Deutsche Liebeslyrik -
Gedicht der Woche
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(die neuesten Gedichte oben)
        
      
        O heilige Wollust, heilig du auf Erden!
        
        
        O heilige Wollust, heilig du auf Erden!
        Wer ganz in dir ist, der ist gottvollkommen,
        Und übermütig wach sind seine Kräfte.
        Sein Blick ist küssender Mund,
        Sein küssender Mund erglühender Schoß,
        Sein Lächeln sagt von allen Zärtlichkeiten.
        Sein Leib ist Glut und Glanz,
        Und Glut und Glanz strömt aus von ihm,
        Der mehr an Liebe trägt, als er behalten kann.
        
        Ich liebe Einen / und alle lieben mich!
        Ich liebe Einen / und ich weiß die Welt,
        Und ihr Geheimnis ist mir aufgedeckt.
        Ich bin nun eines Werdens Mittelpunkt,
        Ein Sturm und Ausgang, Sehnen, Lust und Macht,
        Bin rosenroter Freude Flügelschwung
        Und schlanker Pfeil, der hell ins Leben schwirrt.
        Ein Sieger bin ich über alles Leid:
        Gestrafft die Zügel! Und mein Wagen braust,
        Und seine Speichen singen Seligkeit,
        Und seine Spur gräbt Runen in den Tag,
        Und Herzen klopfen, die die Runen sehn.
        
        Ich liebe Einen! / O nur dies zu denken,
        Entfesselt namenloses Glück!
        Was ist ein Geist, der nichts von Liebe weiß,
        Was ist ein Leib, dem ihre Wollust fremd?
        Ein solcher Geist ist ohne Zeugungskraft,
        Ist nur ein schwacher Spiegel seiner selbst;
        Ein solcher Leib ist traurig unbelebt
        Und seelenlos wie blödes Meergetier.
        Doch Geist, der liebt, ist jenem Urquell nahe,
        Der unablässig Lebensodem braut;
        Und Leib, der liebt, ist dieser Urquell selbst,
        Ist Kraft und Güte, Glanz und Harmonie.
        O wer am Leben krankt und seinen Sinn nicht findet,
        Sich trübe nur durch Labyrinthe windet,
        Der bade sich in Wollust rein,
        Und heilig liebenswert wird ihm das Leben sein.
        
        Gisela Etzel 
        (1880-1918)
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        Liebeslied
        
        
        Wie soll ich meine Seele halten, daß 
        sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie 
        hinheben über dich zu andern Dingen? 
        Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas 
        Verlorenem im Dunkel unterbringen 
        an einer fremden stillen Stelle, die 
        nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
        Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
        nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich, 
        der aus zwei Saiten eine Stimme zieht. 
        Auf welches Instrument sind wir gespannt? 
        Und welcher Geiger hat uns in der Hand? 
        O süßes Lied.
        
        Rainer Maria Rilke
        (1875-1926)
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        Talisman
        
        
        Daß dieses Herz, das unruhvolle,
        Nicht ganz in sich verzagen darf,
        Auf welche öde, kalte Scholle
        Es auch ein hartes Schicksal warf!
        
        Daß meine Augen leuchtend glänzen,
        Als schauten sie gelobtes Land,
        Als weilten sie auf Siegeskränzen,
        Anstatt auf Kett und Sklavenband!
        
        Das dank ich einem Talismane,
        Den mir ein Bote Gottes gab,
        Ein Engel mit der Friedensfahne,
        Erhaben über Tod und Grab.
        
        Und soll ich noch das Kleinod nennen?
        O liebe nur - dann ist es Dein!
        Dann magst Du's einer Welt bekennen:
        Im Lieben nur ist Trost allein!
        
        Louise Otto
        (1819-1895)
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        Der Kuss
        
        
        Ward Unsterblichkeit mir? Stieg ein Olympier
        Mit der Schale herab? Bebte sein goldner Kelch,
        Voll der Trauben des Himmels,
        Um die Lippe des Taumelnden?
        
        Wehe Kühlung mir zu, wann du mir wiederum 
        Reichst den glühenden Kelch, daß mir die Seele nicht 
        Ganz im Feuer zerfließe;
        Wehe, wehe mir Kühlung zu!
        
        Unter Blüthen des Mays spielt' ich mit ihrer Hand;
        Kos'te liebelnd mit ihr, schaute mein schwebendes
        Bild im Auge des Mädchens;
        Raubt' ihr bebend den ersten Kuß!
        
        Ewig strahlt die Gestalt mir in der Seel' herauf; 
        Ewig flieget der Kuß, wie ein versengend Feur, 
        Mir durch Mark und Gebeine;
        Ewig zittert mein Herz nach ihr!
        
        Ludwig Christoph Heinrich Hölty
        (1748-1776)
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        Einen Menschen heiß zu lieben . . .
        
        
        Einen Menschen heiß zu lieben
        Mit der ganzen Menschenbrust,
        Sich bewußt der Gegenliebe -
        Das ist höchste Erdenlust!
        
        Was auch Sterbliche hoch preisen,
        Was das Leben Großes beut,
        Alles, Alles überstrahlet
        Solcher Liebe Seligkeit!
        
        Tugend, Schönheit, Ruhm und Größe,
        Wohl den Menschen ehrt und schmückt,
        Doch von ganzer Seele lieben -
        Das allein - allein - beglückt!
        
