Deutsche Liebeslyrik - Gedicht der Woche Archiv

für das Jahr 2023

(die neuesten Gedichte oben)



Neujahrs-wunsch an Eugenien

Man fängt das neue jahr mit wunsch und gaben an.
Mein hertz! ihr hab ich selbst zu eigen mich gegeben
Und bin nicht weiter frey. Mein ihr verpflichtet leben
Hat nichts, zu dem sie nicht schon anspruch haben kan.

Doch wünschen mag ich noch: der große wunder-mann,
Durch den die erde muss in ihrem wesen schweben,
Durch den der himmel muss sich in die höh erheben,
Hat offt dem wünschen krafft und fortgang zugethan.

Was wünsch ich aber ihr, das gut vor sie und mich
Und nicht vergänglich sey, das iede zeit für sich
Und nicht durch fremde gunst beständig könne werden?

Wer achtet, was die zeit, was seuch und räuber nimmt,
Was seinem untergang, indem es wächst, bestimmt?
Wenn Gott uns zweyen nur wolt einen geist bescheren.

Andreas Gryphius (1616-1664)
_____




Das Weihnachtsbäumlein

Es war einmal ein Tännelein
mit braunen Kuchenherzlein
und Glitzergold und Äpflein fein
und vielen bunten Kerzlein:
Das war am Weihnachtsfest so grün
als fing es eben an zu blühn.

Doch nach nicht gar zu langer Zeit,
da stands im Garten unten,
und seine ganze Herrlichkeit
war, ach, dahingeschwunden.
Die grünen Nadeln war’n verdorrt,
die Herzlein und die Kerzlein fort.

Bis eines Tags der Gärtner kam,
den fror zu Haus im Dunkeln,
und es in seinen Ofen nahm –
Hei! Tat`s da sprühn und funkeln!
Und flammte jubelnd himmelwärts
in hundert Flämmlein an Gottes Herz.

Christian Morgenstern
(1871-1914)
_____




Palmenlied

O du Süßgeliebter,
Dein Angesicht ist mein Palmengarten,
Deine Augen sind schimmernde Nile
Lässig um meinen Tanz.

In deinem Angesicht sind verzaubert
Alle die Bilder meines Blutes,
Alle die Nächte, die sich in mir gespiegelt haben.

Wenn deine Lippen sich öffnen,
Verraten sie meine Seligkeiten.

Immer dieses Pochen nach dir -
Und hatte schon geopfert meine Seele.

Du mußt mich inbrünstig küssen,
Süßerlei Herzspiel;
Wir wollen uns im Himmel verstecken.

O du Süßgeliebter.

Else Lasker-Schüler (1869-1945)
_____




Rosen

Welch' leuchtende, eisige Nacht!
Tiefer Schnee auf Wegen und Stegen,
Doch du kommst mir entgegen,
Und der sonnigste Frühling lacht.
Deine Lippen, wie heiß
Von heimlichen Küssen und Kosen!
Glühende Rosen
Mitten im Schnee und Eis.

Theresa Gröhe (Ps. T. Resa)
(1853-1929)
_____



O wär' ich so schön ...

O wär' ich so schön wie der leuchtende Tag,
Um meinem Schatz zu gefallen,
O wär' ich so hold wie die Rosen im Hag,
Wär' ich die Schönste von Allen!

Und säng' ich mein Lied so fröhlich, so frei,
Wie Nachtigallen im Haine.
Und wär' ich so stolz wie die trutzige Fei -
Mich lieben müßt' er und keine.

Wohl bin ich Ärmste mir scheu bewußt,
Daß Bess're sich vor ihm neigen,
Doch hab' ich ein jauchzendes Herz in der Brust,
Und das Herz, das Herz ist sein eigen!

Marie Stona
(Ps. für Marie Scholz geb. Stonawski)
(1861-1944)
_____




Wunder

Deute mir den süßen Zauber,
Der die Frauenlippe würzt:
Daß uns ihre Glutberührung
In ein Meer von Wonne stürzt?

Solchem Wunder nachzuspüren
Ist so fromm, als wie des Seins
Ew'gem Grunde nachzugrübeln:
Alle Wunder sind nur eins.

Heilig ist dies Weltenwunder,
Wo ihr's packt, an jedem Ort,
Und die großen Rätsel alle
Löst ein einzig Zauberwort.

Robert Hamerling
(1830-1889)
_____




Wenn je wir nicht mehr liebten, wie wir lieben ...

Wenn je wir nicht mehr liebten, wie wir lieben,
Wenn je du mich vergäßest, ich dich ließe,
Dann glaubt' ich keinem Gott mehr, wie er hieße,
Keins seiner Worte mehr, wo's auch geschrieben.
Dann glaubt' ich nicht an Zeichen mehr und Sterne,
Und keinen Schwur mehr, den die Menschheit schwört -
Ach, auf mein Herz horcht' ich nur noch von ferne,
Wie man den Specht im Walde klopfen hört.

Ricarda Huch (1864-1947)
_____



 

Gesetz der Liebe

Wenn du dein Herz der Liebe willst ergeben,
So acht' auf Eins: daß es sich völlig gibt
Und ungeteilt; es lebt nur, wer da liebt,
Drum klingt so ähnlich lieben auch und leben.

Drum wenn du liebst, so habe nichts daneben,
Woran dein Herz noch hängt; die Welt zerstiebt
Der Seele, die sich innigst weiß geliebt,
Und welche selbst in Liebe will verschweben.

Wer aber unter des Geliebten Küssen
Noch ängstlich seitwärts nach den Leuten schielt,
Was sie wohl meinen, denken, sagen müssen,

Der ist, wie fromm er sich auch sonst verhielt,
Rebell zuwider göttlichen Beschlüssen,
Und eitel Täuschung ist, was er erzielt.

