Geistliche Übungen
Aus der ersten Übung:
Eja, Jesus, Quelle des Lebens,
laß mich aus dir selbst den Trunk
des lebendigen Wassers trinken,
damit mich - nachdem ich dich gekostet -
in Ewigkeit nach nichts mehr dürste
als nach dir.
Tauche mich ganz unter
in die Tiefe deiner Barmherzigkeit.
Taufe mich in der Unfehlbarkeit
deines kostbaren Todes.
Erneure mich in deinem Blut,
womit du mich erkauft hast.
Im Wasser deiner heiligsten Seite
wasche jeden Makel ab,
womit ich meine Taufunschuld befleckt habe.
Erfülle mich mit deinem Geist
und besitze mich ganz
in Reinheit des Leibes
und der Seele. Amen.
(S. 10)
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Eja, Jesus, unauslöschliches Licht,
zünde in mir die brennende Lampe
deiner Liebe unverlöschlich an
und lehre mich meine Taufe
ohne Makel zu bewahren,
damit, wenn ich zu deiner Hochzeit erscheine,
deinem Ruf folgend,
ich wohlbereitet einzugehen verdiene
in die Freuden des ewigen Lebens,
um dich, o wahres Licht,
und das honigfließende Antlitz
deiner Gottheit zu schauen. Amen.
(S. 11)
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O holder Gast meiner Seele, mein herzliebster Jesus, deine süße
Einverleibung sei mir heute Nachlaß all meiner Sünden, Ergänzung all
meiner Säumnisse und Wiedererlangung meines ganzen verlorenen Lebens. Sie
sei mir ewiges Heil, Wiederherstellung der Seele und des Leibes,
Entzündung der Liebe, Erneuerung der Tugend und ewiger Abschluß meines
Lebens in dir.
Sie sei mir Freiheit des Geistes, Gesundheit des Lebens, Ehrbarkeit des
Wandels; sie sei mir Schild der Geduld, Zierde der Demut, Stab des
Vertrauens, Trost der Betrübnis, Stütze der Beharrlichkeit. Sie sei mir
Rüstung des Glaubens, Stärke der Hoffnung, Vollkommenheit der Liebe,
Erfüllung deiner Gebote, Erneuerung des Geistes, Heiligung in der Wahrheit
und Vollendung meines ganzen gottgeweihten Lebens.
Sie sei mir Anfang der Tugenden, Ende der Laster, Wachstum alles Guten und
ein ewiger Bund deiner Liebe, damit ich, nur dem Körper nach in dieser
Fremdlingschaft verbleibend, mit hungrigem Denken dort weile, wo du, mein
bester Anteil, bist.
Möge ich an meinem Lebensende, nachdem ich die bittere Schale dieses
Leibes abgeworfen, zu jenem süßesten Kern gelangen, wo ich im neuen
Gestirn deiner verklärten Menschheit das herrliche Licht deiner erhabenen
Gottheit schauen werde, wo die edelste Rose deines honigfließenden
Antlitzes mich durch ihre alles beherrschende Schönheit erquicken wird,
und wo ich, den Beschwernissen dieses Lebens enthoben, in Ewigkeit voller
Freude Festmahl halten werde und aufjubeln ob der Schätze deiner Liebe,
wie die Braut sich freut an den Wonnen ihres Königs. Amen.
(S. 12-13)
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Aus der zweiten Übung:
Eja, Jesus, Geliebtester meines Herzens, gewiß ist, daß keine geistige
Frucht wachsen kann, sie werde denn vom Tau deines Geistes benetzt, von
der Kraft deiner Liebe genährt: möchtest du demnach solches Erbarmen mit
mir haben, daß du mich in die Arme deiner Liebe schließest und mich ganz
mit deinem Geist erwärmst. Sieh da meinen Leib und meine Seele, dir
übergebe ich sie, auf daß du sie besitzest.