        Mathilde Wesendonck 
        (1828-1902)
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        Auf ihr Abwesen
        
        Ich irrte hin und her und suchte mich in mir,
        und wuste dieses nicht, daß ich ganz war in dir.
        Ach! tu dich mir doch auf, du Wohnhaus meiner Seelen!
        Komm, Schöne, gieb mich mir, benim mir dieses Quälen!
        Schau, wie er sich betrübt, mein Geist, der in dir lebt!
        Tötst du den, der dich liebt? Itzt hat er ausgelebt.
        Doch gieb mich nicht aus dir! Ich mag nicht in mich kehren.
        Kein Tod hat Macht an mir, du kanst mich leben lehren.
        Ich sei auch, wo ich sei, bin ich, Schatz, nicht bei dir,
        so bin ich nimmermehr selbest in und bei mir.
        
        Paul Fleming
        (1609-1640)
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        Weißt du es noch?
        
        
        Weißt du es noch? - Vom Sonnenschein
        Waren die Fluren trunken
        Und - wie gebadet in jungem Wein -
        Taumelnd in Schlaf gesunken.
        Eine Iris duckte sich schwank
        In die zitternden Ranken . . .
        Wir allein auf der Rasenbank
        In versunkenen Gedanken!
        
        Um uns grünlich dämmernd Gezweig,
        Espenrauschen und Flüstern,
        Traumhaft leises Geplätscher im Teich,
        Durch die Binsen ein Knistern.
        Nur zuweilen im stillen Hag
        Leises Locken und Gurren,
        Ueber den Wassern ein Flügelschlag,
        Einer Libelle Surren.
        
        Weißt du es noch? - Wir beugten uns vor
        Ueber die zitternden Wellen,
        Sahen die goldenen Fliegen im Rohr
        Ueber das Wasser schnellen; -
        Sahen Cikaden, vom Schilf überdacht,
        Silberig eingesponnen . . .
        Sahen - und haben verträumt gelacht -
        Drunten verlorene Sonnen.
        
        Weich wie Kinderhände die Luft
        Und der Himmel in Flammen!
        Schlug nicht keimender Rosenduft
        Ueber uns beiden zusammen?
        Weißt du es noch? - Doch schweig, o schweig!
        Daß wir den Zauber nicht stören . . .
        Denn die Sonnenstunde am Teich
        Soll uns allein gehören.
        
        Hedwig Dransfeld 
        (1871-1925)
        _____
        
        
      
        Begegnung
        
        
        Was doch heut nacht ein Sturm gewesen, 
        Bis erst der Morgen sich geregt! 
        Wie hat der ungebetne Besen 
        Kamin und Gassen ausgefegt!
        
        Da kommt ein Mädchen schon die Straßen, 
        Das halb verschüchtert um sich sieht; 
        Wie Rosen, die der Wind zerblasen, 
        So unstet ihr Gesichtchen glüht.
        
        Ein schöner Bursch tritt ihr entgegen, 
        Er will ihr voll Entzücken nahn: 
        Wie sehn sich freudig und verlegen 
        Die ungewohnten Schelme an!
        
        Er scheint zu fragen, ob das Liebchen 
        Die Zöpfe schon zurecht gemacht, 
        Die heute Nacht im offnen Stübchen 
        Ein Sturm in Unordnung gebracht.
        
        Der Bursche träumt noch von den Küssen, 
        Die ihm das süße Kind getauscht, 
        Er steht, von Anmut hingerissen, 
        Derweil sie um die Ecke rauscht.
        
        Eduard Mörike
        (1804-1875)
        _____
        
        
      
        Sulamith
        
        
        O, ich lernte an Deinem süssen Munde
        Zu viel der Seligkeiten kennen!
        Schon fühl' ich die Lippen Gabriels
        Auf meinem Herzen brennen,
        Und die Nachtwolke trinkt
        Meinen tiefen Cederntraum.
        O, wie Dein Leben mir winkt,
        Und ich vergehe
        Mit blühendem Herzeleid!
        Und verwehe im Weltraum,
        In Zeit,
        In Ewigkeit,
        Und meine Seele verglüht 
        in den Abendfarben Jerusalems.
        
        Else Lasker-Schüler
        (1869-1945)
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        Die Küsse
        
        
        Der Neid, o Kind,
        Zählt unsre Küsse:
        Drum küß geschwind
        Ein Tausend Küsse;
        Geschwind du mich,
        Geschwind ich dich!
        Geschwind, geschwind,
        O Laura, küsse
        Manch Tausend Küsse: 
        Damit er sich 
        Verzählen müsse.
        
        Gotthold Ephraim Lessing
        (1729-1781)
        _____
        
        
      
        Ständchen
        
        
        Im hellen, klaren Mondenschein
        Steh' ich vor deinem Fensterlein,
        Sanft schimmern die goldenen Sternelein,
        Süß Liebchen, gute Nacht! -
        
        Es ist so ruhig rings umher -
        Kein Lufthauch streift die Bäume mehr,
        Ganz dumpf nur von ferne erbrauset das Meer,
        Hold Liebchen, schlummere sanft!
        
        Hinauf zum Fenster will ich seh'n,
        Bis Mond und Sterne untergeh'n,
        Und will für dich zum Himmel flehn -
        Mein Liebchen, träume süß.
        
        Helene von Hülsen 
        (1829-1892)
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        Annabel Lee
        
        
        Es ist lange her, da lebte am Meer,
        Ich sag euch nicht wo und wie -
        Ein Mägdelein zart, von seltener Art,
        Mit Namen Annabel Lee.
        Und das Mägdelein lebte für mich allein,
        Und ich lebte allein für sie.
        
        Ich war ein Kind, und sie war ein Kind,
        Meine süsse Annabel Lee,
        Doch eine Liebe, so gross, so grenzenlos,
        Wie die unsere, gab es nie.
        Wir liebten uns so, dass die Engel darob
        Beneideten mich und sie.
        