Robert Prutz  (1816 -1872)
_____




An die Geliebte

Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,
Mich stumm an deinem heilgen Wert vergnüge,
Dann hör ich recht die leisen Atemzüge
Des Engels, welcher sich in dir verhüllt.

Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt
Auf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,
Daß nun in dir, zu ewiger Genüge,
Mein kühnster Wunsch, mein einzger, sich erfüllt?

Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,
Ich höre aus der Gottheit nächtger Ferne
Die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.

Betäubt kehr ich den Blick nach oben hin,
Zum Himmel auf - da lächeln alle Sterne;
Ich kniee, ihrem Lichtgesang zu lauschen.

Eduard Mörike (1804-1875)
_____





Mein Herz ist eine stille Flut

Mein Herz ist eine stille Flut,
Darin Dein Bild als Himmel ruht,
Mein Herze ist ein grüner Wald,
Darin als Sang Dein Name schallt.

Mein Herze ist ein Ringlein fein,
D'rauf glänzest Du als Edelstein;
Mein Herz ist eine Frühlingsluft,
D'rin Deine Liebe webt als Duft.

Mein Herz ist eine Muschel zart,
Die Dich als Perle aufbewahrt;
Sie hält sie fest und läßt sie nicht,
Bis einst das kleine Haus zerbricht.

Marie Calm (1832-1887)
_____



Ein Liebeslied

Komm zu mir in der Nacht - wir schlafen engverschlungen.
Müde bin ich sehr, vom Wachen einsam.
Ein fremder Vogel hat in dunkler Frühe schon gesungen,
Als noch mein Traum mit sich und mir gerungen.

Es öffnen Blumen sich vor allen Quellen
Und färben sich mit deiner Augen Immortellen . . .

Komm zu mir in der Nacht auf Siebensternenschuhen
Und Liebe eingehüllt spät in mein Zelt.
Es steigen Monde aus verstaubten Himmelstruhen.

Wir wollen wie zwei seltene Tiere liebesruhen
Im hohen Rohre hinter dieser Welt.

Else Lasker-Schüler
(1869-1945)
_____

Erkenntnis

Was einst mein Herz erquickte,
Der Himmel Stern an Stern,
Seit in Dein Aug ich blickte,
Wie lass' ich ihn so gern!
Nach einem Zauber heb' ich
Mein Aug', nach einer Zier:
Ah! alle Schönheit geb' ich
Um einen Blick von dir.

Was einst mein Leben schmückte,
Des Wissens goldner Kern,
Seit ich ans Herz dich drückte,
Wie miss' ich ihn so gern!
Nach einem Glücke streb' ich,
Nach einem Trostpanier:
Ach! alle Weisheit geb' ich
Um einen Kuß von dir.

Ludwig Pfau (1821-1894)
_____



Ihre Schönheit

Vergebens hab' ich Worte ausgewählt,
Um deiner Schönheit Allgewalt zu singen:
Dem frommen Eifer will es nicht gelingen,
Ich fühle, daß es mir an Ausdruck fehlt.

Denn alle Anmuth, so die Erde zählt,
Seh' ich in dir um Oberherrschaft ringen;
Und alle Reize, welche dich umschlingen,
Sind ganz von deinem schönen Geist beseelt.

O! diese Schönheit hegt des Feuers Macht:
Sie glänzet, sie erwärmet, und verzehrt
Die Schlacken jeder Seele, die ihr naht.

Nie wird sie von der Hand der Zeit zerstört,
Nie wird sie schwinden in des Todes Nacht,
Weil sie die Quelle in dem Geiste hat.

Joseph Emanuel Hilscher
(1806-1837)
_____



Die Uhr zeigt heute keine Zeit

Ich bin so glücklich von deinen Küssen,
Daß alle Dinge es spüren müssen.
Mein Herz in wogender Brust mir liegt,
Wie sich ein Kahn im Schilfe wiegt.
Und fällt auch Regen heut ohne Ende,
Es regnet Blumen in meine Hände.
Die Stund', die so durchs Zimmer geht,
Auf keiner Uhr als Ziffer steht;
Die Uhr zeigt heute keine Zeit,
Sie deutet hinaus in die Ewigkeit.

Max Dauthendey (1867-1918)
_____

 

Der goldne Stern

Der goldne Stern in meinen dunklen Nächten,
Bist Du!
Der Trost, mir zugesandt von Liebesmächten,
Bist Du!
Der Morgensaum von allen meinen Träumen,
Bist Du!
Die Liebesblüth' an meinen Lebensbäumen,
Bist Du!
Der Hoffnungsanker auf empörten Wogen,
Bist Du!
In Nacht und Grau'n der lichte Regenbogen,
Bist Du!
Die Rettungsspur auf einer öden Küste,
Bist Du!
Oase grün in einer weiten Wüste,
Bist Du!
Der Quell, an dem ich meine Hoffnung tränke,
Bist Du!
Die Well', in die ich all mein Leid versenke,
Bist Du!
Der letzte Strahl, eh' sich mein Auge schließet,
Bist Du!
Das Morgenroth, das einst mich droben grüßet,
Bist Du!

Luise von Ploennies (1803-1872)
_____




Du weißt es, wie mein ganzes Herz . . .

Du weißt es, wie mein ganzes Herz
allein durch deine Milde lebt,
Du weißt es, wie mein ganzes Herz
allein in deinem Bilde lebt;
Denn wie die Schönheit nimmer schön,
die nicht der Seele Atem kennt,
Wie durch des Lichtes Kraft
allein der Zauber der Gefilde lebt,
So ist das Leben nicht belebt
als durch der Liebe Sakrament;
Das fühlet, wer die Liebe fühlt,
wer unter ihrem Schilde lebt.
Ich aber, der die liebste Frau
sein unverlierbar Eigen nennt,
Ich fühle, wie die ganze Welt
allein in ihrem Bilde lebt.

