hast. Meine Maria, Du bist überall um mich, wo ich in meiner Zelle hinsehe, sehe ich Dich.
Zwar bist Du weit weg; in dieser Stunde - es ist 5 Uhr - werdet Ihr wohl in der Kirche sein und Du wirst an mich denken und Gott für mich bitten, wie Du es täglich tust; es ist so schwer getrennt zu sein, wenn man sich liebhat; aber nicht wahr, wir sind in Wirklichkeit nie getrennt, nie, nie. Wie werde ich jemals in meinem Leben den Schmerz, den ich Dir in diesen vergangenen Monaten zugefügt habe wahrhaftig ohne mein Wollen , wieder gut machen können? Nicht anders und nie anders, liebste Maria, als indem ich Dich liebhabe, solange ich lebe und darüber hinaus, und daß ich Dich um Deine Liebe, die mir nur ein Wunder sein kann, bitte. Hab vielen Dank für Deinen so guten Weihnachtsbrief, der gerade heute ankam. Jedes Wort war ein Weihnachtsgeschenk. -
Sag auch der Mutter und Großmutter, daß ich ihnen von Herzen für ihre Grüße danke. In was für einem Reichtum von menschlicher Liebe dürfen wir beide uns geborgen wissen, und indem ich an die vielen Glieder meiner und Eurer Familie denke, nehme ich unaufhörlich unsichtbare Grüße, Wünsche und Gebete, die uns beiden und unserer Zukunft gelten, in Empfang. Dazu darf ich wissen, daß in diesen heutigen Abendstunden eine große Zahl meiner ehemaligen Schüler von allen Fronten her an mich denken und die mehr als dreißig von ihnen, die gefallen sind und das ewige Weihnachten bei Gott feiern, sind über unser Erkennen und Verstehen hinaus mit uns und mit der ganzen Kirche Christi verbunden.
Eben fällt mein Blick wieder auf Dein Paket. Wie festlich hast Du es mir zugerichtet. Ich erhielt es heute mittag als große Überraschung. Auch für den baumwollenen Sweater, der doch nur von Dir gestrickt sein kann, habe ich Dir noch nicht gedankt; ich habe ihn vor Freude gleich angezogen. Er ist herrlich warm und leicht zugleich. Meine liebste Maria, im festen Glauben an Gottes Liebe, die uns zu Jesus Christus ruft, in unserer Liebe zueinander und getragen von der Liebe vieler Verwandter und Freunde wollen wir sehr getrost und zuversichtlich in das neue Jahr gehen.

Immer Dein Dietrich

Die Stifter'sche Weihnachtsgeschichte, die ja eigentlich mehr eine Wintergeschichte ist, halte ich für eine seiner allerbesten Erzählungen und ich freue mich darauf, sie wieder zu lesen.
Hab vielen Dank!

(S. 102-104)
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Meine liebste Maria!
[Tegel] 2. 1. 44

Der Abschied vom vergangenen Jahr ist wohl keinem Menschen, der es ernsthaft miterlebt hat, schwer geworden; und doch wird es für unser Leben und für unsere Erinnerung eines der wichtigsten bleiben, und wie gut ist es, wenn wir wirklich ganz ohne Bitterkeit, ja mit einer ungeheuchelten Dankbarkeit daran zurückdenken können. Gewiß ist ein Jahr in einer Zeit wie der unseren, in der niemand weiß, wie lange er
noch zu leben hat, sehr, sehr lang und vielleicht können wir jetzt noch garnicht ermessen, was uns durch diese vergangenen Monate der Haft genommen wurde; aber ebensowenig können wir jetzt schon ganz begreifen, was uns durch diese Erfahrung für unser künftiges Leben geschenkt worden ist und erst die kommenden Jahre werden es uns ganz zeigen. Du, liebste Maria, hast mir den Jahreswechsel noch besonders erfreulich gemacht dadurch, daß Du am 30. hier unten ein Paket für mich abgabst. Ich denke, Du kamst von Mama's Geburtstag und warst auf der Fahrt nach Hause. Ich fühlte mich durch dieses Paket an die Kinderzeit erinnert, in der der in den Weihnachtstagen zu Ende gegangene bunte Teller immer noch einmal gefüllt wurde. Aber was für ein herrlicher bunter Teller war es, den Du mir brachtest! Ich fürchte nur, Dein eigener ist auf diese Weise ganz leer geworden und der von Mutter und den Geschwistern hat sehr gerupft ausgesehen. Hab vielen, vielen Dank und sei gewiß, daß Du mir eine sehr große Freude gemacht hast. Daß Du Mama zu ihrem Geburtstag besucht hast, hat mich sehr gefreut und ich danke Dir auch dafür sehr. Ich weiß, daß Mama Dich sehr gern hat und ich bin froh, daß Ihr Euch so ei gut versteht. Ich kann es garnicht leiden, wenn, wie es so häufig ist, irgendwelche Spannungen zwischen Kindern und Schwiegereltern bestehen, und Du kannst ganz sicher sein, daß wir so etwas nie aufkommen lassen wollen. Schon der Gedanke daran scheint mir unmöglich; ich werde nie vergessen, Deiner Mutter für das dankbar zu sein, was sie in den vergangenen Monaten für mich getan hat, und das in einer Zeit, in der sie selbst den größten Schmerz ihres Lebens zu tragen und zu überwinden hatte. Wo zwei Häuser wie das Eure und das unsere so fest zusammenstehen, wie wir beide es gern möchten, dort können wir uns auch in harten Zeiten des Lebens ganz geborgen wissen. Wie in allen Euren Häusern, bei Euch, bei Kleist's, bei Bismarck's der Tod der nächsten Angehörigen getragen worden ist, das wird mir mein Leben lang ein Vorbild sein und ist es mir in dem eigenen geringfügigen Leiden des vergangenen Jahres immer wieder gewesen. In diesem Sinne denke ich auch mit besonderer Dankbarkeit an die Großmutter, mit der ich die Wochen der Trauer um Hans Friedrich und Jürgen Christoph [v. Kleist-Retzowj verbrachte. - Hab ganz besonderen Dank für den Gedichtband, in dem ich vieles Schöne gefunden habe. Hat ihn Dir wohl Max einmal geschenkt? Nun wird es nicht mehr lange dauern; bis wir uns nicht mehr schreiben müssen, sondern ganz beieinander sind.
Liebste Maria, laß uns diese letzten Wochen in der Freude darauf verbringen! Ich danke Dir für alles! Gott behüte uns alle!
Immer Dein Dietrich

(S. 109-110)
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Liebste Maria!
[Tegel] 14. I. 44

Heut kam Mutters Weihnachtsgeschenk, Vater's Erinnerungen an seinen Vater. Ich weiß nicht, was mich mehr bewegt, die Tatsache, daß Mutter so gut zu mir ist oder diese stille Begegnung mit Deinem Vater, wie ich sie heute beim ersten Lesen seiner Aufzeichnungen gehabt habe und in den nächsten Tagen noch oft haben werde. Daß
dies gerade die Tage sind, in denen wir uns vor einem Jahr verlobt haben, ist mir besonders lieb und wichtig; denn es ist ja nun doch so, daß ich an Mutter und Vater nicht denken kann ohne an Dich zu denken und daß Du mir in beiden begegnest. Was für ein unbegreifliches Glück ist es für einen Menschen, Eltern zu haben, an die man nur mit tiefster Dankbarkeit und Ehrerbietung denken kann. Darin ist es uns beiden gleich gut gegangen. Ich habe vor Jahren einmal mit der Großmutter ein Gespräch darüber gehabt, ob Eltern die <Freunde> ihrer Kinder sein können und sollen; ich habe das abgelehnt und lehne es noch heute ab. Man darf die Ordnungen nicht verwischen, nur dann bleiben sie rein und göttlich. - Meine liebste Maria, in den letzten Tagen kamen mehrere so sehr gute und liebe Briefe von Dir zu mir, ganz besonders der vom 1. Weihnachtsfeiertag. Der Versuch, Dir gleich zu schreiben, damit Du gerade in den jetzigen Tagen einen Brief von mir hättest, mißlang. Noch nie habe ich so stark unter dem Eindruck gestanden, in einem Brief das nicht aussprechen zu können, was mich angesichts dessen, was sich zwischen uns seit einem Jahr zugetragen hat, bewegt. Es ist vielleicht auch garnicht gut, wenn alles, was man sich sonst wortlos zu verstehen gibt, in Worte umgesetzt werden muß. Der Unterschied zwischen der Wirklichkeit, nach der man Verlangen hat, und den Worten, die die Brücke zu dieser Wirklichkeit schlagen wollen und doch nicht können, ist zu überwältigend. Wenn ich mir denke, daß ich am 17. in Pätzig wäre und morgens darauf wartete, daß Du herunter kommst und Dich dann sähe und Dir entgegenginge - würde ich dann wohl irgendwelche Worte über die Lippen bringen, um Dir dafür zu danken, daß Du da bist und für mich da bist, oder würde nicht einfach das Beieinandersein eine so überwältigende wortlose Sprache reden, daß alles andere demgegenüber ohnmächtig und wesenlos wird? Wenn das Wirkliche mir überstark vor die Seele tritt, geht mir der Atem der Worte aus; ich denke dann, Worte könnten alles nur abschwächen, stören, in Unruhe bringen, was ohne sie stark, klar und ruhig ist. Verstehst Du das alles? Ganz sicher! Wenn ich mir unser erstes Zusammensein erträume, dann sehe ich uns beide nicht im Zimmer miteinander redend, sondern, unwillkürlich sehe ich uns im Walde miteinander gehend, gemeinsam sehend, erlebend, in der Berührung mit der Erde und mit den wirklichen Dingen. Das Verlangen danach ist sehr groß und ich glaube und weiß, es ist unser beider Verlangen. Gott erhalte es uns und bringe es zur Erfüllung. Meine geliebte Maria, ich bin immer und will immer sein
Dein Dietrich

Daß Hans Werner sich für mich von der Tafel Schokolade getrennt hat, finde ich wirklich ein großes Opfer; ich esse sie in kleinen Dosen immer wieder zur Erfrischung bei der Arbeit. Sag ihm vielen Dank dafür, bitte! Auch für den Krippenstall und Ina für die Eierbecher; ich freue mich darauf, dies alles zu sehen, noch mehr aber auf die beiden selbst! Von Großmutter kam ein schöner Brief, vielen Dank! - Die Eltern wollen vielleicht doch reisen. Könntest Du nicht mit ihnen nach Kl. Reetz? Dort ist es doch wohl ganz einsam und still?
Das Bild von Vater's Grab lege ich gleich wieder in den Brief, damit Du es immer bei Dir haben kannst. - Die Uhr ist mir eine tägliche Freude!

