Deutsche Liebeslyrik - Gedicht der Woche Archiv

für das Jahr 2019

(die neuesten Gedichte oben)




Dämmerstunde

Im Sessel du, und ich zu deinen Füßen -
Das Haupt zu dir gewendet, saßen wir;
Und sanfter fühlten wir die Stunden fließen,
Und stiller ward es zwischen mir und dir;
Bis unsre Augen ineinandersanken
Und wir berauscht der Seele Atem tranken.

Theodor Storm (1817-1888)
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Zu Bethlehem da ruht ein Kind

Zu Bethlehem, da ruht ein Kind,
Im Kripplein eng und klein,
Das Kindlein ist ein Gotteskind,
Nennt Erd' und Himmel sein.

Zu Bethlehem, da liegt im Stall,
Bei Ochs und Eselein,
Der Herr, der schuf das Weltenall,
Als Jesuskindchen klein.

Von seinem gold'nen Thron herab
Bringt's Gnad und Herrlichkeit,
Bringt jedem eine gute Gab',
Die ihm das Herz erfreut.

Der bunte Baum, vom Licht erhellt,
Der freuet uns gar sehr,
Ach, wie so arm die weite Welt,
Wenn's Jesuskind nicht wär'!

Das schenkt uns Licht und Lieb' und Lust
In froher, heil'ger Nacht.
Das hat, als es nichts mehr gewußt,
Sich selbst uns dargebracht.

O wenn wir einst im Himmel sind,
Den lieben Englein nah,
Dann singen wir dem Jesuskind
Das wahre Gloria.

Annette von Droste-Hülshoff (1797-1848)
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Gasel

Du weißt es, wie mein ganzes Herz
allein durch deine Milde lebt,
Du weißt es, wie mein ganzes Herz
allein in deinem Bilde lebt;
Denn wie die Schönheit nimmer schön,
die nicht der Seele Atem kennt,
Wie durch des Lichtes Kraft
allein der Zauber der Gefilde lebt,
So ist das Leben nicht belebt
als durch der Liebe Sakrament;
Das fühlet, wer die Liebe fühlt,
wer unter ihrem Schilde lebt.
Ich aber, der die liebste Frau
sein unverlierbar Eigen nennt,
Ich fühle, wie die ganze Welt
allein in ihrem Bilde lebt.

Theodor Storm (1817-1888)
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Herzensschwächen

Wenn's Herz die Andern lassen ruh'n,
Muß es sich selber wehe thun;
Es kann hier ohne Schmerz nicht leben,
Es führt zu ihm ja all sein Streben.
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Was liegt im Reich der Möglichkeit,
Ersinnt das Herz mit Lust und Leid.
_

Zuweilen geht mit dem Verstand
Das Herz, doch selten Hand in Hand,
Denn eh' der erst're sich's versieht,
Das Herz als Schmetterling entflieht.
_

Verstand verlanget nach der Frucht,
Das Herz nur Blumen immer sucht.
_

Es giebt zwei Bundesstaaten,
Die sind dem Himmelreich
Mit ihren Potentaten,
Doch auch der Hölle gleich.
Denn eine Welt der Schmerzen
Und eine Welt der Lust,
Die herrscht im kleinen Herzen
Und in der engen Brust.
_

Was Menschen hier oft zerreißen, zerbrechen,
Darüber Engel die Weihe sprechen.

Julie von Großmann (1790-1860)
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Wie ich dich liebe

Ich lieb' dich mit der tiefen Innigkeit,
Mit der ein fromm' Gebet der Brust entquillt,
Ich lieb' dich mit der scheuen Heftigkeit,
Mit der den klaren Waldstrom liebt das Wild.

Ich liebe dich, so wie die Blume liebt,
Die lange, lang des Frühlings hat geharrt
Ich liebe dich, so wie das Weib sich gibt,
Das alle seine Liebe aufgespart.

Ich liebe dich, so wie der Herbstestag
Den Sonnenstrahl, der durch die Wolken bricht
Doch ob ich dir's in tausend Bildern sag' -
Wie ich dich liebe, ahnst du dennoch nicht.

Frieda Jung (1865-1929)
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An die Geliebte

Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,
Mich stumm an deinem heilgen Wert vergnüge,
Dann hör ich recht die leisen Atemzüge
Des Engels, welcher sich in dir verhüllt.

Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt
Auf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,
Daß nun in dir, zu ewiger Genüge,
Mein kühnster Wunsch, mein einzger, sich erfüllt?

Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,
Ich höre aus der Gottheit nächtger Ferne
Die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.

Betäubt kehr ich den Blick nach oben hin,
Zum Himmel auf - da lächeln alle Sterne;
Ich kniee, ihrem Lichtgesang zu lauschen.

Eduard Mörike (1804-1875)
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Lass uns lodern, Geliebter!

Der Liebe Feuer durchbrennen
Deine Jünglingsseele wie rote Flammen,
Ich sehe sie von deinen Lippen lodern,
Ich höre in deinen Seufzern ihre knisternde Glut, -
Rette mich! fleht dein versengter Mund.

Wie soll ich dich retten, Geliebter,
Haben doch die gleichen Feuer mich erfaßt . . .
Eine einzige Flamme flackre auch ich,
Meine Augen sind Fackeln geworden
Über leergebrannten Welten,
Meine Seele ward ein lohender Abgrund.
Und in den Tiefen meiner Flammen
Versinkt dein seliger Hauch - - -

Laß uns lodern, Geliebter,
Sieh, wie viele Seelen frieren,
Wie wenige kaum einen Funken
Des göttlichen Feuers verspüren . . .
Und verbrennt es uns beide zu Qualen und Tod -
Laß uns lodern, Geliebter!

Maria Scholz (Ps. Maria Stona) (1861-1944)
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O so Lipp' an Lippe hängen dürfen . . .