        Da kam eines Tags aus den Wolken stracks
        Und Ungewitter und spie
        Seinen Geifer aus, einen Höllengraus,
        Und traf meine Annabel Lee.
        Und es kam ein hochgeborener Lord,
        Der holte auf immer sie von mir fort
        In sein Reich am Meer und sperrte sie
        Dort ein, meine Annabel Lee.
        
        Ja, neidisch war die geflügelte Schar
        Im Himmel auf mich und sie.
        Und dies war der Grund, dass der Höllenmund
        Des Sturms sein Verderben spie.
        Bis sie erstarrte,
        Und der Tod sie verscharrte,
        Meine süsse Annabel Lee.
        
        Doch eine Liebe, so gross, so grenzenlos,
        Wie die unsere, gab es nie.
        So liebten Ältere nie,
        So liebten Weisere nie,
        Und wären die Engel auch noch so scheel,
        Sie trennten doch nicht meine Seel' von der Seel'
        Der lieblichen Annabel Lee.
        
        Wenn die Sterne aufgehn, so kann ich drin sehn
        Die Äuglein der Annabel Lee.
        Und noch jegliche Nacht hat mir Träume gebracht
        Von der lieblichen Annabel Lee.
        So ruh' ich denn, bis der Morgen graut,
        Allnächtlich bei meinem Liebchen traut
        In des schäumenden Grabes Näh',
        An der See, an der brandenden See.
        
        Edgar Allan Poe (1809-1849)
        
        
        Übersetzt von Hedwig 
        Lachmann (1865-1918)
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        Überall Liebe
        
        
        Kann ich im Herzen heiße Wünsche tragen?
        Dabei des Lebens Blüthenkränze sehn,
        Und unbekränzt daran vorüber gehn
        Und muß ich traurend nicht in mir verzagen?
        
        Soll frevelnd ich dem liebsten Wunsch entsagen?
        Soll muthig ich zum Schattenreiche gehn?
        Um andre Freuden andre Götter flehn,
        Nach neuen Wonnen bei den Todten fragen?
        
        Ich stieg hinab, doch auch in Plutons Reichen,
        Im Schooß der Nächte, brennt der Liebe Glut
        Daß sehnend Schatten sich zu Schatten neigen.
        
        Verlohren ist wen Liebe nicht beglücket,
        Und stieg er auch hinab zur styg'schen Flut,
        Im Glanz der Himmel blieb er unentzücket.
        
        Karoline von Günderrode
        (1780-1806)
        _____
        
        
      
        An Anna Blume
        
        um 1919
        
        Oh Du, Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe Dir!
        Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - wir?
        Das gehört beiläufig nicht hierher!
        
        Wer bist Du, ungezähltes Frauenzimmer, Du bist, bist Du?
        Die Leute sagen, Du wärest.
        Laß sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht.
        
        Du trägst den Hut auf Deinen Füßen und wanderst auf die Hände,
        Auf den Händen wanderst Du.
        
        Halloh, Deine roten Kleider, in weiße Falten zersägt,
        Rot liebe ich Anna Blume, rot liebe ich Dir.
        Du, Deiner, Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - - -  wir?
        Das gehört beiläufig in die kalte Glut!
        Anna Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute?
        
        Preisfrage:
        1.) Anna Blume hat ein Vogel,
        2.) Anna Blume ist rot.
        3.) Welche Farbe hat der Vogel.
        
        Blau ist die Farbe Deines gelben Haares,
        Rot ist die Farbe Deines grünen Vogels.
        Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid,
        Du liebes grünes Tier, ich liebe Dir!
        Du Deiner Dich Dir, ich Dir, Du mir, - - - - wir!
        Das gehört beiläufig in die - - -  Glutenkiste.
        
        Anna Blume, Anna, A----N----N----A!
        Ich träufle Deinen Namen.
        Dein Name tropft wie weiches Rindertalg,
        Weißt Du es Anna, weißt Du es schon,
        Man kann Dich auch von hinten lesen.
        Und Du, Du Herrlichste von allen,
        Du bist von hinten, wie von vorne:
        A------N------N------A.
        Rindertalg träufelt STREICHELN über meinen Rücken.
        Anna Blume,
        Du tropfes Tier,
        Ich ------- liebe ------- Dir!
        
        Kurt Schwitters
        (1887-1948)
        _____
 
Auch jetzt 
        noch ...
        
        An die Geliebte
        
        Fünfzig Abschiedsstrophen 
        auf dem Wege zum 
        Richtplatze
        Nach Tschaurapantschasika
        1.
        Auch 
        jetzt noch denk' der Liebsten ich
        so schön wie Tschampasprossen,
        Im Schmuck der feinen Haare, wie
        ein Lotuskelch erschlossen,
        Wie sie von Liebesqual erschlafft
        dem Schlafe sich entwunden, -
        Ein Wissen gleichsam, das mir aus
        Sorglosigkeit entschwunden! (S. 119)
         
        2.
        Auch 
        jetzt noch, säh' ich jugendfrisch
        die Mondantlitz'ge wieder,
        Der Feuer von dem Liebespfeil
        des Gottes heert die Glieder,
        Mit ihres Busens Wogen, und
        mit gold'nem Glanze spielend,
        Wie thät' es meinem Leibe doch
        so wohl, so süß, so kühlend! (S. 119)
        
        
        
        3.
        Auch 
        jetzt noch, säh' ich wieder sie
        mit ihren Lotusaugen,
        Gehindert an dem Gange fast
        durch hohes Busenwogen,
        Mit Küssen sie erstickend wollt'
        am süßen Mund ich saugen,
        Wie Bienen an der Lilie Kelch,
        von Liebeslust gezogen. (S. 120)
         
        
        
        4.
        Auch 
        jetzt noch denk' ich ihrer, die
        von Liebeslust ermattet, -
        Die bleiche Wange von der Haa-
        re dunkler Füll' umschattet, -
        Im Herzen mein Gedächtnis trug,
        als thät sie heimlich Sünde,
        Und um den Hals mir zärtlich schlug
        der Arme holde Winde. (...)
        
