Gedanken über Gott und die Liebe

von Christina von Schweden (1626-1689)

 



Gedanken über Gott und die Liebe
 

 

Aus dem ersten Hundert:

Es ist unstreitig ein Gott, der das einzige Grundwesen und die letzte Absicht aller Dinge ist. (1.)

Dieser Gott ist gerecht, er ist weise, er ist gut, er ist allmächtig. Er verdient von allen vernünftigen Geschöpfen bewundert, geliebet, angebethet, gefürchtet, und mit Gehorsam verehret zu werden: und das bloß deswegen, weil er Gott ist. (2.)

Alles, auch das Anständigste und Erhabenste, was man von Gott sagen mag, kann keine Erklärung von ihm abgeben: er ist unbegreiflich und unaussprechlich. Man bethet ihn nicht anders würdig an, als durch Stillschweigen, Bewunderung und Liebe. (3.)

Das schönste Gebeth von allen ist das Gebeth der Liebe, der Ergebung und des Stillschweigens: aber Gott allein lehrt uns diese Sprache; die meisten Menschen verstehen sie fast nicht. (4.)

Man kann nichts gerechteres, nichts Gott anständigeres, thun, als sich ihm, zum Leben und zum Tode, für die Zeit und für die Ewigkeit, gänzlich zu ergeben. (5.)

Man muß weder von ihm selbst, noch von allem, was außer ihm ist, etwas anders glauben, als was er davon weiss und will. Dieß ist das einzige Mittel, sich niemals zu irren. (6.)

Man muß überzeugt seyn, daß er es mit uns nach einer unumschränkten Weisheit, Gerechtigkeit und Güte, die nicht irren kann, füget. (7.)

Es war der Vorsehung Gottes gemäß, den Menschen eine Schule der Wahrheit zu öffnen, damit ihnen nicht unbekannt wäre, wie man ihm dienen, und ihn ehren müsse. (8.)

Wir sind dazu gebildet, Gott zu lieben, zu bewundern und anzubethen: ja noch dazu sind wir bloß deswegen gebohren, um uns ewig mit ihm auf diese ruhmvolle und herrliche Weise zu beschäftigen. Was für ein Glück! Und wie wenig wird es erkannt! (18.)

Die Tugend, welche nicht Gott zu ihrem einzigen Ziele hat, ist nicht Tugend, sondern bloße Eitelkeit. (19.)

Unser Ruhm und unsre Glückseligkeit hängen einzig und allein von Gott und von uns ab. (20.)

Man prüfe sein Herz: so wird man befinden, daß nichts vermögend ist, es zu erfüllen, nichts vermögend, es zu trösten, als Gott. (21.)

Wir haben einen Richter, welcher Gott, und einen Zeugen, welches unser Gewissen ist: weder der eine noch der andre lassen sich betrügen; das Übrige von der Welt muß man für nichts achten. (44.)

Ein ieder, der eine gute Handlung vollbracht hat, muß Gott dafür danken, der sie in ihm gethan hat, und er muß der erste seyn, der sie vergesse. (47.)

Die Eigenliebe ist nicht so strafbar, als man sie abmahlet. Wie könnte man sich nicht selbst lieben! Gott will, daß wir uns selbst lieben: da er uns befiehlt, ihn mehr, als uns selbst, und unsern Nächsten, als uns selbst, zu lieben. Dieß setzet voraus, daß man sich lieben muß. (51.)

Man muß einem andern niemals etwas thun, als was man wohl von andern leiden will. Wie glücklich würde man seyn, wenn diese Grundregel im Gebrauche wäre! (52.)

Alles, was gefällt, ist erlaubt: nichts aber muß gefallen, als, was gerecht, vernünftig und ehrlich ist. (53.)

Alles was nicht ehrlich und rechtschaffen ist, kann nicht nützlich seyn. (54.)

Gott muß unser Ziel, und sein Wille unsre Regel seyn. (55.)

Man muß alles, was erlaubt ist, ohne Zweifel und Bedenken zu genießen wissen, und desselben auch ohne Schmerzen entbehren können. (56.)

Wir haben mit wenigen Kosten, alles, was uns nöthig ist. (57.)

Man missbraucht alles: nur die Tugend kann man nicht missbrauchen; sie allein macht ihre Besitzet glücklich und ruhmvoll. (62.)

Die Welt hat nichts, womit sie ein großes Herz befriedigen könnte, wenn sie sich ihm auch ganz gäbe. (72.)

Ein großes Herz kann sich nicht rächen, wenn es schwach, und muß sich nicht rächen, wenn es stark ist. (74.)