O so Lipp' an Lippe hängen dürfen
eine lange schöne Ewigkeit,
aus des ander'n Atem Süße schlürfen
für die Bitternis der argen Zeit.

Nichts mehr reden, sondern nur noch lauschen,
wie des ander'n Herzschlag schneller geht -
und in allen Gliedern dieses Rauschen,
das Gesang ist und zugleich Gebet.

Alfons Petzold (1882-1923)
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Einsam

Lieg' ich des Nachts einsam in meiner Qual,
so möcht ich wohl. du kämst zu mir einmal.

Du solltest gar nichts tun, als kosend leis,
die Hand mir legen auf die Stirne heiß.

Und fühlt ich so die zarten Finger dein,
geschäh mir wohl, und lächelnd schlief' ich ein.
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In der Mondnacht

Der Mond steht hoch in blauer Mitternacht.
Da fühl' ich deine Hand - und bin erwacht.

Sie kam zu mir aus blassem Träumereich.
Wie Kinderhand, wie Mondenstrahl so weich.

Still blickt der Mond in's feuchte Nebelland.
Ich liege stumm und denke deiner Hand.

Und meine Decke, weiß vom Mondenlicht,
wird feucht vom Tau, der mir vom Auge bricht.
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Still, still! Wir wandeln auf goldener Höhe.
Still, still! Unter uns schläft das Wehe,
über uns schlummert der Götter Neid.
Still, still! Daß wir sie nicht erwecken.
Still, still! Daß wir das Glück nicht schrecken,
das scheue Kind, ewig zur Flucht bereit.

Albert Geiger (1866-1915)
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Liebe

Ein hohes Glück versüßt die Schmerzen,
Die uns des Lebens Wechsel bringt;
Ruht Eines uns doch tief im Herzen,
Womit das Schicksal kraftlos ringt!
Mag einst der Sonne Licht vergehen,
Das Weltall in einander stäuben,
Die Seele muß einst auferstehen
Und ihre Lieb' muß ewig bleiben.

Marie von Thurnberg (1810-1886)
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Du bist der Klang

Sing ich ein Lied, du bist der Klang,
auf den gestimmt mein ganzes Leben.
Frag nicht was dein in dem Gesang,
wo alles dein,
mein ganzes Sein, das mühsam rang,
um Wohllaut dir zu geben.

Und bin ich reich, du bist mein Gut,
und bin ich still, bist du mein Frieden.
Du bist der Schrein, darinnen ruht
die Seele mein.
Die Seele mein ist gut und ruht
im Himmel schon hienieden.

Johanna Wolff (1858-1943)
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Unaussprechliches

Die Vogelkehlen, die in Farben brennen,
Sind nur ein Gruß vom reichen Tropenland;
Die Muschel läßt dich ahnen nur, nicht kennen
Die Wunderwelt am fernen Meeresstrand.

Der Veilchenstrauß, den sie dir duftend brachten,
Verkündet nimmermehr den Frühling ganz;
Die Rosenbüsche, die in Glut erwachten,
Erschließen nicht des Sommers vollen Glanz.

Und wenn im Lied, umsprüht von Geistesfunken,
Des Wohllauts Welle labend dich umspült,
So hast du doch den Tropfen nur getrunken
Vom ew'gen Born, der Dichterlippen kühlt.

Ein Blick, ein Händedruck läßt dich erraten,
Daß du die Freude eines Herzens bist,
Doch nicht ein Leben treu vollführter Thaten
Kann ganz dir sagen, was die Liebe ist!

Josephine Freiin von Knorr (1827-1908)
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Ihr seligen Monde meiner Nächte ...

Ihr seligen Monde meiner Nächte,
geliebte Brüste,
Wie schimmert ihr durch die Dämmrung
in blasser, blasser Schönheit!
Noch zittert auf euch
ein Hauch unsterblicher Sehnsucht,
und sanfter Tau,
meiner Augen und Lippen Feuchte,
erhörungschluchzende Küsse,
wollustentquollene Tränen
benetzen euch noch,
geliebte Brüste.

O ihr, die liebliche Heimat,
Heimat des scheuen Verlangens,
das den Tag flieht
und am Abend wandelt
auf bebenden Füßen,
mit furchtgeschlossenen Augen
zum Lande der Freiheit -
o ihr, geliebte Brüste,
ihr seligen Monde meiner Nächte.

Ihr seligen Monde meiner Nächte,
in weicher Rundung
schmiegt ihr euch meinen kosenden Lippen
und plaudert noch leise
vom Schöpfungsgeheimnis,
von der Nacht der Urwelt,
die das rosig zitternde Licht gebar,
von der leuchtenden Nebelmacht,
die zu schwebenden Sonnen und Monden
sich sanft gerundet,
als leise schwellend
erklang der Schönheit heiliger Hymnus.

Albert Geiger (1866-1915)
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Ich liebe Dich

Ich lieb' Dich, wie das Sonnenlicht,
Das spielt auf Flur und Hain,
Ich lieb' Dich, wie die Blumen hold,
Die nur in ihm gedeih'n.
Ich lieb' Dich, wie den Silberquell,
Der durch die Welle spricht.
Ich lieb' Dich, wie den Abendstern,
Mit seinem reinen Licht.
Ach! wie ich lieb', das weiß nur Gott,
So fromm, so ernst, so rein,
Er war's auch, der die Liebe gab
In's kranke Herz hinein.

Auguste Hyrtl (1818-1901)
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Liebe

Nur Ein's ist Noth im Wirbel dieses Lebens,
Ja Eines nur belebt, erhellt den Geist,
Und unser ganzes Trachten ist vergebens,
Was Großes, Herrliches es auch verheißt,
Wenn nicht zum Ziel und Einklang unsres Strebens
Dies Eine allgewaltig fort uns reißt
Und unser Ahnen, Fühlen, Denken, Wollen
Aus diesem Lebensborne nicht entquollen!