(S. 118-120)
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Meine liebe, liebe Maria!
[Tegel] 11. III. 44

Es geht nun nicht mehr länger, ich muß endlich einmal an Dich schreiben und zu Dir sprechen, ohne daß ein Dritter daran teilnimmt. Ich muß Dich in mein Herz sehen lassen, ohne daß ein anderer, den es nichts angeht, mit hineinguckt. Ich muß zu Dir von dem reden, was uns beiden ganz allein auf der Welt gehört und was entheiligt
wird, wenn es fremden Ohren preisgegeben wird. Was Dir allein gehört, daran lasse ich keinen Dritten teilnehmen; ich empfände es als unerlaubt, als unrein, als hemmungslos, und als würdelos Dir gegenüber. Was in verschwiegenen Gedanken und Träumen mich zu Dir zieht und an Dich bindet, liebste Maria, das kann erst in der Stunde offenbar werden, in der ich Dich in meine Arme schließen darf. Diese Stunde wird kommen und sie wird umso beseligender und echter sein je weniger wir versucht haben diese Stunde voreilig vorwegzunehmen und je treuer wir wirklich aufeinander gewartet haben. Als Du das vorletzte Mal mit Mutter hier warst und ich Dich nur eine Minute lang sah und Dich schon wieder verlor, da dachte ich, ich könne es nicht mehr aushalten, aber es waren fremde Menschen da und die Stunde unserer Erfüllung war noch nicht gekommen; ich mußte wieder warten und den kostbaren Schatz weiter verborgen halten und hüten. Meinst Du, das wäre leicht? denn wenn ich diesen Schatz mit etwas vergleichen soll, dann wäre das nicht Gold oder Perlen, sondern viel eher Dynamit oder Radium verstehst Du, daß man damit sehr vorsichtig umgehen muß, wenn man kein Unheil anrichten will? Wie völlig unmöglich ist es, Dir mit vorgeschrieben lauter Stimme und in ebenso vorgeschriebener gehöriger Entfernung von einander damit ja alles unter den Augen des Dritten bleibt!, Dir das zu sagen, was ich Dir nur zuflüstern könnte in ganz einsamen, wunderbar seltenen, vom Himmel geschenkten Augenblicken, daß ich Dich liebe wie Du bist, und weil Du so bist, jung, froh, stark, gut, stolz, daß ich Dich liebe als mein eigen, ganz und gar höre nicht diese Worte, Maria, höre nur, was sich dahinter nach Dir und nach unserer Zukunft sehnt, sieh' nicht die erstarrten Buchstaben, sondern sieh' hinter ihnen - ich bitte Dich - ein in vielen Stücken verkehrtes, selbstsüchtiges, ungeschicktes, schwaches Herz, das aber auf Erden nur noch Ruhe finden zu können glaubt, wenn sich Dein Herz ihm auftut. - -
Laß uns ganz frei miteinander reden, liebste Maria. Es fällt uns manchmal schwer, es zu glauben, daß wir einander wirklich von Herzen lieb haben. Wir kennen uns noch so wenig. Und doch, so oft der Zweifel mich anzufressen beginnen wollte, habe ich ihn vertrieben und verjagt. Wie könntest Du mich liebhaben nach allem Vergangenen? Und doch - es ist irgendwie wahr und wird in Zukunft immer wahrer werden! Es ist ein Keim, der wächst. Er liegt länger in der Erde und liegt tiefer und braucht mehr Zeit, ehe er sich entfaltet zu sichtbarer Schönheit, aber er wird umso stärker, umso dauerhafter sein. Wir dürfen voneinander, meine gute Maria, nicht mehr erwarten als uns gegeben ist. Wir dürfen nichts erzwingen wollen. Wie sollten wir uns, da wir doch noch so gut wie nie allein zusammen waren, - auch das ist eine Fügung, über die ich manchmal staunend nachdenke -, uns schon ganz verstehen, schon ganz im gleichen Rhythmus leben können? Wie sollten wir die kleinen Zeichen der Liebe, die wir uns unter den gegenwärtigen Umständen geben können, schon richtig aufnehmen und deuten können? Wollen wirklich ungeduldig werden, weil so vieles noch nicht ist, was wir uns ersehnen, und nicht viel lieber nur froh und wieder froh sein, weil so unendlich vieles so ist, daß wir die Güte Gottes mit Händen greifen können? Ich jedenfalls habe keinen Grund unzufrieden zu sein mit dem, was Gott mir in diesem harten Jahr gelassen und geschenkt hat. Ich weiß, daß ich nichts von alledem, was Du mir bist, verdient habe. Es ist alles viel viel größer als ich fassen kann, - wie dürfte ich um das hadern, was mir noch vorenthalten ist? -
Du weißt, liebe Maria, Mutter war gestern hier. Wir haben gut miteinander gesprochen und ich bin ihr unendlich dankbar. Und doch mußte ich diesen Brief an Dich schreiben, um über den ersten wirklich großen Kummer des letzten Jahres hinwegzukommen. Ich muß Dir das sagen, weil ich es Dir nicht verbergen darf. Bitte, meine liebe Maria, sei darüber nun nicht traurig; etwas Kummer gehört wohl zum Werden einer Ehe hinzu. Mutter sagte, Du wärest von den Stunden hier irgendwie nicht ganz befriedigt. Sie schlug mir, offenbar auf Großmutters Anregung, vor, Dir jedesmal eine kurze Bibelauslegung zu geben, also eine kleine Andacht zusammen zu halten. Sie meinte, Du solltest Fragen mitbringen, über die wir sprechen könnten - sieh mal, Maria, das alles geht so nicht und es wäre mir fremd und unnatürlich; wir dürfen aus der kurzen Zeit, die wir haben, nicht irgendetwas <machen> - nein, das geht nicht. Es ist ja garnicht so, daß ich irgendetwas ganz Besonderes, Großes, Wichtiges in dieser Stunde von Dir haben will, - wir wissen beide, was wir morgens und abends tun! - sondern ich will ganz einfach Dich, wie Du in Wirklichkeit und ohne Anstrengung und Bewußtheit bist, das ist viel <wichtiger> und <größer> als alles <Wichtige> und <Große>; denn es ist das wirkliche Leben, wie es aus der Hand Gottes quillt. Dabei ist gewiß das eine Zusammensein schöner als ein anderes, aber ist das Leben nicht selbst so und ist es nicht das Wichtigste, daß wir beieinander sind, wie wir nun einmal sind und wie wir später miteinander leben wollen?! Und weißt Du, geliebte Maria, wenn Dich die Verzagtheit und der Zweifel überkommt, dann schreib mir selbst! Wie soll ich selbst der Mutter sagen - es saß ein Mann dabei, der die Klatschhaftigkeit selbst ist! - was ich sogar Dir kaum zu sagen wage, weil zu einem großen Wort eine große Stunde gehört! Ich verstehe die Mutter so gut und ich bin so froh, daß Du sie in diesem Jahr gehabt hast, aber was ich Dir sagen will, kann und darf ich keinem anderen Menschen sagen. Das gehört Dir und mir und immer nur uns beiden. Verstehst Du das und meinst Du das ebenso? Großmutter hat mich nun einmal als <verschlossen> charakterisiert und ich fürchte, bei solchen Festlegungen bleibt es, wenn sie einmal ausgesprochen sind. Großmutter versteht dabei unter Verschlossenheit, daß ich auch mit nahstehenden Menschen nicht über alles spreche und sprechen will. So gibt es bei aller Liebe zu meinen Eltern, Geschwistern und bei der Nähe meiner Beziehung zur Großmutter jeweils bestimmte Dinge, über die ich mit diesem oder jenem nicht spreche, weil sie nicht zu der Art unserer Gemeinschaft hinzugehören. Großmutter mag das nicht; aber sie kann daran leider nichts ändern, weil ich es so für richtig und mir entsprechend halte. Ich glaube, daß die Menschen, die mich wirklich kennen, Klaus [Bonhoeffer], Christel [v. Dohnanyl], Eberhard [Bethge] - von den Eltern ganz abgesehen - mich nicht für verschlossen halten und ich bin gewiß, geliebte Maria, daß Du Dich einmal wundern wirst, wie wenig verschlossen ich bin, ja wie unendlich schwer es mir wird, etwas in mir zu verschließen; ja, wie sehne ich mich danach mit Dir zu teilen, was ich anderen verschließen muß. Die meisten Menschen halten mich für ruhig, zurückhaltend, ja fast abweisend; Du wirst mich anders kennen lernen. Großmutter meint offenbar, ich erwarte irgendwie mehr von Dir bei unserem Zusammensein; ich weiß nicht, was verkehrter wäre als dies und wundere mich nur, wie wenig mich Großmutter darin doch kennt. Als ob ich immerfort tiefsinnige, geistreiche Gespräche führen wollte! Gerade weil ich so genau weiß, daß wir im Fundamentalen schon eins sind, darum brauchen wir nicht immerfort von letzten Fragen zu sprechen, sondern können die Dinge des Lebens so wechselnd, wie sie nun einmal sind, an uns herankommen lassen und im Alltäglichen uns gegenseitig immer wieder finden. Die Stunden kommen noch, in denen wir von selbst auf das Fundamentale geführt werden. Aber nicht nur im Fundamentalen, sondern im Alltäglichen ist Gott. -
Liebste Maria, nun warst Du ein paar Stunden lang mir ganz nah und ich lege den Brief in den Umschlag und - das Warten beginnt wieder. Warte mit mir! Ich bitte Dich! Laß Dich umarmen, lang und innig, und küssen und Dich liebhaben und Dir den Kummer von der Stirn streichen. Der Gedanke, daß Du Kummer hast, wäre mein einziger Kummer. Der Gedanke, daß Du in Liebe mitwartest und Geduld hast, ist mein täglicher Trost. Alles wird schön und gut werden zu der Stunde, die Gott dafür ersehen hat. Freue Dich mit mir darauf, Maria!

Immer, immer Dein Dietrich

Bitte laß uns diesen Brief wegen seines ungewöhnlichen Weges weder schriftlich noch mündlich erwähnen! Aber schreib bitte sofort und laß mich irgendwie verstehen, daß Du mich verstanden hast und daß Du keinen Kummer empfindest, sondern mich mit allen meinen Fehlern und Verkehrtheiten in Deinem Herzen behältst und verzeih mir, wenn ich irgendetwas in diesem Brief falsch ausgedrückt habe. Sagen wollte ich nur eins, nämlich: es darf nichts zwischen uns stehen, kein Kummer, kein stiller Vorwurf, auch keine heimliche Selbstanklage, nichts Gewolltes und Gemachtes, garnichts, wirklich garnichts, sondern wir wollen uns einfach so nehmen wie wir sind und uns darin sehr, sehr lieb haben, und wachsen lassen, was wachsen will und die Stunden nehmen, wie sie kommen, Stunden des Entbehrens ebenso wie die ersehnte Stunde der Erfüllung wenn wir einander wirklich lieb haben, wird uns das gelingen und zwischen uns wird nichts sein als Liebe, nichts als Liebe, geliebte Maria! Gott behüte uns und führe uns und stärke uns!

