Erklärung der Charte des Reichs der Liebe
Das Reich der Liebe ist ohne Zweifel das ausgebreiteste und bewohnteste
Land unter dem Monde. Gleichwohl hat unter den vielen Reisenden, die
es durchwandert haben, wovon sich wohl keine edle Seele ausschließen wird,
keiner nur zuverläßige Nachrichten, viel weniger eine ganze Charte davon
geliefert, es sey nun, daß nur wenige alle Gebiete desselben übersehen
haben, oder, daß sie nicht gutes Herz genug hatten, andre Reisende vor der
Scylle und Charybdis zu warnen, denen sie oft zum Raube geworden waren.
Wir hoffen den Weltbürgern, die doch einmal in diesem Lande kreuzen
müssen, einen nicht geringen Dienst zu erweisen, wenn wir theils von
unsern eignen Reisen, theils aus den Berichten derer Banks und Cooks,
welche aus den unbekannten Ländern dieses Reiches nicht ohne Gefahr
zurückkamen, theils aus Beyspielen vieler Unglücklichen, die wir selbst
von ferne an Klippen scheitern oder in Pfuhlen versinken sahen, eine
richtige Charte und deutliche Beschreibung liefern, zur Warnung für die,
welche erst ausreisen, und zur angenehmen Erinnerung für die, welche von
der Reise ausruhen.
I. Das Lande der Jugend
ist die Grenze, von der die meisten Pilger ausreisen. Aus dem Städtchen
Sorgenlos kommen sie in die verschiedenen umliegenden Oerter, und
verweilen sich bald in Reizenstein, Schönhausen, bald in
Reichenbach, Witzingen und Freudenheim, wo sie aus dem
Quell der Freude Bezauberung trinken. Tändelspiel und
Küßefeld am Fluße der Wünsche, welcher vor Sorgeloß
entspringt, gelegen, sind zwey sehr gefährliche Oerter, und die
Grenzfestung Warnungsstein ist selten im Stande, diejenigen welche
sich zu lange an diesen beyden Orten aufgehalten haben, abzuhalten, daß
sie nicht in
II. Das Gebiete der fixen Ideen
übertreten sollten. Dieses Hauptgebiet grenzt gegen Morgen an das Land
der glücklichen Liebe, gegen Abend an das Land der traurenden Liebe,
gegen Mitternacht an das Land der Lüste. Seine vornehmsten Städte
sind die Stadt der Träume, Triebstadt, Verlangen und
Unruh.
III. Das Land der traurenden Liebe
Verachtung und Strenge sind die Grenzstädte dieses traurigen
Gebiets von der Mittagsseite, so wie man an der Morgenseite die
Seufzerflur antrifft; das Hoffnungslose Gebirge, worauf der
Thränenfluß entspringt, und welches einen Theil des Gebietes der
fixen Ideen umschließt, macht von der Mittags- und Abendseite die
Grenze aus, und bildet die Klagenhöhle, welche von der andern Seite
mit dem Thränenfluße umschlossen wird. Der erste Ort auf den man
hier trifft, ist Grillenburg, ein ödes Schloß, die Wohnung
plagender Dämonen. Wagt man es, wie es einige gewagt haben, über die
schroffen Alpen ostwärts zu reisen: so kann man noch, wenn man glücklich
vor Untreu vorbey kömmt, auf die fröhliche Aussicht kommen.
Reist man aber auf dem gewöhnlichen Wege der unglücklichen Liebe
zwischen dem Thränenfluße, und dem Moraste des Tiefsinns,
welcher schon viele verschlungen hat: so kommt man nach Werthershayn,
welcher durch den Fall eines Unglücklichen berühmt, von den critischen
Holzhackern, und moralischen Wildschützen, verheert und durchkreuzt wird.
Aus diesem Hayn, welcher von einem berühmten Geographen nicht ganz
unangenehm geschildert worden ist, tritt man in die Wüste der
Schwermuth, aus welcher man nicht kommen kann, ohne nach Wuthheim
zu kommen, wo die Seelenverkäufer die Reisenden zu einer Schiffarth ins
Meer der Verzweiflung wegkapern, woraus kein Schiff ungescheitert
zurückkehrt. Reist man aus dem Gebiete der fixen Ideen über die
Brücke der Hoffnung, welche über den süssen Thränenbach, einen
Canal des Thränenflusses gebaut ist: so kömmt man an die
fröhliche Aussicht, wo dem Wanderer zwey Wege offen stehen, wovon der zur
Linken ins
IV. Land der Lüste
führt. Die Grenzstadt davon ist die Sinnenlust, eine verführerische
Stadt, gleich dem Capua der Römer. Sie liegt am Schwelgerfluße,
und wird durch denselben von Taumelfeld getrennt, das am andern
Ufer liegt. Die betäubende Kraft des Schwelgerflusses bringt die
Reisenden in eine Zerstreuung, die endlich in die gefährlichsten
Krankheiten ausartet. Man bringt die Patienten nach Schwachheim,
von da ihnen der Weg in das Krankenthal und Lazareth und
endlich nach Todtenweilern unvermeidlich ist. Dieses sind
Wohnplätze unzähliger Furien, als Blaßsucht, Raserey usw.