        Das vollständige Gedicht unter:
        
        www.deutsche-liebeslyrik.de/orient/tschaura.htm
        _____
        
 
 
        
      
        An die Liebe
        
        
        Alle suchen sie dich
        und überall lockst du.
        Aus tausend Verhüllungen schimmert
        dein unenträtselt Gesicht.
        Aber wenigen nur
        gewährst du Erfüllung,
        selige Tage, reines Glück.
        Zärtlich wehn dich die Blumen,
        die scheuen Gräser,
        der Schmetterlinge heiterer Flug;
        wilder der Wind
        und das ewig sich wandelnde Meer.
        Wunderbar strahlst du
        aus den Augen des Menschen,
        der ein Geliebtes
        in seinen Armen hält,
        vom tönenden Sternenhimmel überwölbt.
        In die zitternde Seele
        schweben Schauer
        von Leben und Tod.
        
        Francisca Stoecklin
        (1894-1931)
        _____
        
 
 
        
        Deß Herren Bräutigams Hertz
        der Jungfraw Braut vorgestellet
        
        ***                              ***
        *****                            *****
        **********                     **********
        Sch ö n s t e     S o n n e /      M e i n e      W o n n e
        Nim   hin  was  ich  dir  bring  von  den  verpflichten  Händen
        Die   Werckstadt   wahrer  Huld  ein  treu   verschrencktes   Hertz
        Daß    sich    nach    deinem    Sinn    hat    allzeit    wollen 
           wenden /
        Da    nim    es    und    zugleich    den    Felsen    schweren   Schmertz
        Von  deinem   treusten   hin /   der   gleichsam   zu   dein'n  Füssen
        Auß    Liebes   Dienstbarkeit   sich   hat   zu   legen   wissen
        Von  diesem   nim   es  an  der  auch  in Fried und Leid
        Sein  unverfälschtes  Hertz  hält  zur  Beständigkeit
        Wiewol ist meine Treu in deine Gunst vergnüget /
        Weil heute meine Huld dich zur 
        Belohnung krieget /
        Nun hab ich was ich will / und habe was ich sol /
        Und was ich vor gewolt dass allerbeste wol.
        Weil     diese     so     mich     liebet /
        Mir ihr Hertz wieder giebet /
        Hab Danck / O Sonne
        Meine Won
        ne.
        
        
         Elisabeth von Senitz
        (1629-1679)
        ______
        
        
        
        
        
        
        
        
        Nähe des Geliebten
        
        
        
        
        Ich denke dein, wenn mir der Sonne Schimmer
        Vom Meere strahlt;
        Ich denke dein, wenn sich des Mondes Flimmer
        In Quellen malt.
        Ich sehe dich, wenn auf dem fernen Wege
        Der Staub sich hebt;
        In tiefer Nacht, wenn auf dem schmalen Stege
        Der Wandrer bebt.
        Ich höre dich, wenn dort mit dumpfem Rauschen
        Die Welle steigt.
        Im stillen Haine geh ich oft zu lauschen,
        Wenn alles schweigt.
        Ich bin bei dir, du seist auch noch so ferne,
        Du bist mir nah!
        Die Sonne sinkt, bald leuchten mir die Sterne
        O wärst du da!
        
        Johann Wolfgang von Goethe 
        (1749-1832)
        _____
        
        
        Ich liebe dich, weil ich dich lieben muß; 
        Ich liebe dich, weil ich nichts anders kann; 
        Ich liebe dich nach einem Himmelschluß; 
        Ich liebe dich durch einen Zauberbann.
        
        Dich lieb' ich, wie die Rose ihren Strauch; 
        Dich lieb' ich, wie die Sonne ihren Schein; 
        Dich lieb' ich, weil du bist mein Lebenshauch;
        Dich lieb' ich, weil dich lieben ist mein Sein.
        
        Friedrich Rückert
        (1788-1866)
        _____
        
        
      
        Nein, Liebe kann nicht sterben
        
        
        Nein, Liebe kann nicht sterben,
        Wie heiß ihr Weh auch flammt,
        Eh' ging' die Welt in Scherben,
        Eh' Liebe könnt' verderben,
        Denn ewig ist ihr Amt.
        
        Kann ich den Schwur bestreiten,
        Den ich im Himmel gab?
        Durchs Leben dir zur Seiten
        In Glück und Not zu schreiten,
        Dein Schutzgeist bis zum Grab!
        
        Leg' an mein Haupt das deine,
        Was kümmert mich die Welt?
        Die Welt voll Neid und Scheine,
        Ich weiß ja nur das eine,
        Daß ich für dich bestellt.
        
        Isolde Kurz 
        (1853-1944)
        _____
        
        
      
        Du bist mein Land . . .
        
        
        Du bist mein Land,
        ich deine Flut,
        die sehnend dich ummeeret;
        Du bist der Strand,
        dazu mein Blut
        ohn' Ende wiederkehret.
        