Wenn alle jene lichten Geistesfäden
Aus diesem Strahlenkreise nicht entsteh'n -
Wenn unsre Thaten treu wie die Planeten
Sich nicht um diese reiche Sonne dreh'n,
Wenn wir den süßen Zauberlaut aus Eden,
Den Hauch der ew'gen Liebe nicht versteh'n,
Und unser Sein und inneres Bestreben
Mit ihrer Schöpferkraft nicht erst beleben!

Ja! Liebe ist das Große, Mächt'ge, Eine!
Ja! Liebe ist der Quell der Seligkeit,
Das wunderreiche Band, das himmlisch reine,
Das unserm Sein den süßen Einklang leiht;
Das aus den Höh'n mit seinem Strahlenscheine
Herniederleuchtet auf den Strom der Zeit:
Ein treuer Leitstern aus des Himmels Höhen,
Den Klippen dieses Stromes zu entgehen;

Ein Steuermann durch seine Wind' und Wellen,
Ein Kompaß, der den rechten Weg uns zeigt,
Ein holder Freund, der an den schweren Stellen
Uns helfend seine treue Rechte reicht,
Ein Aar, der, mag das Fahrzeug auch zerschellen,
Mit uns im Fluge zu den Sternen steigt,
Wo in des Lichtes ew'gen Regionen
Der Liebe Kinder unter Palmen wohnen.

Margaretha Adelmann (1811-1887)
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Nähe der Geliebten

Ich denke dein im Morgenlicht des Maien,
Im Sonnenglanz;
Ich denke dein, wenn mich die Sterne freuen
Am Himmelskranz.

Ich sorg' um dich, wenn in des Berges Wettern
Der Donner lauscht;
Du schwebst mir vor, wenn in den dunkeln Blättern
Der Zephir rauscht.

Ich höre dich, wenn bei des Abends Gluten
Die Lerche schwirrt;
Ich denke dein, wenn durch des Deiches Fluten
Der Nachen irrt.

Wir sind vereint, uns raubt der Tod vergebens
Der Liebe Lust;
O, laß mich ruhn, du Sonne meines Lebens,
An deiner Brust!

Theodor Körner (1791-1813)
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Du fragst, wozu das Küssen tauge?

Du fragst, wozu das Küssen tauge,
Und was es eigentlich will sagen?
Um sich zu blicken Aug' in Auge,
Und Seel' um Seele zu befragen.

Wenn Auge sich in Auge spiegelt
Und sich zu Seele Seele findet,
Dann wird im Kusse rasch besiegelt,
Was treue Herzen ewig bindet.

Drum willst du je dich küssend neigen,
So giebt es Eines, das bedenke:
Daß leis in andachtvollem Schweigen
Auch Seele sie in Seele senke.

Wo nur die Lippen sich berühren,
Da wirst du bald verschmachten müssen;
Der Liebe Wonnen ganz zu spüren,
O lerne mit der Seele küssen!

Robert Prutz (1816-1872)
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Gott, der gnädig ist den Engeln ...

Gott, der gnädig ist den Engeln
Und den Menschen, wird, wenn rein,
Kind, Du bist und frei von Mängeln,
Zufrieden sein.

Und die Welt, wo prächtig flimmernd
Herrscht der eitle, kalte Schein,
Wird, wenn schön Du bist und schimmernd,
Bezaubert sein.

Doch, mein Herz, in Deiner Nähe,
Süß berauscht vom Liebeswein,
Wird, wenn ich Dich glücklich sehe,
Im Himmel sein.

Victor Hugo (1802-1885)

Übersetzt von Ludwig Seeger (1810-1864)
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Komm

Komm zum Walde! Falter wiegen
Sich im grünen Dämmerschein,
Zärtliche Gedanken fliegen,
Und die Vögel schmettern drein.
An der Quelle will ich liegen,
Deine Hand mein Becherlein,
Und mein Arm soll dich umschmiegen
Und mein Aug' dein Spiegel sein.
Komm, o komm! wir wollen lauschen,
Was der Wald von Liebe spricht.
Er wird rauschen – Küsse tauschen
Werden wir im Dämmerlicht.


Mia Holm (1845-1912)
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Gingo Biloba

Dieses Baums Blatt, der von Osten
Meinem Garten anvertraut,
Gibt geheimen Sinn zu kosten,
Wie's den Wissenden erbaut.

Ist es Ein lebendig Wesen,
Das sich in sich selbst getrennt?
Sind es zwei, die sich erlesen,
Daß man sie als Eines kennt?

Solche Fragen zu erwidern,
Fand ich wohl den rechten Sinn:
Fühlst du nicht an meinen Liedern,
Daß ich Eins und doppelt bin?

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
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O wär' mein Lieb jene Rose roth

O wär' mein Lieb jene Rose roth,
Die wächset auf des Schlosses Zinn',
Und wär' ich selbst ein Tropfen Thau,
Dann sänk' ich auf die Rose hin.

Mein Lieb ist lieblich, lieblich, lieblich,
Mein Lieb ist lieblich, voller Reiz,
Seh' ich ins treue Antlitz ihr,
Lohnt mich ihr lächelnd Aug' bereits.

O wär' mein Lieb ein Weizenhalm,
Aufwachsend auf dem Felde dort,
Und wär' ich selbst ein Vöglein nett,
Dann flög' ich mit dem Halme fort.

O wär' mein Lieb 'ne Kiste Gold,
Und wär' des Schlüssels Wächter ich,
Die Kiste macht' ich oftmals auf
Und labte an dem Anblick mich.

