Sören Kierkegaard (1813-1855) - Gebete
 


Wassily Kandinsky (1866-1944) - Fragile (1931)
 




Sören Kierkegaard (1813-1855) - Gebete

 

Vater im Himmel! wende nicht länger Dein Antlitz von mir, laß es aufs neue leuchten für mich, so daß ich Deine Wege gehe und nicht mehr und mehr mich verirre weit weg von Dir, wo Deine Stimme mich nicht mehr erreichen könnte. Oh, laß Deine Stimme ertönen für mich, gehört werden von mir, wenn sie auch schreckend mich einholen muß auf meinen irren Wegen, wo ich als krank und beschmutzt im Geist abseits lebe und einsam, fern der Gemeinschaft mit Dir und der Gemeinschaft mit Menschen. Du Herr Jesus Christus, Du, der in die Welt kam, um den Verlorenen zu retten, Du, der die neunundneunzig Schafe ließ, um das eine verirrte zu suchen, suche mich auf den Abwegen meiner Verirrungen, wo ich mich verberge vor Dir und vor Menschen, Du, der gute Hirte, laß mich Deine Stimme hören, laß mich sie erkennen, laß mich ihr folgen! Du Heiliger Geist, tritt Du auch vor mich mit unaussprechlichem Seufzer, bete für mich wie Abraham für das verderbte Sodom, wenn da bloß ein reiner Gedanke, ein besseres Gefühl in mir ist, daß doch die Zeit der Prüfung verlängert werden möge für den unfruchtbaren Baum, Du würdiger Heiliger Geist, Du, der Du die Ausgestorbenen wiedergebierst und den Alten verjüngst, erneuere Du auch mich und schaff in mir ein neues Herz, Du, der mit Mutterfürsorge alles umfriedet, in dem noch ein Funken von Leben ist. Oh, bewahre Du auch mich fester geknüpft an Ihn, meinen Heiland und Erlöser, daß ich geheilt nicht vergessen möge wie jene neun Aussätzigen, umzukehren, wie der eine Aussätzige zurück zu Ihm, der mir das Leben gegeben hat, in dem allein Seligkeit zu finden ist, ja heilige Du mein Tun und mein Denken, so daß erkannt werden möge, daß ich Sein Leibeigener bin jetzt und in alle Ewigkeit.

Aus: Sören Kierkegaard Die Tagebücher 1834-1855
Ausgewählt und übertragen von Theodor Haecker [1879-1945]
Hegner Bücherei Im Kösel Verlag zu München 1949 (S. 116-117)
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Vater im Himmel! Auf vielerlei Weise redest Du zu einem Menschen: Du, dem Weisheit und Verstand allein gehören, Du willst Dich ihm doch verständlich machen. Ach, und auch wenn Du schweigst, so redest Du ja doch mit ihm; denn auch der redet, der schweigt, um den Lernenden zu überhören; auch der redet, der schweigt, um den Geliebten zu prüfen; auch der redet, der schweigt, auf das die Stunde des Verstehens desto innerlicher sei, wenn sie kommt. Vater im Himmel, ist es nicht also? Oh die Zeit des Schweigens, wann ein Mensch einsam steht und verlassen, da er Deine Stimme nicht hört, da ist es ihm, als sollte die Trennung für immer sein; oh, die Zeit des Schweigens, wenn ein Mensch verschmachtet in der Wüste, da er Deine Stimme nicht hört, da ist es ihm, als wäre sie ganz entschwunden!
Vater im Himmel, es ist ja doch nur des Schweigens Augenblick in der Innerlichkeit des Zusammenredens. So laß es gesegnet sein, auch dieses Schweigen, wie jedes Deiner Worte zu einem Menschen, laß ihn nie vergessen, daß Du auch dann redest, wann Du schweigst; schenke ihm diesen Trost, wenn er auf Dich baut, daß Du aus Liebe schweigst, wie Du aus Liebe redest, so daß nun, ob Du schweigest oder redest, Du doch derselbe Vater bist, dieselbe Väterlichkeit, ob du durch Deine Stimme leitest oder durch Deine Schweigen erziehest.

