Sir Frank Dicksee
(1853-1928)
Romeo und Julia |
Gedanken
über die Liebe
von Victor Hugo
Die
Reduktion des Weltalls auf ein einziges Wesen und das Erheben eines
einzigen Wesens bis zu Gott ist - Liebe.
Liebe
ist der Gruß der Engel in den Sternen.
Wie
betrübt ist doch die Seele, wenn sie durch die Liebe betrübt wird.
Welch eine Leere verursacht die Abwesenheit des Wesens, das für uns allein
die Welt ausfüllt.
O! wie wahr ist es, daß das geliebte Wesen Gott wird. Man könnte glauben,
daß Gott eifersüchtig darauf würde, wenn der Vater des Alls nicht offenbar
die Schöpfung für die Seele und die Seele für die Liebe geschaffen hätte.
Hienieden
genügt ein Lächeln unter einem weißen Crephut mit einem Lilaschleier, um
die Seele ins Paradies der Träume einzulassen.
Gott
ist hinter Allem, aber Alles verbirgt ihn. Die Dinge sind schwarz, die
Geschöpfe undurchsichtig. Lieben heißt ein Wesen durchsichtig machen.
Gewisse
Gedanken sind Gebete. Es gibt Augenblicke, in welchen die Seele, welche
Stellung der Körper sie auch einnehmen mag, auf den Knieen liegt.
Getrennte
Liebende täuschen die Abwesenheit durch tausend chimärische Dinge, die
demungeachtet ihre Wirklichkeit haben. Man hindert sie daran, sich zu
sehen. Dann schreiben sie sich. Sie machen eine Menge geheimnißvoller
Mittel ausfindig, um mit einander zu correspondiren. Sie schicken sich den
Gesang der Vögel, den Duft der Blumen, das Lächeln der Kinder, das Licht
der Sonne, die Seufzer des Windes, die Strahlen der Sterne, die ganze
Schöpfung zu. Liebe ist mächtig genug, die ganze Welt zu ihrem Botendiener
zu machen.
O Frühling! du bist ein Brief den ich ihr schreibe.
Die
Zukunft gehört noch mehr dem Herzen als dem Geist. Lieben ist das Einzige,
womit sich die Ewigkeit befassen, das sie ausfüllen kann. Das Unendliche
bedarf des Unerschöpflichen.
Keine
Seele ohne Liebe. Wie jene ist sie ein göttlicher Funke, unbestechlich,
untheilbar, unsterblich. Sie ist ein feuriger, unvergänglicher Punkt in
uns, den nichts zu löschen vermag. Man fühlt ihn bis ins Mark der Knochen
brennen und sieht ihn bis in die Tiefe des Himmels strahlen.
O
Liebe! Anbetung! Wollust zweier Geister, die sich begreifen! zweier
Herzen, die sich austauschen! zweier Blicke, die sich durchdringen! Wirst
du mich auch beglücken, o Seligkeit? Spaziergänge in der Einsamkeit zu
zweien! O, ihr gesegneten, strahlenden Tage! Mitunter träumte mir, daß
Stunden sich aus dem Engelleben lösten und arme Sterbliche hienieden
beglückten.
Gott
kann das Glück derer, die sich lieben, nicht größer machen, als indem er
ihm Dauer ohne Ende gewährt. Nach einem Leben voll Liebe eine Ewigkeit
voll Liebe, ist in der That ein Zuwachs, aber selbst Gott kann die Größe
der unaussprechlichen Glückseligkeit nicht vergrößern, welche Liebe die
Seele hienieden vom Anfang ihres Daseins an verleiht. Gott erfüllt den
Himmel, wie die Liebe den Menschen.
Ihr
betrachtet einen Stern aus zwei Gründen, weil er leuchtet und
unbegreiflich ist. In Eurer Nähe strahlt noch etwas Süßerers und
Geheimnißvolleres: das Weib.
Ihr
Alle, wer Ihr auch sein mögt, liebt ein Wesen, ohne das Ihr nicht sein
könnt. Wenn es fehlt, fehlt die Luft und man erstickt. Man stirbt. Sterben
aus Liebesgram ist schrecklich. Es ist der Erstickungstod der Seele.
Wenn
die Liebe zwei Wesen zu einer himmlischen und heiligen Einheit
verschmolzen hat, ist das Geheimniß des Lebens für sie gefunden. Sie sind
weiter nichts mehr, als zwei Ausdrücke für ein und dasselbe Geschick, zwei
Schwingen für einen Geist. Liebet und schwingt Euch auf!
An
dem Tage, an welchem ein Weib strahlend an Euch vorübergeht, seid Ihr
verloren. Ihr liebt. Dann bleibt Euch nur noch eines übrig: So fest an sie
zu denken, daß sie gezwungen ist, an Euch zu denken.
Was
die Liebe beginnt, kann nur Gott vollenden.
