Liebe und Kunst

von August Apel (1771-1816)
 


Franz Marc (1880-1916) - Liebespaar



Liebe und Kunst

von August Apel (1771-1816)

 

Das Erwachen des Kunstsinnes fällt mit dem Erwachen der Liebe in die schöne Periode des Lebens, in welcher die Natur ihr Bildungsgeschäft an dem Menschen vollendet hat, und ihn nun, als mündig zu dem Reiche der Vernunft, der Freiheit und der eignen Bildung überläßt. Indem sie ihm, als Naturwesen, die letzte und heiligste Gabe, ihr eignes Bildungsgeschäft für die Fortdauer seiner Gattung, anvertraut, weihet ihn die Freiheit, durch ihr erstes Geschenk, die Phantasie, zum höhern Vernunftwesen. Der freie Mensch hört nun auf, sich bei der bloßen Zweckmäßigkeit in der Welt, und dem, was Konvenienz unter den Menschen sanktioniert hat, zu beruhigen; er fühlt, daß Alles dieses, ihm, den selbstsüchtiges Interesse noch nicht in die Fesseln einer erkünstelten Nothwendigkeit geschlagen hat, nicht genügt, und, indem er so das Unbekannte sucht, das Alles, was ihn umgibt, und ihn selbst, mit sich in Übereinstimmung setzen soll, entsteht ihm eine neue, äußere und innere Welt, deren Prinzip nicht Zweckmäßigkeit und Selbstsucht, sondern das Schöne und das Gute ist, die Welt der Kunst und Liebe.
   Alle, welche über Kunst und Liebe geschrieben und gesprochen haben, und durch das, was sie schrieben und sprachen, zeigten, daß sie ein Recht hatten, über diese Gegenstände das Wort zu führen, behaupteten einstimmig, daß Liebe und Kunst etwas Unerklärliches seyen, welches Niemand begreiflich gemacht werden könne, der es nicht von Natur schon begriffen habe. Man hat ohne Grund darüber gespöttelt, und diesen Blüthen der reinen Phantasie den Vorwurf der Phantasterei gemacht. Ist denn die Wahrheit, die Frucht jener Blüthen, anders begreiflich, als durch die Gabe des Himmels: Wahrheitssinn oder Weisheit? Wem die himmlischen Horen: Kunst, Weisheit und Liebe nicht aus freier Gunst die Pforte des Olymps öffnen, der wird nie die ewige Wahrheit, Harmonie des Geistes und der Natur, erblicken, ihm verhüllt die Wolke ewig das höhere Licht, er bleibt in dem niedern Reiche der Nothwendigkeit und des Gesetzes, dessen Thore die irdischen Schwestern: Zweckmäßigkeit, Klugheit und Selbstsucht Jedem, ohne Auswahl, öffnen. Zu allen Zeiten war man daher gewohnt, die Fähigkeit, etwas hervorzubringen, was sich nicht nach Regeln der Zweckmäßigkeit beurtheilen läßt, dem Wirken eines höhern Wesens, eines Genius, zuzuschreiben, welcher die Handlungen des begünstigten Menschen, diesem selbst unbewußt, regiere, und die Worte, Genie und Genialität, womit die Sprache jene Fähigkeit bezeichnet, deutet noch auf jene Ansicht hin. Es giebt aber nicht allein ein Genie für das Schöne und Wahre, sondern auch für das Gute; die Liebe, im reinsten Sinne des Wortes, ist diese Genialität für das Gute.
   Kunst und Liebe gehen aus einem gemeinschaftlichen Stamme hervor, aus dem Streben des Geistes nach Harmonie. Denn was will der Künstler mit dem Ideale, welches er zu erreichen strebt, und der Liebende mit dem, was er Herzensbedürfniß nennt, anders andeuten, als ein Streben nach Harmonie seines Erkennens und Handelns mit den Forderungen von Etwas, das er in sich fühlt, und nur mit dem Rahmen seiner höhern, von der Wirklichkeit unabhängigen Natur zu bezeichnen vermag? Aber vollkommene Harmonie, der Einklang gleichsam aller Natur, ist nur da, wo alles Endliche verschwindet; daher gesteht der Künstler gern, daß sein Ideal in der Darstellung nicht erreicht, und der Liebende, daß sein Herzensbedürfniß in der Wirklichkeit niemals befriedigt werden könne. Wäre es möglich, daß der endliche Geist jene Harmonie selbst erreichen könnte, so würde er nicht mehr ein endliches Wesen, sondern das Unendliche selbst seyn, die Wirklichkeit würde vor ihm verschwinden, aber eben so auch das Schöne, Wahre und Gute.
Denn wie das Farbenspiel der Natur in reinem Lichte sich auflöst, im Dunkel erlischt, und nur aus der Verbindung von Beiden hervorgeht, so bilden das Schöne, das Wahre und das Gute die erkennbaren Strahlen des Unendlichen, welche in der Wirklichkeit erloschen sind, in dem Unendlichen selbst verschwinden, und nur in dem Idealen, welches beide verbindet, erscheinen.
Kunst und Liebe haben also das Gemeinschaftliche, daß sie beide in einem Streben bestehen, das Unendliche in dem Endlichen darzustellen. Die Kunst versucht diese Darstellung an einem Gegenstande außer sich, die Liebe an dem Geiste selbst, welchen sie beseelt. Der Künstler sieht daher in seinem Gegenstande die formlose Masse, die er behandelt, um sie zum Abbilde seines Geistes zu machen; der Liebende hingegen sieht in seinem Gegenstande das Ideal, in welches er sich verliert, um sich selbst ihm anzubilden. Dieses Entgegengesetzte in der Richtung von Beiden, bei dem Gemeinschaftlichen in ihrem Ursprunge, ist der Grund der Wechselwirkung, in der wir Liebe und Kunst bei Menschen, welche ihrer fähig sind, erblicken.
Sie erregen wechselseitig eine die andere, und es ist so gewiß, daß Bildung für das Schöne den sittlichen Charakter weckt, als daß dieser sittliche Charakter zum Auffassen der wahren reinen Schönheit unentbehrlich ist. So begrenzen sie sich wechselseitig, indem sie sich gegenseitig als Merkmale ihrer Reinheit dienen; und der denkende Beobachter der Natur wird in dieser höhern Region des Geistes dieselben Kräfte erkennen, welche durch die ganze Natur wirken, und ihr Daseyn begründen.
   Die Kunst sucht einen Gegenstand, auf welchen sie wirkt; die Liebe einen Gegenstand, welcher auf sie zurückwirkt. Denn der Künstler trägt sein Ideal in sich, und will es im äußern Gegenstande darstellen.