Mein Geliebter, mein Geliebter, spende mir deinen Segen. Schließe mir auf
die Fülle deiner Süßigkeit und führe mich in sie hinein. Denn von Herzen
und aus ganzer Seele verlange ich nach dir und bitte dich, daß du allein
mich besitzen wollest. Eja, ich dein und du mein! Mache, daß ich durch
stets neuen Eifer des Geistes in deiner lebendigen Liebe wachse, und durch
deine Gnade aufblühe wie die Lilien der Täler an Wasserbächen.
(S. 15)
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Eja, eja, teurer Jesus, bei der Liebe, in der du, Gott, Mensch geworden
bist, in der du gekommen bist, zu suchen und selig zu machen, was verloren
war, ziehe nun in mich, o mein Geliebter, ein und führe mich hinwiederum
in dich hinein. In dem festen Felsen deines väterlichen Schutzes verberge
mich. In der Spalte deines mildesten Herzens verwahre mich vor allem, was
du nicht bist, o aller Teuren Teuerster, und gib mir ein Erbe im Volke
Israel, auf daß mit dir mein Anteil sei unter den Töchtern Jerusalems.
Amen. (S. 16-17)
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Eja, liebster Jesus, dich allein habe ich erkoren zu meiner Seele treuem
Liebhaber, zu meines Lebens bestem Gefährten. Deinetwegen leidet
schmachtend meine Seele. Dir opfere ich die Liebe meines Herzens, dich
erwähle ich zum Weggenossen und Führer. Dir opfere ich zu deinem Dienste
meinen Leib und meine Seele; denn ich bin dein eigen und du bist mein.
Eja, aufs innigste verbinde dich nur, o wahre Liebe: dir opfere ich meine
Keuschheit; denn du bist ganz süß und lieblich, ein Bräutigam voller
Wonne; dir gelobe ich Gehorsam: denn deine väterliche Liebe lockt mich, deine
Güte und Lieblichkeit zieht mich an. Dir verpflichte ich mich, deinen
Willen zu erfüllen; denn dir anhangen, ist über alles wonniglich, dich
lieben, überaus süß und wünschenswert.
Ich opfere mich dir auf, o Einziger meines Herzens, auf daß ich fortan dir
allein lebe; denn süßer habe ich nichts gefunden, nichts nützlicher
erachtet, als dir, meinem Geliebten, aufs innigste geeint zu werden.
Eja, bilde mein Herz nach deinem Herzen, damit ich ganz nach deinem
Wohlgefallen zu wandeln verdiene.
(S. 18-19)
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Aus der dritten Übung:
Stimme Christi zur
Seele:
Blicke mich an, wer
ich bin, o meine Taube: ich bin Jesus, dein trauter Freund. Öffne mir das
innerste Gemach deines Herzens. Denn ich bin aus dem Lande der Engel,
schön an Gestalt. Ich selbst bin der Abglanz der göttlichen Sonne. Ich bin
der strahlende Frühlingstag, der einzig immerfort leuchtet und keinen Abend
kennt. Die überwesentliche Hoheit meiner Herrlichkeit erfüllt Himmel und
Erde, und nur die Ewigkeit mißt ihre Ausdehnung. Ich allein führe auf
meinem Haupt das kaiserliche Diadem meiner glorreichen Gottheit. Ich trage
allzeit den rosenfarbenen Kranz, gebildet aus meinem Blut, das ich für
dich vergoß. Keiner, weder über noch unter der Sonne, ist mir gleich.
Auf den Wink meiner Hand schreiten heran die Lilienchöre der Jungfrauen.
Und ich gehe ihnen voraus im Reigen des ewigen Lebens, in den Wonnen
meiner Gottheit. Ich erquicke sie durch den lieblichen Genuß
frühlingshafter Glückseligkeit.
Gleichwohl verschmähe ich nicht, die Augen ins Tal hinabzusenken, wo ich
Veilchen ohne Makel sammeln kann.