Dein Dietrich

Beim nochmaligen Lesen kommt mir der Gedanke, es könnte so scheinen als fiele auch nur ein Schatten eines Vorwurfs auf das, was Mutter mir gesagt hat über Deinen gelegentlichen Kummer. Ich bin nur dankbar dafür, aber eines allerdings ist wahr, ich hätte es lieber von Dir selbst gehört einfach um Dir selbst gleich darauf antworten zu können und weil man über so etwas selbst mit einer so unendlich guten Mutter doch kaum sprechen kann; denn auch die Worte der Liebe gehören eben nur Dir, meine liebste, liebste Maria!
Und noch ein ganz offenes Wort: Du weißt, wie sehr ich die Großmutter verehre und an ihr hänge und ich glaube sie gut zu kennen; wir beide wissen, wie sehr ihr unsere Zukunft am Herzen liegt. Aber nach all den Nöten des vorvorigen Winters halte ich es nicht für gut, weder für uns, noch für Mutter, noch für Großmutter selbst, wenn Großmutter mit Problemen <belastet> wird, die gar keine sind, und vieles wird dadurch unnötig kompliziert, wie schon damals. Ich habe so stark das Gefühl, daß wir allein miteinander fertig werden und daß das auch das Richtige ist. Meinst Du nicht auch, daß das für uns beide und für später das Beste ist? Du hast es selbst schon ein paar Mal so gesagt und ich glaube, unser Empfinden ist darin eigentlich sehr ähnlich. Verstehst Du, daß ich das alles nur sage, weil ich Dich liebhabe und nicht um irgendeinen Menschen, der es nur gut mit uns meint, zu kränken. Ja, das verstehst Du ganz gewiß! Noch einmal, leb' wohl! Schreibe gleich ohne viel Überlegen, einfach was Dir das Herz eingibt und mache damit glücklich

Deinen Dietrich

(S. 150-154)
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Geliebteste Maria!
[Tegel] 16. 4. 44

Während schon ein erster Geburtstagsbrief an Dich unterwegs ist, kann ich es doch nicht unterlassen, Dir noch einmal zu schreiben und am liebsten schriebe ich Dir jeden Tag einen neuen Geburtstagsbrief. Du wirst 20 Jahre! Ich schäme mich ordentlich, daran zu denken, wie ahnungslos ich in diesem Alter noch war und damit zu vergleichen, wie Dein Leben demgegenüber schon durch wichtigste Erfahrungen und
Aufgaben erfüllt ist. Ich glaubte damals noch, das Leben bestünde in Gedanken und Büchern und schrieb mein erstes eigenes Buch und war, fürchte ich, recht stolz darauf. Aber welcher Mensch hat damals etwas von mir gehabt? Wem habe ich geholfen? Wen habe ich froh und glücklich gemacht? Was wußte ich in Wirklichkeit von den Dingen, über die ich schrieb? Und Du? Du schreibst glücklicherweise keine
Bücher, sondern tust, weißt, erfährst, erfüllst mit dem wirklichen Leben das, wovon ich nur geträumt habe. Erkennen, Wollen, Tun, Empfinden und Erleiden bricht bei Dir nicht auseinander, sondern ist ein großes Ganzes, und eines wird durch das andere gestärkt und vollendet. Du weißt das selbst nicht und das ist das Allerbeste und vielleicht sollte ich es auch garnicht sagen, - darum vergiß es und bleibe immer das, was Du bist, bleibe es für mich; denn das ist es, was ich brauche, was ich in Dir gefunden habe, was ich liebe - das Ganze, Ungeteilte, wonach ich Sehnsucht und Verlangen habe. Du bist so jung und Du wirst es immer bleiben - für mich. Wie anders könnte Dein Leben heute aussehen - manchmal packt mich dieser Gedanke, wie schwer ich es Dir mache, verzeih, Du hast wahrhaftig Besseres, unendlich viel Besseres verdient - aber dann richte ich mich an Deinen Briefen und an Deinem Hiersein auf und staune und staune, daß ich in Dir lauter Freude, Liebe, Geduld und Stärke finde - ich kann es zwar nicht begreifen, aber glauben kann ich es und mich daran festhalten und durch und durch froh und glücklich darüber werden, meine geliebte Maria! Du willst nicht, daß ich mir um Deinetwillen Vorwürfe mache, sondern daß ich Dich ganz einfach lieb habe und das will ich auch, garnichts anderes, so lieb, daß Du die Schmerzen, die ich Dir zufügen muß, garnicht spürst.
Weißt Du, wenn ich Dir das an Deinem Geburtstag ganz allein sagen könnte, aber noch muß ich es schreiben, wie lange noch? Gestern war ich seit Monaten zum erstenmal in der Stadt; man war sehr freundlich zu mir, aber zugleich wurde mir gesagt, daß ich noch eine ganze Weile Geduld haben müsse; vor Pfingsten sei eine Veränderung nicht zu erwarten. Ich fürchte, die ersten Sommermonate werden noch vergehen, ehe der ersehnte Tag da ist. Liebste Maria, ich wollte Dir das gleich schreiben, weil es mich natürlich sehr bewegt und weil Du es von mir und nicht von jemand anderem erfahren sollst. Es ist schwer begreiflich, daß das so sein muß, und es stellt unsere Zukunft in eine Ungewißheit, die nur durch unsere Liebe zueinander, durch unsere Treue und Geduld, und durch unsere Unterwerfung unter Gottes Willen und Führung überwunden werden kann, statt Unterwerfung hätte ich besser <Vertrauen> sagen sollen, aber es ist wohl kein Zufall, daß mir das andere Wort zuerst in die Feder kam, und es bleibt ja immer ein neuer schwerer Weg von der Unterwerfung zum Vertrauen. Als ich bei Max' Konfirmation über Markus 9,24 sprach, habe ich gesagt, es sei leicht <Herr> zu sagen, aber es komme darauf an, <lieber Herr> sagen zu können. Das muß ich nun selbst exerzieren und Du mit mir und ich mit Dir. Wir haben es beide, glaube ich, nicht gern, viel von den Dingen zu sprechen, die uns schwer werden, aber, nicht wahr, wenn sie uns einmal zu schwer zu werden drohen, dann wollen wir es uns immer sagen, ganz offen und voll Vertrauen, daß einer dem anderen dann nicht nur helfen will, sondern auch wirklich helfen kann. Wie macht Gott unsere Pläne immer wieder zunichte, aber doch nur um seine besseren Pläne mit uns durchzusetzen. Kannst Du das glauben? Laß es uns doch glauben, meine geliebte Maria. Nun mußt Du also nocheinmal Deinen Geburtstag mit etwas schwerem Herzen feiern, aber feiern mußt Du ihn trotzdem, das mußt Du mir versprechen. Freue Dich in diesen Frühlingstagen, so sehr Du kannst und laß mich immer dabei sein; ich möchte mich mit Dir freuen. - Würde Dir vielleicht die spanische Ampel, die auf dem Bücherbrett in meinem Zimmer stand, etwas Freude machen? Ich hatte sie immer gern und sie hat mich seit 15 Jahren in jedes Zimmer begleitet. Wie würde ich mich freuen, sie bei Dir zu wissen und zu finden. Sie gibt auch ein hübsches Licht. Laß sie dir bitte von mir zum Geburtstag schenken. Es ist zwar garnicht das, was ich Dir gern schenkte, aber sie ist doch ein Stück von meinem Leben und das kann nirgends besser aufgehoben sein als bei Dir. Nun leb wohl, meine liebe, geliebte Maria! Gott schenke uns einen frohen Tag, ein frohes Wiedersehen und vor allem ein frohes Herz!
Lass Dich innig umarmen und küssen und liebhaben von
Deinem Dietrich

(S. 167-170)
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Meine liebste Maria!
[Tegel] 23.  IV. 44

Seit heute nacht um 12 Uhr feiere ich mit Dir Deinen 20. Geburtstag. Ich wachte gerade auf, als die Anstaltsuhr Mitternacht schlug. Nun ist der Morgen da, an dem ich so gern bei Dir wäre. Welche Lieder mögen sie jetzt wohl vor Deiner Tür singen? Wirst Du sie trotz allem froh und glücklich anhören können? Ich wünsche es so sehr. Dann werdet Ihr die Losungen lesen, die auch vor mir jetzt aufgeschlagen liegen <beten> und <nachfolgen>, beides gehört zusammen, eins gibt es nicht ohne das andere, zuversichtlich beten und willig nachfolgen das ist ein voller Lebensinhalt. Die heimliche Frage nach der persönlichen Zukunft, mit der wir etwas abergläubisch manchmal an die Losungen herantreten, bleibt ganz und gar unbeantwortet. Das ist schwer, aber
gut. Dann können wir uns auf Gott verlassen wie schön ist doch dieses Wort <sich verlassen>, sich selbst lassen, um auf Gott gegründet zu sein und wenn wir Christus nachfolgen, dann kann ja auch unsere Zukunft nur gut sein. Geliebte Maria, das müssen wir heute mit Freuden glauben, nun ganz beieinander zu sein. -
Dein Besuch am Dienstag war schön, sehr schön, wie immer, wenn Du hier bist. Aber sag mir, warst Du über irgendetwas traurig? Oder habe ich mir das nur eingebildet, weil es mir selbst so schwer wurde, Dir zu sagen, daß wir nocheinmal von neuem warten müssen? Ich weiß es ja, daß es zu viel, viel zuviel ist, was ich Dir aufbürde; aber darf und kann ich dann auch nur einen Augenblick daran zweifeln, daß es Dir trotzdem nicht zuviel ist, daß Du mit mir wartest, nicht aus Mitleid, sondern einfach darum, weil wir wissen, daß wir zusammgenhören und daß dem einen nichts widerfahren kann, was der andere nicht teilt. Was heißt denn Zusammengehören anderes als Alles-miteinander-teilen? Maria, haben wir es nicht so gemeint? Bisher ist die Last ganz auf Dich gefallen, aber so ist sie doch unsere gemeinsame geworden, nicht wahr? Laß Dir heute an Deinem Geburtstag dafür von ganzem Herzen danken, daß Du das vergangene Jahr mit mir gegangen bist, daß Du alles mit mir geteilt hast, so gut das aus der Ferne möglich war. Laß Dich um Verzeihung bitten für alles, womit ich Dir die Last noch unnötig erschwert habe. Laß uns auf die Stunde hoffen, in der wir nicht nur in Gedanken, sondern in Wirklichkeit alles miteinander teilen werden. -
Auch dieser Brief geht noch einmal den ungewöhnlichen Weg, weil ich will, daß Du ihn rasch bekommst. Öfter wird das nicht möglich sein. Gestern erzählte mir Mama, daß sie Dir das Petrusbild geschickt hat. Das hat mich sehr gefreut. Ich selbst hätte es Dir nicht schicken können. Noch blühen einige Deiner Himmelschlüssel auf meinem Schreibtisch. Die Eltern möchten im Mai gern noch mal zu Euch kommen. Das freut mich sehr, wie ich auch sehr froh darüber bin, daß Du mit Eberhard [Bethge] gelegentlich Briefe wechselst; ich finde es auch wirklich sehr nett und freundschaftlich von ihm, daß er Dir zum 5. 4. schrieb. Bringe mir doch seine Briefe so wie möglich immer mit, auch Großmutter's Briefe freuen mich immer sehr. Du ahnst garnicht, wie lange nachher ich noch von solchen Eindrücken zehre. Der Verzicht auf Eberhard's und Großmutter's Briefe, an die ich so sehr gewöhnt war und die geradezu zu meinem täglichen Leben gehörten, fällt mir sehr schwer. Es ist wirklich ein ganz großer Unfug, daß man Großmutter deswegen Unruhe gemacht hat; das sind überflüssige Aufbauschungen, für die ich garnichts übrig habe. Wenn Du von Zeit zu Zeit an Eberh. schreibst, etwa nach den Besuchen, wird er und auch ich Dir sehr dankbar dafür sein. Übrigens wäre es mir doch sehr lieb, wenn die Bitte wegen des 12 tägigen Urlaubs auf einem Gut, positiv erledigt werden könnte. Der Mann ist natürlich ordentlich und besonders freundlich zu mir. Falls es in Bayern nicht geht, ist es vielleicht anderswo möglich? Er möchte zum Anfang Mai reisen und ist körperlich sehr herunter. Nun, Du geliebte Maria, laß Dich von Herzen umarmen und küssen und immer mehr liebhaben von
Deinem Dietrich