Der Liebende hingegen will in sich selbst das Unendliche bilden; er sucht daher sein Ideal außer sich, um sich mit ihm zu vereinigen. So lange dieses Streben durch nichts fixiert wird, äußert es sich als Kunst im Allgemeinen, welche oft in diesem Sinne sehr treffend poetischer Geist genannt wird; und als Liebe im Allgemeinen, welche nicht nur als Menschen-Liebe die ganze Menschheit umfaßt, sondern mit ihrem reinen Wohlwollen selbst vernunftlosen Geschöpfen begegnet. Denn eben weil der Liebende nicht etwas außer sich, sondern sein eigens Selbst zum Bilde der unendlichen Harmonie erheben will, fühlt er sich zu allem hingezogen, woraus ihm eine Spur des Unendlichen entgegen blickt. So entsteht die Möglichkeit eines moralischen Verhältnisses des Menschen zu der lebenden vernunftlosen Natur, welches man vergebens aus sogenannten unvollkommenen Pflichten, die zu fordern Niemand berechtigt seyn soll, abzuleiten versucht hat. Rechte können nur in dem Menschen verletzt werden; der Unsittliche aber wird verächtlich, nicht weil er ein Recht verletzt, sondern weil er seinen eigene Werth, als vernünftiges Wesen, zerstört, und, statt durch Freiheit sich zu erheben, durch den Mechanismus der Begierden sich erniedrigt. Aus dieser, alles umfassenden, Liebe, verbunden mit poetischem Geiste, entstanden in der jugendlichen Periode der Menschheit die mythischen Religionen. Die Liebe fand überall in der Natur, in der Schönheit ihres Werdens und in der Majestät des in ihr Bestehenden, in aufbrechenden Blüthen und in drohenden Felsenmassen, die Spuren des geahndeten Unendlichen; der poetische Sinn belebt das Todte und beseelt das Lebende, und so erkannte nicht die Vernunft die wirkenden Kräfte, sondern die Phantasie schuf aus ihnen übermenschliche Wesen, welche, abhängig vom Schicksal, - so nannte die dunkle Ahndung das Unendliche - die Natur, freundlich oder feindlich gegen die Menschen, beherrschten. Eine ähnliche mythologische Stimmung begleitet auch das Erwachen der Liebe und des Kunstsinnes in dem einzelnen Menschen. Wie dem ganzen Menschengeschlechte, so kommt auch dem Einzelnen die Natur in aller ihrer Schönheit und Bedeutung entgegen. Der erwachende Mensch fühlt ihre Schönheit, ahnet ihre Bedeutung, es ist ihm, als sprächen Stimmen, dem äußern Ohre unvernehmbar, aus jeder Knospe und aus jeder Blüthe zu seinem Geiste. Jedes Wesen scheinet ihm beseelt, und indem er, sich selbst unbewußt, das eigene Bild seiner Empfindung in dem Spiegel der Natur anschaut, scheint ihm die welkende Blume zu trauren, und die Nachtigall über entflohenes Glück zu klagen. Eine glühende Begeisterung für alles Ideale erfüllt ihn, er äußert laut seine Verachtung gegen alles Niedere, strebt mit aller Kraft gegen die Fesseln des Herkommens, und spricht und handelt mit Wärme gegen alle auf bloße äußere Ungleichheit gegründete Anmaßung. Ob nun diese Liebe zum Idealen sich selbst in nie befriedigte Sehnsucht verzehren, oder, wohlthätig für die Menschheit, im weitern oder engern Kreise wirken solle, ob sie, in religiöser Schwärmerei, sich in Schöpfungen ihrer Phantasie verlieren, oder, in bizarrer Affektation, bloß das Herkömmliche vernachlässigen, und, wenn Macht sie unterstützt, selbst zerstören werde, - dieses bestimmt einzig der Einfluß der äußern Umstände, welche das Erwachen dieses Zustandes begleiten, und der Verhältnisse, welche ihm vorhergingen, und den Charakter des Menschen bestimmten.
   Unter diesen allgemeinen und vereinten Wirkungen der Kunst und der Liebe, leuchtet immer ein Streben hervor, sich auf etwas Bestimmtes zu fixieren, welches entweder durch Kunst hervorgebracht, oder mit Liebe umfaßt werden soll, und in der Art, wie Kunst und Liebe ihre Bestimmungen als einzelne Gattung der Kunst, z. B. als bildende, oder als bestimmte Gattung der Liebe, z. B. als Geschlechtsliebe, erhalten, zeigt sich von neuem die tiefe Übereinstimmung in ihrer Natur.
Wie das Unendliche selbst in dreifacher Gestalt sich im Endlichen offenbart, nachdem es nehmlich als das Schöne von den Sinnen angeschaut, als das Wahre von dem Verstande gedacht, oder als das Gute von der Vernunft gewollt wird, so zeigt sich das Schöne, welches die Kunst hervorzubringen strebt, ebenfalls entweder in Gestalten oder in Begriffen oder in Ideen, und so entstehen die drei Classen der Künste; die bildende, welche dem Sinne unmittelbar Gestalten darstellt, die Dichtkunst, welche durch Begriffe das Schöne darzustellen sucht, und die Musik, die heiligste von allen Künsten, deren sinnliches Material selbst das ist, was alle andere Künste als das Übersinnliche in ihnen heiligt: Harmonie und Rhythmus. Was durch sie dargestellt wird, sind Ideen oder die reinen Formen der inneren Empfindung: daher ist jede ihrer Darstellungen schön, so bald sie wahr ist. Sie vermag auch nichts Unsittliches darzustellen, und da also das Schöne, welches ihr Gegenstand ist, nichts anders als das Gute seyn kann, so vereinigen sich in ihr alle Strahlen des Unendlichen. Das Heilige ihrer Darstellungen ist deswegen nie unmittelbar dem äußern Sinne gegeben, sondern einzig vernehmlich durch die reinste Allegorie des Rhythmus und der Harmonie, in einem Mittel, welches ohne Körper, ohne Substanz und ohne Raum von den Sinnen erkannt wird, in den Tönen; und dieses Allegorische erhebt sie so hoch über die andern Künste, daß ihre Werke selbst in einer idealen Natur noch Kunstwerke bleiben würden, während die bildende Kunst und die Dichtkunst, welche durch Bild und Begriff darstellen, in der idealen Wirklichkeit verschwinden müßten. Daher läßt die schwärmende Phantasie die Wohnungen der Seligen nur von Gesängen und Saitenspiel widerhallen; denn jede andere Kunst würde in den himmlischen Regionen sich in reine Natur auflösen. -
   Eben so wie die Kunst, bekommt auch die Liebe ihre verschiedenen Bestimmungen, als Geschlechtsliebe, Freundschaft und Elternliebe, oder vielmehr Mutterliebe; denn die Liebe des Vaters, wo sie auch wirklich sich findet, ist nicht rein und unmittelbar im Gefühle gegründet, sondern vermittelt, durch die Liebe der Gattin oder durch sentimentale Reflexion.