        An dich geschmiegt,
        mein Spiegel wiegt
        das Licht der tausend Sterne;
        und leise rollt
        dein Muschelgold
        in meine Meergrundferne.
        
        Christian Morgenstern
        (1871-1914)
        _____
        
        
      
        Der goldne Stern
        
        
        Der goldne Stern in meinen dunklen Nächten,
        Bist Du!
        Der Trost, mir zugesandt von Liebesmächten,
        Bist Du!
        Der Morgensaum von allen meinen Träumen,
        Bist Du!
        Die Liebesblüth' an meinen Lebensbäumen,
        Bist Du!
        Der Hoffnungsanker auf empörten Wogen,
        Bist Du!
        In Nacht und Grau'n der lichte Regenbogen,
        Bist Du!
        Die Rettungsspur auf einer öden Küste,
        Bist Du!
        Oase grün in einer weiten Wüste,
        Bist Du!
        Der Quell, an dem ich meine Hoffnung tränke,
        Bist Du!
        Die Well', in die ich all mein Leid versenke,
        Bist Du!
        Der letzte Strahl, eh' sich mein Auge schließet,
        Bist Du!
        Das Morgenroth, das einst mich droben grüßet,
        Bist Du!
        
        Luise von Ploennies
        (1803-1872)
        _____
        
        
        Im wunderschönen Monat Mai . . .
        
      
        
        
        Im wunderschönen Monat Mai, 
        Als alle Knospen sprangen, 
        Da ist in meinem Herzen 
        Die Liebe aufgegangen.
        
        
        
        
        Im wunderschönen Monat 
        Mai, 
        Als alle Vögel sangen, 
        Da hab ich ihr gestanden 
        Mein Sehnen und Verlangen. 
        
        Heinrich 
        Heine
        (1797-1856)
        _____
        
        
      
        Hochbeglückt in deiner Liebe . . .
        
        
        Hochbeglückt in deiner Liebe
        Schelt' ich nicht Gelegenheit;
        Ward sie auch an dir zum Diebe,
        Wie mich solch ein Raub erfreut!
        
        Warum läßt du dich berauben?
        Gib dich mir aus freier Wahl;
        Gar zu gerne möcht ich glauben -
        Daß dein Herz ich selber stahl.
        
        Was so willig du gegeben,
        Bringt dir herrlichen Gewinn;
        Meine Ruh, mein reiches Leben
        Geb ich freudig, nimm es hin!
        
        Scherze nicht! Nichts von Verarmen!
        Macht uns nicht die Liebe reich?
        Halt ich dich in meinen Armen,
        Welch ein Glück ist meinem gleich.
        
        16. September 1815
        
        Marianne von 
        Willemer
        (1784-1860)
        _____
        
        
      
        Im Mai
        
        
        Das klang wie eine Symphonei,
        Wie eine Liebessymphonei;
        Mein Liebchen sang ein kleines Lied
        Vom Rosenknösplein, das erblüht
        Im Mai.
        Und wie um's rote Röslein wirbt
        Der kleine Falter keck im Mai,
        Und wie der kleine Falter stirbt
        Dabei.
        
        Das war im stillen Birkenhain,
        Der Abendschatten spann uns ein.
        Mein Liebchen sang ein kleines Lied
        Vom Burschen, der sein Mädel sieht
        Im Mai'n.
        Und wie um's dralle Mädel wirbt
        Der kecke Bursch. Gott mög's verzeih'n!
        Und wie das Mädel dann verdirbt
        Allein.
        
        Ich hab' dem kleinen Lied gelauscht,
        Und in den Bäumen hat gerauscht
        Der Abendwind. - Das kleine Lied
        Noch immer in die Weite zieht
        Im Mai.
        Ich habe Liebchens Mund geküßt
        Ganz ohne Furcht und Scheu,
        Bis daß das Lied gestorben ist
        Dabei - - - - - - - 
        
        Leo Heller
        
        (1876-1949)
        
        weitere Mai-Gedichte unter:
        
        www.deutsche-liebeslyrik.de/mai_gedichte/mai_gedichte_verzeichnis.htm
        
        
        
        _______
        
        
      
 In tausend Formen magst du dich verstecken ...
        
        
         In tausend Formen magst du dich verstecken,
        Doch, Allerliebste, gleich erkenn ich dich;
        Du magst mit Zauberschleiern dich bedecken,
        Allgegenwärt'ge, gleich erkenn ich dich.
        
        An der Zypresse reinstem, jungem Streben,
        Allschöngewachsne, gleich erkenn ich dich;
        In des Kanales reinem Wellenleben,
        Allschmeichelhafte, wohl erkenn ich dich.
        
        Wenn steigend sich der Wasserstrahl entfaltet,
        Allspielende, wie froh erkenn ich dich;
        Wenn Wolke sich gestaltend umgestaltet,
        Allmannigfalt'ge, dort erkenn ich dich.
        
        An des geblümten Schleiers Wiesenteppich,
        Allbuntbesternte, schön erkenn ich dich;
        Und greift umher ein tausendarm'ger Eppich,
        O Allumklammernde, da kenn ich dich.
        
        Wenn am Gebirg der Morgen sich entzündet,
        Gleich, Allerheiternde, begrüß ich dich;
        Dann über mir der Himmel rein sich ründet,
        Allherzerweiternde, dann atm' ich dich.
        
        Was ich mit äußerm Sinn, mit innerm kenne,
        Du Allbelehrende, kenn ich durch dich;
        Und wenn ich Allahs Namenhundert nenne,
        Mit jedem klingt ein Name nach für dich.
        