Die immer also mich minnen möchte, die will ich mir verloben, will sie
hochschätzen und heftig lieben. Ich werde sie das Lied der Jungfrauen
lehren, das so lieblich aus meinem Munde klingt, daß es sie zwingt, sich
mit mir zu vereinigen in trautem Liebesbund. Was ich von Natur bin, soll
sie durch Gnade werden. Ich will sie umfangen mit den Armen meiner Liebe
und fest an das Herz meiner Gottheit drücken, damit sie durch die Kraft
meiner glühenden Liebe zerschmilzt wie das Wachs vor dem Feuer. Geliebte
Taube, wenn du mein sein willst, so mußt du mich zärtlich, weise und stark
lieben, damit du all dieses in lieblicher Weise erfahren kannst.
Aufforderung der
Liebe an die Seele:
Eja, wache auf, meine
Seele, wie lange wirst du schlafen? Höre das Wort, das ich dir künde. Über
dem Himmel ist ein König, der nach dir verlangt. Aus ganzem Herzen liebt
er dich, und liebt dich über die Maßen. So traut minnt er dich, so treu
liebt er, daß er deinetwegen sein Reich in Demut verließ. Indem er dich
suchte, erduldete er, gleich einem Dieb erfaßt zu werden. Er liebt dich so
herzlich, er minnt dich so heftig, er wetteifert so sanft, er eifert so
wirksam, daß er seinen blühenden Leib freudig für dich in den Tod gab.
Er ist es, der dich rein gewaschen in seinem Blut, der dich durch seinen
Tod befreit hat. Wie lange soll er auf dich warten, bis du ihn
wiederliebst? Er hat dich und deine Liebe, ach so teuer erkauft. Er hat
dich mehr als seine Ehre geliebt. Er hat dich mehr geliebt als seinen
edlen Leib, den er deinetwegen nie geschont. Deshalb verlangt diese süße
Minne, diese traute Liebe, dieser treue Liebhaber Gegenliebe von dir.
Willst du sofort darauf eingehen, so ist er bereit, sich dir zu vermählen.
Beeile dich darum, ihm zu melden, was du erwählst.
Stimme der sich Gott
opfernden Seele:
Ich bin eine
mutterlose Waise; dürftig bin ich und arm. Außer Jesus habe ich keinerlei
Trost. Er allein kann den Durst meiner Seele stillen. Er ist der
Auserwählte und einzige Freund meines Herzens. Er ist der König der Könige
und der Herr aller Herren. Wenn er, der höchste Kaiser, mir Elenden und
Niedrigen seine Gnade erzeigen und mit mir nach seiner Barmherzigkeit
verfahren will, gemäß seiner unendlichen Güte, so überwiegt einzig seine Milde und alles hängt von seinem guten Willen
ab.
O wer gibt mir, daß ich nach seinem Herzen werde, daß sein Begehren sich
nach seinem höchsten Wohlgefallen in mir vollziehe. Das allein könnte mich
erfreuen und trösten.
Eja, Jesus, einziger Geliebter meines Herzens, trauter Liebhaber, geliebt,
geliebt über alles, was jemals geliebt worden ist. Nach dir, o lebendiger,
blühender Frühlingstag, seufzt und schmachtet die Liebessehnsucht meines
Herzens. O wäre es mir doch vergönnt, dir so innig vereint zu werden, daß
alsdann aus dir, du wahrhaftige Sonne, die Blüten und Früchte meines
Fortschrittes sproßten. Sehnsuchtsvoll erwarte ich dich.
Komm denn zu mir wie der Tauber zu seiner Gefährtin. Du hast das Innerste
meines Herzens verwundet durch deine Anmut und Schönheit. Mein Geliebter,
mein Geliebter, werde ich nicht mit dir verbunden - ich könnte in Ewigkeit
nicht froh sein. Eja, dein und mein Verlangen, mein Freund, mein Freund,
mein Freund, erfülle durch die Tat.
Stimme Christi:
In meinem Heiligen
Geist werde ich mich mit dir verloben, werde ich dich an mich fesseln
durch ein unauflösliches Band. Du sollst mein Gast sein, und ich werde
dich in meine lebenspendende Liebe einschließen. Ich werde dich bekleiden
mit dem edlen Purpur meines kostbaren Blutes, dich krönen mit dem
erlesenen Gold meines bitteren Todes. Mit mir selbst werde ich dein
Verlangen stillen und so dich erfreuen in Ewigkeit.