   Die bildende Kunst ist die älteste von allen; denn ehe noch der Mensch seine Begriffe ordnen und gebrauchen lernt, ist er schon mit dem vertraut, was ihn die bloße Anschauung lehrt. Daher waren Bilder die erste Art der Schrift, und sichtbare Zeichen dienten früher der Mittheilung als Worte. So entwickelt sich auch die Geschlechtsliebe zuerst in dem Menschen, und bildet im Reiche der Liebe das Gegenstück zu der bildenden Kunst. Gestalten sind es, in welchen bildende Kunst die Ideen des Schönen der Anschauung darzustellen strebt, und Schönheit der Gestalt ist es, was in dem Menschen die Geschlechtsliebe erweckt. Bei aller Freiheit, mit welcher der bildende Künstler seine Darstellungen behandelt, fesselt ihn doch die Natur durch die von ihr bestimmte Form der darzustellenden Gegenstände; auf gleiche Art bestimmt sie durch das Verhältniß der Geschlechter und ihr gegenseitiges Streben nach Vereinigung die Geschlechtsliebe, und so bestehen beide, wie alle Liebe und alle Kunst in der innigsten Vereinigung des Getrennten, der Freiheit und Nothwendigkeit. Wie ist nun aber zwischen Liebe, diesem von aller Selbstsucht freien Wohlwollen, und dem selbstsüchtigsten aller Naturtriebe, welcher die Geschlechter vereinigt, eine Verbindung denkbar?
Die gänzliche Verschiedenheit dieser zwei Dinge und die Schwierigkeit, sie in der Geschlechterliebe vereint zu denken, veranlaßte oft bei sinnlichen Wollüstlingen den Wahn, als sey sie bloßer Naturtrieb, und bei hyperphysischen Moralisten die Forderung, daß sie frei von allem Triebe seyn solle. Allein wie bildende Kunst weder in einer sklavischen Abbildung der Natur, noch in einem völligen Lossagen von ihren Regeln besteht, so ist auch die wahre Natur der Geschlechtsliebe nicht in einem dieser Extreme, sondern einzig in ihrer Vereinigung zu finden. Man ist darüber einig, daß die erste Liebe die reinste und heiligste, oder, genau zu sprechen, die einzige wahre Liebe sey; aber ihr Erwachen zeigt auch dem Beobachter, wie in ihr die Natur und die Freiheit auf das innigste mit einander verschmelzen. Wie zur Zeit der Blüthe die Natur am mächtigsten in der Pflanze wirkt, indem sie das bloße Erhaltungsgeschäft beschlossen hat, und nun eine Kraft erweckt, welche auf etwas außer dem bloßen Daseyn gerichtet ist, so wirkt sie auch in dem Menschen in der Periode, wo seine Organisation für sich selbst vollendet ist. Pflanze und Thier, als bloße Naturwesen, folgen dieser Wirkung der Natur nach den Gesetzen ihrer Organisation, deren Resultat wir bei den Thieren Instinkt nennen. Aber in dem Menschen, welcher außer der Natur auch der Freiheit angehört, wohnt noch ein Vermögen, welches Freiheit und Natur verbindet, indem es von beiden Seiten afficirt werden, und selbst beide Naturen, die höhere und die niedere, afficiren kann, - die Phantasie. Jede Veränderung in der körperlichen Organisation bewirkt eine Thätigkeit in ihr, und jede ihrer Thätigkeiten, wenn sie durch Freiheit erregt wird, eine analoge Veränderung im Organismus. Nur durch diese Eigenschaft der Phantasie, als Mittelvermögen, lassen sich ihre unerklärbar scheinenden Affektationen und Wirkungen erklären, welche, eben wegen des Mangels einer hinreichenden Erklärung, die Phantasie bisher zu einem Gräuel der Systematiker und zum Schooßkinde der Popular-Philosophen gemacht haben. Sobald nur die Natur auf jene ungewohnte Art in dem Menschen zu wirken beginnt, so wird die Phantasie auf eine eben neue Art erregt, und zur Thätigkeit aufgefordert. Die Bilder der Gegenwart und der Wirklichkeit genügen ihr nicht mehr, sie ruft die Bilder der Vergangenheit zurück, und indem diese schöner oder doch interessanter durch die magische Beleuchtung der Erinnerung erscheinen, und so die Gegenwart beschämen, ist der erste Schritt zum Idealisieren gethan. Zwar sucht die Phantasie, indem sie von der Natur erregt wird, noch nicht das reine Schöne, sondern das Interessante; weil ihr Bedürfniß auf eine Thätigkeit der Natur gerichtet ist; aber zu gleicher Zeit ist auch außer der Natur die Freiheit in dem Menschen thätig, und leitet ihn als Liebe zu dem Schönen hin. So vereinigt die jugendliche Phantasie ihre Richtung auf das Schöne, mit der vollen Kraft der ausgebildeten Natur. Doch nur der Beobachter bemerkt den Unterschied zwischen dem gesuchten Schönen und dem Interessanten, nicht der Suchende selbst. Dieser glaubt das Schöne in dem Interessanten, und das Interessante in dem Schönen zu finden. Sein Interesse wird dadurch geläutert, denn nur das zugleich Schöne kann ihn interessieren; aber sein Streben nach dem Schönen bekommt auch eine eigne, seiner Natur fremde, Wärme; denn in dem Schönen sucht und sieht er zugleich das Interessante. Der Geschmack der Jugend hat daher zwar nicht immer kritische Richtigkeit, aber er zeichnet sich durch Feinheit und Delikatesse aus. Bei dieser erhöhten Thätigkeit der Phantasie genügen ihr nun alle Bilder der Wirklichkeit und der Vergangenheit nicht mehr, sie sucht etwas außer sich, welches dem entspreche, was sie in dunkeln Gefühlen als etwas Unaussprechliches ahnet, und so entstehet die Unruhe und Sehnsucht, welche das Erwachen dieser Liebe begleitet. Es ist ein Streben, dessen Grund und Zweck der Mensch nicht kennt, ein Sehnen nach Etwas, das diese Welt nicht zu enthalten scheint; daher die religiöse Schwärmerei der ersten Liebe, und das Vergöttern des geliebten Gegenstandes, welches uninteressiertes Anschauen reiner Schönheit nicht bewirken könnte.