        
        
        Johann Wolfgang von Goethe 
        (1749-1832)
        aus: West-östlicher Divan
        _______
        
        
      
        Das Lied des Gesalbten
        
        
        Zebaoth spricht aus dem Abend:
        Verschwenden sollst Du mit Liebe!
        Denn ich will Dir Perlen meiner Krone schenken,
        In goldträufelnden Honig Dein Blut verwandeln
        Und Deine Lippen mit den Düften süsser Mandeln tränken.
        Verschwenden sollst Du mit Liebe!
        Und mit schmelzendem Jubel meine Feste umgolden
        Und die Schwermut, die über Jerusalem trübt,
        Mit singenden Blütendolden umkeimen.
        Ein prangender Garten wird Dein Herz sein,
        Darin die Dichter träumen.
        O, ein hängender Garten wird Dein Herz sein,
        Aller Sonnen Aufgangheimat sein,
        Und die Sterne kommen, ihren Flüsterschein
        Deinen Nächten sagen.
        Verschwenden sollst Du mit Liebe!
        Tausend greifende Aeste werden Deine Arme tragen
        Und meinem Paradiesheimweh wiegende Troste sein.
        
        Else Lasker-Schüler
        (1869-1945)
        _____
        
        
      
        Lied der Sappho
        
        
        O selig, wem bey dir der Tag entfliehet,
        Der so dich reden hört, dich lächeln siehet!
        Ihm ist es leicht, den Göttern ihre Freuden
        Nicht zu beneiden.
        
        Wenn du erscheinst, fühl' ich mit stärkern Schlägen
        Und schnellerm Lauf sich Blut und Herz bewegen;
        Ich steh betäubt, verlohren im Entzücken,
        Dich anzublicken.
        
        Mein Aug' erlischt, mit tiefer Nacht umgeben,
        Es scheint mein Geist, da Schauder mich durchbeben,
        Mich Schweiß bedeckt, die Wangen mir erblassen,
        Mich zu verlassen.
        
        Daniel Schiebeler
        (1741-1771)
        _____
        
        
      
        Erstes Gefühl des Glücks
        
        
        
        Den 9. März 1824, früh 8 
        Uhr,
        als der erste Vogel sang.
        
        Der erste holde Frühlingston
        Ist mir in's kranke Herz gedrungen!
        Der langen Qualen ersten Lohn
        Hat mir ein Vöglein zugesungen.
        
        Der Frühling kommt, und Er kommt mit!
        Und jung und hell wird dann das Leben!
        Natur und Treue halten Schritt,
        Der Frühling ist zurückgegeben!
        
        Der rauhe Nord hat mir den Freund,
        Der Winter Dir den Sang genommen!
        Weil nun die Frühlingssonne scheint,
        So werden Beide wieder kommen.
        
        Adele Schopenhauer
        (1797-1849)
        _____
        
        
      
        Ihre schöne Arme
        
        
        Sonnet
        
        Ihr Arme / die ihr nicht an Schönheit arme seyt!
        ihr Liebesfässel ihr / dergleichen Venus dorte
        warf um Adonis Hals! ihr macht / die stummen Worte
        der Augen / redend oft; gebt angenehmes Leid.
        
        Beseeltes Marmor du / Gränz jener Trefflichkeit
        des schönen Hügel-paars dort an der Herzenspforte!
        du neugefallner Schnee / der bleibet fort und forte!
        ach! solt ich sehen dich und küssen allezeit /
        
        wie ich dann thu' itzund. Diß sey dann mein Verlangen:
        daß ich von euch allzeit / ihr Fässel / werd umfangen?
        Die gröste Freyheit ist / also gefangen seyn.
        
        Will meine Wangen dann der blasse Tod entfärben:
        so schlaff' ich ja bey euch auch sanft und seelig ein /
        ihr himmelische Arm! ich kan nit süsser sterben.
        
        Sigmund von Birken 
        (1626-1681)
        _____
        
        
      
        An Levin Schücking
        
        
        Kein Wort, und wär' es scharf wie Stahles Klinge, 
        Soll trennen, was in tausend Fäden Eins, 
        So mächtig kein Gedanke, daß er dringe 
        Vergällend in den Becher reinen Weins; 
        Das Leben ist so kurz, das Glück so selten, 
        So großes Kleinod, einmal sein statt gelten!
        
        Hat das Geschick uns, wie in frevlem Witze,
        Auf feindlich starre Pole gleich erhöht, 
        So wisse, dort, dort auf der Scheidung Spitze 
        Herrscht, König über alle, der Magnet, 
        Nicht fragt er, ob ihn Fels und Strom gefährde, 
        Ein Strahl fährt mitten er durchs Herz der Erde.
        
        Blick' in mein Auge, - ist es nicht das deine, 
        Ist nicht mein Zürnen selber deinem gleich? 
        Du lächelst - und dein Lächeln ist das meine, 
        An gleicher Lust und gleichem Sinnen reich; 
        Worüber alle Lippen freundlich scherzen, 
        Wir fühlen heil'ger es im eignen Herzen.
        
        Pollux und Kastor, - wechselnd Glühn und Bleichen, 
        Des einen Licht geraubt dem andern nur, 
        Und doch der allerfrömmsten Treue Zeichen. -
        So reiche mir die Hand, mein Dioskur! 
        Und mag erneuern sich die holde Mythe, 
        Wo überm Helm die Zwillingsflamme glühte 
        
        Annette von Droste-Hülshoff 
        (1797-1848)
        _____
        
        
      
        Wunsch
        
        
        Im Frühling, wenn die Welt noch jung
        und alle Nächte - nur ein Quell
        der Sehnsucht und Erinnerung -
        aufrauschen selig, rein und hell,
        wenn aller Kronen Blütenglanz
        und neuer Winde sanfter Schwung
        umfangen alle Länder ganz,
        wenn selbst das müde Herz vergisst
        den schmerzhaft unvernarbten Sprung
        und voller eitler Wünsche ist -
        
        Im Frühling möcht' ich durch das Tal
        mit dir, Geliebte, Hand in Hand
        hinschreiten so wie dazumal,
        als ich zu meinem Glück dich fand.
        