Theodor Storm (1817-1888)
_____



Siesta

Lieb, o lieb war die Nacht
Mitten am hellen Tag,
Als wir die Läden geschlossen,
Als durch die schützenden Sprossen
Goldige Dämmerung brach.

Kühl, o kühl war der Saal,
Drinnen die Welt uns verging,
Da wir in seligem Schmachten
Wandelten, flüsterten, lachten,
Bis uns der Schlummer umfing.

Süß, o süß war der Traum,
Herz am Herzen geträumt!
Über uns schwebend im Kreise
Flattert’ ein Schmetterling leise,
Dunkel die Schwingen umsäumt

Paul Heyse (1830-1914)
_____




Nimm an, es gäbe einen Himmelsherrn ...

Nimm an, es gäbe einen Himmelsherrn;
so wollen wir von ihm für einst erflehn:
er lasse uns auf irgendeinem Stern
als einen Strauch voll Rosen auferstehn.
Ich will die Wurzel sein, du sei der Strauch,
ich will die Zweige sein, du sei das Blatt,
ich sei die Rose, du sei ihr Arom.
So ineinander unaufhörlich satt,
so eins in jeder Faser, jedem Hauch,
sei unser Leben dann ein Dankesstrom.

Christian Morgenstern (1871-1914)
_____



Wie ich dich liebe

Ich lieb' dich mit der tiefen Innigkeit,
Mit der ein fromm' Gebet der Brust entquillt,
Ich lieb' dich mit der scheuen Heftigkeit,
Mit der den klaren Waldstrom liebt das Wild.

Ich liebe dich, so wie die Blume liebt,
Die lange, lang des Frühlings hat geharrt
Ich liebe dich, so wie das Weib sich gibt,
Das alle seine Liebe aufgespart.

Ich liebe dich, so wie der Herbstestag
Den Sonnenstrahl, der durch die Wolken bricht
Doch ob ich dir's in tausend Bildern sag' -
Wie ich dich liebe, ahnst du dennoch nicht.

Frieda Jung (1865-1929)
_____



Du

Noch zarter, als die ich dir sang, die Lieder,
Noch süsser als ein Kuss, von dir gegeben,
Ist jenes holde Du, mein süsses Leben!
Das traulich zwischen uns geht hin und wieder.

Ein Vöglein scheint es mir im Glanzgefieder,
Dess gold'ne Schwingen leise zu mir streben:
Mein Ohr berührt's in wunderholdem Schweben,
Und lässt zuletzt sich mir im Herzen nieder.

Zu künden das Geheimnis ganz, das süsse,
Versuchten wir mit Worten leeren Schalles:
Nun fanden wir den sprechendsten der Grüsse.

Was braucht es noch des Reims und Silbenfalles?
Was selbst der Liebesblicke, Thränen, Küsse?
Mit einem Wörtchen sagen wir uns Alles.

Robert Hamerling (1830-1889)
_____




Stilles Glück

Wir sitzen am Tisch beim Lampenschein
Und sehn in dasselbe Buch hinein;
Und Wange an Wange und Hand in Hand,
Eine stille Zärtlichkeit uns umspannt,
Ich fühle ruhig dein Herzchen pochen:
Eine Stunde schon hat keines gesprochen,
Und keins dem andern ins Auge geblickt.
Wir haben die Wünsche schlafen geschickt

Hugo Salus (1866-1929)
_____




o sprich . . .

O sprich, denn wenn
Du redest,
erfaßt Entzücken mich;
O sprich Musik
Du Einz'ge,
willst
Du beglücken mich.
Ein Wort aus Deinem Munde
ist wie ein Blumenstern,
Nach ihm will tausend Male
ich freudig bücken mich.
Mein Antlitz lehne schweigend ich
an die schönste Brust,
Und Himmelsphantasien,
sprichst
Du, berücken mich.
Ein einzig Wort, - denn schweigst
Du,
so fürcht' ich Deinen Groll,
Und grenzenlose Bangniß und Angst
zerstücken mich;
Doch ganze Lenze weh'n mir
aus Deinem Wort, drum lass'
Von Deinem Munde Rosen
der Liebe pflücken mich.
In einem einz'gen Falle nur
darfst
Du schweigen, - willst
Du unter tausend Küssen
an's Herze drücken mich!

Udo Brachvogel (1835-1913)
_____




Tristan und Isolde in der Minnegrotte
(aus: Tristan und Isolde)

Die beiden sahn einander an,
Und davon lebten Weib und Mann.
Die Ernte, die das Auge trug,
Bot ihnen Speis und Trank genug;
Da schlürften alle Sinne
Nur hohen Mut und Minne.
Die Hausgenossenschaft im Wald,
Die war um ihren Unterhalt
In gar geringen Sorgen.
Sie trugen ja verborgen
Zu allen Stunden im Gewand
Die beste Speise gleich zur Hand,
Die man auf Erden haben kann;
Die bot von selbst sich ihnen an
Und immer frisch aufs neue:
Das war die reine Treue,
Die balsamkräftge Minne,
Dem Leibe und dem Sinne
Ein innig Glück, ein guter Geist,
Die Herz und Mut mit Freuden speist;
Die war ihr bestes Labsal dort.
Ja, selten nahmen sie hinfort
Sonst einer Speise wahr als der,
Woran das Herze sein Begehr,
Das Auge seine Wonne sah
Und auch dem Leib sein Recht geschah.
So hatten beide denn genug.
Die Liebe zog mit ihrem Pflug
Vor ihnen her auf allen Schritten
Als Baumann durch der Wildnis Mitten,
Um ihnen stets aus vollen Händen
Des Lebens Überfluß zu spenden.