(S. 171-172)
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Meine geliebte Maria!
[Tegel, ohne Datum]

Das ist das erste Mal, daß ich in aller Ruhe nachmittags draußen in der Sonne sitze, ohne daß mich jemand behelligt. Es ist etwas so ungewöhnliches und vermutlich auch so seltenes, daß ich garnicht anders kann als diese Zeit ganz in Ruhe mit Dir zu verbringen. Ich habe Deine letzten Briefe mitgenommen, sie noch einmal gelesen und träume von freien Tagen mit Dir. Verzeih, hoffentlich kannst Du überhaupt lesen, was ich schreibe; jemand anders braucht es ja diesmal glücklicherweise nicht zu lesen! Ist das nicht herrlich, einmal so ganz ohne Zuschauer und Mithörer beisammen zu sein? -
Deine Briefe waren diesmal länger unterwegs als sonst. Dafür war es umso schöner als sie schließlich kamen. Was Du über die Osterwoche schreibst, hat mich sehr bewegt und beschäftigt. Es war gut, daß Du es mir alles geschrieben hast, auch das schlimme Wort von Stählin. Das hätte er nicht sagen dürfen und er wird es kaum verantworten wollen. Wo ist nun eigentlich der <Fanatismus>, für den wir so verlästert sind, bei ihm oder bei mir? Es tut mir sehr leid, daß er so von der christlichen Haltung abgeglitten ist; es muß auf großer Verbitterung gegen die Bekennende Kirche beruhen, woran die B. K. allerdings vielleicht selbst mit schuld ist, allerdings nur in ihren unreifen Vertretern. Nein, liebste Maria, zwischen Deinem Vater und mir brauchst Du nicht zu entscheiden, so liegen die Dinge nicht und so darf man sie nie und nimmer ins Persönliche ziehen! Ich glaube zuversichtlich, daß Vater und ich sich immer als christliche Brüder betrachtet hätten, auch wenn man in diesem oder jenem Punkt voneinander abgewichen wäre und vielleicht sogar Irrtümer beim anderen zu sehen gemeint hätte; wir wären gewiß beide ganz offen gewesen, beim anderen zu lernen und hätten einander in der Erkenntnis Christi und in der Liebe zu ihm nur helfen wollen. Und nun gar in dieser Zeit, in der es nicht um christliche <Meinungen>, sondern um die Entscheidung für oder gegen Christus überhaupt geht. Ich bin gewiß sehr für klare Entscheidungen, wo sie nötig sind, aber in dieser Zeit solcher notwendigen Entscheidungen darf man um Gottes Willen! die Menschen nicht noch in unechte, nicht notwendige Entscheidungen hineinzwingen! Ich bin froh, wenn die Osterwoche Dir im Glauben an Christus geholfen hat, und das würde ja zugleich bedeuten, daß Du Dich nicht menschlich beeinflussen oder durch Geschmacksfragen binden läßt. So gewiß man bestimmten Menschen den Glauben verdankt, so soll doch Jeder Christ mündig sein und sich nicht unter Menschen und ihren Ideen, sondern ganz allein unter Gott und sein Wort beugen. Alles Stilmäßige ist dem Glauben fremd. Mein Hauptbedenken gegen die Berneuchener geht dahin, daß sie den christlichen Glauben mit einem Stil belasten und so die Menschen nicht zu ihrer vollen Freiheit unter dem Wort Gottes kommen lassen. Verstehst Du das? Für die Botschaft von Christus, wie sie auch die Berneuchener teilen, bin ich ihnen nur dankbar, aber gegen alle Stilisierung wehre ich mich. Ich will nicht Christ und Berneuchener, sondern Christ und ein freier Mensch sein; und darin allerdings wünschte ich sehr, daß wir einig wären. Wenn Du in der Osterwoche nichts, garnichts als die Botschaft von Christus gehört hättest, würdest Du wahrscheinlich nicht in Unsicherheit und Probleme, sondern in die Gewißheit, Freude und Klarheit geführt worden sein. Ich behaupte gewiß nicht, daß ich Christus ohne menschliche Zutaten zu verkündigen vermöchte; aber ich bemühe mich darum und habe mich immer darum bemüht, die Menschen in die volle Freiheit unter dem Wort zu führen und sie nicht an mich zu binden, so schlecht das oft genug gelungen sein mag. Also, mach' Dir um die Osterwoche keine schweren Gedanken, sondern nimm davon, was Dich in die Freiheit unter Christus führt, alles andere laß liegen und tue es immer ebenso, wenn Du mich predigen hörst und sage es mir immer, wenn Du bei mir fremde Gesetze und Stimmen hörst. Wir wollen Christus gehorchen und gehören, sonst niemandem!
Du schriebst neulich, man habe so wenig davon, daß etwas Vergangenes schön und gut gewesen sei; wenn es einmal vorüber sei. Auch ich habe gerade im letzten Jahr, besonders im Anfang, oft mit diesen Gedanken gekämpft. Aber ich habe gefunden, daß es sehr gefährlich und falsch ist und daß man ihm keinen Raum geben darf. Wir dürfen unsere Vergangenheit nicht verlieren, sie gehört zu uns und soll ein Stück von uns bleiben, sonst geraten wir in Unzufriedenheit oder Schwermut. Wir müssen alles Vergangene immer wieder durch das Reinigungsbad der Dankbarkeit und der Reue gehen lassen; dann gewinnen und erhalten wir uns das Vergangene. Gewiß, es ist Vergangenheit, aber es ist meine Vergangenheit und als solche bleibt sie gegenwärtig durch tiefe, selbstlose Dankbarkeit für Gottes Gaben und durch Reue über unser verkehrtes Wesen, durch das wir die Gaben immer wieder verderben. So können wir ohne Selbstquälerei an das vergangene denken, ja aus ihm alle Kraft ziehen. Über allem Vergangenem steht Gottes Güte und Gottes Vergebung. -
Ich bin froh, daß Du in Bundorf bist und werde Dich nicht mehr mit meinen Gedanken beunruhigen. Aber, nicht wahr, Du verstehst doch, daß ich damals unter dem Eindruck von Mama's Gesamtzustand noch einmal auf die alte Idee zurückkam? Sie selbst würde es unter keinen Umständen zulassen, daß Du jetzt dort herausgerissen wirst. Es war auch mir nicht so klar, daß Du so gern dort bleibst. Wenn die Reisen zu mir für Dich mehr Beunruhigung und Qual als Befreiung und Freude sind - ich könnte es so gut verstehen! -, dann bitte ich Dich herzlich, laß sie für ein paar Wochen und sei gewiß, daß ich Dich auch aus der Ferne sehr lieb behalte. Ich möchte nichts, als was für Dich gut und richtig ist und müßte mir sonst selbst Vorwürfe machen. Wir müssen es doch ruhig und ohne Vorwurf gegen irgendeinen Menschen uns selbst immer wieder sagen, daß uns heute die Monate oder wenigstens Wochen des Zusammenseins von November 42 - April 43 fehlen. Das kann unsere Liebe zwar niemals beeinträchtigen, aber es macht sie wohl schwerer zu tragen, und gewiß für Dich noch viel mehr als für mich. Wir könnten eben doch schon ganz anders miteinander sprechen, wenn wir schon einmal allein zusammengewesen wären. Ich finde, es hat gar keinen Sinn, daß wir uns das verbergen, eben weil wir so gewiß sein dürfen, daß es mit unserer Liebe zueinander garnichts zu tun hat. Sie ist wunderbar genug entstanden und wird nun auch wunderbar erhalten. Und wenn Du es richtig findest, einmal längere Wochen nicht zu kommen, so wird mein Verlangen nach Dir zwar nur noch größer, aber zugleich ist mir beruhigend zu denken, daß wir ganz frei und offen zueinander sind und daß Deine Ruhe, die Du brauchst, nicht gestört wird. Ich weiß ja, daß ich Dir am allernächsten bin, wenn Du ganz in Ruhe bist und das ist ein großer Trost und nimmt mir alle Qual. Verstehst Du das wohl alles, meine geliebte, inniggeliebte Maria? -
Ein sehr lieber Brief der Mutter erfreute mich vor kurzem. Unter anderem schreibt sie von der Bitte, die sie mir leider nicht erfüllen könne (glücklicherweise nichts Spezielleres) und die ich durch Dich an sie gerichtet habe. Habe ich das denn getan? Schrieb ich nicht gerade, daß es mir am liebsten wäre, ganz fremde Leute dafür zu finden? Die Tatsache, daß es nicht gelang, ist zwar bedauerlich, aber nicht schlimm. Jemand anders hier hat dem wirklich ziemlich kranken Mann in der Nähe von Bamberg etwas verschafft und es ihm auch finanziell ermöglicht. So ist die Sache erledigt. Ich hätte ihm, da er viel Freundlichkeit gegen mich hat, nur gern etwas Freundliches erwiesen. Er war durchaus vernünftig als ich ihm sagte, daß es leider nicht ginge. Etwas amüsiert - verzeih; Du weißt, wie sehr ich gerade ihn und sein Haus liebe, - haben mich die <Bedenken> Deines Onkels H. J. [v. Kleist-Retzow], von denen Mutter auch schrieb. Wieviel <Bedenklichkeiten> hindern unsere Schicht immer wieder am Tun. Ich glaube, daß die Schwäche unserer Schicht imgrunde in ihren - gerechtfertigten und ungerechtfertigten - Bedenklichkeiten ihren Hauptgrund hat. Einfache Leute sind da anders, sie machen mehr Fehler, aber sie tun auch mehr Gutes, weil der Weg zum Tun nicht durch so viele Bedenklichkeiten hindurchgeht. Darüber müssen wir später viel sprechen. Hoffentlich verstehst Du richtig, was ich meine. -
Nun ist die schöne Zeit schon wieder herum und ich muß schließen. Ich gebe Dir einen innigen langen Kuß und umarme Dich und gehe wieder in meine Abgeschiedenheit zurück, voll Dankbarkeit für diese Stunde mit Dir, meine liebe, liebe Maria!
Von ganzem Herzen immer