   Das Schöne wird geliebt, wo es sich nur zeigt; wir lieben die Natur, wir lieben den Freund, und würden bei genauer Aufmerksamkeit diese unbestimmte Liebe des Schönen in ihm von der bestimmtern Freundschaft wohl unterscheiden können. Auch die Schönheit der menschlichen Gestalt im entgegengesetzten Geschlechte wird geliebt, und wenn wir diese Liebe von allen Einwirkungen der Geschlechts-Eigenschaften entkleiden, so ist sie von der Liebe des Schönen überhaupt nicht verschieden. Aber was ist menschliche Schönheit? Ist sie sichtbarer Ausdruck der zweckmäßigen Organisation des Individuums, oder zugleich Abbild des Geistes und seins freien Wirkens? In das erstere kann man sich verlieben, das zweite wird wirklich geliebt. In so fern aber Schönheit angesehen wird als Ausdruck des Geistes, zeigt sie sich auch im Handeln; nicht also bloß die bestehende Form, sondern auch das Wechselnde, die Handlungen des Menschen können der Gegenstand werden, auf welchen Liebe sich richtet, in so fern sie nämlich Ausdruck einer sittlichen Stimmung - Grazie und Würde - sind. Diese Schönheit in Gestalt und Handlungsart ist es nun, worauf die erste Liebe sich richtet, und in dieser freien Richtung auf das Ideale besteht eben ihre Reinheit. Der unverdorbene Mensch wird zu seiner ersten Liebe nicht durch Reize geweckt, und der Antheil des Geschlechts entgeht ihm noch in Gestalt und Handlungen; ihm ist Weiblichkeit noch Grazie, und Männlichkeit edler Anfang; daher bemerken wir bei ihm eine äußerste Zartheit der Empfindung und eine innige Vereinigung des ästhetischen und moralischen Sinnes. Sein Ideal der Schönheit ist noch, ohne Beziehung auf Geschlecht, bloß dem Geiste vorschwebend, um das, was er in sich selbst ahnet, als bestimmt in einem Gegenstande, aufzufassen; daher die Schwärmerei der Freundschaft in dieser Periode, wo sie von der richtungslosen Liebe das in spätern Jahren erlöschende Feuer erhält. Später erst gesellt sich die Vorstellung des entgegengesetzten Geschlechtes zu diesem Ideale, aber auch dann noch mischt sich die Idee der reinen Schönheit nicht mit den Empfindungen des, von den Geschlechts-Eigenschaften abhängenden, Reizes. Nur indem sein eigenes Geschlecht den Menschen für Einen bestimtern Theil der Schönheit, für die Grazie oder die Würde, mehr ausbildet, sucht er sich, nach Platons Dichtung, seine zweite Hälfte, und folgt dem Grundgesetze der ewigen Natur, die im Körperlichen, die Entgegengesetzten durch Liebe mit einander vereinigt. So finden sich die Geschlechter durch Freiheit, und bilden in ihrer Vereinigung die vollendete Menschheit. Indem aber das Ideal des Liebenden unter dem entgegengesetzten Geschlechte seine Stelle erhält, entscheidet sich sein Schicksal in Ansehung seiner Liebe, und wie wir der Zeit und dem Orte, wo die Entscheidung unsers Schicksals uns erwartet, mit bangem, zweifelndem Gefühl entgegenblicken, und, erfüllt von Hoffnung und Furcht, uns abwechselnd angezogen und zurückgestoßen fühlen, so glaubt der noch reine Mensch in dem entgegengesetzten Geschlechte ein Heiligthum vor sich zu sehen, aus welchem das verklärte Ebenbild der Schöpfung seines Geistes hervortreten wird, und in zweifelnder Ungewißheit fühlt er sich bald hingezogen, bald in sich selbst zurückgedrängt. Erblickt er nun jetzt sein Ideal in der Wirklichkeit, so liebt er es mit der reinsten Liebe, fern von allen Aussichten auf Sinnengenuß; kaum daß selbst der schöne Ausdruck des Geschlechts in dem Geliebten ihn anders, als Schönheit im Allgemeinen, rührt. Der Liebende erröthet vor dem Bewußtwerden des Antheils, welchen Geschlechts-Eigenschaft an seiner Empfindung hat; er wagt es weder sich selbst, noch dem Geliebten zu bekennen, was er nur dunkel ahnet, und, wie jedes seiner heiligsten Gefühle, nie ohne Schleier zu erblicken wünscht. In jeder Bestimmung dieser dunkeln Gefühle, glaubt er das Bild des Geliebten und die Heiligkeit seiner eigenen Empfindung zu entweihen; er liebt daher in seliger Schwärmerei, selbst unbekannt dem Gegenstand seiner Liebe, und umfaßt in der ruhigen Schönheit der Natur das reinste Bild des Geliebten. Wenn das Schicksal jetzt mit gleicher Liebe ihm den Geliebten entgegenführt, dann feiert der Genius der Liebe seinen höchsten Triumph, und in unzertrennlicher Vereinigung stehen die Liebenden, ein angestauntes Wunder von den Zeitgenossen und Nachkommen. Keine Zeit, kein Raum, kein Schicksal vermag sie zu trennen; denn ihre Liebe ist ewig, wie die Gottheit, die jeden Augenblick ihres Lebens erfüllt.
   Aber nur Wenigen wird diese Gabe des Himmels. Wenn auch einmal ein unverdorbener Mensch durch einen glücklichen Zufall aus den Händen der Erzieher hervorgeht; wo findet dieser Einzelne wohl ein ihm gleiches, eben so begünstigtes Wesen? Er sucht oft lange vergebens, bis endlich der Glanz des gesuchten Ideals erbleicht. Nun schließt er sich liebend an ein Wesen an, das ihm, vielleicht durch bloßen Trieb geleitet, entgegen kommt. Geschäftig trägt die Phantasie alle Vollkommenheiten seines Ideals auf dieses Wesen über, und in ihrem verschönernden Spiegel erblickt er nun der Geliebten täuschendes Bild. Bald wirken nun auf ihn die Reize des Geschlechts, und im Bewußtseyn, daß seine Gefühle von reiner Liebe ausgingen, überläßt er sich willig dem ungewohnten Zauber. Mächtiger wird nun die Macht der Natur, und kettet den Liebenden mit doppelten Banden an den Geliebten. Auch dieses ist Liebe, wenn auch nicht jene hohe, himmlische, welche sich selbst im Ideale verliert. Wie aber der Liebende Anfangs sein Ideal in den Geliebten übertrug, so bestimmt nun die Gestalt des Geliebten seine eigene Idee von Schönheit, und hieraus erklären sich die sonderbaren Eigenheiten der Liebenden in ihren Meinungen über Schönheit, und die Erscheinung, daß Formen, welche vom Ideale des Schönen oft sehr abweichen, dennoch innige Liebe erwecken können. Selbst wenn Zeit oder Verhältnisse diese Liebe zerstört haben, wecken noch ähnliche Formen, durch Mitwirken der Phantasie, jene dunkeln seligen Gefühle, und bekommen so, bei allem Mangel wahrer Schönheit, durch die Erinnerung, ein eigenthümliches Interesse, bis endlich jenes Bild des Geliebten mit der Phantasie selbst nach und nach verschwindet. Es ist leicht einzusehen, daß dieses Interesse an ähnlichen Formen kein reines Wohlgefallen ist, sondern daß der Reiz den größern, fast einzigen Antheil daran hat, nur mit dem Unterschiede, daß er dem Gegenstande nicht reell, sondern nur ideell, mittelst der Phantasie, zukommt; und schon dieser Umstand zeigt, wie wenig es möglich sey, zum zweitenmale mit der Reinheit des ersten Gefühles zu lieben. Die zweite Liebe geht, selbst in ihrem reinsten Entstehen, vom Interesse aus, nicht mehr vom reinen Gefühl des Schönen; und wer einmal geliebt hat, der ist für reine Liebe und ihre Seligkeiten auf immer verloren.

   Daß es Bildner gebe, welche nichts weniger, als bildende Künstler, und Bilder, welche keineswegs Werke der Kunst sind, hat wohl jeder erfahren, und auch wohl zuweilen, gegen den Ruf des Bildners und des Bildes, sich insgeheim gestanden, wenn er nichts, als gemeine Natur, durch die Mittel der bildenden Kunst dargestellt, erblickte. So gilt auch manches im gemeinen Leben für Liebe, was nichts ist, als durch Convenienz oder andere Hindernisse zurückgedrängter Geschlechtstrieb.