Gottfried von Straßburg
(um 1170 bis ca. 1215)
(in der Übersetzung von Wilhelm Hertz 1835-1902)
______




Lass uns lodern, Geliebter!

Der Liebe Feuer durchbrennen
Deine Jünglingsseele wie rote Flammen,
Ich sehe sie von deinen Lippen lodern,
Ich höre in deinen Seufzern ihre knisternde Glut, -
Rette mich! fleht dein versengter Mund.

Wie soll ich dich retten, Geliebter,
Haben doch die gleichen Feuer mich erfaßt . . .
Eine einzige Flamme flackre auch ich,
Meine Augen sind Fackeln geworden
Über leergebrannten Welten,
Meine Seele ward ein lohender Abgrund.
Und in den Tiefen meiner Flammen
Versinkt dein seliger Hauch - - -

Laß uns lodern, Geliebter,
Sieh, wie viele Seelen frieren,
Wie wenige kaum einen Funken
Des göttlichen Feuers verspüren . . .
Und verbrennt es uns beide zu Qualen und Tod -
Laß uns lodern, Geliebter!

Maria Scholz (Ps. Maria Stona) (1861-1944)
_____




Alles, was ich habe ist dein

Alles, was ich habe ist dein.
Meine Gedanken und Handlungen tragen
deinen Stempel, die Lieder sagen
nur, was du trugest in mich hinein.
Von der Art, meine Hände zu falten
bis zur geringsten Alltäglichkeit
hab ich alles von dir erhalten,
hat dein Berühren mein Leben geweiht,
und so ist es nicht zu vermeiden
und du mußt mir gütig verzeihn,
vermag ich nicht immer zu unterscheiden
zwischen mein und dein.

Leonie Spitzer (1891-1940)
_____





Aus: Hyperion

Was ist alles, was in Jahrtausenden
die Menschen taten und dachten,
gegen Einen Augenblick der Liebe?
Es ist aber auch das Gelungenste,
Göttlichschönste in der Natur!
dahin führen alle Stufen
auf der Schwelle des Lebens.
Daher kommen wir,
dahin gehn wir.

Friedrich Hölderlin (1770-1843)
_____




Privat-Telegramm

Unsere Kasse darf leer sein.
Doch dein Herz darf nicht schwer sein.

Jedes entschlüpfte harte Wort
Von mir, – streichle du sofort!
Und rate mir in gleichem Sinn!!!

Jedes Schmollschweigen tobt ohne Sinn
Hetzerisch durch die Brust.
Ärger ist stets Verlust,
Und Verzeihung ist immer Gewinn.

Unsrer beider Herzen mögen schwer sein
Durch gemeinsames Mißgeschick.
Aber keine Stunde zwischen uns darf liebeleer sein.

Denn ich liebe dich durch dünn und dick.

Joachim Ringelnatz
(1883-1934)
_____




Liebe

Nur Ein's ist Noth im Wirbel dieses Lebens,
Ja Eines nur belebt, erhellt den Geist,
Und unser ganzes Trachten ist vergebens,
Was Großes, Herrliches es auch verheißt,
Wenn nicht zum Ziel und Einklang unsres Strebens
Dies Eine allgewaltig fort uns reißt
Und unser Ahnen, Fühlen, Denken, Wollen
Aus diesem Lebensborne nicht entquollen!

Wenn alle jene lichten Geistesfäden
Aus diesem Strahlenkreise nicht entsteh'n -
Wenn unsre Thaten treu wie die Planeten
Sich nicht um diese reiche Sonne dreh'n,
Wenn wir den süßen Zauberlaut aus Eden,
Den Hauch der ew'gen Liebe nicht versteh'n,
Und unser Sein und inneres Bestreben
Mit ihrer Schöpferkraft nicht erst beleben!

Ja! Liebe ist das Große, Mächt'ge, Eine!
Ja! Liebe ist der Quell der Seligkeit,
Das wunderreiche Band, das himmlisch reine,
Das unserm Sein den süßen Einklang leiht;
Das aus den Höh'n mit seinem Strahlenscheine
Herniederleuchtet auf den Strom der Zeit:
Ein treuer Leitstern aus des Himmels Höhen,
Den Klippen dieses Stromes zu entgehen;

Ein Steuermann durch seine Wind' und Wellen,
Ein Kompaß, der den rechten Weg uns zeigt,
Ein holder Freund, der an den schweren Stellen
Uns helfend seine treue Rechte reicht,
Ein Aar, der, mag das Fahrzeug auch zerschellen,
Mit uns im Fluge zu den Sternen steigt,
Wo in des Lichtes ew'gen Regionen
Der Liebe Kinder unter Palmen wohnen.

Margaretha Adelmann
(1811-1887)
_____




Frisch bey der Liebe!

Die Liebe lehrt im finstern gehen,
sie lehret an der Tühr uns stehen,
sie lehrt uns geben manche Zeichen
ihr süß' Vergnügen zu erreichen.

Sie lehrt auff Kunst-gemachten Lettern
zur Liebsten Fenster ein zu klettern,
die Liebe weiß ein Loch zu zeigen
in ein verriegelt Hauß zu steigen.

Sie kann uns unvermerket führen
durch so viel wolverwahrte Tühren,
den Tritt kan sie so leise lehren,
die Mutter solt' auff Kazzen schweeren.