Mein Lieb ist lieblich, lieblich, lieblich,
Mein Lieb ist lieblich, voller Reiz,
Seh' ich ins treue Antlitz ihr,
Lohnt mich ihr lächelnd Aug' bereits.

Anonymer schottischer Dichter


übersetzt von Eduard Fiedler (1817-1850)
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An deiner Brust

An deiner Brust ist meine Stelle,
In deinen Armen mein Asyl!
Mich warf des Sturm's empörte Welle
An dieses bang ersehnte Ziel.

Die Gaben, die das Leben zieren,
Jedwedes Gut, das köstlich heißt,
Was ich besaß, mußt' ich verlieren,
Daß du fortan mir Alles sei'st.

Jetzt, da ich Alles hingegeben,
Wird mir's durch dich zurückgeschenkt,
Wenn unter wonnevollem Beben
Dein Mund auf meine Stirn' sich senkt.

Betty Paoli (1814-1894)
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Wie hast du selig mich gemacht ...

Wie hast du selig mich gemacht
Du milde, dunkle Sommernacht!
Es war so still in weiter Rund',
Da lag verstummt auch Mund an Mund -
Mein Liebster hat mich geküßt!

Ich träum' es Nachts in süßer Ruh',
Im Traum ist's, was am Tag ich thu',
Weiß nicht, ob Sturm ob Sonnenschein,
Muß lächeln nur in mich hinein:
Mein Liebster hat mich geküßt!

O dürft' ich künden, was mich drängt,
Was pochend fast die Brust mir sprengt,
Auf daß die Welt, die nichts vergönnt,
Den ganzen Himmel fassen könnt':
Mein Liebster hat mich geküßt!

Angelika von Hörmann (1843-1921)
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Lieblich Mädchen

Lieblich Mädchen, munt'res Mädchen
Süß ist Deiner Augen Glanz;
Stets entzückend, stets berückend,
Stahlst Du mir mein Herze ganz.

Zärtlich freiend, Liebe weihend,
Laß umsonst mich lieben nicht.
Nie sich fehlen treue Seelen,
Die der Liebe Band umflicht.

Geistig Malen, Hoffnungsstrahlen
Soll des Lebens Fest erneu'n;
Daß wir leben, treu uns lieben,
Solcher Güter wir uns freu'n.

Thöricht Scherzen unsern Herzen
Diene nie zum Zeitvertreib,
Wonne bringend, herzumschlingend
Ewig uns die Liebe bleib'.

Lieblich Mädchen, munt'res Mädchen,
Süß ist Deiner Augen Glanz;
Stets entzückend, stets berückend,
Stahlst Du mir mein Herze ganz.

Robert Allan (1774-1841)
schottischer Dichter
(In der Übersetzung von Eduard Fiedler (1817-1850))
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Zu dir!

Zu dir! zu dir! Wer giebt mir Schwalbenflug,
Wer Täubchenschwingen, die mit raschem Streben,
Eilfertig in der Liebe Zauberzug,
Mich über Wald und Ströme heben?

Zu dir! zu dir! Mit welcher Sehnsucht drängt
Mein Herz zu dir, du Unvergeßlichholde!
Wie liebevoll, wie angefesselt hängt
Mein Blick hinüber, wann im Golde

Des Niedergangs mein Vaterland entglüht!
Wie lauscht mein Ohr, von süßer Täuschung irre,
Ob nicht ein Lüftchen, das herüber flieht,
Mir Worte deiner Liebe schwirre.

Zu dir! zu dir! Vergebens mag die Lust
Mit hundert Rosenarmen mich umwinden:
Nur Einer Hoffnung hebt sich meine Brust,
Nur Eine Freude kann mich binden.

Zu dir! zu dir! Der Fisch sehnt sich ins Meer,
Der Vogel sich zurück in seine Haine;
Ich, ich zu dir. O Tag der Wiederkehr,
Du, meiner Sehnsucht Tag, erscheine.

Zurück zu dir! zu dir, zu dir zurück!
Entfernt von dir stirbt jeder Freude Leben.
Laß, o Geliebte, laß der Liebe Blick
Dem Kehrenden entgegenschweben.

Karl Lappe (1773-1843)
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Schönheit

Der Weltenschönheit süßen Trank
Will ich in goldne Schalen gießen -
Und ewig-trunken, taumelschwank
Tiefschlürfend Zug um Zug genießen -
Dann will ich still in's Sündenmeer
Der Erdenschönheit tief versinken
Und sterbend noch und wellenschwer
Nur immer trinken - trinken -
(22. November 1915)

Joseph Roth (1894-1939)
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Hier im Wald mit dir zu liegen ...

Hier im Wald mit dir zu liegen,
moosgebettet, windumatmet,
in das Flüstern, in das Rauschen
leise liebe Worte mischend,
öfter aber noch dem Schweigen
lange Küsse zugesellend,
unerschöpflich - unersättlich,
hingegebne, hingenommne,
ineinander aufgelöste,
zeitvergeßne, weltvergeßne.
Hier im Wald mit dir zu liegen,
moosgebettet, windumatmet ...

Christian Morgenstern (1871-1914)
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Aus: Romeo und Julia

Julia
Willst du schon gehn? Der Tag ist ja noch fern.
Es war die Nachtigall, und nicht die Lerche,
Die eben jetzt dein banges Ohr durchdrang;
Sie singt des Nachts auf dem Granatbaum dort.
Glaub', Lieber, mir: es war die Nachtigall.

Romeo
Die Lerche war's die Tagverkünderin,
Nicht Philomele; sieh den neid'schen Streif,
Der dort im Ost der Frühe Wolken säumt.
Die Nacht hat ihre Kerzen ausgebrannt,
Der muntre Tag erklimmt die dunst'gen Höhn;
Nur Eile rettet mich, Verzug ist Tod.