   Die Escheinungen des letztern haben freilich oft viel der Liebe Ähnliches; allein sie verrathen ihren Ursprung aus dem Naturtriebe nur zu bald durch ein wildes Feuer, welches Sinn und Imagination in Aufruhr bringt, und Geist und Körper zerstört, sich aber eben dadurch von dem warmen, belebenden Strahl der Liebe sehr unterscheidet. Jene sinnliche Liebe erhebt sich nicht zu der Idee der Schönheit, sie kennt bloß das Vergnügen am Reize; daher ist sie unbestimmt, und richtet sich nach jedem Gegenstand, dessen Reize die Phantasie bewegen und dem Sinne Genuß versprechen. Wahre Liebe hingegen kennt nur Einen Gegenstand; denn, indem sie auf das Ideal menschlicher Schönheit sich richtet, und dieses in des Geliebten Gestalt und Handlungsweise erblickt, ist die Möglichkeit einer getheilten Liebe für sie aufgehoben. Wie aber die sinnliche Liebe sich nicht über die Natur erhebt, so will die hyperphysische, welche unrichtig zuweilen die platonische genannt wird, die Menschheit überfliegen. Bloß im Anschauen der reinen Schönheit soll diese Liebe ihr Wesen haben, und die Geschlechter sollen sich lieben, wie reine, von aller Natur entfesselte Geister. Allein die Natur ordnete nichts, damit es die Freiheit zerstöre, und der Geist fordert nichts, was nicht sein sichtbares Bild, die Natur, in ihren Ordnungen, als in Symbolen und Hieroglyphen, andeutete. Weder aus diesem allgemeinen Wohlgefallen am Schönen, noch aus jenem Interesse am Reizenden, läßt sich die Eigenheit der Geschlechtsliebe, die Treue, oder das Beschränken der Liebe auf Einen Gegenstand, erklären. Denn, wäre Liebe bloß Wohlgefallen am Schönen, warum sollte sie, ganz ihrer Natur zuwider, sich auf das Einzelne einschränken, und nicht vielmehr die ganze Welt des Schönen mit ihrer, von dem Unendlichen abstammenden, Kraft umfassen? Wäre sie aber bloß Vergnügen am Reize, wie könnte sie, ganz gegen die Natur des Reizes, immer und einzig denselben Gegenstand anziehend finden? -
Wenn diese sinnliche Liebe rohe Natürlichkeit ist, so ist jene hyperphysisch erkünstelte Freiheit, und die Super-Naturalisten so wohl als die Naturalisten der Liebe vergessen, daß der Gegenstand der Geschlechtsliebe nicht bloß schöner Gegenstand und Geliebte ist, sondern selbst Liebender wird. Gegenliebe allein ist, was das an sich unbegrenzte Streben nach dem Schönen begrenzt, und dem Vorübergehenden des Reizes ewige Dauer gibt. Die Liebe, die sich auf das Schöne richtet, kann selbst in ihrer Erscheinung und in ihren Äußerungen nicht anders als schön seyn; dadurch stellt sie in sich selbst dem Geliebten einen Gegenstand der Liebe dar, und gegenseitig nun die Gegenliebe durch ihre eigene Schönheit die Liebe, welche sie erst erweckte. Indem so Liebe sich auf gleiche Liebe richtet, scheidet sich die Geschlechtsliebe von dem allgemeinen Wohlgefallen am Schönen. Das Schöne der Liebe ist untrennbar von der eigensten Individualität des Liebenden, und dadurch verwandelt sich die Liebe zu dem Schönen, als Gegenliebe, in die ausschließliche Liebe zu einem bestimmten Individuum. Der Geliebte ist nun nicht mehr ein Gegenstand, welcher an der allgemeinen Schönheit Theil nimmt: durch seine Liebe hat er sich selbst eine Schönheit angebildet, welche ihm ausschließlich eigen ist, und ihm die ewige Dauer der Liebe sichert. So ist die Treue der Liebenden in der Natur der wahren Liebe selbst gegründet, und es ist vergebens, von dem Liebenden Treue als Pflicht zu fordern. Liebe kennt keine Pflicht, eben weil sie Liebe ist, und durch ihr freies Handeln das hervorbringt, was erst außer dem Gebiete der Freiheit zu Rechten und Pflichten wird. Dem Liebenden ist Untreue ein inhaltloser Begriff; er müßte erst aufhören zu lieben, eh' er treulos seyn könnte; wo aber keine Liebe ist, da kann keine Treue gebrochen werden. Der Liebende, welcher die liebeweckende Macht seiner eigenen Liebe nicht ahnet, sieht im Geliebten nicht den Liebenden, sondern nur das Ideale, mit dem er sich zu vereinigen strebt; er wagt es kaum, Gegenliebe zu hoffen, und erblickt selbst in ihren Zeichen nur eine neue, anziehendere Schönheit des Geliebten, welche ihn um so mehr fesselt, je inniger sie mit der Individualität des Geliebten verbunden ist, und dadurch selbst den Reizen desselben die Weihe der Schönheit ertheilt. Beide Liebenden finden so in der Liebe des Geliebten neue Nahrung für ihre eigne Liebe, und, statt sie zu trennen, muß selbst die Zeit sie nur fester vereinigen. Wie könnten auch Liebende sich finden, hätte nicht die Liebe jene Kraft des Unendlichen, durch ihren belebenden Hauch Liebe zu wecken? In einsamer Sehnsucht müßte ihre Liebe sich verzehren; denn nur dem Zufall wäre es überlassen, ob der Liebende auch der Geliebte seyn werde. Aber nur zu oft erscheint die Neigung, vom Reize geweckt, in einer der Liebe ähnlichen Gestalt, und, von dem Scheine getäuscht, wendet ihr zuweilen sich das unerfahrne Herz mit reiner Gegenliebe zu. Unselige Täuschung! Mit dem Genuß verschwindet bald der Reiz, die Neigung flieht, und nur die Gegenliebe des Nichtgeliebten, selbst zum Lockenden des Reizes herabgewürdigt, hält mit schwacher Kraft noch den Gesättigten zurück, bis endlich auch dieses Band sich löst, und der Verlass'ne aus seiner eigenen Liebe einsam sich des bessern Lebens Todes-Trank bereitet. Wem soll der noch vertrauen, der auf Liebe zu bauen glaubte, und getäuscht sich fand? der seiner ersten Liebe schöne Fülle für Liebe hinzugeben wähnte, und, verschmäht von dem unwürdigen Geliebten, der niedern Neigung trauriges Opfer ward? denn nur die Begierde, welche vom Reize erregt wird, kennt Sättigung durch ihren Gegenstand, und verläßt ihn, wenn sie sich befriedigt findet; die wahre Liebe richtet sich allein auf reine Schönheit, die in Gegenliebe sich täglich neu verjüngt, und immer fester mit ihrem Band die Liebenden umschließt. In ihr ist keine Täuschung; wahre Liebe ist allezeit treue Liebe.