Dein Dietrich

(S. 175-178)
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Meine liebste Maria!
[Tegel, ohne Datum]

Ein Gruß zu Pfingsten - zwar wirst Du mich besuchen und das ist mehr als 100 Briefe, aber wenn Du nach Bundorf kommst und wieder allein bist, muß ein Brief daliegen, damit Du Dich freust und damit ich mich freuen kann, wenn auch aus weiter Ferne. (Glücklicherweise geht es gerade wieder einmal so nebenher!) Was soll ich Dir und mir
wünschen? Es kommt mir nur selten über [die] Lippen, aber ich kann es nicht anders sagen: ich wünsche, daß dieses Pfingsten für uns beide ein gesegnetes sei. Segen - das heißt sichtbare, spürbare, wirksam werdende Nähe Gottes. Segen will weitergegeben sein, er geht auf andere Menschen über. Wer gesegnet ist, ist selbst ein Segen. Das wollen wir füreinander und für alle Menschen, die unserer Arbeit oder
unserer Fürbitte anvertraut sind, sein. Es gibt nichts größeres als daß ein Mensch ein Segen für andere ist, nicht wahr? Nicht nur eine Hilfe, ein Gefährte, ein Freund, sondern ein Segen. Das ist viel mehr. So soll es auch in unserer Ehe werden. Darum wollen wir bitten. So wollen wir Pfingsten feiern. -
Hab Dank für Deinen Brief über Lichtenstein. Wie schön muß es dort sein. Warum ist es so gefährlich, in die Wedemeyer'sche Familie hineinzuheiraten. Ist es etwa schwerer noch als in die Bonhoeffer'sche? Ich hab gar keine Angst davor, außer allerdings vor den von Dir in Aussicht gestellten mir um den Hals fallenden Tanten! Vielleicht kannst Du sie rechtzeitig warnen und die Eifersüchtige spielen, vielleicht schützt mich auch mein Beruf davor. Oder was meinst Du? Du fühlst Dich Deiner väterlichen Familie näher als der Kleist'schen? Das mußt Du mir mal erklären. Schreib mir mal über die Wedemeyer's. Ich kenne bisher nur Euch und Vater's Erinnerungen an den Großvater. Warum muß man davor Angst haben? Ist man schrecklich tugendhaft? oder antibürgerlich? oder kritisch? Weißt Du, eigentlich hätte/hatte ich vor all dem gar keine Angst und schließlich heirate ich ja glücklicherweise Dich und nicht alle Deine Tanten (obwohl mir die alte Tante mit den Handschuhen sicher sehr gut gefallen würde!). Großmutter schrieb sehr freundlich. Sie täuscht sich, wenn sie meint, sie dürfe mir nicht von Blumen, Musik usw. erzählen; ich freue mich doch so sehr darüber, auch von hier aus! Ich muß abbrechen. Der Brief muß fort!
Gott behüte Dich!

Immer Dein Dietrich

(S. 185-186)
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Meine geliebte Maria!
[Tegel] 29. V.  44

Zuerst möchte ich Dir einmal richtig danken, für alles danken, was in den vergangenen Tagen von Dir zu mir gekommen ist - da ist zunächst Dein Besuch! War er nicht - trotz all dem Blödsinn, den der uns gegenübersitzende Herr, der sich als großer Causeur so außerordentlich selbst gefiel, geschwatzt hat und auf den wir so vergnügt eingegangen sind - diesmal ganz besonders schön und befreiend? Wir haben
doch endlich auch einmal ein paar ruhige Worte über das Vergangene miteinander gesprochen und das war für mich jedenfalls sehr wichtig und gut. Also, Du hast damals im Nov./Dez. 42 darauf gewartet, daß ich doch kam? Konnte ich es, Maria, nachdem mein Brief an Dich als einzige Antwort die dringende Bitte der Mutter erhielt, nicht zu kommen? Konnte ich unter den damaligen persönlichen Verhältnissen der Mutter - und Dir! - zuwiderhandeln? Hätte ich es im Gedanken an Deinen Vater und an Max tun dürfen? Nein, es war nicht möglich! Daß Großmutter anders dachte, durfte damals für mich nicht bestimmend sein, nachdem sie mir schon den unmöglichen Vorschlag eines Besuches in Pätzig zur Trauerfeier für Max gemacht hatte und ich ihr nur mit Mühe widerstehen konnte, ohne sie zu kränken. Nein, es ging nicht anders und so mußte wohl alles so kommen, wie es nun ist. Ich beklage mich nicht. Ich frage mich nur, ob wir nicht alle mit größerer innerer menschlicher Freiheit hätten handeln können. Aber ich komme weit ab von dem, was ich wollte, nämlich Dir danken, daß Du wieder bei mir warst, und dann für den Brief! Ja, Maria, so sollten wir einander immer schreiben können; aber gerade wenn es so einmalig ist, trifft es besonders tief ins Herz. Wie ist es möglich, daß Du mich lieben kannst, Maria? Ich verstehe es nicht. Du sagst, was Deine Liebe ist und was sie nicht ist. Ich danke Dir dafür. Sieh mal, es kann ja und soll ja wohl auch jetzt garnicht anders sein als es ist. Wenn unsere Liebe nur eine große Qual der Entbehrung wäre, dann würden wir in unseren Käfigen wohl vor ungestillter Sehnsucht sterben. Es ist in unserer Liebe nicht nur Entbehrung und Verlangen, sondern es ist in ihr - wunderbarerweise - schon ein erster Anfang der Erfüllung und an ihn halte ich mich immer wieder und für ihn bin ich so dankbar, daß das, was schon ist, mir viel wichtiger ist als das, was noch nicht ist. Das andere kommt ebenso gewiß zu seiner Zeit, wie das erste gekommen ist und dann wird alles immer mehr Erfüllung werden. Gewiß ist die Sehnsucht, die wir nacheinander haben, groß, aber sie wird immer größer werden, je näher wir beieinander sind, und wir werden uns in der Erfüllung unseres Zusammenseins immer mehr nacheinander sehnen. Bleibt denn nicht Liebe immer, immer Sehnsucht, ja im Letzten nie ganz zu stillende Sehnsucht nacheinander? Was wäre eine Erfüllung, die uns die Sehnsucht nähme? Sie wäre das Ende der Liebe, nicht ihr Anfang, ihr Wesen, ihre Höhe. Aber, sieh mal, diese Sehnsucht nacheinander muß doch nicht immer Raserei, besinnungsloses Verlangen sein, sie muß doch nicht immer nur peinigen und quälen, sie braucht sich doch nicht immer an dem Noch-Nicht aufzureiben, sondern sie darf doch sein wie die Sehnsucht nach einem herrlichen Frühlingsmorgen, wenn ich den Himmel schon von den ersten Strahlen der Sonne gerötet sehe. Gewiß, es ist ein Warten, ein Verlangen, ein starkes Sehnen, aber ein frohes und ganz gewisses Warten und Sehnen. So, meine ich, ist unsere Liebe und wie gut, daß sie so ist.
Maria, höre mich an, ich will Dir etwas sagen. Ich bin viel älter als Du. Ich habe auch jenes besinnungslose, schwere, ungewisse Verlangen schon in meinem Leben kennengelernt. Es blieb unerfüllt. Ich habe schon einmal ein Mädchen sehr gern gehabt; sie wurde Theologin und wir gingen viele Jahre nebeneinander her; sie war kaum jünger als ich. Ich war 21, als das anfing. Wir wußten voneinander nicht, daß wir uns gern hatten. Über 8 Jahre gingen vorüber. Da erfuhren wir es durch einen Dritten, der glaubte, uns beiden helfen zu können. Wir haben dann darüber offen gesprochen. Aber es war zu spät. Wir hatten zu lange aneinander vorbeigelebt und uns mißverstanden. Wir konnten uns nie mehr ganz verstehen. Ich habe ihr das damals gesagt. Zwei Jahre später heiratete sie, da wich allmählich die Last, die auf mir lag. Wir haben uns nie wieder gesehen noch auch geschrieben. Ich spürte damals, daß, wenn ich je einmal heiraten sollte, es nur ein sehr viel jüngeres Mädchen sein könne; aber ich habe das damals und seither für unmöglich gehalten. Die Arbeit für die Kirche nahm mich in den folgenden Jahren völlig in Besitz und ich habe gemeint, ganz auf die Ehe verzichten zu müssen und zu sollen.
Verstehst Du, geliebte Maria, daß man nach solchen Erfahrungen anders wird, als man es Mit 21 Jahren war? Die Liebe ist nicht etwas an sich, sondern sie ist so wie die Menschen sind und geworden sind. Ich will nicht eine, irgendeine oder auch <die> Liebe, sondern ich will Deine Liebe, die so ist, wie Du bist, und auch Du findest bei mir nichts anderes als meine Liebe, aber sie findest Du ganz. Meine liebste Maria, das, was ich Dir geschrieben habe, darf Dir nicht weh tun oder tut es Dir doch so weh, so daß Du mich nicht begreifst? Du darfst ja ganz gewiß sein, daß es Vergangenheit ist, aber doch eben meine Vergangenheit, d. h. ein Stück meiner Lebensgeschichte. Ich wäre nicht der, der ich bin, ohne alles das, was ich erlebt und erfahren, was ich getan und worin ich geirrt und gefehlt habe. Man soll seine eigene Vergangenheit nie verachten. <O felix culpa!> sagten die Alten und ich sage es mit ihnen. Kannst Du mich auch so noch lieben? -
Soweit kam ich gestern. Alles was ich schrieb, sollte ein Dank sein an Dich. Was ich nicht mehr für möglich hielt, ist geschehen, Ja, es ist mir zugefallen. Ich darf noch einmal lieben und geliebt werden und ich darf zum ersten mal in solcher Liebe froh sein und auf Erfüllung hoffen. Maria, dafür danke ich Dir. -
Du schreibst, am 15 VII. sei Konfirmation, Du nanntest mir hier aber den 2.VII. Fährst Du dazu nach Haus? Werde ich Dich dann sehen? - Dein Pfingstpaket war wunderbar. Nur ein Pfingstbrief fehlte. Merkwürdig, ich bekam von niemandem einen, auch nicht von den Eltern oder von Eberhard. Vergeßt Ihr da draußen eigentlich diese großen Feiertage über dem Druck des Alltags? Diese Feiertage erfordern hier immer einen besonderen inneren Kraftaufwand; sie sind aber zugleich auch eine besondere Quelle der Kraft. - Der Kuchen, das Fleisch, der Eierkognak - alles war sehr schön. Allerdings ist der Ansturm immer so groß, daß diese Freuden sehr vergänglich sind. Zu viele Leute haben hier einfach Hunger und es ist für mich eine der größten Freuden, gelegentlich einmal helfen zu können. Das verstehst Du doch auch gut? - An den Herrn, den Du neulich kennenlerntest, schreibe bitte nicht oder doch nur in ganz besonderen Fällen. Er ist so sehr vergeßlich und etwas unordentlich. Er ist ein ganz netter Kerl, aber mehr auch nicht. Wenn Du mir auf diesen Brief besonders antworten willst Du brauchst es nicht, ich wollte nur, daß Du hörst, schreiben ist vielleicht zu schwer, dann tue es ruhig, aber es sollte nicht oft geschehen. Vielleicht kannst Du mir auch auf dem gewöhnlichen Weg zu verstehen geben, wie es nach dem, was ich Dir schrieb, um Dich und zwischen uns steht. Verzeih, wenn ich Dir weh getan habe; ich wollte es nicht. Laß Dir die Gedanken und die Unruhe von der Stirn streichen, laß Dich fest in die Arme schließen und Dich auf Deinen Mund küssen und liebhaben