Die Liebe lehrt den Atem hemmen,
sie lehrt den Husten uns beklemmen,
sie lehrt das Bette sacht auffheben,
sie lehrt uns stille Küßgen geben.

Diß lehrt und sonst vielmehr das Lieben.
Doch willstu dich im Lieben üben:
so muß die Faulheit stehn bey seite,
die Lieb' erfordert frische Leute.

Wer lieben will und nichts nicht wagen,
wer bey dem Lieben will verzagen:
der lasse Lieben unterwegen.
Der Brate fleugt uns nicht entgegen.

Kaspar Stieler (1632-1707)
_____




Meine Schamröte

Du! Sende mir nicht länger den Duft,
Den brennenden Balsam
Deiner süßen Gärten zur Nacht.
Auf meinen Wangen blutet die Scham
Und um mich zittert die Sommerluft.

Du . . . wehe Kühle auf meine Wangen
Aus duftlosen, wunschlosen
Gräsern zur Nacht.
Nur nicht länger den Hauch deiner sehnenden Rosen,
Er quält meine Scham.

Else Lasker-Schüler
(1869-1945)
_____




Zuversicht

Ich glaube, daß die Liebe überdauert
Des Lebens flücht'ge, karggemessne Zeit,
Weil sie das Herz so ahnungsreich durchschauert,
Wie ein Prophetenruf der Ewigkeit,

Weil sie die Fackel ist auf dunkeln Bahnen,
Der Funken, der die Asche neu belebt,
Weil ihrer Stimme treues ernstes Mahnen
Das Herz erweckt und auf zum Himmel hebt.

Das Leben ist ein Baum mit grünen Zweigen,
Daran die Liebe gleich der Blüthe hängt,
Aus deren Schooß sich süße Früchte neigen,
Die neue Keime in die Erde senkt.

Die Lieb' ist Kern, und Schale ist das Leben;
Der Kern entkeimt, wenn morsch die Hülle fällt,
Und neue Jugend wird die Liebe geben,
Wenn schon in Trümmern liegt die alte Welt.

Hermann von Loeper (1820-1884)
_____




Pfingsten

Der kühle Morgen ist erwacht,
Die Sonne kämpft die Nebenschlacht,
Und siegend als ein freudger Held
Tritt sie ins alte Himmelszelt.

Vor Liebchens Fenster steh ich schon,
Sie ist wohlauf und kennt den Ton,
Ich singe, was ihr klinget süß -
Da hast du tausend Morgengrüß!

Wir wollen über die Berge gehn,
Wir wollen zusammen den Frühling sehn!
Horch, wie es froh vom Hügel schallt,
Es weht so frisch vom dunklen Wald.

Wohl ist er warm, dein würzger Mund,
O komm herab, ich küß ihn wund!
Hier unten ist so kühl und kalt,
Es weht so frisch vom dunklen Wald.

Du schaust umher so klar und schön -
Wie dir die Locken zu Antlitz stehn!
Du Augentrost, du Rosenblut,
Du treue Seele so lieb so gut!

Jetzt fliegest du mir in den Arm,
O Mädchen, du bist so süß und warm!
Und küßt die Sonne mit jedem Strahl,
O laß dich küssen millionenmal!

O blicke mich an, so innig froh,
Und küsse mich wieder, und wieder so!
O sage, was ist die schöne Welt,
Wenn sie nicht Liebe zusammenhält.

Ludwig Eichrodt (1827-1892)
_____




Im wunderschönen Monat Mai . . .

Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Knospen sprangen,
Da ist in meinem Herzen
Die Liebe aufgegangen.

Im wunderschönen Monat Mai,
Als alle Vögel sangen,
Da hab ich ihr gestanden
Mein Sehnen und Verlangen

Heinrich Heine
(1797-1856)
_____





Maiandacht

Von dem Dom acht Glockenschläge schallen,
Aus den Fenstern flimmert Kerzenglanz,
Tausend hübsche kleine Mädchen wallen
Nach dem Dom mit Buch und Rosenkranz.

Tausend hübsche stramme Burschen warten
An der Kirchtür und flüstern leis:
Schätzchen, um halb neun im städt’schen Garten!
Tausend Mündchen flüstern: Ja, ich weiß!

Drinnen senken sich die hübschen Köpfchen,
Und das Knie das Kirchenpflaster küßt,
Unter all den Löckchen und den Zöpfchen
Kein Gedanke bei der Predigt ist.

"Gott sei Dank! Die Predigt ist zu Ende,"
Schnell nach draußen strömt der bunte Hauf,
Und des Schloßparks breite Laubgelände
Nehmen die verliebten Pärchen auf.

Welch ein Küssen, Drücken, süße Sünden!
Selbst das frommste Herzchen wird gerührt –
Kalter Himmel, deine Schrecken schwinden,
Und die heiße Hölle triumphiert.

Hermann Löns (1866-1914)
_____





Gluth

So schwül, so warm der Mainacht Gluth!
O hab' Erbarmen, junges Blut!

Löse dein Mieder diese Nacht.
Enthüll' der Glieder schneeige Pracht!

Laß mich der Lüste Kampf besiegeln
Auf deiner Brüste Wonnehügeln!

Wilhelm Arent (1864-?)
_____



Der Mai

O lichter Mai, du Bote süßer Liebe,
Der hold die Erd' umhüllt mit Lenzesprangen,
Den ihr der Himmel schickt in glühndem Triebe,
Daß bräutlich sie den Bräut'gam mög' umfangen,
Wie lächelst du nach Winters langer Trübe!
Du spielst so freundlich mir um Brust und Wangen,
Und weck'st mir, die so lang gefesselt schliefen,
Geheime Kräfte in des Busens Tiefen.