   Später als die bildende Kunst, entsteht die Dichtkunst. Sie stellt ihren Gegenstand, das Schöne, durch Begriffe in Worten dar, und wirkt also zunächst auf den Verstand, als auf das Vermögen der Begriffe. Wie daher die Freiheit des bildenden Künstlers durch die Normalform der Gestalten beschränkt wird, so ist der Dichter an die Richtigkeit der Begriffe oder an die Wahrheit gebunden, und hierin liegt der Grund, warum der Verstand, der überhaupt gern sein Gebiet überschreitet, sich so oft anmaßt, nicht allein die Richtigkeit der Begriffe, sondern auch die Schönheit der Ideen in einem Gedicht zu beurtheilen. In der Parallele der Kunst und Liebe steht der Dichtkunst die Freundschaft entgegen; denn das, was der Freundschaft fähig macht, wird ebenfalls zunächst mit dem Verstande erkannt. Sie entstehet ebenfalls später als die Geschlechtsliebe; denn was in jener frühern Zeit mit dem Nahmen Freundschaft belegt wird, ist eine Äußerung der noch unentwickelten Geschlechtsliebe, und richtet sich daher, wie diese, ausschließlich auf das Schöne. Der Geschlechts-Unterschied hat in dieser Periode noch keinen, oder doch unmerklichen Einfluß auf die Bildung des Menschen; daher kann sich diese Liebe durch den Gegenstand, auf welchen sie sich richtet, noch nicht als Geschlechtsliebe mit voller Bestimmtheit ankündigen. Allein es entgeht der Beobachtung nicht, daß die Jugend beider Geschlechter sich, bei ihren freundschaftlichen Vereinigungen, fast einzig durch das Liebliche und Zarte in Form sowohl, als Bewegung angezogen fühlt; denn diese Zartheit ist eben das Interessante, wodurch die Natur selbst die Phantasie zur Schönheit leitet. Aber wenn auch die Natur dem weiblichen Geschlecht die Lieblichkeit, als ein fortdauerndes Geschenk, ließ, so weichet diese doch von dem männlichen, je mehr sich dessen Geschlechts-Charakter, die Kraft, entwickelt. Beide Geschlechter trennen sich nun, um durch diese Trennung sich für eine neue Vereinigung zu bilden. Folgen sie blind der Leitung der Natur, welche, nach einmal geschehener Trennung der Geschlechter, nicht mehr das Allgemeine der Gattung, sondern das Besondere der Individuen ausbildet, so artet die Lieblichkeit des Mädchens mit ihrer vollendeten Bildung in Weichlichkeit aus, und die Kraft des Jünglings verwandelt sich in dem Manne zur Rohheit. Die Natur behauptet nun ihre Rechte, und vereinigt nach ihren Gesetzen durch bloßen Trieb die Geschlechter. Wo die Weichlichkeit sich dem stärkeren Geschlecht durch Müßiggang mittheilte, schmachtet das schwächere unter der Macht orientalischer Barbarei; wo die Rohheit durch die Mühseligkeit des Nahrungs-Erwerbs auf das schwächere überging, seufzet dieses unter dem Druck nordischer Wildheit. Keine Liebe vereinigt die Gatten, selbst in ihrer dauernden Verbindung sind sie nur Mittel zum Zwecke des Staates, der durch die Ehe ihnen, zu seiner eignen Erhaltung, ein bloß rechtliches Verhältniß sichert. Denn Liebe kann nicht ohne Schönheit, und Schönheit so wenig mit Rohheit, als mit Weichlichkeit bestehn; in dieser würde sie zerfließen, und in jener erstarren; sie ist überhaupt nie, wo bloße Kräfte der Natur wirken, sondern nur da, wo Freiheit sich mit der Natur innig vereinigt. Will also der Mensch geliebt seyn - und er will dieses, so gewiß er nicht allein Sinnlichkeit ist - so muß er den natürlichen Charakter seines Geschlechtes durch Freiheit veredeln, indem er ihn auf das Ideal seiner Gattung, auf Humanität, zurückzuführen strebt. In jeder Idee verschwinden nun zwar die Gegensätze - in der höchsten Idee deswegen auch der ursprüngliche - und das Ideal menschlicher Schönheit würde in seiner Reinheit weder männlich, noch weiblich seyn können; allein da in der Wirklichkeit eine reine Darstellung der Idee nie möglich ist, so wird bei allem Streben nach reiner Humanität doch nie in der Schönheit des wirklichen Menschen der Geschlechts-Charakter ganz verschwinden. Und er soll nicht verschwinden; denn die Freiheit will die Natur begrenzen, aber nicht sie zerstören. Mit dem entgegengesetzten Charakter der Geschlechter, würde zugleich die eigentliche Geschlechtsliebe aufgehoben seyn, und die Natur würde in der Vereinigung der Geschlechter etwas zu ihrem Bestehen, als nothwendig, verlangen, was die Freiheit durch ihre Forderung zu vernichten strebte. Nicht also im Vertilgen des Geschlechts-Charakters besteht die Schönheit des Menschen, sondern im Begrenzen seiner natürlichen Richtung durch das freie Streben nach Humanität. Die zarte Lieblichkeit des Weibes wird dadurch zur Grazie, die feste Kraft des Mannes zur Würde. In beider Vereinigung besteht die reine Humanität; aber dieses hohe Ideal sollte nicht von dem Einzelnen erreicht, sondern, wie das Unendliche selbst, als sein irdisches Ebenbild, durch Vereinigung des Entgegengesetzten, in Liebe repräsentiert werden.