Julia
Trau' mir, das Licht ist nicht des Tages Licht,
Die Sonne hauchte dieses Luftbild aus,
Dein Fackelträger diese Nacht zu seyn,
Dir auf dem Weg' nach Mantua zu leuchten;
Drum bleibe noch: zu gehn ist noch nicht Noth.

Romeo
Laß sie mich greifen, ja, laß sie mich tödten!
Ich gebe gern mich drein, wenn du es willst.
Nein, jenes Grau ist nicht des Morgens Auge,
Der bleiche Abgang nur von Cynthia's Stirn.
Das ist auch nicht die Lerche, deren Schlag
Hoch über uns des Himmels Wölbung trifft.
Ich bleibe gern; zum Gehn bin ich verdrossen. -
Willkommen, Tod! hat Julia dich beschlossen. -
Nun, Herz? Noch tagt es nicht, noch plaudern wir.

Julia
Es tagt, es tagt! Auf! eile! fort von hier!
Es ist die Lerche die so heiser singt,
Und falsche Weisen, rauhen Mißton gurgelt.
Man sagt, die Lerche Harmonie sey süß;
Nicht diese: sie zerreißt die unsre ja.
Die Lerche, sagt man, wechselt mit der Kröte
Die Augen; möchte sie doch auch die Stimme!
Die Stimm' ist's ja, die Arm aus Arm uns schreckt,
Dich von mir jagt, da sie den Tag erweckt.
Stets hell' und heller wird's: wir müssen scheiden. (...)

William Shakespeare (1564-1616)
Romeo und Julia (
3. Aufzug / 5. Szene)

(In der Übersetzung von
August Wilhelm von Schlegel (1767-1845))
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Nähe des Geliebten

 
Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
Vom Meere strahlt;
Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
In Quellen malt.

Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
Der Staub sich hebt;
In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
Der Wandrer bebt.

Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
Die Welle steigt.
Im stillen Haine geh ich oft zu lauschen,
Wenn alles schweigt.

Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne,
Du bist mir nah!
Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne
O wärst du da!

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
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Heimlicher Jubel

Süsser, – Einziger, – Grosser, – Schöner!
Mein Herz bricht vor Glück, wenn ich dich denke!
O gib – o schenke,
Ein leises Grüssen der Fernen!

Herrlicher, Süsser, Schöner.
Der du Grosses erstrebst!
Ich jauchz es bis zu den Sternen:
Wie schön ist die Welt, weil du lebst!

Elsa Asenijeff (1867-1941)
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Ists möglich, daß ich, Liebchen, dich kose ...

Ists möglich, daß ich, Liebchen, dich kose,
Vernehme der göttlichen Stimme Schall!
Unmöglich scheint immer die Rose,
Unbegreiflich die Nachtigall.

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
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Die Uhr zeigt heute keine Zeit

Ich bin so glücklich von deinen Küssen,
Daß alle Dinge es spüren müssen.
Mein Herz in wogender Brust mir liegt,
Wie sich ein Kahn im Schilfe wiegt.
Und fällt auch Regen heut ohne Ende,
Es regnet Blumen in meine Hände.
Die Stund', die so durchs Zimmer geht,
Auf keiner Uhr als Ziffer steht;
Die Uhr zeigt heute keine Zeit,
Sie deutet hinaus in die Ewigkeit.

Max Dauthendey (1867-1918)
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Francesca da Rimini und Paolo

(...) Die Liebe, leicht entflammend edle Herzen,
Entflammte diesen für den schönen Körper,
Der mir geraubt ward, und das wie quält noch mich.

Die Liebe, die zur Gegenliebe nötigt,
Ließ mich an ihm solch Wohlgefallen finden,
Daß, wie du siehst, sie noch nicht von mir abläßt.

Die Liebe führt' uns zu vereintem Tode;
Caïna wartet des, der uns gemordet. -
So lautete, was sie zu uns gesprochen.

Als die unsel'gen Geister ich vernommen,
Senkt' ich das Haupt, und hielt es so geneiget
Bis mir der Meister sagte: Nun, was sinnst du? -

Darauf erwidernd, hub ich an: O Himmel,
Wie mancher stille Liebeswunsch, wie manches
Verlangen führte sie zum Schritt voll Schmerzes! -

Dann wendet' ich mich ihnen zu und sagte:
Francesca, deiner Qualen Anblick macht
Vor Trauer mich und vor Mitleiden weinen.

Doch sage mir, zur Zeit der süßen Seufzer,
An was und wie gestattete dir Amor,
Das schüchterne Verlangen zu erkennen? -

Drauf sagte sie zu mir: Kein Schmerz ist größer,
Als sich der Zeit des Glückes zu erinnern,
Wenn man in Elend ist; das weiß dein Lehrer.

Heg'st du jedoch, die Wurzel uns'rer Liebe
Zu erkennen, solch entschiedenes Verlangen,
So werd' ich tun, wie wer im Reden weinet:

Wir lasen eines Tages zum Vergnügen
Von Lanzelot, wie Liebe ihn umstrickte,
Allein und unbeargwohnt waren wir.

Oft hieß des Buches Inhalt uns einander
Scheu ansehn und verfärbte unsre Wangen;
Doch nur ein Punkt war's, welcher uns bewältigt.

Denn als wir, wie das langersehnte Lächeln
Von solchem Liebenden geküßt ward, lasen,
Da küßte, dem vereint ich ewig bleibe,

Am ganzen Leibe zitternd, mir den Mund.
Zum Kuppler ward das Buch und der's geschrieben.
An jenem Tage lasen wir nicht weiter. - (...)

Dante Alighieri (1265-1321)
Aus: Die Göttliche Komödie Inferno V. Gesang
In der Übersetzung von Karl Witte
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Du Lichtesspender, dessen Strahl ...