Denn wie, wenn du dich nahst auf goldnen Schwingen,
Rings Hain und Flur erglüht in heller Pracht,
Und alles lebt, und tausend Vögel singen,
Aus tausend Blumen deine Milde lacht:
So ist in meiner Brust ein Blühn und Klingen,
Ein neues Leben sonnenhell erwacht.
Die Ahnung schwebt herab aus Sternenräumen,
Sehnsucht, Wehmuth und Liebe spielt in Träumen.

Und sieh', das weite Reich der Phantasien
Ist aufgethan in heller Festlichkeit,
Das bunte Leben wogt, die Farben glühen,
Und alles webt in holden Wechsels Streit;
Und tausend Sterne blitzen auf und fliehen,
Wie Bild an Bild, wie Klang an Klang sich reiht -
Der Himmel öffnet sich, in heitrer Feier
Schwebt hoch des Liedes Göttin mit der Leier.

Drum sei gesegnet mir in Lieb' und Treue,
Sei mir gegrüßt, du holde Maienpracht!
Nimm meinen Dank für all' das schöne Neue,
Das du im Busen hell mir angefacht,
Durch Licht und Wärme, Grün und Himmelsbläue
Durch deinen Tag, durch deine Zaubernacht!
O laß mich in viel tausend süßen Weisen
Dein wunderholdes Bild nach Würden preisen!

Alexander Rydenius (1800-1823)
_____




Ersatz

Ich seh dich endlich, endlich wieder -
Dein träum'risch süßes Angesicht!
Ich höre deiner Stimme Lieder -
O das Entzücken tödtet nicht!

Ich lieg' in deinen treuen Armen,
Du pressest mich an deine Brust;
In sel'ger Freude Gluterwarmen
Sag' ich dir, was dir längst bewußt!

Und goldne Tage seh ich schweben
Aus ferner Zukunft dunklem Meer,
Vereinigt unser innerst Leben -
O daß es also, also wär'!

Wie viel und heiß ich auch gelitten
Durch eine lange, lange Zeit,
Mein Schmerz hat Herrliches erstritten:
Des Wiederfindens Seligkeit.

Betty Paoli (1814-1894)
_____




Zitronenfalter im April

Grausame Frühlingssonne,
Du weckst mich vor der Zeit,
Dem nur in Maienwonne
Die zarte Kost gedeiht!
Ist nicht ein liebes Mädchen hier,
Das auf der Rosenlippe mir
Ein Tröpfchen Honig beut,
So muß ich jämmerlich vergehn
Und wird der Mai mich nimmer sehn
In meinem gelben Kleid.

Eduard Mörike (1804-1875)
_____




Glücklicher Schiffbruch

Wann mein Schiff im Meer der Liebe
Ruder und Compaß verliert/
Wann die Reitzung heisser Triebe
Mich auf Sand und Klippen führt/
Soll der Augen Wunder Schein
Mir mein Licht und Pharus seyn.

Schönste! soll ich untergehen?
Laß mich nur den Abgrund sehn/
Wo zwo schöne Klippen stehen
Die den Marmor übergehn/
Deren Spitzen den Rubien
Können in Verwundrung ziehn.

Wo mein Mast den Abgrund findet/
Da sich Paphos-Muschel wiegt/
Wo mein Ancker da nur gründet/
Da die Lust vergraben liegt/
Wo mir dieses wiederfährt/
Ist mein Schiffbruch lobens wehrt.

Joachim Beccau (1690-1754)
_____




Selige Sehnsucht

Sagt es niemand, nur den Weisen,
Weil die Menge gleich verhöhnet,
Das Lebend'ge will ich preisen,
Das nach Flammentod sich sehnet.

In der Liebesnächte Kühlung,
Die dich zeugte, wo du zeugtest,
Überfällt dich fremde Fühlung,
Wenn die stille Kerze leuchtet.

Nicht mehr bleibest du umfangen
In der Finsternis Beschattung,
Und dich reißet neu Verlangen
Auf zu höherer Begattung.

Keine Ferne macht dich schwierig,
Kommst geflogen und gebannt,
Und zuletzt, des Lichts begierig,
Bist du, Schmetterling, verbrannt.

Und solang du das nicht hast,
Dieses: Stirb und werde!
Bist du nur ein trüber Gast
Auf der dunklen Erde.

Johann Wolfgang von Goethe (1749-1832)
_____



Abschied an eine Geliebte
Bilder-Reim

Kan             Man
Auch    wol    auff    der    Erden
Schmertzlicher       betrübet        werden/
Als      wenn     des     Gelückes Spiel
Zwey     Verliebte       trennen  will?
Nun  ich weiß  auch   was  es    ist/
Wenn  man  schöne  Lippen küst/
Und die Lust verlassen soll/
Drum mein Engel lebe woll.
Such  die     Freude
Nicht  im  Leide/
Liebe   mich/
wie  ich
dich.

Nikolaus von Bostel (1670-1704)



_______




Er liebet nur eine

Ich liebe dich allein mein Kind/ und sonsten Keine/
Der Himmel straffe mich/ wo ichs nicht ehrlich meine/
Du solt der Port/ da sich mein Reisen endet/ seyn/
Du Himmels-Bildchen/ du/ ich liebe dich allein.
Ich liebe dich allein/ mein Engelchen/ mein Träubchen/
Mein süßtes Zucker-Brod/ mein aller-keuschtes Täubchen/
Du Julep meiner Lust/ mein angenehmster Wein/
Und meiner Seelen Seel'/ ich liebe dich allein.
Ich liebe dich allein/ nicht nur bey jungen Tagen/
Auch denn/ wenn das Gesicht wird einmahl Runtzeln tragen/
Du bist mir immer jung/ und nett/ und schön/ und fein/
Mein Kind/ ich liebe dich/ ich liebe dich allein.
Ich liebe dich allein/ mein Hertz wird bey dir halten/
Wenn einst der Tod die Seel wird von dem Leibe spalten/
Ja fiehl der Erden-Kreyß/ auch gar der Himmel ein/
So sterb' ich auf dis Wort/ ich liebe dich allein.