(S. 21-24)
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Gebet
Eja, Jesus, blühender
Bräutigam, wie der Tod die Seele aus dem Körper hinüberführt, so möge
deine Liebe mein Herz in dich hinüberführen, auf daß ich dir durch ein
unlösliches Band anhange.
Nimm mich auf, mein Jesus, in den Abgrund deines Erbarmens und wasche mich
rein von jeglichem Makel in den Tiefen deiner Mildherzigkeit. Nimm mich
auf, mein Jesus, in die Umarmung deiner Gnadenhilfe, auf daß ich verdiene,
mit dir durch den Bund ewiger Einigung verknüpft zu werden.
Nimm mich auf, mein Jesus, in den seligen Ehebund deiner Liebe; dort laß
mich verkosten den Kuß deines honigfließenden Mundes.
(S. 29-30)
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Gebet
Eja, mein Geliebter,
aus Tausenden erkoren, laß mich unter dem Schatten deiner Liebe ruhen und
umhülle mich mit dem Vlies deiner Makellosigkeit. Dort werde ich von
deiner Hand den Schleier der Lauterkeit erhalten, den ich unter deiner
Leitung und Führung fleckenlos vor den Richterstuhl deiner Glorie bringen
möge mit der hundertfältigen Frucht reinster Unschuld.
(S. 33)
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Aus der vierten Übung:
Gebet
Mein Geliebter, in unzertrennlicher Umarmung der Liebe drücke ich dich an
mein Herz, mein Jesus. Siehe, mit der ganzen Liebe meines Herzens halte
ich dich fest, und wenn du mich auch tausendmal segnen würdest, ich ließe
nimmermehr von dir.
(S. 42)
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Gebet
Siehe, ich trete hin
zu dir, o verzehrendes Feuer, mein Gott. Eja, in der Feuersglut deiner
Liebe zieh mich Stäublein gänzlich in dich, verschlinge und verzehre mich.
Siehe, ich trete hin zu dir, o mein wonniges Licht.
Eja, laß dein Antlitz über mir leuchten, auf daß meine Finsternis vor dir
wie [das Licht] am Mittag werde.
Siehe, ich trete hin zu dir, o seligste Einigung. Eja, mache mich eins mit
dir durch das Band lebendiger Liebe.
(S. 43)
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Was geht mich nun fürder die Welt an, o mein teurer Jesus? Siehe, nicht
einmal im Himmel möchte ich etwas außer dir. Dich allein liebe ich, dich
begehre ich, dich schätze ich, dich ersehne ich, nach dir dürste ich, dich
minne ich. In dir vergehe ich ganz, mein Geliebter, mein Geliebter. Eja,
trage mich hinein in die lodernde Flamme deiner lebendigen Feuersglut und
gib mir, mich jetzt schon so fest an dich anzuschmiegen, daß es mir, nach
der Trennung vom Leibe in der Todesstunde, in Ewigkeit wohl sei in dir.
Denn meine Seele liebt dich, mein Herz verlangt nach dir, all meine Kraft
strebt dir zu und alles mir entschwundene Leben ist schon in dich
übergegangen. O Jesus, aller Geliebten Geliebtester. Zu dir spricht mein
Herz: Du bist der Liebste mein, meine einzig wahre und sichere Freude,
mein bester Anteil, den meine Seele liebt und begehrt.
(S. 54)
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Was bin ich, mein Gott, Leben meiner Seele? Ach, ach, wie fern von dir!
Siehe, ich bin wie ein Stäublein, das der Wind von der Erde aufwirbelt.