Du Lichtesspender, dessen Strahl
Hellleuchtend über Berg und Thal
Sich ausgießt, und mit Siegespracht
Durchbricht das Dunkel dieser Nacht.

Du wahrer Lichtesbot der Welt,
Nicht jenem gleich, der an dem Zelt
Des Himmels spärlich leuchtend blinkt,
Und uns des Tages Botschaft bringt;

Nein, heller als der Sonne Glanz,
Tag selbst und selber Sonne ganz,
Das uns'res Herzens tiefsten Schrein
Erhell't mit seinem Flammenschein:

O sende, Weltenschöpfer, du,
Auch dieser Sonne Strahl uns zu,
Und gib, daß ihr begnadend Licht
Des Busens dunkle Nacht durchbricht,

Der nur, von deinem Geist erfüll't,
Stets in sich wahrend Gott, dein Bild,
So für des Satans Trug und List
Auf ewiglich verschlossen ist.

Daß wir, was in dem Lebenslauf
Uns Pflicht und Recht erlegen auf,
Vollenden, jedem Fehltritt fern,
Und deinem Willen leben gern;

Ein reiner Sinn in reiner Brust
Besiege alle Fleischeslust,
Und unser Leib, von Sünden frei,
Des heil'gen Geistes Tempel sei.

So blicken wir in brünst'gem Fleh'n,
Herr, hoffend auf zu deinen Höh'n:
Dein Morgenlicht sei uns're Wacht
Und starker Schirm in dunkler Nacht. (...)

Hilarius von Poitiers (um 315 - 367)

Übersetzt von G. A. Königsfeld
Aus: Altchristliche Hymnen und Gesänge
Lateinisch und deutsch
von G. A. Königsfeld und A. W. von Schlegel
Bonn bei Eduard Weber 1847
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An die Geliebte

Sternengold entreiß ich dem nächtlichen All,
schmiede draus ein leuchtendes Diadem,
und um deine züchtige Stirne
flecht ich mit zitternder Hand es, Geliebte!

Sonnengold entwend ich dem Tagesgestirn,
winde draus einen siebenfach strahlenden Ring,
und an deine Hand, die reine,
füg ich in sprachlosem Glück ihn, Geliebte!

Blütenduft erhasch ich und Mondenglanz,
webe draus einen schimmernden Schleier dir,
und um deine Gestalt, die keusche,
lege ich zärtlich und leis ihn, Geliebte!

Was mir etwa entfiel beim wonnigen Werk,
raff ich auf und spinne mir Saiten draus,
süße, selige Weisen tönend -
alle für dich nur, für dich nur, Geliebte!

Christian Morgenstern (1871-1914)

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Summerthought

Im faulen Nachmittag
Wenn alle Falter
Die Budlea beflattern

Möchte ich wieder
Deine Hügel besteigen
Und in deinen Senken
Rasten

Im faulen Nachmittag
Die Venus
In dir
Betasten

(c) Bruno Oetterli Hohlenbaum
CH Dozwil / Schweiz
Edition SIGNAThUR
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Der Wonnemond

O wonniglicher, wohlgezierter Mai,
Dein Lustgeschrei
Bringt Freude mancherlei,
Besonders aber, wenn dabei
Ein Tanz sich reihet und sich zwei
Mit Händen schön erlangen.
Grün ist der Wald, Berg, Au und Thal.
Die Nachtigall
Und aller Vögel Schall,
Zahllos im Wiederschall,
Erklingen überall!
Die frohe Zeit bannt Ungemach,
Erwach',
Zu lieben Ach!
Sei hurtig und nicht schwach,
In Eile geh' und hang' ihr nach!
Du sahst sie lange nicht - nun mach',
Daß weiße Aermlein dich umfangen!

Oswald von Wolkenstein (um 1377 – 1445)
übersetzt von Johannes Schrott (1824-1900)
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Der Liebsten an einem trüben Wandertag

Ich will Dir sagen, was Du mir bist:
Wenn der Regen fällt auf das Land
und weit geht und mühsam die Wanderschaft
und kein Weg ist lieb und bekannt -

Da gehst Du vor mir im dunklen Wald
wie ein Lied, wie ein Läuten her
und versprichst mir Frieden für Abend und Nacht
und ich fürchte mich nicht mehr.

Ich will Dir sagen, was Du mir bist:
Wenn ich die weite Brust
entgegendehne der ganzen Welt,
wie ein Berg meiner Kraft mir bewußt -

Da bist Du ein Vogel in meiner Hand,
Körperchen, ängstlicher Blick.
An meinen Fingern - sie sind ganz sanft -
hängt Dein Leben, Dein Glück.

Ich will Dir sagen, was Du mir bist:
Spiel in den Stunden der Kraft,
Trost und Ruhe und Hafen im Sturm
und in Stunden der Wanderschaft.

Im grauen Regen ein lauer Hauch,
der von Süden segnend und singend weht,
im Februar ein Blütenstrauch,
der leuchtend am Wegrand steht.

Dein blauer Mantel vor mir im Wind
deckt mir den trüben Himmel zu
und wo Du gehst, wirds licht in der Welt -
Liebste Du - - 

Josef Weinheber (1892-1945)
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Du bist alles . .

Du bist alles, was ich habe,
was ich träume, laut und leis,
Wunsch und Fülle,
Sturm und Stille,
was ich bin und was ich bete,
was ich will und was ich weiß!

Über uns in wieder grünen
Wipfeln rauscht das Lied des Mai's . .
lass, o lass mich knien, und leise
lass mich dir die Hände küssen
und dir danken, ach, mit allem,
was ich bin und was ich habe . .

lass mich knien und nimm mein Leben!
nimm es wie das Lied des Mai's!
nimm es wie ein blühend Reis!
dir zu Preis!
du bist alles, was ich bete,
was ich will und was ich weiß!