        
        Camill Hoffmann 
        (1878-1944)
        _____
        
        
      
        Uralt...
        
        
        Schweig, mein Geliebter; Mund auf Mund
        Wurden wir groß, wurden wir alt
        In einem nie gestillten Bund,
        Alt wie der uralte Wald.
        
        Alt wie der Mond, mein Lichtgesicht,
        Bist du am Himmel tausend Jahr
        O schmale Sichel aufgericht,
        Der ich die Ernte war.
        
        Alt wie das Meer, die dunkle Saat,
        Nach dir gereift, sehnsüchtige Flut,
        Steigt zwischen uns den ewigen Pfad
        Dunkel das ewige Blut.
        
        
        Maria Luise Weissmann
        (1899-1929)
      _____
        
        
      
        Er ist's
        
        
        Frühling läßt sein blaues Band
        Wieder flattern durch die Lüfte;
        Süße, wohlbekannte Düfte
        Streifen ahnungsvoll das Land.
        Veilchen träumen schon,
        Wollen balde kommen.
        - Horch, von fern ein leiser Harfenton!
        Frühling, ja du bist's!
        Dich hab ich vernommen!
        
        Eduard Mörike (1804-1875)
      _____________
        
        
      
        Ich weiß noch Wälder, in denen Gott wohnt . . .
        
        
        Ich weiß noch Wälder, in denen Gott wohnt.
        Da geht er groß und gelassen im Schweigen
        heiliger Bäume, die sich schützend verzweigen,
        auf Wegen, die noch jeder Fuß verschont.
        
        Und um ihn her sind nur die unschuldigen
        Tiere, die träumend im Moose ruhn,
        und die mit ihren stillen, geduldigen
        Augen einander nichts Böses tun;
        
        die dicht am Rand seines Kleides spielen
        und doch nicht wissen, wem sie nahe sind.
        Aber die Gräser und Blumen auf hohen Stielen
        beugen sich ihm entgegen im singenden Wind.
        
        Wer, du mein Freund, weist uns den Weg ins Gehege.
        Ob wir in Ewigkeit wandern, wir finden ihn nie.
        Und doch wartet Gott auf einen, der an sein Knie
        kindlich gelehnt das Haupt in den Schoß ihm lege ... 
        
        Ite Liebenthal 
        (1895-1941)
        _____
        
        
      
        Lenz
        
        
        Nun klingen durch die Wintergruft
        Die Auferstehungsstimmen,
        Und Sonnenglanz und Veilchenduft
        Die blaue Luft durchschwimmen.
        
        Nun lacht der Frühling siegesstolz
        Mit goldnem, goldnem Strahle,
        Die Knospe schmückt das dürre Holz,
        Es schwillt das Grün der Tale!
        
        Nun wird der trübe Sinn erhellt,
        Die Schwermut, nachtumflossen,
        Mir ist, als hielt die Blütenwelt
        Durch dich mein Herz umschlossen.
        
        So sicher sah ich nie im Grund
        Am Hag die Knospen treiben:
        Dich hält mein Arm, dich küßt mein Mund,
        Und Frühling muß es bleiben.
        
        Adolf Stern 
        (1835-1907)
        _____
        
        
      
        Uralter Worte kundig kommt die Nacht . . .
        
        
        Uralter Worte kundig kommt 
        die Nacht; 
        Sie löst den Dingen Rüstung ab und Bande, 
        Sie wechselt die Gestalten und Gewande 
        Und hüllt den Streit in gleiche braune Tracht.
        
        Da rührt das steinerne Gebirg sich sacht 
        Und schwillt wie Meer hinüber in die Lande. 
        Der Abgrund kriecht verlangend bis zum Rande 
        Und trinkt der Sterne hingebeugte Pracht.
        
        Ich halte dich und bin von dir umschlossen,
        Erschöpfte Wandrer wiederum zu Haus;
        So fühl ich dich in Fleisch und Blut gegossen,
        
        Von deinem Leib und Leben meins umkleidet. 
        Die Seele ruht von langer Sehnsucht aus, 
        Die eins vom andern nicht mehr unterscheidet.
        
        Ricarda Huch 
        (1864-1947)
        _____
        
        
      
        Feier
        
        
        Im Garten meiner Seele
        Da ist es wunderbar,
        Da gehn meine weißen Träume
        Mit Chrysanthemen im Haar.
        
        Im Garten meiner Seele
        Da singen sie märchentief
        Von der großen Sehnsucht der Liebe,
        Die jahrelang in mir schlief.
        
        Und leise wandelt der Abend
        Wie eine verwunschene Frau
        Mit großen, verträumten Augen -
        Die Fernen leuchten blau. -
        
        Durch's stille Land geht leise
        Die Liebe und winkt mit der Hand,
        Sie trägt einen goldenen Gürtel
        Wie flammenden Sonnenbrand. -
        
        In mir ist ein heiliges Singen,
        Es tönt tief wundersam
        Von der großen Sehnsucht der Seele,
        Von der Liebe, die endlich kam.
        