Heinrich Bredelo (1649-1726)
_____



Von dem unentbehrlichen
Gebrauch der Küsse

Wer bey Frauenzimmer ist,
und will ihr kein Mäulgen geben,
Wird vor höltzern angesehn,
denn er wüste nicht zu leben,
(Ist das Sprichwort bey den Jungfern)
denn die Mode führt es ein,
Solt es auch zum ersten mahle
nur ein leerer Hand-Kuß seyn.
Was kan abgeschmackter seyn,
wenn man auf die Heyrath gehet,
Und sich die erwehlte Braut
nicht zu küssen unterstehet,
Denn woraus ist abzunehmen,
daß ihr so ein Freyer gut,
Wenn er bey der Liebes-Werbung
gleichwohl noch so trocken thut.
Wenn die Zärtlichkeit verstummt,
und der Mund nichts weiß zu sprechen,
Daß der Schönen harte Brust
durch die Wehmuth könte brechen,
Oder wenn der Geist der Zunge
nichts mehr schönes sagen kan,
O! so fange man statt dieses
das entzückte Küssen an.

Christian Friedrich Henrici
(Ps. Picander) (1700-1764)

Aus: L'Art de baiser
Das ist
Die Kunst zu küssen
Nebst einem Unterricht von allen dabey
vorfallenden Umständen,
aus dem Französischen ins Teutsche übersetzt
Bey der M. und P. Hochzeit Leipzig den 6. Martii 1726
(Das V. Capitel)
_____




Wir liebten uns vergnügt in stiller Einsamkeit ...

Wir liebten uns vergnügt in stiller Einsamkeit,
Und liessen ingeheim die Seelen sich besprechen,
Wenn der vergnügte Mund durch einen süssen Streit
Die Schalen unsrer Gunst sich mühte zu erbrechen.
Bald schickt ich einen Blick, bald schlug die kühne Hand,
Wie grüner Epheu, sich um deine zarte Hüfften:
Kurtz, beyder Hand und Mund die wolten gantz entbrannt
Durch ihre Redner-Kunst ein festes Bündnis stifften.
Und warlich hätte nicht die Liebe solchen Grund,
Wir nehrten jetzo nicht so süsses Angedencken,
Ich wüste nichts von dem, wie ein vergnügter Mund
Bey fremden Lippen auch weiß Nectar einzuschencken:
Wie man die Hände frey an Kinn und Wangen führt,
Mit Augen aber auch kan wie mit Feuer spielen:
Wie sich der Liebe Schaum in allen Adern rührt,
Und wie wir tausend Lust in eitlen Küssen fühlen.
Ein mehrers sag uns ja kein loser Spötter nach:
Wir überschritten nicht der Erbarkeit Gesetze,
Und dachten, wenn das Fleisch dem Geiste widersprach,
Daß man die Jungferschafft, wie Spiegel, leicht verletze.
Nun eben dieses soll der steiffe Fürsatz seyn,
Wenn ich dich wiederum, mein Engel, werde sprechen;
Da wollen wir vergnügt in unsrer süssen Pein
Der Liebe zarte Frucht berühren, doch nicht brechen.

Johann Burkhard Mencke
(Ps. Philander von der Linde)
(1674-1732)
_______



Wunsch!

Blickst du, mein Stern, nach oben
Zum schönen Himmel droben
Möcht' ich der Himmel werden,
Daß, wenn du von der Erden
Mit Funken, hell und rege,
Ausspähst nach meinen Blicken,
Ich tausendäugig möge
An deinen tausend Reizen mich erquicken.

Torquato Tasso (1544-1595)

(Übersetzt von Karl Förster 1784-1884)
_______




Andenken

Ich denke dein,
Wenn durch den Hain
Der Nachtigallen
Akkorde schallen!
Wann denkst du mein?

Ich denke dein
Im Dämmerschein
Der Abendhelle
Am Schattenquelle!
Wo denkst du mein?

Ich denke dein
Mit süßer Pein
Mit bangem Sehnen
Und heißen Tränen!
Wie denkst du mein?

O denke mein,
Bis zum Verein
Auf besserm Sterne!
In jeder Ferne
Denk ich nur dein!

Friedrich von Matthisson
(1761-1831)
_____




Ich liebe Dich

Ich liebe Dich mit Deinen tiefen Augen,
so tief wie Waldes Dämmerdunkel,
wenn silberhelles Mondgefunkel
sich über weiße Wiesen legt.

Ich liebe Dich mit Deinen tiefen Augen,
so tief wie Waldsees schwarzer Grund:
der Abendstern schwimmt träumend - und
die Fläche kaum sich atmend regt.

Ich liebe Dich mit Deinen tiefen Augen:
in ihnen möchte ich ertrinken,
in ihnen langsam niedersinken
und unten ruhen unbewegt.

Siegfried Kawerau (1886-1936)
_____



Meine Gedanken trafen dich still allein ...

Meine Gedanken trafen dich still allein
Spät in der Nacht in deinem Kämmerlein,
Sahen dich kindlich vor meinem Bildnis beten.
Meine Gedanken sind leise beiseite getreten,
Und sie sprachen voll Sehnsucht: Ach wenn sie doch wüßte,
Daß ich ihr Bild zur selben Stunde küßte.