Man muß sich nicht anders, als durch Wohlthaten rächen: alle andere Rache, wenn sie gleich gerecht, ist einer heldenmüthigen Seele nicht anständig. (75.)

Es ist kein größres Vergnügen, als dasjenige, welches eine gute Handlung giebt, und kein ruhmreicherer Sieg, als den man über sich selbst davon tragt. (76.)

Alles auf eine edle und würdige Weise zu thun, muß man keinen andern Zweck haben, als Gott zu gefallen und zu gehorchen. (79.)

Wenn man Gott recht liebete, würde man seiner niemals vergessen. (80.)

Die Liebe löscht alle Fehler und alle Verbrechen aus: so bald man Gott liebet, ist man unschuldig. (81.)

Das Leben gleicht einer schönen Symphonie, welche einnimmt und gefällt, aber nicht lange dauert. (83.)

Das Vergangene ist nicht mehr; das Zukünftige ist ungewiß; das Gegenwärtige ist nichts als ein Punct: aber von diesem erschrecklichen Puncte hängt unser Glück oder Unglück für die Ewigkeit ab. (84.)

Man muß in der That dasjenige zu seyn trachten, was man scheinen will. (86.)

Alles Verbrechen ist eine harte Buße für denjenigen, der es begangen hat. (89.)

Diejenigen, welche die Jugend ein Fieber genannt haben, haben vielleicht Recht: aber ich wünschte, das Fieber Zeit Lebens zu haben, wenn es mich auch schwärmend machte. (92.)

Die Wohlthaten machen fast allezeit Undankbare, und selten Freunde: dieß muß aber nicht hindern, allezeit wohl zu thun, wenn man kann. (94.)

Man muß mit seiner Zeit geiziger seyn, als mit seinem Gelde: dennoch verschwendet man diesen unschätzbaren Schatz auf eine elende Weise. (96.)

Man muß die edlen Übungen des Leibes wissen: aber man muß kein Handwerk daraus machen. (98.)

Wenn man wohl reden will, muß man wenig reden. (100.)


Aus dem zweiten Hundert:

Die wahre Größe besteht nicht darinn, daß man alles thun kann, was man will: sondern darinn, daß man nichts wolle, als was den Pflichten gemäß ist. (29.)

Man kann weder lieben noch ehren, was man nicht hochachtet. (44.)

Die Weltweisen mögen uns sagen was sie wollen: so halte ich doch die Armuth, die Krankheiten, die Schmerzen des Leibes für wahre Übel, wofür uns die Vernunft nicht trösten kann. Die Religion allein giebt uns wohl gegründete Tröstungen wider alle diese Übel des Lebens an die Hand. (77.)

Die Leidenschaften sind das Salz des Lebens: man ist weder anders glückselig, noch anders unglückselig, als nach dem Ebenmaaße, worinn man ihnen Gewalt angethan hat. (79.)

Die Liebe und die Ehrbegierde müssen Gott zum Gegenstande haben: nur in ihm allein können sie ihre überflüssige und würdige Befriedigung finden. (82.)

Die Güter und Übel dieser Welt gleichen sehr denen Gemälden nach dem Gesichte in der Ferne, die uns auf so vielerley Weise belustigen und betrügen, und in der That bloß ein wenig gemalte Leinwand, aber nichts wirkliches in der Sache sind. (96.)

Wir sind fast allezeit Kinder; wir wechseln in allen Altern mit unserm Zeitvertreibe, und unsern Puppen; alles bekömmt allmählig ein ebenmäßiges Verhältniß mit unserer Fähigkeit: aber am Ende, wenn man es untersuchet, beschäftigt man sich bloß mit Kleinigkeiten und eine jede Zeit, ein jedes Alter, lachet über die Kleinigkeiten, die man eben aufgegeben hat, ob gleich die Beschäftigung, welche darauf folgt, gar nicht ernsthafter ist. (97.)

Die einzige Absicht der Liebe ist, zu lieben und geliebet zu werden: weiter verlangt sie nichts. (98.)

Die Liebe verschönert den geliebten Gegenstand, und machet ihn jeden Augenblick liebenswürdiger: aber die Liebe der Leute, die man nicht lieben kann, ist bis zur Raserey beschwerlich. (99.)

Die Treue in der Liebe ist nicht so wohl ein Verdienst, als eine Nothwendigkeit: sie allein unterscheidet die wahre Liebe von der falschen. (100.)