Cäsar Flaischlen (1864-1920)

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Ich sah heut einen Rosenmund und fragte ...

Ich sah heut einen Rosenmund und fragte:
Ey, welche Seel' ist dieß?
Sie sagten mir: Frag' um die Wangen nicht,
Denn Seele selbst ist dieß.

Seit deiner Lippen Widerschein gefallen
In meines Auges Glas,
Erging an mich die wiederholte Frage,
Wie so voll Blut ist dieß?

Er sprach: O halt' das Bild von meinem Wuchse
In deinem Herzen fest,
Ich sagte: Fest, wie einen Stab die Seele,
Doch ist nur Vorwand dieß.

Er sprach: Da ich auf deinem Weg gestorben,
Ein Mittelweg ist dieß,
Verweig're meinem Busen nicht den Pfeil,
Womit die Wimper droht,

Denn für die grimmen Pfeile deiner Wimpern
Das wahre Ziel ist dieß.
Sey gnädig Morgenwind, bring' mir Geruch
Von seinem Stirnenhaar,

Denn für ein Herz, verwundet wie das meine,
Ein groß' Geschenk ist dieß.
O nicke nicht so schelmisch mit dem Auge,
Wann du die Mihri siehst,

Seitdem die Seele sie ihm aufgeopfert,
Gar lange Zeit ist dieß.

Mihri Hatun (etwa 1470 - nach 1515)
türkische (osmanische) Dichterin

In der Übersetzung von Joseph von Hammer-Purgstall (1774-1856)
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Sonett

Wie ich Dich liebe, möcht' ich gern Dir sagen,
Wie all mein Denken Dir sich muß verbinden,
Zum schönen Kranze möcht' ich für Dich winden
Mein süßes Glück und meine stillen Klagen.

Doch was ich auch ersann, fühl' ich entschwinden,
Wenn Du mir nahest, und mit bangem Zagen
Mag ich es nimmer auszusprechen wagen,
Die rechten Worte weiß ich nicht zu finden.

Nicht eigenmächtig kann den Schritt ich lenken,
Du schriebst die Bahn mir vor, nun muß ich immer
Umkreisen Dich, Du wunderbare Sonne.

In Deiner Nähe flieht, ein matter Schimmer,
Vergangenheit und Zukunft meinem Denken,
Dann fühl' ich nur des Augenblickes Wonne.

Johanna Schultze-Wege (1844-1918)
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Möcht' allein allen Schein

Möcht' allein
Allen Schein
Alle Wärme
Alles Licht
Atmen dir vom Angesicht;
Alle Luft des Lebens auch
Trinken nur aus deinem Hauch;
In Tod und Leben
Ein Leib, ein Geist
Mit dir weben und schweben
So lang' im All die Erde kreist.

Peter Cornelius (1824-1874)
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Liebeslied

Küsse mich - küß mich lang und heiß,
Bis dies Herz, dies wild erregte,
Dies von Sorgen dumpf bewegte,
Wie von Lethes Fluten trunken
Tief in deinen Schoß gesunken,
Nichts von Qual und Sorgen weiß -
Küß mich lang - küß mich heiß!

Küsse mich - küß mich lang und süß;
Aus der Ruh', die du gegeben,
Wecke wieder mich zum Leben,
Daß ich wachend, Stund' auf Stunde,
Leben trinke dir vom Munde,
Du mein Erdenparadies -
Küß mich lang - küß mich süß!

Küsse mich - küß mich immerdar,
Daß, wie Lipp' auf Lippe schließet,
Dasein ganz in Dasein fließet,
Ewigkeit den Bund uns segne,
Kein Verlieren uns begegne -
Nimmer Trennung - nimmerdar -
Küß mich immerdar.


Ernst von Wildenbruch (1845-1909)
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Frühling

Wir wollen wie der Mondenschein
Die stille Frühlingsnacht durchwachen,
Wir wollen wie zwei Kinder sein,
Du hüllst mich in Dein Leben ein
Und lehrst mich so, wie Du, zu lachen.

Ich sehnte mich nach Mutterlieb'
Und Vaterwort und Frühlingsspielen,
Den Fluch, der mich durch's Leben trieb,
Begann ich, da er bei mir blieb,
Wie einen treuen Feind zu lieben.

Nun blühn die Bäume seidenfein
Und Liebe duftet von den Zweigen.
Du musst mir Mutter und Vater sein
Und Frühlingsspiel und Schätzelein!
- - Und ganz mein Eigen . . .

Else Lasker-Schüler (1869-1945)
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Liebeslied

Wenn nie mehr die Sonne wär und nie mehr Frühling
und nie, nie Mond mehr über bleichen Dächern,
wenn alle Farben tot und alles Helle:
Ich würde trauern, aber nicht verderben.

Wenn Gott, den ich so schmerzvoll-werbend suchte,
plötzlich gemordet wär in meinem Herzen
oder betrunken läg' vor meiner Schwelle -:
Ich würde weinen, aber weiterwerben.

Wenn nie mehr Deiner Augen süße Quelle
im Schatten meiner dunklen Küsse schliefe
und aufgewacht, nie wieder "trink mich!" riefe -:
ich würde schweigen. Doch ich würde sterben . . .

Josef Weinheber (1892-1945)
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Alles ist Liebe . . .

Alles ist Liebe, wenn du es sagst.
Niemand kann lieblos dein Lächeln erwidern,
Doch wenn du klagst,
Schluchzen die Nachtigallen auf wie in alten Liedern.

Alles ist Liebe, wenn du es sagst,
Alles ist dein und mein, die Welt mit Städten und Meeren.
Aber wenn auch du verzagst,
Schwärmen die Nachtmahre aus, mein Herz zu leeren.