Eja, in der Kraft deiner Minne fache den Glutwind deiner allmächtigen
Liebe heftig an. Durch den Sturmwind deines Geistes versetze mich mit
Gewalt in dich und nimm mich auf in den Schoß deiner liebevollen Fürsorge,
damit ich wahrhaft anfange, von mir zu lassen und in dich, meine süße
Liebe, eingehe. Dort, dort gib mir, mich selbst in dir zu verlieren, mich
selbst so rückhaltlos zu verlassen, daß in mir von mir keine Spur
zurückbleibe, wie das Stäublein, das verweht, keine Spur von sich zurückläßt. Eja, eja, führe mich so restlos in die Empfindung deiner Liebe
ein, daß in dir all meine Unvollkommenheit getilgt werde und ich außer dir
kein Leben mehr besitze. Eja, gib mir, mich in dir so zu verlieren, daß
ich mich in Ewigkeit nimmermehr finde außer in dir.
(S. 54-55)
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Was bin ich, mein Gott, Liebe meines Herzens? Ach, ach, wie verschieden
von dir.
Bin ich wie ein geringes Tröpflein deiner Güte, so du das volle Meer aller
Süßigkeit.
Eja, o Liebe, Liebe, öffne nur ein Weilchen über mich die Herzenskammer
deines Mitleids.
Laß fließen über mich die herabströmenden Wasser deiner milden
Vaterschaft.
Laß hereinbrechen über mich die starken Quellen des Abgrunds deiner
grenzenlosen Barmherzigkeit.
Es verschlinge mich die Tiefe deiner innigsten Zuneigung. Laß mich
untertauchen in das grundlose Meer deiner nachsichtigen Güte.
Laß mich untergehen in den Wasserfluten deiner lebendigen Liebe, wie ein
Tropfen des Meeres sich verliert in dessen tiefer Fülle.
Daß ich sterbe, sterbe in der Hochflut deines unendlichen Erbarmens, wie
der Feuerfunke erlischt im wilden Wogendrang des Stromes.
Es überriesle mich der Regenguß deiner Liebe.
Es raffe hinweg mein Leben dein Liebestrunk.
Der geheime Ratschluß deiner weisesten Liebe bewirke und vollführe in mir
den ruhmreichen Tod lebenspendender Liebe.
Dort, dort werde ich in dir mein Leben verlieren, wo du ewig lebst, o
meine Liebe, Gott meines Lebens. Amen.
(S. 55-56)
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Was bin ich, mein Gott, mein heiliges Entzücken?
Ach, ach, all deiner Geschöpfe Auswurf bin ich geworden. Aber du bist
meine große Zuversicht; denn in dir ist mir hinterlegt der Ersatz und der
Überfluß alles dessen, was ich verloren habe. Eja, o Liebe, Liebe, häufe
jetzt auf mich die Fülle deiner grenzenlosen Güte und Nachsicht. Beuge
mich unter die Last deiner unendlichen Barmherzigkeit und Milde. Laß mich
meinen Geist aushauchen in den süßen Hauch deines Geistes. Laß mich
einschlummern unter dem Schleier deiner Minne. In vollem Verkosten deiner
Lieblichkeit möge ich den Geist aufgeben, damit ich in dich, o meine süße
Wonne, mir selbst entschwindend, sanft eingehe, in deinen Umarmungen
versinke und im Kusse deiner honigfließenden Liebe wahrhaftig begraben
werde.
Hülle mich in das Grabtuch deiner teuren Erlösung. Salbe mich mit dem
Balsam deines kostbaren Todes. Lege mich in das marmorne Grab deines
durchbohrten Herzens und, wie unter einem Stein, verbirg mich unter dem
lieben Blick deines holden Angesichtes, auf daß du in Ewigkeit für mich
Sorge tragest.
Dort, dort, mein Geliebter, möge ich begraben sein im erquickenden
Schatten deiner väterlichen Liebe. Ich werde ruhen, ruhen, ruhen im ewigen
Angedenken deiner teuren und lebendigen Freundschaft.
Eja, eja, in dir, o starke Liebe, ersterbe mein Fleisch. In dir, o
lebenspendende Liebe, verhauche mein Leben. In dir, o süße Liebe, werde zu
Asche meine ganze Wesenheit. Und in dem honigfließenden Lichte deines
Angesichtes ruhe in Ewigkeit meine Seele. Amen.