Aus dem dritten Hundert:

Tausend Dinge können hindern, daß man den Gegenstand seiner Wünsche nicht besitze: nichts aber kann hindern, daß man ihn nicht liebe. (2.)

Die Liebe ist keusch: nichts gefällt ihr, nichts rührt sie, als der geliebte Gegenstand. (3.)

Eine jede Person, die zu einer großen Liebe aufgelegt ist, ist glücklich, wenn sie hier in der Unterwelt etwas findet, das ihrer Neigung auf eine würdige Weise gemäß sey. Es würde das größte Unglück seyn, dergleichen zu finden. (5.)

Man liebet übel, wenn man wider die Tugend und den Ruhm liebet, welche von der wahren Liebe unzertrennlich seyn müssen. (6.)

Der Genuß ist zum Daseyn der Liebe nicht nothwendig: aber zu ihrer Glückseligkeit ist er fast nothwendig. (7.)

Man kann verliebt seyn, ohne seinen Gegenstand zu besitzen: aber man kann nicht vollkommen glücklich seyn, ohne ihn zu genießen. (8.)

Viele Gesetze verbieten den Genuß: keines aber untersaget die Liebe. (9.)

Wann die Hoffnung zum Genusse verlohren ist: so leidet man grausam; aber man liebet darum nicht weniger. (10.)

Die Abwesenheit zernichtet die wahre Liebe nicht: und die Zeit, die alles zerstöret, kann bey ihr nichts ausrichten. (11.)

Wo die Liebe eine Schwachheit ist: so ist es die einzige, die man, auch selbst den Helden, verzeihen kann. (12.)

Die Liebe mag glücklich, oder unglücklich seyn: so besteht sie allezeit. (13.)

Wenn ein Herz der Liebe fähig ist: so ist es unmöglich, daß es nicht frühe oder spät Gott lieben sollte, welcher der einzige ist, der sein Verlangen zu erfüllen vermag. (14.)

Die Herrlichkeit und Glückseligkeit Gottes ist der gerechteste und würdigste Stoff zu unserer Freude und zu unserem Troste. (15.)

Wenn Gott uns eigentlich bloß dazu gebildet hätte, ewig, wie Feuersbrände, in der Hölle brennen: so würde er nicht weniger von uns geliebet und angebethet zu werden verdienen. (16.)

Um in dieser und der andern Welt glückselig zu seyn, muß man alles dessen, was nicht Gott ist, zu entbehren wissen. (18.)

Nichts kann unser Herz fest halten: es findet seine Ruhe einzig und allein in Gott. (19.)

Es giebt so wohl gebohrne und so glückliche Herzen, daß sie nichts, als Gott, jemals geliebet haben: es giebt andere, die dazu nicht eher gelangen, als bis sie alles überdrüßig geworden sind. Die ersten sind beneidenswürdig; die andern sind weniger glückselig: allein es ist besser, ihn spät zu lieben, als niemals. (20.)

Gott allein ist unser Verdienst und er muß auch unsere einzige Belohnung seyn. (21.)

Wann Gott uns alles entzieht, muß man es so machen, wie jener Liebhaber des Alcibiades, der ihm nicht allein für das wenige, das er ihm ließ, sondern auch für alles, was er ihm wegnahm, als für eine große Gunst dankte. (76.)


Aus dem vierten Hundert:

Wann man Gott sein Glück, seine Vortheile, seinen Ruhm und alle seine Hoffnung aufopfert: so ist dieß Opfer groß, und kömmt dem, der es thut, sehr theuer zu stehen. Es ist größer, als das Opfer von jenem einzigen Sohne in der alten Zeit. Aber ein jeder, der Gott dem Herrn die Leidenschaft einer wahren und feurigen Liebe aufopfert, thut etwas mehr: man kann die Größe dieses Opfers sich nicht vorstellen. Die Aufopferung des Lebens selbst ist damit nicht zu vergleichen: und ich gedenke, daß es die größte, obgleich die geheimniste, von allen Martern ist. (49.)


Aus: Historische Merkwürdigkeiten, die Königinn Christina von Schweden betreffend,
zur Erläuterung der Geschichte ihrer Regierung und insonderheit ihres Privatlebens,
wie auch der Civil- und Gelehrtenhistorie ihrer Zeit etc.
Vierter Theil: Der Königinn Christina von Schweden
Gedanken zum Beweise ihrer Gesinnungen und merkwürdige Aussprüche (S. 11-46)
Leipzig und Amsterdam verlegen es Jean Schreuder und Pierre Mortier der Jüngere
Buchhändler zu Amsterdam 1760



 

 



 

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