Aus: Sören Kierkegaard Die Tagebücher 1834-1855
Ausgewählt und übertragen von Theodor Haecker [1879-1945]
Hegner Bücherei Im Kösel Verlag zu München 1949 (S. 210)
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Herr Jesus Christus! Ein ganzes Leben hieltest Du aus und littest, um auch mich zu erlösen: ach, und doch ist die Zeit Deines Leidens nicht vorbei; aber auch dieses Leiden wirst Du lösend und erlösend aushalten, dieses Geduldsleiden, es mit mir zu tun zu haben, der ich so oft abweiche vom rechten Weg, oder wenn ich doch auf dem rechten Weg blieb, doch so oft strauchelte auf dem rechten Weg, oder doch so langsam ging, so kriechend nur auf dem rechten Weg. Unendliche Geduld, unendliches Leiden der Geduld! Wie viele Male wurde ich ungeduldig, wollte verzagen, wollte alles aufgeben, wollte den furchtbar leichten Ausweg nehmen: der Verzweiflung; aber Du verlorest nicht die Geduld. Ach, nicht paßt auf mich, was Dein auserwählter Diener sagt: daß er Deine Leiden vollendete. Nein, auf mich paßt nur, daß ich Deine Leiden vermehrte, neue hinzufügte zu denen, die Du einmal littest, um auch mich zu erlösen.

Aus: Sören Kierkegaard Die Tagebücher 1834-1855
Ausgewählt und übertragen von Theodor Haecker [1879-1945]
Hegner Bücherei Im Kösel Verlag zu München 1949 (S. 398)
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Vater im Himmel! Was ist doch ein Mensch ohne dich! Wie ist alles, was er weiß, wäre es auch die Menge der Mannigfaltigkeit, nur ein Bruchstück, wenn er dich nicht kennt; wie ist all sein Streben, wäre es auch weltumspannend, nur eine halbfertige Arbeit, wenn er dich nicht kennt, dich, den Einen, der Eines ist und Alles! So gib du dem Verstande Weisheit, das Eine zu fassen, dem Herzen Aufrichtigkeit, das Verstandene anzunehmen, dem Willen Reinheit, nur Eines zu wollen; gib du in guten Tagen Beharrlichkeit, nur Eines zu wollen; in Zerstreuungen Sammlung, nur Eines zu wollen, in Leiden Geduld, nur Eines zu wollen. O du, der du beides gibst, das Anfangen und das Vollenden, gib zeitig, wenn der Tag graut, dem Jüngling den Entschluß, nur Eines zu wollen; wenn der Tag sich neigt, gib du dem Greise ein erneutes Gedenken an den ersten Entschluß, daß das Letzte wie das Erste und das Erste wie das Letzte sein möge, das Leben dessen, der nur Eines wollte. Ach, aber es ist ja nicht so; es kam ja etwas dazwischen, die Sünde hat sich trennend dazwischen gelegt, tagtäglich kommt etwas dazwischen: die Verzögerung, der Stillstand, die Unterbrechung, die Verirrung, das Verderben. So gib du in der Reue Freimütigkeit, wieder Eines zu wollen. Wohl ist es eine Unterbrechung des Tagewerkes, wohl ist es ein Stillstand der Arbeit, als wäre es ein Ruhetag, wenn der Reuige und nur in der Reue mühselig Arbeitende in der Erkenntnis der Sünde zur Ruhe kommt, in der Selbstanklage vor dir allein ist; ach, es ist ja aber eine Unterbrechung, die zu ihrem Anfang zurücksucht, daß sie wieder das Getrennte zusammenbinden möge, daß sie in ihrer Sorge das Versäumte nachholen möge, daß sie in ihrer Bekümmernis das Voranliegende vollbringen möge. O, du, der du sowohl das Anfangen wie das Vollbringen gibst, gib du den Sieg am Tage der Not, damit was dem brennenden Wunsche, dem entschlossenen Vorsatze nicht gelang, dem in der Reue Betrübten doch gelingen möge: nur Eines zu wollen.