(S. 56-57)
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Gott meines Lebens, Beleber meiner Seele, mein süßester Geliebter, mein
Vater, Bräutigam und Fürsorger, dir biete ich den ganzen Schatz meiner
Liebe an, [ihn versenkend] in den Glutherd deines feurigen Geistes, in den
Schmelzofen deiner lebendigen Liebe. Deinetwegen, deinetwegen, o aller
Teuren Teuerster, trete ich zur Stunde harte Wege an; denn ich weiß, daß
dein Erbarmen besser ist als alles Leben.
Eja, o mein Geliebter, die ich auf deine Güte baue, in deiner göttlichen
Kraft mit der Waffenrüstung deines Geistes umgürte mich zum Kampf, auf daß
du alle Nachstellungen meiner Feinde von mir abwendest. Und alles, was in
mir nicht ausschließlich dir allein lebt, das wolle in deiner
unauslöschlichen Liebe selbst in mir niederhalten, auf daß, mit dem
gütigen Beistand deiner lebendigen Zuneigung, angelockt und gestärkt durch
die belebende Süßigkeit deiner Minne, ich dich liebe. Lieben laß mich
dich, o meine süße Stärke. Laß mich unter deiner Führung das sanfte Joch
und die leichte Bürde deiner Liebe so fröhlich tragen, daß alle Mühen des
Dienstes, den ich dir, mein Geliebter, entrichte, wie wenige Tage
erscheinen ob der Größe meiner Liebe. Das süße Wehen deines Geistes
verkürze und erleichtere mir alle Last und Hitze des Tages. Du aber
wollest gnädig alles Handeln und Üben meines Lebens verflechten in das
helfende Mitwirken des Lebens deiner Liebe, auf daß in Ewigkeit meine
Seele dich preise, mein ganzes Leben dir unermüdlich diene und mein Geist
frohlocke in dir, meinem Gott und Heiland. Und all mein Denken und Tun sei
dir Lobpreis und Danksagung.
(S. 58-59)
_____
Eja, jetzt, o Liebe, mein König und mein Gott, jetzt, o mein Jesus, mein
Geliebter, in die liebevolle Obhut deines göttlichen Herzens nimm mich
auf.
Dort, dort - auf daß ich ganz dir lebe - mit deiner Liebe aufs innigste
verknüpfe mich.
Eja, eja, in das weite Meer deiner grundlosen Barmherzigkeit schleudere
mich.
Dort, dort, dem Tiefinnersten deiner überströmenden Güte gib mich hin.
Eja, jetzt, in die verzehrende Flamme deiner lebendigen Liebe wirf mich.
Dort, dort - bis zur völligen Verbrennung von Seele und Geist - in dir laß
aufgehen mich.
Eja, und in der Sterbestunde, der Fürsorge deiner väterlichen Liebe stelle
mich anheim.
Dann, dann, o mein süßes Heil, durch den Anblick deiner honigfließenden
Gegenwart tröste mich.
Alsdann, mit dem Genuß deiner teuren Erlösung, mit der du mich losgekauft
hast, erquicke mich.
Dann, mit der hellen Stimme deiner schönen Liebe rufe mich zu dir.
Dann, in der Umarmung deiner nachsichtsvollen Versöhnung nimm mich auf.
Dann, mit dem sanften Atemzug deines wonnefließenden Geistes ziehe mich an
dich, ziehe mich in dich und trinke mich in dich hinein.
Dann, im Kusse vollkommener Einigung versenke mich auf ewig in den Genuß
deiner Anschauung und gib mir alsdann, daß ich dich sehe, dich besitze und
in aller Ewigkeit dich in höchster Seligkeit genieße; denn meine Seele
begehrt dich, o Jesus, aller Geliebten Geliebtester. Amen.
