BESCHREIBUNG DES REICHS DER LIEBE

mit beygefügter Landkarte

von Johann Gottlob Immanuel Breitkopf
 






 

Erklärung der Charte des Reichs der Liebe

Das Reich der Liebe ist ohne Zweifel das ausgebreiteste und bewohnteste Land  unter dem Monde. Gleichwohl hat unter den vielen Reisenden, die es durchwandert haben, wovon sich wohl keine edle Seele ausschließen wird, keiner nur zuverläßige Nachrichten, viel weniger eine ganze Charte davon geliefert, es sey nun, daß nur wenige alle Gebiete desselben übersehen haben, oder, daß sie nicht gutes Herz genug hatten, andre Reisende vor der Scylle und Charybdis zu warnen, denen sie oft zum Raube geworden waren. Wir hoffen den Weltbürgern, die doch einmal in diesem Lande kreuzen müssen, einen nicht geringen Dienst zu erweisen, wenn wir theils von unsern eignen Reisen, theils aus den Berichten derer Banks und Cooks, welche aus den unbekannten Ländern dieses Reiches nicht ohne Gefahr zurückkamen, theils aus Beyspielen vieler Unglücklichen, die wir selbst von ferne an Klippen scheitern oder in Pfuhlen versinken sahen, eine richtige Charte und deutliche Beschreibung liefern, zur Warnung für die, welche erst ausreisen, und zur angenehmen Erinnerung für die, welche von der Reise ausruhen.

I. Das Lande der Jugend

ist die Grenze, von der die meisten Pilger ausreisen. Aus dem Städtchen Sorgenlos kommen sie in die verschiedenen umliegenden Oerter, und verweilen sich bald in Reizenstein, Schönhausen, bald in Reichenbach, Witzingen und Freudenheim, wo sie aus dem Quell der Freude Bezauberung trinken. Tändelspiel und Küßefeld am Fluße der Wünsche, welcher vor Sorgeloß entspringt, gelegen, sind zwey sehr gefährliche Oerter, und die Grenzfestung Warnungsstein ist selten im Stande, diejenigen welche sich zu lange an diesen beyden Orten aufgehalten haben, abzuhalten, daß sie nicht in

II. Das Gebiete der fixen Ideen

übertreten sollten. Dieses Hauptgebiet grenzt gegen Morgen an das Land der glücklichen Liebe, gegen Abend an das Land der traurenden Liebe, gegen Mitternacht an das Land der Lüste. Seine vornehmsten Städte sind die Stadt der Träume, Triebstadt, Verlangen und Unruh.


III. Das Land der traurenden Liebe

Verachtung und Strenge sind die Grenzstädte dieses traurigen Gebiets von der Mittagsseite, so wie man an der Morgenseite die Seufzerflur antrifft; das Hoffnungslose Gebirge, worauf der Thränenfluß entspringt, und welches einen Theil des Gebietes der fixen Ideen umschließt, macht von der Mittags- und Abendseite die Grenze aus, und bildet die Klagenhöhle, welche von der andern Seite mit dem Thränenfluße umschlossen wird. Der erste Ort auf den man hier trifft, ist Grillenburg, ein ödes Schloß, die Wohnung plagender Dämonen. Wagt man es, wie es einige gewagt haben, über die schroffen Alpen ostwärts zu reisen: so kann man noch, wenn man glücklich vor Untreu vorbey kömmt, auf die fröhliche Aussicht kommen. Reist man aber auf dem gewöhnlichen Wege der unglücklichen Liebe zwischen dem Thränenfluße, und dem Moraste des Tiefsinns, welcher schon viele verschlungen hat: so kommt man nach Werthershayn, welcher durch den Fall eines Unglücklichen berühmt, von den critischen Holzhackern, und moralischen Wildschützen, verheert und durchkreuzt wird. Aus diesem Hayn, welcher von einem berühmten Geographen nicht ganz unangenehm geschildert worden ist, tritt man in die Wüste der Schwermuth, aus welcher man nicht kommen kann, ohne nach Wuthheim zu kommen, wo die Seelenverkäufer die Reisenden zu einer Schiffarth ins Meer der Verzweiflung wegkapern, woraus kein Schiff ungescheitert zurückkehrt. Reist man aus dem Gebiete der fixen Ideen über die Brücke der Hoffnung, welche über den süssen Thränenbach, einen Canal des Thränenflusses gebaut ist:  so kömmt man an die fröhliche Aussicht, wo dem Wanderer zwey Wege offen stehen, wovon der zur Linken ins

IV. Land der Lüste

führt. Die Grenzstadt davon ist die Sinnenlust, eine verführerische Stadt, gleich dem Capua der Römer. Sie liegt am Schwelgerfluße, und wird durch denselben von Taumelfeld getrennt, das am andern Ufer liegt. Die betäubende Kraft des Schwelgerflusses bringt die Reisenden in eine Zerstreuung, die endlich in die gefährlichsten Krankheiten ausartet. Man bringt die Patienten nach Schwachheim, von da ihnen der Weg in das Krankenthal und Lazareth und endlich nach Todtenweilern unvermeidlich ist. Dieses sind Wohnplätze unzähliger Furien, als Blaßsucht, Raserey usw. und um Krankenthal und Lazareth geht noch ein gerader Weg nach dem Meere der Verzweiflung, das mit Todtenweilern grenzt. Wir wollen dieses mit Abscheu angefüllte Land verlaßen, und von den Grenzen des Gebiets der fixen Ideen aus, in