Aus: Sören Kierkegaard Die Reinheit des Herzens
Aus dem Dänischen übersetzt von Lina Geismar [1876-1942]
Christian Kaiser Verlag München 1924 (S. 11-12)
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Wie sollte man von der Liebe recht reden können, wenn man dich vergäße, du Gott der Liebe, von dem alle Liebe ist im Himmel und auf Erden! dich, der nicht kargte, sondern alles in Liebe hingab; dich, der die Liebe ist, so daß der Liebende was er ist nur dadurch ist daß er in dir ist! Wie sollte man recht von der Liebe reden können, wenn man dich vergäße; dich, der offenbarte was Liebe ist; dich, unsern Heiland und Versöhner, der sich selbst hingab um alle zu erlösen! Wie sollte man recht von der Liebe reden können, wenn man dich vergäße, du Geist der Liebe; dich, der nichts von seinem Eigenen nimmt sondern an jenes Opfer der Liebe erinnert, der den Glaubenden erinnert zu lieben wie er geliebt ist und seinen Nächsten als sich selbst! Ewige Liebe, die du überall gegenwärtig bist und dich nie unbezeugt lässest wo du angerufen wirst, laß dich auch jetzt nicht unbezeugt bei allem was hier von der Liebe oder dem Walten der Liebe gesagt werden soll! Denn wohl sind es nur etliche Werke, welche die menschliche Sprache auszeichnet und kleinlich Liebeswerke nennt; im Himmel aber ist es ja so, daß dort kein Tun angenehm ist es sei denn ein Werk der Liebe: aufrichtig in Selbstverleugnung, im Drang der Liebe getan, und ebendaher ohne Anspruch auf ein Verdienst!

Aus: Sören Kierkegaard Leben und Walten der Liebe
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1924
Übersetzt von Albert Dorner [1842-1926] und
Christoph Schrempf [1860-1944] (S. 3)

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Vater im Himmel! Was ist der Mensch, daß du seiner gedenkest, und des Menschen Kind, daß du dich seiner annimmst - und auf alle Weise, in jeder Hinsicht! Wahrlich, in nichts ließest du dich unbezeuget; und zuletzt gabst du ihm dein Wort. Mehr konntest du nicht tun; ihn zwingen, daß er es benutze, es lese oder höre, ihn zwingen, daß er danach tue: das konntest du nicht wollen. Und doch tust du noch mehr. Denn du bist nicht wie ein Mensch; der tut selten etwas um nichts, und tut er es um nichts, so will er wenigstens keine Mühe davon haben. Du hingegen, o Gott, du gibst dein Wort als eine Gabe, das tust du, unendlich Erhabener, - und wir Menschen haben dir nichts dafür zu geben. Und findest du dann bloß einige Willigkeit bei dem Einzelnen, so bist du sofort zur Stelle und sitzest erst mit mehr als menschlicher, ja mit göttlicher Geduld bei dem Einzelnen und buchstabierst mit ihm, um ihm zum rechten Verständnis des Wortes zu verhelfen; und dann nimmst du ihn ferner mit mehr als menschlicher, ja mit göttlicher Geduld gleichsam bei der Hand und hilfst ihm, wenn er darnach tun will - du, unser Vater im Himmel!

Aus: Sören Kierkegaard Zur Selbstprüfung der Gegenwart anbefohlen
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1922
Übersetzt von Albert Dorner [1842-1926] und
Christoph Schrempf [1860-1944] (S. 7)

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Vater im Himmel! Du bist Geist, und wer dich anbeten will, soll dich im Geist und in der Wahrheit anbeten; - wie aber im Geist und in der Wahrheit, wenn wir nicht nüchtern sind oder doch vor allem nüchtern werden wollen? So sende denn deinen Geist in unsre Herzen; er wird so oft angerufen, daß er komme und Mut und Leben, Kraft und Stärke bringe; ja, sende uns deinen Geist, damit er uns vor allem nüchtern mache, damit dann auch das übrige uns zu teil und zum Segen werden könne!

Aus: Sören Kierkegaard Leben und Walten der Liebe
Verlegt bei Eugen Diederichs in Jena 1924
Übersetzt von Albert Dorner [1842-1926] und
Christoph Schrempf [1860-1944] (S. 77)