von Deinem Dietrich

(S. 189-191)
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[Tegel, Anfang Juni 1944]

Vergangenheit

Du gingst, geliebtes Glück und schwer geliebter Schmerz,
wie nenn' ich dich? Not, Leben, Seligkeit.
Teil meiner selbst, mein Herz, - Vergangenheit?
Es fiel die Tür ins Schloß,
ich höre langsam Schritte sich entfernen und verhallen.
Was bleibt mir? Freude? Qual? Verlangen?
Ich weiß nur dies: du gingst und alles ist vergangen.

Spürst du, wie ich jetzt nach dir greife,
mich an dir festklammere, daß es dir wehtun muß?
Wie ich dir Wunden reiße, daß dein Blut quillt,
nur um deiner Nähe gewiß zu bleiben,
du leibliches, irdisches, volles Leben?
Ahnst du, daß ich jetzt ein Verlangen habe nach eigenen
Schmerzen,
daß ich mein eigenes Blut zu sehen begehre,
nur damit nicht alles versinke im Vergangenen.

Leben, was hast du mir angetan?
Warum kamst du? Warum vergingst du?
Vergangenheit, wenn du mich fliehst,
bleibst du nicht doch meine Vergangenheit, meine?

Wie die Sonne über dem Meer immer rascher sich senkt,
als zöge es sie in die Finsternis,
so sinkt und sinkt und sinkt
ohne Aufhalten
dein Bild ins Meer des Vergangenen
und ein paar Wellen begraben es.

Wie der Hauch des warmen Atems
sich in kühler Morgenluft auflöst,
so zerrinnt dein Bild,
daß ich dein Angesicht, deine Hände, deine Gestalt
nicht mehr weiß,
ein Lächeln, ein Blick, ein Gruß erscheint mir,
doch es zerfällt, löst sich auf,
ist ohne Trost, ohne Nähe,
ist zerstört, ist nur noch vergangen.

Ich möchte den Duft deines Wesens atmen
ihn einsaugen, in ihm bleiben
wie an einem heißen Sommertag
schwere Blüten die Bienen zu Gast laden
und sie berauschen,
wie Nachtschwärmer vom Liguster trunken werden,
aber ein rauher Windstoß zerstört Duft und Blüten
und ich stehe wie ein Narr
vor dem Entschwundenen, Vergangenen.

Mir ist als würden mit feurigen Zangen Stücke aus meinem
Fleisch gerissen,
wenn du, mein vergangenes Leben, davoneilst.
Trotz und Zorn befällt mich,
ich stelle wilde, unnütze Fragen.
Warum? warum? warum? sage ich immer.
Wenn meine Sinne dich nicht halten können,
vergehendes, vergangenes Leben,
so will ich denken und wieder denken,
bis ich finde, was ich verlor.
Aber ich spüre,
wie alles, was über mir, neben mir, unter mir ist,
rätselhaft und ungerührt über mich lächelt,
über mein hoffnungslosestes Mühn,
Wind zu haschen,
Vergangenes zurückzugewinnen.
Auge und Seele wird böse,
ich hasse, was ich sehe,
hasse, was mich bewegt,
hasse alles Lebendige und Schöne,
was nur Entgelt des Verlorenen sein will.
Mein Leben will ich, mein eigenes Leben fordr' ich
zurück,
meine Vergangenheit,
Dich!

Dich - eine Träne schießt mir ins Auge,
vielleicht, daß ich unter Schleiern der Tränen
dein ganzes Bild,
dich ganz,
wiedergewinne?
Aber ich will nicht weinen.
Tränen helfen nur Starken,
Schwache machen sie krank.

Müde erreich' ich den Abend,
willkommen ist mir das Lager,
das mir Vergessen verheißt,
wenn mir Besitzen versagt ist.
Nacht, lösche aus, was brennt,
schenk mir volles Vergessen,
sei mir wohltätig, Nacht, übe dein mildes Amt,
dir vertrau' ich mich an.
Aber die Nacht ist weise und mächtig,
weiser als ich und mächtiger als der Tag.
Was keine irdische Kraft vermag,
woran Gedanken und Sinne, Trotz und Tränen
verzagen müssen,
das schüttet die Nacht aus reicher Fülle über mich aus.
Unversehrt von feindseliger Zeit, rein frei und ganz,
bringt der Traum dich zu mir,
dich, Vergangenes, dich, mein Leben,
dich, den gestrigen Tag, die gestrige Stunde.

Über deiner Nähe erwach ich mitten in tiefer Nacht
und erschrecke -
bist du mir wieder verloren? such' ich dich ewig
vergeblich,
dich, meine Vergangenheit, meine?
Ich strecke die Hände aus
und bete - -
und ich erfahre das Neue:
Vergangenes kehrt dir zurück
als deines Lebens lebendigstes Stück
durch Dank und durch Reue.
Faß' im Vergangenen Gottes Vergebung und Güte
bete, daß Gott dich heute und morgen behüte.

Meine liebste Maria!

Dies ist für Dich, nur für Dich. Ich zögerte, es zu schicken, weil ich fürchtete, es könnte Dich erschrecken. Das darf es nicht und kann es wohl auch nicht, wenn Du spürst, was dahinter steht. Die letzten 6 Zellen sind die Hauptsache, um ihretwillen entstand das Ganze; an sie halte ich mich und Du auch!
Mehr kann ich heute nicht sagen. Es steht alles, was ich sagen könnte, in dem Gedichtversuch. Wenn es Dir nicht gefällt, zerreiß es, wirf es weg. Aber verbergen wollte ich es Dir nicht.

Dein Dietrich

(S. 192-195)
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Meine innigstgeliebte, gute Maria!
[Tegel] 27. VI. 44