        Paul Leppin 
        (1878-1945)
        _____
        
        
      
        Das Lied des Gesalbten
        
        
        Zebaoth spricht aus dem Abend:
        Verschwenden sollst Du mit Liebe!
        Denn ich will Dir Perlen meiner Krone schenken,
        In goldträufelnden Honig Dein Blut verwandeln
        Und Deine Lippen mit den Düften süsser Mandeln tränken.
        Verschwenden sollst Du mit Liebe!
        Und mit schmelzendem Jubel meine Feste umgolden
        Und die Schwermut, die über Jerusalem trübt,
        Mit singenden Blütendolden umkeimen.
        Ein prangender Garten wird Dein Herz sein,
        Darin die Dichter träumen.
        O, ein hängender Garten wird Dein Herz sein,
        Aller Sonnen Aufgangheimat sein,
        Und die Sterne kommen, ihren Flüsterschein
        Deinen Nächten sagen.
        Verschwenden sollst Du mit Liebe!
        Tausend greifende Aeste werden Deine Arme tragen
        Und meinem Paradiesheimweh wiegende Troste sein.
        
        Else Lasker-Schüler
        (1869-1945)
        _____
        
        
      
        Ich will dich
        
        
        Ich will
        deine Nasenflügel beben lassen,
        deine Lippen mit Blut anfüllen,
        den Schweiß in deine Haare treiben,
        
        ich will
        im Steigbügel deiner Ohren sitzen,
        durch deine Mundhöhle wandern,
        in deinem Delta eine Strömung sein,
        
        ich will
        in deinem Leib das Cello streichen,
        aus deinen Augen Funken schlagen
        und in deinem Herzen einen Gong,
        
        ich will
        der Frühling sein in deinem Garten,
        der Sommerwind auf deiner Haut,
        die Wintersonne, wenn’s dich friert,
        
        ich will
        den Weizen deiner Brüste ernten,
        mich an deinem Lächeln wärmen
        und in deinem Herzen überwintern
        
        Manfred Ach
        
        
        Homepage: 
        http://www.m-ach.de
        _______
        
        
        O Sternen Äugelein! O seiden Härelein/
        O Rosen Wängelein/
        Corallen Lippelein/
        O Perlen Zänelein/
        O Honig Züngelein/
        O Perlemutter Oehrelein/
        O Helffenbeinen Hälßelein/
        O Pomerantzen Brüstelein/
        Bißher an euch ist alles fein:
        Abr O du steinern Hertzelein/
        Wie daß du tödst das Leben mein?
        
        O grüne Wälderlein! O Myrtensträuchelein/
        O kühle Brünnelein/
        Cristallen Bächelein/
        O grüne Wieselein/
        O schöne Blümelein/
        O Felßen klufft/ O Berg und Thal/
        O Eccho Trewer Wiederschall/
        O Pan O Schäffr und Schäfferin/
        Seht doch wie ich so Elend bin/
        Der grimmig Todt mich greiffet an/
        Ach helffet/ wer da helffen kan?
        
        O wahre Lieb und Trew! O falsche Heucheley/
        O Hoffnung Sicherheit/
        O Forcht/ Schwermütigkeit/
        O süsse Lust und Frewd/
        O Angst und Hertzeleid/
        O Music edler Frewden Schall/
        O seufftzen/ heulen/ Hertzensknall/
        O Leben Lieb O bitter Todt/
        Ach wechselt umb es ist die Noht/
        Wie könnet ihr doch alle seyn/
        Ein liebend Hertz zu trümmern gehn?
        
        Johann Hermann Schein
        (1586-1630)
        _____
        
        
      
        Wie Er wolle geküsset seyn
        
        
        NIrgends hin/ als auff den Mund/
        da sinkts in deß Herzen grund.
        Nicht zu frey/ nicht zu gezwungen/
        nicht mit gar zu fauler Zungen.
        
        Nicht zu wenig, nicht zu viel.
        Beydes wird sonst Kinder-spiel.
        Nicht zu laut und nicht zu leise/
        Bey der Maß' ist rechte weise.
        
        Nicht zu nahe/ nicht zu weit.
        Diß macht Kummer/ jenes Leid.
        Nicht zu trucken/ nicht zu feuchte/
        wie Adonis Venus reichte.
        
        Nicht zu harte/ nicht zu weich.
        Bald zugleich/ bald nicht zugleich.
        Nicht zu langsam/ nicht zu schnelle.
        Nicht ohn Unterscheid der Stelle.
        
        Halb gebissen/ halb gehaucht.
        Halb die Lippen eingetaucht.
        Nicht ohn Unterscheid der Zeiten.
        Mehr alleine/ denn bei Leuten.
        
        Küsse nun ein Jederman
        wie er weiß/ will/ soll und kan.
        Ich nur/ und die Liebste wissen/
        wie wir uns recht sollen küssen.
        
        
        Paul Fleming 
        (1609-1640)
        _____
        
        
      
        Zum neuen Jahr
        
        
        Wie heimlicher Weise
        Ein Engelein leise
        Mit rosigen Füßen
        Die Erde betritt,
        So nahte der Morgen.
        Jauchzt ihm, ihr Frommen,
        Ein heilig Willkommen,
        Ein heilig Willkommen!
        Herz, jauchze du mit!
        
        In Ihm sei's begonnen,
        Der Monde und Sonnen
        An blauen Gezelten
        Des Himmels bewegt.
        Du, Vater, du rate!
        Lenke du und wende!
        Herr, dir in die Hände
        Sei Anfang und Ende,
        Sei alles gelegt!
        
        Eduard Mörike (1804-1875)
        _____
        
        
        
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