Camill Hoffmann (1878-1944)
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Du führtest mich zuerst ins Heiligtum . . .

Du führtest mich zuerst ins Heiligtum
Zu lichter Götter Bildern und Altären,
Du lehrtest, was sie weigern und gewähren,
Der Menschen Schicksal und der Helden Ruhm.

Du schmolzest sanft mit langem Liebeskuß
Der Kindheit Siegel mir von Mund und Augen,
Und ließest mich von deinem Blute saugen,
Zu meiner mischend deiner Seele Fluß.

So ward mein Blut, Geliebter, dir leibeigen,
Von einem Quell des deinen unterjocht,
Der es mit Sehnsucht nach sich selbst entzündet.

Nach dir muß es verlangen, stürzen, steigen,
Bis es im Meere deines Herzens mündet,
Und gleichen Schlag mit seinem Schlage pocht.

Ricarda Huch (1864-1947)
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Begegnung

Was doch heut nacht ein Sturm gewesen,
Bis erst der Morgen sich geregt!
Wie hat der ungebetne Besen
Kamin und Gassen ausgefegt!

Da kommt ein Mädchen schon die Straßen,
Das halb verschüchtert um sich sieht;
Wie Rosen, die der Wind zerblasen,
So unstet ihr Gesichtchen glüht.

Ein schöner Bursch tritt ihr entgegen,
Er will ihr voll Entzücken nahn:
Wie sehn sich freudig und verlegen
Die ungewohnten Schelme an!

Er scheint zu fragen, ob das Liebchen
Die Zöpfe schon zurecht gemacht,
Die heute Nacht im offnen Stübchen
Ein Sturm in Unordnung gebracht.

Der Bursche träumt noch von den Küssen,
Die ihm das süße Kind getauscht,
Er steht, von Anmut hingerissen,
Derweil sie um die Ecke rauscht.

Eduard Mörike (1804-1875)
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Der Tadellosen zum Neuen Jahr

Von Glück und Heil die größte Schaar
Wünsch' ich dir, Frau, zum Neuen Jahr!
Dir bring' ich meine Treue dar
Zukünftig, wie bis jetzt es war,
Ich will von dir nicht weichen.
Das macht dein Mündlein ganz und gar,
Der rothen Wänglein lieblich Paar,
Beglänzt von lichten Äuglein klar,
Die Öhrlein unterm gelben Haar,
Dem krausen, ringelreichen,
Durchblitzt von goldnen Flocken.

Kinn, Zähne, Nase, Hals zumal,
Von dem hinab ein lichter Strahl
Führt in der weißen Brüstlein Saal
Und in ein liebereiches Thal,
Wo Alles schön gemessen.
Die Arme lang, die Hände schmal,
Und wo nur hin mein Blick sich stahl,
Ist sie nach Herzens Wunsch und Wahl,
So drall und voll zu lieber Qual,
Mit Ebenmaß umsessen.
Klein sind der Füßlein Socken.

Fehllos ist nicht ihr Leib allein,
Auch ihre Tugend ist so rein,
Sie will in Wahrheit ohne Schein
Ganz adelig und edel sein,
Mit meisterlichen Sitten.
Sie ist ganz tadellos und fein.
Genossin traut, vergiß nicht mein!
Weil ich nun bin geheißen dein,
Sollst du mir auch zur Freude sein.
Laß dich von meinen Bitten
Und meiner Sehnsucht locken!

Oswald von Wolkenstein (um 1377-1445)

übersetzt von Johannes Schrott (1824-1900)
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An Anna Blume

Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe Dir!
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - wir?
Das gehört beiläufig nicht hierher!

Wer bist Du, ungezähltes Frauenzimmer, Du bist, bist Du?
Die Leute sagen, Du wärest.
Laß sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht.

Du trägst den Hut auf Deinen Füßen und wanderst auf die Hände,
Auf den Händen wanderst Du.

Halloh, Deine roten Kleider, in weiße Falten zersägt,
Rot liebe ich Anna Blume, rot liebe ich Dir.
Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - - -  wir?
Das gehört beiläufig in die kalte Glut!
Anna Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute?

Preisfrage:
1.) Anna Blume hat ein Vogel,
2.) Anna Blume ist rot.
3.) Welche Farbe hat der Vogel.

Blau ist die Farbe Deines gelben Haares,
Rot ist die Farbe Deines grünen Vogels.
Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid,
Du liebes grünes Tier, ich liebe Dir!
Du Deiner Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - - wir!
Das gehört beiläufig in die - - -  Glutenkiste.

Anna Blume, Anna, A----N----N----A!
Ich träufle Deinen Namen.
Dein Name tropft wie weiches Rindertalg,
Weißt Du es Anna, weißt Du es schon,
Man kann Dich auch von hinten lesen.
Und Du, Du Herrlichste von allen,
Du bist von hinten, wie von vorne:
A------N------N------A.
Rindertalg träufelt STREICHELN über meinen Rücken.
Anna Blume,
Du tropfes Tier,
Ich ------- liebe ------- Dir!

Kurt Schwitters (1887-1948)
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Liebes-Allmanach

Lieb' ist seliges Verschulden,
Lieb' ist himmlisches Erdulden,
Lieb' ist Leben, Lieb' ist Tod,
Lieb' ist Wonne, Lieb' ist Noth,
Lieb' ist Himmel, Lieb' ist Hölle,
Lieb' ist Feuer, Lieb' ist Welle,
Lieb' ist Anfang, Lieb' ist Ende,
Lieb' ist Schöpfungs-Sonnenwende,
Lieb' ist Leib und Lieb' ist Seele,
Lieb' ist's, liebste Ariele,
Lieb' ist's, die um Mitternacht
Dieses Lied für dich erdacht.

Johannes Daniel Falk (1768-1826)
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