Hab Dank für Deinen Brief! Er hat mich nicht traurig gemacht, garnicht, sondern froh, unendlich froh, weil ich weiß, daß wir so nicht zueinander sprechen würden, wenn wir uns nicht sehr lieb hätten, viel lieber als wir es beide heute noch wissen; und ist es nicht gut, daß wir es jetzt, da wir getrennt sind, noch garnicht ganz wissen, wie lieb wir uns haben und sind? Sieh mal, nichts von dem, was Du schreibst, hat mich
überrascht oder erschreckt. Ich hatte es mir alles ungefähr so gedacht. Wie sollte ich denn auch meinen, daß Du mich, nachdem wir uns kaum gesehen haben, überhaupt lieben kannst und wie mußte ich nicht über den kleinsten Funken glücklich und froh sein? Wäre es anders, so hätte es ja nur irgendein Phantasiebild, das garnicht ich bin, sein können, das Du liebst. Unsere Liebe sollte ja gerade erst anfangen, als wir getrennt wurden. Wie gut, daß wir uns in der Ferne nicht in irgendetwas hineingesteigert haben, sondern daß wir alles so hingenommen haben wie es war und wie es ist! Ich will Dir offen sagen, ich habe manchmal gefürchtet, Du könntest aus Mitleid ja gesagt haben. Nun weiß ich, daß es das nicht war, sondern daß es so war wie bei mir auch: wir wußten, daß wir zusammengehören, und wir wissen das heute noch und mehr denn je. Daß es nicht wilde Leidenschaft war und wurde, das liegt an dem Weg, den wir geführt worden sind. Aber dürfen wir darüber heute nicht sogar froh sein? Denn wieviel unerträglicher wäre heute unsere Trennung, zu all der Qual, die sie uns heute schon bereitet, noch hinzu! Wenn die Sonne uns bestrahlt und im Innersten erwärmt, wollen wir uns darüber beklagen, daß sie uns nicht verbrennt? Ich bin darin ganz ruhig und Du mußt es auch sein.
Du plagst Dich manchmal in Gedanken an mich? Ach liebste, liebste Maria, kann es Dir denn nicht genügen zu wissen, daß ich durch Dich froh und glücklich geworden bin, froher und glücklicher als ich noch je in meinem Leben zu werden hoffte. Kann es Dir, wenn Du an Deiner Liebe zu mir irre wirst, denn nicht genug sein, daß ich Dich so liebe, wie Du bist und daß ich nichts, garnichts von Dir will, kein Opfer, garnichts, als Dich selbst? Nur eins will ich nicht, daß Du unglücklich bist und wirst, weil Dir etwas fehlt, weil ich Dir nicht bin, was Du an mir suchst. Du glaubtest am Pfingstmontag, <nicht mehr weiter zu können>. Ja, sag mir, kannst Du denn ohne mich weiter? und wenn Du meinst es zu können, kannst Du es immer noch, wenn Du weißt, daß ich ohne Dich nicht weiter kann? Nein, das ist alles ganz unmöglich. Quäle Dich nicht, liebste Maria. Ich weiß, wie Dir zumute ist und es kann alles garnicht anders sein. Alles andere wäre nicht wahr, nicht echt. Aber so wie wir sind, so gehören wir doch zusammen und bleiben zusammen und ich lasse Dich nicht von mir, ich halte Dich ganz fest, daß Du weißt, daß wir zusammengehören und bleiben müssen. Sieh mal, wenn ich viel jünger wäre, dann würde ich Dich vielleicht ganz anders, aber doch lange nicht so sehr lieben wie ich es jetzt tue. Ich bin froh, daß ich nicht mehr so jung bin, aber ich weiß auch, daß das für Dich vielleicht schwer ist; aber ich kann es nicht anders denken als daß Du eines Tages spüren und wissen wirst, daß wir gerade, so wie wir sind, beieinander sein müssen.
Ich danke Dir ganz besonders für das, was Du mir über die Jahre schreibst, von denen ich Dir erzählt habe. Als ich solange nichts von Dir hörte, fürchtete ich, Du könntest darüber erschrocken sein, aber geglaubt habe ich es imgrunde doch nicht. Und in dem, was Du sagst, höre ich noch einmal dasselbe Ja, das Du mir am 13. Januar 1943 geschrieben, und dieses Ja ist es, an dem ich festhalte, und wenn ich einmal lange auf einen Brief warten muß, dann höre ich es immer und immer wieder und werde darüber beschämt und glücklich, dieses: Ja, Ja, Ja! -
Und nun willst Du also eine Zeitlang nicht reisen. Liebste Maria, wenn es Dich zu sehr anstrengt, ist es ganz selbstverständlich, daß das so richtig ist. Aber sieh mal, gibt es für uns eigentlich jetzt etwas Wichtigeres in unserem Leben als daß wir uns sehen und immer wieder sehen? Legen wir nicht vielleicht etwas gewaltsam zwischen uns, wenn wir freiwillig darauf verzichten? Ich glaube immer, daß wir jetzt nicht mehr allein und getrennt voneinander weiterkommen, sondern nur miteinander und ich weiß nicht recht, ob Du Dir und mir damit nicht etwas auferlegst, was mehr drückt und in Unruhe treibt, als daß es hilft und ruhig macht. Ruhig bin ich eigentlich nur, wenn Du neben mir sitzt. Geht es Dir anders? Ich habe etwas Angst vor Willkürlichkeiten. Mann und Frau gehören zueinander, so oft und so lang es nur möglich ist. Natürlich können die äußeren Verhältnisse, also jetzt die Reiseschwierigkeiten, das unmöglich machen; aber doch nur die äußeren Verhältnisse. Laß mich ganz offen sein. Wir wissen nicht, wie oft wir uns in unserem Leben überhaupt noch sehen; so sind nun einmal die Zeiten. Es ist mir ein sehr belastender Gedanke, daß wir uns später einmal Selbstvorwürfe machen müßten über etwas, was nicht mehr gut zu machen ist. Gewiß gibt es äußere Hindernisse absoluter Art, Krankheit, Reiseverbote. Aber sieh mal, innere Hindernisse, so stark sie im Augenblick auch zu sein scheinen, können einen später einmal nie von Selbstvorwürfen entlasten. So ist Frau Niemöller seit Jahren alle 14 Tage nach München zu ihrem Mann gefahren und so bist Du seither immer zu mir gekommen, wenn es nur irgend möglich war. Du sagst, Du müßtest abends von 8-10 Uhr immer mit Deiner Cousine zusammensitzen, Du entziehst Dich einer vernünftigen ärztlichen Untersuchung und Behandlung, Du schläfst wenig, hast Kopfschmerzen und schonst Dich nicht. Wäre es nicht richtiger, Du sagtest Deiner Cousine ganz klar, Du wolltest um 8 in Dein Zimmer gehen, Du würdest lang genug schlafen, Du würdest Dich an ärztliche Anweisungen halten und Du würdest auf diese Weise Deine Kräfte sammeln, um so lange es noch möglich ist, zu mir zu fahren? Ich kann es mir nicht anders denken, als daß Dich das freier und ruhiger machen würde als das bewußte Wegbleiben. Es scheint mir darin eine gewisse Selbstquälerei zu liegen und eine Überschätzung der Früchte, die das Alleinsein trägt. Du wirst nicht denken, daß ich das alles aus nacktem Egoismus heraus schreibe; es fällt mir im Gegenteil sehr schwer, Dir das zu sagen. Aber ich schreibe es um unser beider willen; ich möchte, daß alles Unnatürliche, Skrupulöse, Künstliche uns fern bleibt. Verlobte gehören zusammen und erst recht, wenn einer in der Lage ist, in der ich mich gegenwärtig befinde. Daß ich Dir damit Opfer, Entbehrungen, Mühen sondergleichen zumute, liebste Maria, wer weiß das besser als ich? Und was täte ich lieber als Dir dies alles zu ersparen! Wie gern würde ich auf die Freuden, die so ein Besuch in meine Einsamkeit bringt, verzichten. Aber ich habe das starke Gefühl, daß ich das um unser beider, um unserer künftigen Ehe willen nicht darf. Ich muß diese Opfer von Dir annehmen, - und kann sie Dir durch nichts vergelten, - um unserer Liebe zueinander willen. Daß Du nicht kommen darfst, wenn Du krank bist, wenn es Dich körperlich überanstrengt, das ist ja so ganz klar! Aber die seelischen Schwierigkeiten müssen wir gemeinsam überwinden! Die Fürsorglichkeit Deines Vetters ist gewiß sehr gut gemeint. Aber es wäre noch fürsorglicher, wenn er Deine Arbeit im Hause so gestaltete, daß sie Dein eigentliches Lebensziel, das doch in unserer Ehe bestehen soll, nicht behinderte. Außerdem muß er doch die Dinge sehen, wie sie wirklich sind; im April fährst Du zu Mutters Geburtstag, im Mai fährst Du zu mir und zu Doris [Fahle], diesmal fährst Du zur Konfirmation, immer sind es doch also mindestens auch andere Dinge, die Dich zur Reise veranlaßten. Warum solltest Du nicht auch einmal ganz einfach nur zu mir fahren? Liebste Maria, klingt Dir das alles schrecklich hart? Oder spürst Du hinter dem allen, daß es mir um unsere Ehe, allein darum, geht? Wir dürfen uns nicht uns selbst und unseren Gefühlen überlassen. Daran gehen wir zugrunde. -
Ich habe Dir ganz offen geschrieben, wie ich denke. Nichts von allem Vergangenen macht mir Kummer. Aber für die Zukunft sind nur wir beide verantwortlich und da muß alles klar, gerade und natürlich zugehen, nicht wahr? Und vor allen Dingen müssen wir unser ganzes Leben unter den einen Gesichtspunkt stellen, daß wir zusammengehören, und danach handeln. -
Es ist nicht leicht, daß wir dies alles brieflich miteinander reden müssen; aber es ist Gottes Wille. Die Zeit darf uns einfach nicht zu lang werden. Es gibt über Gottes Willen und unsere Unterwerfung unter ihn einfach keine Diskussion. Ich will gewiß nicht bemitleidet sein, so wenig wie Du es willst, aber ich will, daß Du mit mir wartest und geduldig bist, je länger es dauert, desto mehr. - Und nun sei nicht traurig. Sag mir, was Du denkst und handle, wie Du mußt. Sei aber immer gewiß, daß Dich sehr liebhat und liebbehält
Dein Dietrich

(S. 196-199)
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Meine liebste Maria!
[Tegel] 13. 8. 44

Es dauert jetzt immer lange, bis die Briefe von einem zum andern kommen. Das liegt wohl an den Luftangriffen, denen gerade Süddeutschland in den letzten Wochen so oft ausgesetzt war. So habe ich in fast 6 Wochen nur einen Brief von Dir bekommen, und leider teilten mir die Eltern bei der letzten Sprecherlaubnis dasselbe von Dir mit. Aber, weißt Du, unsere Briefe sind ja ohnehin nur ein so schwaches Zeichen unserer Zusammengehörigkeit, daß das Beste immer in Gedanken und Gebeten geschehen muß. Und das tut es auch, ob Briefe kommen oder ausbleiben, nicht wahr? Nun hast Du also Deine Arbeit in Berlin aufgenommen. Angestrengte Arbeit wird schon seit Jahrhunderten als die beste Medizin gegen Kummer und Sorgen gepriesen. Manche mögen das Wohltuende der Arbeit darin sehen, daß sie alles Persönliche betäubt. Ich glaube aber, die Hauptsache ist, daß rechte Arbeit selbstlos macht und daß der Mensch, dessen Herz voller Wünsche und Sorgen ist, nach solcher Selbstlosigkeit im Dienste anderer Menschen Verlangen hat. Und so wünsche ich Dir von Herzen, liebste Maria, daß Deine neue Arbeit Dir diese Wohltat erweist und daß Du gerade in den besonderen Schwierigkeiten auch eine besondere innere Befreiung empfindest. Allerdings glaube ich, daß bei Deiner natürlichen und ererbten Aktivität, um nicht zu sagen Arbeitswut, Dir nicht so leicht eine Aufgabe zu schwer werden wird. Du glaubst nicht, als was für eine Befreiung ich es empfinden würde, endlich einmal wieder nicht nur für mich allein, sondern für andere arbeiten zu können. Trotzdem bin ich täglich dankbar dafür, daß ich mich in meine Bücher versenken und dabei viel neues lernen kann, und daß ich mir immer wieder einige Gedanken und Zusammenhänge aufschreiben kann, die ich für meine Arbeit brauche. Mit viel Freude habe ich wieder die Gabriele v. Bülow Humboldt gelesen; sie war kurz nach ihrer Verlobung 3 Jahre lang von ihrem Bräutigam getrennt! Was für ein Maß von Geduld, von Stillehalten, was für einen großen, <Spannungsbogen> hatten die Menschen damals. Jeder Brief dauerte über 6 Wochen. Sie lernten es, was uns die Technik abgenommen hatte, einander täglich Gott zu befehlen und ihm zu vertrauen. Nun lernen auch wir es wieder und wir wollen dankbar dafür sein, so schwer es auch ist. -
Meine geliebte Maria, laß uns nie an dem irre werden, was uns widerfährt; es kommt alles aus guten, guten Händen. Am 22. werde ich sehr zu Dir hindenken. Vater ist bei Gott. Er ist uns nur ein paar Schritte voraus. Laß uns mit frohem Herzen an ihn und an Max denken, und darum bitten, daß Mutter immer so getröstet bleibt, wie sie es die vergangenen zwei Jahre war. Leb wohl, geliebte Maria, Gott behüte uns alle!
Von ganzem treuem Herzen immer