und um Krankenthal und Lazareth geht noch ein gerader Weg
nach dem Meere der Verzweiflung, das mit Todtenweilern
grenzt. Wir wollen dieses mit Abscheu angefüllte Land verlaßen, und von
den Grenzen des Gebiets der fixen Ideen aus, in
V. Das Land der glücklichen Liebe
reisen. Gunsthof ist der Ort, der dahin führt, von da kommt man
nach Gute Zeit und Zärtlichkeit, welcher letztre Ort an dem
Freudenstrohme liegt, über den man ohne Mühe und nur zu leicht nach
Genuß kommen kann, woran aber der Lustwald und das Gebiet
der Lüste mit allen angenehmen und abscheulichen Orten grenzt. Der
kluge Wandrer muß diese Abwege zu seiner Sicherheit vermeiden. Diesem
müssen wir auf der andern Seite einen Abweg anzeigen, der über den ihm
anfangs lächelnden aber gewiß langweiligen Ort, Sättigung ostwärts
in
VI. Das Land der Hagestolze
führt. Ein andrer Grenzort dieses bey aller seiner Unannehmlichkeit immer
genug bewohnten Gebiets ist Korbgebe und Bindenfall. Im
Herzen des Landes Verlachungsau, Aergerniß, Kaltsinn
und das volkreiche Dummheitsdorf. An diesem Lande, dessen Einwohner
selten mit guten Willen, öfter aber aus Nothwendigkeit dahin kommen, liegt
noch
VII. Das Ländgen der Ruhe
gleichsam das Nova Zembla im Reiche der Liebe, wo Kälte und
Erstarrung die Pilgrimme so unthätig macht, daß sie darinn länger als in
allen andern Gebieten verweilen, und von Gleichmuth nach
Großvaterstuhl und Schlafmütze übergehen, wo sie
wahrscheinlicherweise lebenslang bleiben. Es geht zwar in dieses Land auch
ein Arm des Freudenstrohms: allein er ist so schwach, und ein
Wasser von so besonderer Art, daß nur die, welche lange daselbst waren,
dasselbe schmackhaft finden können.
Wir kehren wieder ins Land der glücklichen Liebe zurück, und kommen
an den steilen Berg der Einwilligung nahe bey wahre Liebe.
Diejenigen, welche diesen ersteigen, sehen ein weites Gefilde vor sich,
wovon sie das Angenehmste leicht sehen, einige schlechtere Gegenden aber
bleiben ihnen noch verdeckt. Mit frohen Schritten eilen sie in das
vergnügte Hölzgen, und nach Ehstandshausen, unbesorgt aller
Abwege, die sie noch zu befürchten haben. Hüte dich guter Wandrer, daß du
nicht nach Zänkershall und Unwill abkommst, und von Haß
und Scheidung nach der verdrüstlichen Haide geführt wirst,
aus welcher kein Ausweg ist, ohne nach Todtenweilern zu kommen. Nur
der, welcher seines Trittes gewiß ist, weiß alle diese theils lockenden,
theils schlüpfrigen Wege zu vermeiden, und nach der Stadt der Belohnung,
nahe Wonnestadt, in die glücklichsten Gefilde des großen Reichs zu
kommen. Dreymal glücklich, wenn er denn diese Gefilde abwechselnd in den
Fluren von Kindersegen und Seelenruh durchwandert, Fluren,
aus denen er sich gewiß nie zurück wünscht, und sich für seine Reise
genugsam belohnt sieht!
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Bey Gelegenheit einer Hochzeit ward ich, bald nach der Ausgabe meines
Ersten Versuchs im Satz und Druck geographischer Charten, veranlaßt, in
aller Geschwindigkeit noch einen Versuch darinnen zu machen. Ich schlug es
um desto weniger aus, ungeachtet es in die ohnedem unruhigen Tage der
Messe fiel, weil ich sowohl dabey die Geschwindigkeit des Setzers, und
Richtigkeit der Anweisung zum Satz, als auch die Vollständigkeit des
Grundrisses der Erfindung auf die Probe stellen; zugleich aber bey denen
darinnen vorkommenden mehrern Veränderungen dem Vorwurfe begegnen konnte,
als ob der Erste Versuch nur durch eine lange Vorbereitung hervor
gebracht, und blos auf solchem allein die ganze Erfindung eingeschränkt
wäre.
Die Sache ward also in drey Tagen gedacht, entworfen, gezeichnet, gesetzt
und gedruckt. Ich glaube, daß man mit dieser Geschwindigkeit bey einer
neuen Erfindung zufrieden seyn könne, und zweifle, so klein die Charte
auch ist, daß ein hierinnen schon geübter Kupferstecher, mit meinem Setzer
eine Wette antreten dürfte. Die Verbesserung wird billig der Uebung und
Zeit überlassen.
Johann Gottlob Immanuel Breitkopf.
Aus: Beschreibung des
Reichs der Liebe,
mit beygefügter Landcharte
Ein Zweyter Versuch im Satz und Druck geographischer Charten,
durch die Buchdruckerkunst von J. G. J. B. [Breitkopf]
Leipzig Aus der Breitskopsischen Buchdruckerey den 19ten October 1777
Die Landkarte in großer Auflösung bei:
https://www.bavarikon.de/object/bav:BSB-BAR-0000000000168780