   Schönheit ist also nicht bloß ein Geschenk der Natur, sondern zugleich ein Werk der Freiheit. Da nun Liebe sich einzig auf Schönheit richtet, so entsteht selbst aus dem Verlangen nach Liebe die Aufgabe in dem Menschen, sich liebenswürdig zu machen. Würdig aber wird er nur durch das, was an seiner Schönheit der Freiheit angehört - denn die Natur gibt nur Werth, Würdigkeit ertheilt allein die Freiheit - also durch den Grad von Humanität, welchen er sich erworben hat. Doch nicht für immer bleibt das Streben nach Humanität bloß Mittel zu dem Zwecke der Liebe, wenn es auch in der Reihe der Erscheinungen, der Einheit und Stetigkeit des Ganzen wegen, zuerst durch Liebe geweckt wird. Dieses Ziel hat an sich selbst zu viel Erhabenes, als daß es dem Menschen, welcher anfangs es sich bloß zum Mittel ausersehen hatte, nicht bald selbst zum Zweck werden sollte. Was im Reiche der Nothwendigkeit Thorheit ist, weil es abwärts führt und vereinzelt, nämlich Behandlung des Mittels als Zweck, das wird im Reiche der Freiheit Weisheit, weil es wegen der entgegengesetzten Richtung beider aufwärts führt und verbindet. Je gewisser dort über dem Mittel jeder Zweck verfehlt wird, um so sicherer werden hier durch Erhebung des Mittels alle Zwecke erreicht. Humanität also, oder Vereinigung aller Anlagen und Fähigkeiten der menschlichen Natur zu einem vollendeten Ganzen, heißt der große Zweck, welchen der Mensch sich vorsetzt. Er sucht aber nicht, in eitler Selbstsucht und mit thörichtem Egoismus, allein in seinem eigenen Individuum die Aufgabe der Menschheit zu realisieren; er weiß vielmehr, daß er nur deswegen, und bloß dadurch dieses bestimmte Individuum ist, weil er das Ganze der Menschheit nicht umfaßt, sondern auf gewisse Richtungen seiner Thätigkeit beschränkt ist. Er weiß, daß selbst diese Richtungen nur durch die wechselseitige Wirkung mehrerer Menschen möglich sind, und daß also der Zweck der Humanität wohl durch den Einzelnen befördert, aber nur in der gesammelten Menschheit erreicht werden kann. Das Streben nach dem Zweck ist das, was die Einzelnen zum Ganzen vereinigt; das Ergreifen der Mittel das, was das Ganze zu Einzelnen sondert, und das Anerkennen des Gemeinschaftlichen jenes Strebens, in einem, als Individuum einzeln stehenden Menschen ist der eigentliche Grund der wahren Freundschaft. Der Freund sieht in dem Freunde, in Beziehung auf den gemeinschaftlichen Zweck, seines Gleiches, da der Liebende hingegen in dem Geliebten das Höhere und Bessere erblickt: denn dieser findet sein Ideal in dem Geliebten, jener sucht es am Ziel des gemeinschaftlichen Strebens. Der Liebende hofft vom Geliebten Alles im Zutrauen zu seiner Liebe; der Freund fordert vom Freunde Alles im Vertrauen auf seine Humanität; denn jener überläßt dem Geliebten sich selbst, dieser überträgt dem Freunde die Sache der Menschheit. Freundschaft ist daher sehr wohl möglich ohne persönliche Nähe, aber nicht ohne gegenseitige Mittheilung. Denn wie Liebe erst durch Gegenliebe zur individuellen Liebe wird, so wird Freundschaft erst durch das Gefühl des anerkannten gleichen Strebens nach Humanität zur persönlichen Freundschaft. Vertrauen und Gewohnheit der gegenseitigen Mittheilung vermögen sogar die harte Grenze der Individualität zu mildern; denn wie im interessanten Gespräch die Sprechenden sich oft unwillkürlich in gleichen Ton stimmen, und sich ihrer eine vorübergehende Sympathie, sogar in den Bewegungen, bemächtigt, womit sie einer des andern Rede begleiten; so bildet sich durch den Umgang unter Freunden eine bleibende Sympathie, und indem Alles in ihrem Geist mit dem Bewußtsein ihres hohen Zieles sich verbindet, sind sie durch diesen, außer ihrer selbst liegenden Berührungspunkt, das reinste Symbol der Wahrheit, oder einer vorher bestimmten Harmonie.
   Dieser ideale Zweck der Humanität ist aber nicht der Grund aller Verbindungen, welche im gewöhnlichen Leben den Namen Freundschaft führen. Wie das Entgegengesetzte der Schönheit - der Reiz - zuweilen einen täuschenden Schein der Geschlechtsliebe hervorbringt, so veranlaßt auch oft das Entgegengesetzte der Humanität - der Egoismus - eine der Freundschaft, dem Scheine nach, ähnliche Verbindung. Der Egoist strebt ebenfalls nach Vorzügen, und, in einem kultivierten Zeitalter, auch wohl nach wahren, nicht bloß eingebildeten; er wirkt oft mächtig auf die Menschheit, allein es ist ihm nicht dabei um Beförderung der Humanität zu thun, sondern einzig um Verherrlichung seiner Individualität; es ist ihm gleichgültig, ob er erleuchtet, ihm genügt es, wenn er nur glänzt. Er vereinigt sich daher ebenfalls gern mit Andern zu einem gemeinschaftlichen Zweck, und tritt, durch die dabei nöthige Mittheilung, mit ihnen in ein engeres Verhältniß, welches oft, des Ähnlichen in der Art des Umgangs, und der dabei Statt findenden Vertraulichkeit wegen, für Freundschaft gehalten wird. Aber der egoistische Grund solcher Verbindungen wird nur zu leicht sichtbar, und unterscheidet sich bald von der wahren Freundschaft. Wenn echte Freundschaft mit wahrem Enthusiasmus und vollem Eifer sich wechselseitig für den gemeinschaftlichen Zweck unterstützt, so entzieht sich die unechte, so lange nicht ihr besonderer Zweck sie zur Mitwirkung reizt. Jene findet ihr eigenes Glück in dem gelungenen Werke des Freundes, diese mißgönnt ihm eifersüchtig die Ehre der That und den Ruhm des Gelingens. Echte Freundschaft sieht im Freunde den Beförderer des eigenen Zwecks, unechte nur den Nebenbuhler; daher steigt jene mit dem Werthe des Freundes, wenn diese in demselben Verhältnisse fällt.
   Es läßt sich nicht leugnen, daß das Verhältniß der Geschlechter und ihre Natur das männliche zu einer größeren Kraft in der Freundschaft fähig macht, als das weibliche. Der Mann hat mit seinem Geschlecht - nicht zwar ein höheres, wie Manche thöricht sich einbilden, - aber doch ein anderes Ideal zu realisieren bekommen, als das Weib, und die Kraft, als Charakter seines Geschlechts, wird ihm überall den Vorzug lassen, wo es auf Kraft und ausströmende Thätigkeit ankommt. Wo hingegen Zartheit der Empfindung und in sich selbst gehende Thrätigkeit entscheidet, da wird das weibliche Geschlecht unfehlbar den Vorzug behaupten. Daher hängen Frauen mehr an der Vorstellung der Ideale, während Männer bemüht sind, die Ideale selbst darzustellen. Was aber die Natur dem weiblichen Geschlecht an der Fähigkeit zur eigentlichen Freundschaft abzog, das ersetzte sie ihm reichlich an der Liebe zu dem Kinde; denn diese ist in ihrer Reinheit nur der Mutter eigen.