Dein Dietrich

(S. 201-202)
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Meine innigstgeliebte Maria!
[Tegel, August 1944]

Nun hast Du also ganz von Dir aus und ohne daß ich Dich noch einmal darum gebeten habe, den großen Entschluß gefaßt hierher zu kommen und bei den Eltern zu helfen. Ich weiß garnicht, wie ich Dir meine Freude darüber beschreiben soll. Als die Eltern es mir erzählten, wollte ich es erst garnicht glauben und noch heute verstehe ich nicht ganz, wie es überhaupt dazu kam und möglich wurde. Du hattest mir gerade geschrieben, daß Du nach Westfalen gehen solltest. Und auch Deine Mutter ist also mit Deinem Entschluß einverstanden? Ich hatte gerade schon angefangen, mich darauf einzustellen, daß Du wieder zum Roten Kreuz einberufen würdest und wir uns lange Zeit nicht wiedersehen würden. Nun ist das alles ganz anders geworden und ist mir ein sehr großes Geschenk. Zwar werde ich nun bei Alarmen mich um Dich sorgen müssen, aber dafür weiß ich Dich sonst täglich und stündlich in der Nähe. Wie gut ist das! Wie gut ist Dein Entschluß! Ich danke Dir sehr dafür!
Nun wirst Du also versuchen, Dich in das tägliche Leben bei den Eltern einzuleben. Ich denke, es wird Dir in mancher Hinsicht nicht ganz leicht werden. Beide haben Dich sehr gern, aber es ist nun einmal so, daß in unserer Familie solche Dinge fast ganz unausgesprochen bleiben während man sie bei Euch ausspricht. Es hat gewiß gar keinen Sinn, darüber zu streiten, was <richtiger> ist. Es sind verschiedene Menschen, die so handeln wie sie innerlich müssen. Aber ich kann mir denken, daß Dir das Viele bei uns Unausgesprochene - so auch besonders in religiöser Hinsicht - zunächst schwerfallen wird. Und doch würde ich sehr froh sein, wenn es Dir gelänge, Dich in das Wesen der Eltern so einzuleben wie ich mich durch Deine Großmutter in das Wesen Eurer Familie einzuleben versucht habe und dafür nun immer dankbarer geworden bin. Und dann eine sehr große Bitte: hilf der Mama über die allzuvielen Sorgen, die sie sich immer wieder macht, hinwegzukommen und sei darin bitte sehr geduldig, liebste Maria! Damit tust Du mir die allergrößte Wohltat. Vielleicht schickt Dich der liebe Gott gerade darum zu ihr, weil sie jetzt eine sehr gute Schwiegertochter braucht, und je mehr Du Mama kennenlernen wirst, desto mehr wirst Du spüren, daß sie eigentlich garnichts für sich selbst (vielleicht zu wenig!), sondern alles für die anderen will, tut und denkt. Laß uns Gott bitten, daß es Dir gelingt. Und dann - werde ich Dich bald wieder sehen!! Geliebteste Maria, wir müssen noch einmal alle Kraft zusammennehmen zur Geduld. Laß uns nicht kleinmütig werden! Gott hat es so gemacht, daß das Herz des Menschen stärker ist als alle irdischen Gewalten. Leb wohl, Du liebste Maria, hab Dank für alles, alles!
Es umarmt Dich und küßt Dich innig

Dein Dietrich

Sind meine anderen Briefe inzwischen angekommen? Es müssen 3 oder 4 unterwegs sein. Ob welche durch Alarme verloren gingen? Ich habe von Dir seit 6 Wochen auch nur einen einzigen!

(S. 202-203)
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[Tegel] 5. Oktober 1944

Jona

Sie schrieen vor dem Tod, und ihre Leiber krallten
sich an den nassen, sturmgepeitschten Tauen,
und ihre Blicke schauten voller Grauen
das Meer im Aufruhr jäh entfesselter Gewalten.

<Ihr ewigen, ihr guten, ihr erzürnten Götter,
helft oder gebt ein Zeichen, das uns künde
den, der euch kränkte mit geheimer Sünde,
den Mörder oder Eidvergess'nen oder Spötter,

der uns zum Unheil seine Missetat verbirgt
um seines Stolzes ärmlichen Gewinnes!>
So flehten sie. Und Jona sprach: <Ich bin es!
Ich sündigte vor Gott. Mein Leben ist verwirkt.

Tut mich von euch! Mein ist die Schuld. Gott zürnt mir sehr.
Der Fromme soll nicht mit dem Sünder enden!>
Sie zitterten. Doch dann mit starken Händen
verstießen sie den Schuldigen. Da stand das Meer.

Liebe Maria!
5. 10.

Ich danke Dir für alle Treue. Behaltet guten Mut und Zuversicht! Das ist für uns das Allerwichtigste. Ich bin unendlich stolz auf Dich und auf Euch alle! Die Losung heute ist doch schön! Grüße die Eltern und die Geschwister von Herzen.
Ich bin in Gedanken immer bei Euch. Es küßt Dich innig

Dein Dietrich

Das Gedicht tippe doch bitte ab und schicke es an Eberhard [Bethge]. Er weiß schon, von wem es ist, ohne daß man es sagt. Vielleicht ist es Dir etwas unverständlich. Oder doch nicht?

(S. 205-206)
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Meine liebste Maria
[Prinz-Albrecht-Straße] 19. 12. 44

Ich bin so froh, daß durch Dir zu Weihnachten schreiben kann, und durch Dich auch die Eltern und Geschwister grüßen und Euch danken kann. Es werden sehr stille Tage in unsern Häusern sein. Aber ich habe immer wieder die Erfahrung gemacht, je stiller es um mich herum geworden ist, desto deutlicher habe ich die Verbindung mit Euch gespürt. Es ist, als ob die Seele in der Einsamkeit Organe ausbildet, die wir im Alltag kaum kennen. So habe ich mich noch keinen Augenblick allein und verlassen gefühlt. Du, die Eltern, Ihr alle, die Freunde und Schüler im Feld, Ihr seid mir immer ganz gegenwärtig. Eure Gebete und guten Gedanken, Bibelworte, längst vergangene Gespräche, Musikstücke, Bücher bekommen Leben und Wirklichkeit wie nie zuvor. Es ist ein großes unsichtbares Reich, in dem man lebt und an dessen Realität man keinen Zweifel hat. Wenn es im alten Kinderlied von den Engeln heißt: <zweie die mich decken, zweie, die mich wecken>, so ist diese Bewahrung am Abend und am Morgen durch gute unsichtbare Mächte etwas, was wir Erwachsenen heute nicht weniger brauchen als die Kinder. Du darfst also nicht denken, ich sei unglücklich. Was heißt denn glücklich und unglücklich? Es hängt ja so wenig von den Umständen ab, sondern eigentlich nur von dem, was im Menschen vorgeht. Ich bin jeden Tag froh, daß ich Dich, Euch habe und das macht mich glücklich froh. -
Das Äußere ist hier kaum als in Tegel, der Tageslauf derselbe, das Mittagessen wesentlich besser, Frühstück und Abendbrot etwas knapper. Ich danke Euch für alles, was Ihr mir gebracht habt. Die Behandlung ist gut und korrekt. Es ist gut geheizt. Nur die Bewegung fehlt mir, so schaffe ich sie mir bei offenem Fenster in der Zelle mit Turnen und Gehen. Einige Bitten: ich würde gern von Wilhelm Raabe: <Abu Telfan> oder <Schüdderump> lesen. Könnt Ihr meine Unterhosen so konstruieren, daß sie nicht rutschen? Man hat hier keine Hosenträger. Ich bin froh, daß ich rauchen darf! Daß Ihr alles für mich denkt und tut, was Ihr könnt, dafür danke ich Euch; das zu wissen ist für mich das Wichtigste. -
Es sind nun fast 2 Jahre, daß wir aufeinander warten, liebste Maria. Werde nicht mutlos! Ich bin froh, daß Du bei den Eltern bist. Grüße Deine Mutter und das ganze Haus sehr von mir. Hier noch ein paar Verse, die mir in den letzten Abenden einfielen. Sie sind der Weihnachtsgruß für Dich und die Eltern und Geschwister:


1. Von guten Mächten treu und still umgeben
behütet und getröstet wunderbar, -
so will ich diese Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr;

2. noch will das alte unsre Herzen quälen
noch drückt uns böser Tage schwere Last,
Ach Herr, gib unsern aufgeschreckten Seelen
das Heil, für das Du uns geschaffen hast.

3. Und reichst Du uns den schweren Kelch, den bittern,
des Leids, gefüllt bis an den höchsten Rand,
so nehmen wir ihn dankbar ohne Zittern
aus Deiner guten und geliebten Hand.

4. Doch willst Du uns noch einmal Freude schenken
an dieser Welt und ihrer Sonne Glanz,
dann woll'n wir des Vergangenen gedenken,
und dann gehört Dir unser Leben ganz.

5. Laß warm und hell die Kerzen heute flammen
daß Du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen!
Wir wissen es, Dein Licht scheint in der Nacht.

6. Wenn sich die Stille nun tief um uns breitet
so laß uns hören jenen vollen Klang
der Welt, die unsichtbar sich um uns weitet,
all Deiner Kinder hohen Lobgesang.

7. Von guten Mächten wunderbar geborgen
erwarten wir getrost, was kommen mag.
Gott ist bei uns am Abend und am Morgen,
und ganz gewiß an jedem neuen Tag.


Sei mit Eltern und Geschwistern in großer Liebe und Dankbarkeit gegrüßt.
Es umarmt Dich
Dein Dietrich

(S. 208-210)
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Aus: Brautbriefe Zelle 92
Dietrich Bonhoeffer Maria von Wedemeyer 1943-1945
Herausgegeben von Ruth-Alice von Bismarck und
Ulrich Kabitz
Mit einem Nachwort von Eberhard Bethge
Verlag C. H. Beck München 1992


 

 



 

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