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Wieder ist ein Jahr vergangen, himmlischer Vater! Wir danken Dir dafür, daß es zur Zeit der Gnade gelegt ward, und erschrecken nicht darüber, daß es auch zur Zeit der Rechenschaft gelegt werden soll; denn wir vertrösten uns auf Deine Barmherzigkeit. Das neue Jahr steht vor uns mit seinen Forderungen; und gehen wir auch gebeugt und bekümmert hinein, weil wir vor uns nicht verheimlichen können und wollen den Gedanken an der Augen Lust, die betörte; an die Süße der Rache, die verführte; an den Zorn, der uns unversöhnlich machte; an das kalte Herz, das weit von Dir wegfloh; - so gehen wir doch auch nicht ganz mit leeren Händen hinein; denn wir wollen auch sie mit uns nehmen: die Erinnerungen an die bangen Zweifel, die beruhigt wurden; an den niederdrückenden Sinn, der erhoben wurde; an die frohe Hoffnung, die nicht beschämt wurde. Ja, wenn wir in sorgenvollen Augenblicken unsern Sinn stärken und aufrichten wollen durch den Gedanken an die großen Männer, Deine erwählten Werkzeuge, die in schweren Anfechtungen, in der Angst des Herzens den Sinn frei behielten, den Mut ungeschwächt, den Himmel offen, so wollen wir auch dazu unser Zeugnis legen in der Überzeugung, daß, wenn auch unser Mut im Vergleich mit dem Jener nur Mißmut ist, unsere Macht nur Ohnmacht, Du doch derselbe bist, derselbe gewaltige Gott, der die Geister prüft im Streit, derselbe Vater, ohne dessen Wille nicht ein Sperling zur Erde fällt. Amen.

Aus: Sören Kierkegaard Religiöse Reden
Ins Deutsche übertragen von Theodor Haecker [1879-1945]
Verlag Hermann A. Wiechmann München 1922 (S. 33-34)
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Vater im Himmel! Du hältst alle guten Gaben in Deiner Hand. Dein Überfluß ist reicher, als daß menschlicher Verstand ihn fasse, Du bist willig zu geben, und Deine Güte ist größer, als daß eines Menschen Herz sie verstehe; denn Du erfüllst jede Bitte und gibst, um was wir bitten, oder gibst noch Besseres, als was wir bitten. So gib Du denn jedem seinen zugewiesenen Teil, wie es Dir wohlgefällt; aber gib Du auch jedem die Überzeugung, daß alles von Dir kommt, damit nicht die Freude uns von Dir reiße in der Vergessenheit der Lust, damit nicht das Leid die Scheidewand setze zwischen Dich und uns; sondern daß wir in der Freude hinsuchen zu Dir und im Leide bei Dir bleiben, damit, wann unsere Tage gezählt sind, und der äußere Mensch verdorben ist, der Tod nicht kalt und furchtbar in seinem eigenen Namen komme, sondern mild und freundlich mit Gruß und Botschaft, mit Zeugnis von Dir, unserem Vater, der Du im Himmel bist! Amen!

Aus: Sören Kierkegaard Religiöse Reden
Ins Deutsche übertragen von Theodor Haecker [1879-1945]
Verlag Hermann A. Wiechmann München 1922 (S. 68)
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Vater im Himmel! Wohl wissen wir, daß das Suchen allzeit seine Verheißung hat, wie also nicht Dich zu suchen, Du aller Verheißungen und aller guten Gaben Geber! Wohl wissen wir, daß der Suchende nicht allzeit hinauszuwandern braucht in die Welt, denn je heiliger das ist, was er sucht, um so näher ist es ihm, und wenn er nun Dich sucht, o Gott, Du bist ihm ja am allernächsten! Aber wir wissen auch, daß das Suchen immer seine Mühe hat und seine Anfechtung, wie also nicht ein Schrecken, Dich zu suchen, Du Gewaltiger! Wagt sogar der, welcher in Gedanken sich vertröstet auf seine Verwandtschaft, wagt sogar der sich mit dem Gedanken nicht ohne Schrecken in jene Entscheidungen hinaus, wo er durch Zweifel hindurch Deine Spur sucht in des Daseins weiser Ordnung, wo er durch Verzweiflung hindurch Deine Spur sucht in der erregten Ereignisse Gehorsam unter deine Vorsehung; sucht er, den Du Deinen Freund nanntest, der vor Deinem Antlitz wandert, sucht doch auch der nicht ohne Beben der Freundschaft Begegnung mit Dir, Du einziger Gewaltiger; wagt der Betende, der aus ganzem Herzen liebt, wagt doch auch der sich nicht ohne Angst in des Gebets Streit mit seinem Gott; läßt selbst der Sterbende, für den Du ja das Leben umtauschest, läßt doch auch der nicht ohne Schaudern vom Zeitlichen, wenn Du rufest; flieht selbst der Elende, dem die Welt eitel Leiden bringt, flieht doch auch der nicht ohne Schrecken hin zu Dir, Du, der Du nicht ein wenig nur linderst, sondern der Du Alles bist: wie darf da der Sünder Dich suchen, gerechter Gott! Aber deshalb sucht er Dich auch nicht wie jene, sondern er sucht Dich in der Sünden Bekenntnis.