Wahre
Liebe wird durch einen verlorenen Handschuh oder ein gefundenes
Schnupftuch zur Verzweiflung oder zum Entzücken gebracht und es bedarf für
ihre Hingebung und ihre Hoffnungen nicht weniger, als der Ewigkeit. Sie
besteht zugleich aus dem unendlich Großen und dem unendlich Kleinen.
Wenn
Du Stein bist, so sei ein Magnetstein, wenn Du eine Pflanze bist, so sei
eine Seepflanze, wenn Du ein Mensch bist, so sei Liebe.
Der
Liebe genügt nichts. Hat man das Glück, so will man das Paradies; hat man
das Paradies, so will man den Himmel. O ihr, die Ihr liebt, Alles dies ist
in der Liebe; versteht nur, es zu finden. Die Liebe hat eben so viel, wie
der Himmel, die Beschauung; aber außer dieser noch die Wollust.
Kommt
sie noch nach dem Luxemburg? - Nein, mein Herr. - Nicht wahr, in dieser
Kirche hört sie noch die Messe? - Sie kommt nicht mehr her. - Wohnt sie
noch immer in diesem Hause? - Sie ist ausgezogen. - Wohin? - Das hat sie
nicht gesagt.
Mein Gott, wie traurig ist es doch, wenn man nicht weiß, wo eine Seele
wohnt.
Die
Liebe hat Kindereien, die andern Leidenschaften haben Kleinigkeiten.
Schmach den Leidenschaften, die den Menschen klein, Ehre denen, die ihn
zum Kinde machen.
Es
ist etwas ganz Eigenthümliches, wissen Sie das wohl. Ich bin in dunkler
Nacht. Es gibt ein Wesen, welches, indem es fortgegangen ist, den Himmel
mitgenommen hat.
Seite
an Seite, Hand in Hand in demselben Grabe liegen und von Zeit zu Zeit in
der Finsterniß sanft einen Finger liebkosen, das würde mir für eine
Ewigkeit genügen.
Ihr,
die Ihr leidet, weil Ihr liebt, liebt noch mehr. Vor Liebe sterben ist in
Liebe leben.
Liebe.
Eine dunkle, gestirnte Verklärung ist mit dieser Todesstrafe verbunden. In
dem Todeskampfe liegt Entzücken.
O,
die Freude der Vögel! weil sie das Nest haben, deshalb haben sie den
Gesang.
Die
Liebe ist das himmlische Einathmen der Paradiesesluft.
Ihr
tiefen Herze, ihr weisen Geister, nehmt das Leben, wie es Gott geschaffen
hat; es ist eine lange Parole, eine nicht zu verstehende Vorbereitung zu
dem Geschick. Dieses Geschick, das wahre, beginnt für den Menschen auf der
ersten Stufe des Innern Grabes. Dann erscheint ihm etwas und er beginnt
das Endliche zu unterscheiden. Das Endliche, erinnert Euch dieses Wortes.
Die Lebenden sehen das Unendliche; das Endliche wird nur den Todten
sichtbar. Unterdessen liebet, leidet, hoffet und beschauet. Wehe dem, der
nur Körper, Formen, Schein geliebt hat. Ihm nimmt der Tod Alles. Strebt
dahin, Seelen zu lieben; die werdet Ihr wiederfinden.
Ihr
begegnet auf der Straße einem jungen, sehr armen Manne, welcher liebte.
Sein Hut war alt, sein Kleid abgetragen, an den Ellenbogen geflickt: durch
seine Schuhe drang das Wasser, durch seine Seele die Sterne.
Wie
groß ist es doch, geliebt zu sein; wie viel größer ist es aber noch, zu
lieben. Das Herz wird heroisch durch die Leidenschaft. Es besteht nur noch
aus Reinem; es stützt sich nur noch auf Erhabenes, Großes. Ein unwürdiger
Gedanke kann in ihm eben so wenig aufkeimen, als eine Nessel auf einem
Gletscher. Die hohe, reine Seele, unzugänglich den Leidenschaften und den
gemeinen Erregungen, die Wolken und den Schatten dieser Welt eben so
beherrschend, wie die Thorheiten, die Lügen, den Haß, die Eitelkeiten, das
Elend, wohnt in dem Blau des Himmels und empfindet die tiefen, unteren
Erschütterungen des Geschicks nur so, wie die Gipfel der Berge die
Erschütterungen der Erde empfinden.
Wenn
es "Niemanden" gäbe, der liebt, würde die Sonne erlöschen.
Aus: Die Elenden von Victor Hugo
Deutsch von Wilhelm Schroers
Vierter Theil: Die Idylle in der Rue Plumet und die
Epopee in der Rue St. Denis (Siebenter Band)
Mühlheim a. d. Ruhr 1862
Verlag von Julius Bagel
(S. 109-113)
_____
|