Joachim Ringelnatz (1883-1934)
_____



Liebe

Es ist ein Glück zu wissen,
daß du bist,
Von dir zu träumen
hohe Wonne ist,
Nach dir sich sehnen
macht zum Traum die Zeit,
Bei dir zu sein,
ist ganze Seligkeit.

Otto Julius Bierbaum (1865-1910)
_____



Saint-Preux an Julie d'Etanges

Ich finde das Feld lachender,
das Grün frischer und lebendiger,
die Luft reiner, den Himmel heiterer;
der Gesang der Vögel scheint mir
zärtlicher und lieblicher;
das Murmeln der Bäche weckt
ein sehnliches Schmachten;
der blühende Wein sendet süßere Düfte
in die Ferne;
ein geheimer Zauber verschönt
entweder alle Gegenstände
oder hat meine Sinne bestochen;
man sollte meinen,
die Erde schmücke sich,
um deinem glücklichen Geliebten
ein Hochzeitbett zu bereiten,
würdig der Schönheit,
welche er anbetet,
und der Flamme, die ihn verzehrt,
O Julie! o theure, kostbare Hälfte meiner Seele!
eilen wir, all dieser Zierde des Lenzes
die Gegenwart zweier treuen Liebenden
hinzuzufügen!
Laß und die Empfindung der Lust dahin tragen,
wo von ihr nur das hohle Bild ist,
laß sie uns beleben, die Natur,
die ganz und gar todt ist
ohne das Feuer der Liebe.
Wie? Drei Tage warten?
Drei Tage noch?
Trunken von Liebe, dürstend nach Lust
erwarte ich den langsam
daherschleichenden Augenblick
mit schmerzlicher Ungeduld.
Ach, wie glücklich wäre man,
wenn der Himmel aus dem Leben
alle tödtlichlange Pausen nähme,
welche solche Augenblicke
von einander trennen!

Jean-Jacques Rousseau (1712-1778)
Aus: Julie oder Die Neue Heloise
Briefe zweier Liebender
aus einer kleinen Stadt am Fuße der Alpen (1761)
Erste Abtheilung 38. Brief
(übersetzt von Gustav Julius)
_______




Liebeslied

Ich weiß einen Rosengarten
Voll wonniglichem Duft,
Gefärbt ist von den zarten
Rosen Licht und Luft.
Darin spaziert,
Geputzt, frisiert,
Die Frau, die alle Wege ziert.

Ihre Äuglein liebkosen
Mein Herz so lind und weich,
Um ihrer Wange Rosen
Sind meine Wangen bleich,
Küßt sie mich,
So taucht sie sich
In mein Blut, herzinniglich.

Es geht ein holdes Schweigen
Ihr immerdar zur Hand.
Voll Engeln, welche geigen,
Wölkt sich ihr zart Gewand,
Scham ist ihr schönstes Kleid,
Ihr Mund ist Herzeleid,
Ich küß' ihn wohl in Ewigkeit.

Karl Schloß (1876-1944)
_____




Ein Zauberwort

Tief in des Meer's krystall'nem Schooße,
Da liegt die Perle wunderbar
In unscheinbarem Muschelkleide
Oft unentdeckt viel tausend Jahr.

In Bergen und in dunkeln Schachten,
Gar tief in Staub und Schutt versteckt,
Da liegt das edle Gold und wartet,
Bis es der Bergmann aufgedeckt.

So giebt's im Menschenherzen Schätze,
So tief verborgen, unentdeckt,
Bis sie ein kleines Zauberwörtchen
Zu neuem Dasein aufgeweckt.

Dies kleine Wörtchen, es heißt "Liebe!"
Das Zauberwort aus Himmelshöh'n; -
Und, wer es kennt, der sieht im Dunkel
Auf einmal helle Pracht entsteh'n.

Maurice Reinhold von Stern
(1860-1938)
_____




Beim Geliebten

Laß mich den Frieden dieser Stunde schlürfen,
Die Stirn in deine lieben Hände pressen:
Es ist so wonnig, alles zu vergessen,
Und endlich einmal müde sein zu dürfen.

In meinen Augen hast du's bald gelesen:
Sie haben manche Nacht durchwachen müssen,
Du mußt mich sanft wie meine Mutter küssen -
Ich bin so lang, so lang allein gewesen.

Bruno Frank (1887-1945)
_____




Liebeslied

Dein Mund, der schön geschweifte,
Dein Lächeln, das mich streifte,
Dein Blick, der mich umarmte,
Dein Schoß, der mich erwarmte,
Dein Arm, der mich umschlungen,
Dein Wort, das mich umsungen,
Dein Haar, darein ich tauchte,
Dein Atem, der mich hauchte,
Dein Herz, das wilde Fohlen,
Die Seele unverhohlen,
Die Füße, welche liefen,
Als meine Lippen riefen -:
Gehört wohl mir, ist alles meins,
Wüßt nicht, was mir das liebste wär,
Und gäb nicht Höll noch Himmel her:
Eines und alles, all und eins.

Klabund (1890-1928)
_____



Zum neuen Jahr

Wie heimlicher Weise
Ein Engelein leise
Mit rosigen Füßen
Die Erde betritt,
So nahte der Morgen.
Jauchzt ihm, ihr Frommen,
Ein heilig Willkommen,
Ein heilig Willkommen!
Herz, jauchze du mit!

In Ihm sei's begonnen,
Der Monde und Sonnen
An blauen Gezelten
Des Himmels bewegt.
Du, Vater, du rate!
Lenke du und wende!
Herr, dir in die Hände
Sei Anfang und Ende,
Sei alles gelegt!

Eduard Mörike (1804-1875)


zurück zur Startseite