Aus: Sören Kierkegaard Religiöse Reden
Ins Deutsche übertragen von Theodor Haecker [1879-1945]
Verlag Hermann A. Wiechmann München 1922 (S. 126)
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Du Unveränderlicher, den nichts verändert, Du in Liebe unveränderlicher, der Du gerade zu unserm Besten Dich nicht verändern läßt: daß auch wir unser Wohl suchten, durch Deine Unveränderlichkeit uns erziehen ließen, in unbedingtem Gehorsam Ruhe zu finden und zu ruhen in Deiner Unveränderlichkeit. Du bist nicht wie ein Mensch, der nicht viel haben darf was ihn bewegt, und sich nicht darf zu sehr bewegen lassen, wenn er nur etwas Unveränderlichkeit bewahren will. Dich bewegt und in unendlicher Liebe Alles; selbst was wir Menschen unbedeutend nennen, woran wir unbewegt vorübergehen: des Vogels Mangel bewegt Dich; was wir oft kaum beachten, ein menschlicher Seufzer bewegt Dich, unendliche Liebe: aber nichts verändert Dich, Du Unveränderlicher! Der Du in unendlicher Liebe Dich bewegen lässest, laß Dich auch unsere Bitte bewegen, daß Du sie segnest, und das Gebet uns verändere in Übereinstimmung mit Deinem unveränderlichen Willen.

Aus: Zwölf Reden von Sören Kierkegaard
Zusammengestellt von A. [Albert] Bärthold
Zweite, umgeänderte Auflage
Halle Verlag von Julius Fricke 1886 (S. 44)
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Herr Jesus Christus, der Du uns zuerst geliebt hast, der Du bis ans Ende die liebtest, welche Du von Anfang geliebt hattest, der Du bis ans Ende der Tage fortfährst jeden zu lieben, der Dir angehören will: Deine Treue kann sich nicht selbst verleugnen - ach, nur wenn ein Mensch Dich verleugnet, kann er Dich, Du Liebreicher, gleichsam zwingen, auch ihn zu verleugnen. So sei denn dies unser Trost, wenn wir eingestehen müssen, was wir verbrochen haben und was wir unterlassen haben, unsere Schwachheit in Versuchungen, unsern langsamen Fortschritt im Guten, das ist, unsere Untreue gegen Dich, dem wir einmal in der frühen Jugend und dann wiederholt Treue gelobten: das sei unser Trost, daß wenn wir auch untreu sind, Du doch treu bleibst; Du kannst Dich selbst nicht verleugnen.

Aus: Zwölf Reden von Sören Kierkegaard
Zusammengestellt von A. [Albert] Bärthold
Zweite, umgeänderte Auflage
Halle Verlag von Julius Fricke 1886 (S. 186)
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Groß bist Du, o Gott; obschon wir Dich nur kennen wie in dunkler Rede und wie in einem Spiegel, wir beten doch staunend Deine Größe an - wie viel mehr werden wir sie einstmals preisen, wenn wir sie vollkommener lernen! Wenn ich unter der Wölbung des Himmels stehe, umgeben von den Wundern der Schöpfung, da preise ich bewegt und anbetend Deine Größe, Dich, der Du so leicht die Sterne in dem Endlosen trägst und väterlich um den Sperling Dich bekümmerst. Aber wenn wir hier in Deinem heiligen Hause versammelt sind, da sind wir ja auch überall umgeben von dem, was in noch tieferem Sinn an Deine Größe erinnert. Denn groß bist Du, Schöpfer und Erhalter der Welt; aber da Du, o Gott, die Sünde der Welt vergabst, und Dich mit dem gefallenen Geschlecht versöhntest, ach, da warst Du ja doch noch größer in Deiner unbegreiflichen Erbarmung. Wie sollten wir da nicht gläubig danken und Dich preisen und anbeten hier in Deinem heiligen Hause, wo uns alles daran erinnert, besonders die, welche heute versammelt sind um Vergebung der Sünden zu empfangen und um sich aufs neue anzueignen die Versöhnung mit Dir in Christo!

Aus: Zwölf Reden von Sören Kierkegaard
Zusammengestellt von A. [Albert] Bärthold
Zweite, umgeänderte Auflage
Halle Verlag von Julius Fricke 1886 (S. 196)
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