Wenn in der Freundschaft der Frauen zu viel Empfindung ist, so ist in der sogenannten Vaterliebe zu viel Reflexion. Die Mutter liebt ihr Kind, und selbst zu der ganzen Kinderwelt zieht sie, ehe sie noch Mutter ist, eine verborgene Ahnung des künftigen Muttergefühls; der Vater liebt das Kind, und selbst in dem eigenen mehr die Kindlichkeit, oder seine Gattin, oder den Erben seines Namens. Die Mutter fühlt, was ihr Kind ist; der Vater überlegt, was aus dem Kinde werden kann. Keine Liebe ist so rein von allem Eigennutz, so frei von aller Aussicht auf Vergeltung, als die Liebe der Mutter. Sie ist das reinste Wohlwollen, welches nicht einmal durch Schönheit der Gestalt, wie die Geschlechtsliebe, oder durch Wahrheit und Übereinstimmung der Begriffe, wie die Freundschaft, seine Bestimmung erhält. Bloß die Idee der Unschuld ist es, was der Mutter in dem Kinde erscheint, und als Darstellung des Unendlichen ihre Liebe erweckt. Wie in dem Kinde, als physischem Wesen, noch alle Kräfte und Anlagen unentwickelt und kaum im Keime schlummern, so enthält die Unschuld, als moralisches Wesen des Kindes, die ursprüngliche, natürliche Richtungslosigkeit in Ansehung des Guten und Bösen. Für die Unschuld ist weder Gutes noch Böses vorhanden, eben weil sie noch ohne Schuld ist; es ist daher die höchste Tendenz des moralischen Menschen, diese natürliche und bewußtlose Unschuld der Kindheit mit Bewußtseyn und durch Freiheit in Heiligkeit wieder herzustellen. Aber so treffend sich in der Unschuld das Unendliche darstellt, so ist doch das Wohlgefallen an ihr selten ungemischt. Die moralische Reinheit in ihr erfüllt mit Achtung, und erregt ein drückendes Gefühl, weil diese Achtung nicht von der Freiheit, sondern von einem Werke der Natur gefordert wird, gegen welches in der sittlichen Würdigung zurückzustehen, doppelt niederschlagend ist. Nur der wahrhaft Heilige kann daher mit reiner Liebe der Unschuld sich nahen, und man irrt sich nicht, wenn man aus der Reinheit des Wohlgefallens an Kindern und an dem Umgang mit ihnen auf den sittlichen Charakter eines Menschen zu schließen versucht. Aber die Natur würde wenig für die, den Kindern so nöthige Liebe gesorgt haben, wenn sie bloß auf die Heiligkeit ihrer Erzeuger hätte rechnen wollen. Gewiß ist es zwar, daß der Charakter des weiblichen Geschlechts sich mehr zur Heiligkeit neigt, als der des männlichen, welcher sich mehr zur Gerechtigkeit wendet. Allein die Natur rechnet nie auf eine Ergänzung ihrer Anordnungen durch Etwas, welches von der Freiheit abhängt; sie ist sich jederzeit selbst genug, und enthält für jeden ihrer Zwecke in ihrer eigenen Sphäre das sicherste Mittel. Sie kann zwar dem Charakter nicht Heiligkeit geben, um das Wohlgefallen an der Unschuld von dem drückenden Gefühle des eigenen Zurückstehens zu reinigen; sie kann aber das Erscheinen der Unschuld im Kinde an solche Bedingungen knüpfen, welche das Gemischte in der Empfindung schon vor ihrem Entstehen aufheben, und die Mutter einer reinen Liebe zu dem Kinde fähig machen. Vom ersten Augenblick des Entstehens an ist das Kind in unmittelbarer Abhängigkeit von der Mutter, und zwar nicht bloß von ihrer Organisation, sondern auch, was das vorzüglichste ist, besonders nach seinem Eintritt in die Welt, von ihrem Willen. Denn nicht der Naturtrieb ist es, wie bei vernunftlosen Wesen, welcher die menschliche Mutter zur Ernährung ihres Kindes leitet, sondern Freiheit und Selbstbestimmung; daher ist sie auch nicht mit Nothwendigkeit an die von der Natur bestimmten Mittel gebunden, sondern sie kann den Zweck der Natur, den sie zu dem ihrigem macht, durch frei gewählte Mittel erfüllen. Dieses Gefühl der Abhängigkeit des Kindes von ihr und ihrem Willen, seiner Bedürftigkeit ihrer Hülfe und Sorgfalt, seines Unvermögens, ohne ihre Liebe zu bestehen, - denn was ist die berechnende Sorgfalt des Erziehers gegen die Liebe der Mutter? - ist das Mittel, durch welches die Natur dem Kinde die Liebe der Mutter sichert. Das Kind ist ihr nicht mehr die bloße Erscheinung der Unschuld, welche Achtung fordert; es ist ihr Kind, gebildet aus ihrem eigenen Wesen, und gepflegt durch ihre innige Liebe. So entsteht ihr die überall anerkannte Mutterwürde, welche sie fähig macht, der Unschuld des Kindes sich an die Seite zu stellen, und es mit reiner Liebe zu umfassen. Das Kind wird der Mutter nun ein Bild ihrer eigenen Unschuld, und indem die Phantasie die Erinnerungen und Bilder ihrer eigenen Kindheit mit ihren gegenwärtigen Gefühlen verbindet, entsteht ihr ein Ideal der Kindheit, welches sie aus sich selbst auf ihr Kind überträgt, und in diesem realisiert zu erblicken glaubt. Es scheint, als hätten selbst die Gesetzgeber, wie durch einen glücklichen Instinkt geleitet, das zarte Verhältniß der Mutter und des Kindes mit ihren Bestimmungen verschonen wollen, indem sie nur eine väterliche Gewalt in ihren Ordnungen festsetzen. Die liebende Mutter verschmäht des Rechtes todte Gewalt, in ihr lebt die lebendige Liebe, und für das Gefühl des Kindes gegen die Mutter hat die Sprache noch kein Wort gefunden.
   Ich setze der Mutterliebe unter den Künsten die Musik entgegen, und scheu nicht den Vorwurf der Paradoxie. Ist nicht der Gegenstand der Musik ebenfalls frei von Gestalt und Begriff, bloße Idee, wie die Unschuld, welche die Mutterliebe erweckt? Denn die Töne selbst sind es nicht, was der wahre Tonkünstler darstellen will, sie sind bloß das sinnliche Zeichen davon; und doch erscheint selbst in den Tönen die Harmonie, als objektives Bild des Unendlichen, wie die Unschuld im Kinde, als subjektives. Wenige nur haben reinen Sinn für Musik; denn sie erfordert eine Kultur, die man ästhetische Heiligkeit nennen möchte. Daher vergnügen sich die Meisten bloß an ihrem angenehmen Spiele, wie am muntern Tanzen der Kinder, oder sie studieren ihre harmonischen Verbindungen, wie die Ideen-Associationen ihrer Zöglinge. Nicht außer uns entsteht das musikalisch Dargestellte, in uns selbst bildet es sich, und die im Rhythmus wechselnden, und durch Harmonie, wie Planeten durch ihre Sonne, zusammengehaltenen Töne sind nur die gestaltlosen Schatten unsers eigenen Innern. Wie weder in Harmonie, sondern einzig in der möglichsten Freiheit des Rhythmus bei größter Einheit der Harmonie, das schöne Spiel der Töne besteht, so geht auch in dem Innern des Menschen nur aus Einheit der Person, bei möglichsten Wechsel des Zustandes, das schöne Spiel des Lebens hervor. Empfänglichkeit für Musik ist daher ein Zeichen der ästhetischen Kultur, wie die Liebe zu Kindern als ein Zeichen moralischer Kultur gilt; denn nur für das, was der Mensch mit Bewußtseyn ist, hat er Sinn. Die Rohheit vergnügt sich am harmonielosen rhythmischen Geräusch; die Weichlichkeit am Klange, der sich bloß der Abwechslung wegen in Rhythmen, und der Vernehmlichkeit wegen nach Gesetzen der Harmonie bewegt. Die wahre Kultur erkennt aber, in dem eigentlichen musikalischen Kunstwerke, das schöne Bild ihrer innern Einigkeit, und deswegen kann Musik nicht kultivieren, sondern nur die Kultur, welche sie voraussetzt, durch ihre Wirkung beleben und erhalten.

Aus: Cicaden von August Apel Drittes Bändchen
Berlin im Kunst- und Industrie-Comptoir 1811 (S. 219-276)

 

 



 

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