V. Das Land der glücklichen Liebe

reisen. Gunsthof ist der Ort, der dahin führt, von da kommt man nach Gute Zeit und Zärtlichkeit, welcher letztre Ort an dem Freudenstrohme liegt, über den man ohne Mühe und nur zu leicht nach Genuß kommen kann, woran aber der Lustwald und das Gebiet der Lüste mit allen angenehmen und abscheulichen Orten grenzt. Der kluge Wandrer muß diese Abwege zu seiner Sicherheit vermeiden. Diesem müssen wir auf der andern Seite einen Abweg anzeigen, der über den ihm anfangs lächelnden aber gewiß langweiligen Ort, Sättigung ostwärts in

VI. Das Land der Hagestolze

führt. Ein andrer Grenzort dieses bey aller seiner Unannehmlichkeit immer genug bewohnten Gebiets ist Korbgebe und Bindenfall. Im Herzen des Landes Verlachungsau, Aergerniß, Kaltsinn und das volkreiche Dummheitsdorf. An diesem Lande, dessen Einwohner selten mit guten Willen, öfter aber aus Nothwendigkeit dahin kommen, liegt noch

VII. Das Ländgen der Ruhe

gleichsam das Nova Zembla im Reiche der Liebe, wo Kälte und Erstarrung die Pilgrimme so unthätig macht, daß sie darinn länger als in allen andern Gebieten verweilen, und von Gleichmuth nach Großvaterstuhl und Schlafmütze übergehen, wo sie wahrscheinlicherweise lebenslang bleiben. Es geht zwar in dieses Land auch ein Arm des Freudenstrohms: allein er ist so schwach, und ein Wasser von so besonderer Art, daß nur die, welche lange daselbst waren, dasselbe schmackhaft finden können.

Wir kehren wieder ins Land der glücklichen Liebe zurück, und kommen an den steilen Berg der Einwilligung nahe bey wahre Liebe. Diejenigen, welche diesen ersteigen, sehen ein weites Gefilde vor sich, wovon sie das Angenehmste leicht sehen, einige schlechtere Gegenden aber bleiben ihnen noch verdeckt. Mit frohen Schritten eilen sie in das vergnügte Hölzgen, und nach Ehstandshausen, unbesorgt aller Abwege, die sie noch zu befürchten haben. Hüte dich guter Wandrer, daß du nicht nach Zänkershall und Unwill abkommst, und von Haß und Scheidung nach der verdrüstlichen Haide geführt wirst, aus welcher kein Ausweg ist, ohne nach Todtenweilern zu kommen. Nur der, welcher seines Trittes gewiß ist, weiß alle diese theils lockenden, theils schlüpfrigen Wege zu vermeiden, und nach der Stadt der Belohnung, nahe Wonnestadt, in die glücklichsten Gefilde des großen Reichs zu kommen. Dreymal glücklich, wenn er denn diese Gefilde abwechselnd in den Fluren von Kindersegen und Seelenruh durchwandert, Fluren, aus denen er sich gewiß nie zurück wünscht, und sich für seine Reise genugsam belohnt sieht!
________


Bey Gelegenheit einer Hochzeit ward ich, bald nach der Ausgabe meines Ersten Versuchs im Satz und Druck geographischer Charten, veranlaßt, in aller Geschwindigkeit noch einen Versuch darinnen zu machen. Ich schlug es um desto weniger aus, ungeachtet es in die ohnedem unruhigen Tage der Messe fiel, weil ich sowohl dabey die Geschwindigkeit des Setzers, und Richtigkeit der Anweisung zum Satz, als auch die Vollständigkeit des Grundrisses der Erfindung auf die Probe stellen; zugleich aber bey denen darinnen vorkommenden mehrern Veränderungen dem Vorwurfe begegnen konnte, als ob der Erste Versuch nur durch eine lange Vorbereitung hervor gebracht, und blos auf solchem allein die ganze Erfindung eingeschränkt wäre.
Die Sache ward also in drey Tagen gedacht, entworfen, gezeichnet, gesetzt und gedruckt. Ich glaube, daß man mit dieser Geschwindigkeit bey einer neuen Erfindung zufrieden seyn könne, und zweifle, so klein die Charte auch ist, daß ein hierinnen schon geübter Kupferstecher, mit meinem Setzer eine Wette antreten dürfte. Die Verbesserung wird billig der Uebung und Zeit überlassen.
Johann Gottlob Immanuel Breitkopf.

Aus: Beschreibung des Reichs der Liebe,
mit beygefügter Landcharte
Ein Zweyter Versuch im Satz und Druck geographischer Charten,
durch die Buchdruckerkunst von J. G. J. B. [Breitkopf]
Leipzig Aus der Breitskopsischen Buchdruckerey den 19ten October 1777

Die Landkarte in großer Auflösung bei:
https://www.bavarikon.de/object/bav:BSB-BAR-0000000000168780

 

 




zurück zur Startseite