(S. 59-60)
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Aus der fünften Übung:
Eja, o Liebe, mein Gott, du allein bist meine Liebe. Du bist mein liebster
Heiland. Du bist meine ganze Hoffnung und Freude, mein höchstes und bestes
Gut. Vor dich, mein Gott, meine innigste Liebe, will ich frühmorgens
hintreten und dich betrachten; denn du bist die immerwährende Lieblichkeit
und Süßigkeit. Du bist mein Herzensdurst. Du bist die völlige Sättigung
meines Geistes. Je mehr ich dich trinke, um so mehr dürstet mich.
O Liebe, mein Gott, dein Anblick ist mir ein sonnenheller Tag: jener Tag
in den Vorhöfen des Herrn, der besser ist als tausend sonst, nach dem
allein meine Seele, die du erlöst hast, seufzt.
Eja, wann wirst du mich sättigen mit der Wonne deines honigfließenden
Angesichts? Es sehnt und verzehrt sich meine Seele ob der Fülle deiner
Lieblichkeit. Siehe, ich erwähle und ziehe vor, unbeachtet zu sein im
Hause meines Gottes, auf daß ich desto inniger den Genuß deines süßesten
Antlitzes erstreben kann.
O Liebe, dich schauen heißt in Gott verzückt werden. Dir anhangen heißt
hochzeitlich mit Gott verbunden werden. O klarstes Licht meiner Seele und
hellstrahlender Morgen, eja, nun werde Tag in mir und leuchte in mir so
auf, daß ich in deinem Lichte das Licht schaue und durch dich meine Nacht
sich in Tag verwandle. O mein teuerster Morgen, alles, was du nicht bist,
will ich aus Liebe zu deiner Liebe als nichts und eitel erachten. Eja,
suche mich schon morgens bei Tagesanbruch heim, auf daß ich in dich sofort
ganz umgestalte werde.
O Liebe, nicht nur lichttragend, sondern Gott tragend, nun ströme breit in
mich ein, damit ich selig in dir zerfließe. Laß mich, mir selbst
entschwunden, in dich überfließen ganz und gar, so daß ich mich niemals in
der Zeit mehr zurückholen kann, sondern dir verschmolzen bleibe in alle
Ewigkeit.
O Liebe, du bist jene einzigartige Schönheit, jene überragend Zier, die in
dieser Welt nicht geschaut wird, es sei denn verhüllt durch die Flügel der
Seraphim. O wann wird mich solche und soviel Schönheit erquicken? O
kaiserlicher Morgenstern von göttlicher Klarheit strahlend! O wann wird
mich deine Gegenwart erleuchten?
O liebenswürdige Schönheit, wann wirst du mich mit dir sättigen? Mögen mir
hienieden nur auf kurze Zeit einige schwache Strahlen deiner Schönheit
zuteil werden, auf daß es mir vergönnt sei, deine Süßigkeit wenigstens ein
Weilchen zum voraus zu genießen, und dich, meinen besten Anteil, selig
beglückt zum voraus zu verkosten. Eja, kehre dich jetzt ein wenig zu mir,
damit ich auf dich, Blume der Blumen, mein Auge hefte.
Du bist der hellstrahlende Spiegel der heiligsten Dreifaltigkeit, den man
drüben von Angesicht zu Angesicht, hier indes nur im Rätsel mit dem Auge
eines reines Herzens schaut. Eja, besprenge mich mit deiner Reinheit, und
ich werde gereinigt sein. Berühre den Grund meines Herzens mit deiner
Lauterkeit, und ich werde weißer als Schnee. Es überwiege, ich bitte
darum, die Größe deiner Liebe, und es umhülle mich die Fülle deiner
Verdienste, auf daß das Mißverhältnis zwischen meiner und deiner Anmut und
Schönheit mich nicht fernhalte von dir.
Blick auf mich und schaue, und laß mich dich erkennen und verstehen. Du
hast mich zuerst geliebt. Du hast mich erwählt, als ich dich nicht
erwählte. Jedem, der nach dir dürstet, eilst du freiwillig entgegen. Der
Glanz des ewigen Lichtes strahlt auf deiner Stirn.
Eja, zeige mir dein Angesicht und laß mich deine Schönheit betrachten. Wie
ist so lieblich und schön dein Antlitz, strahlend im herrlichsten
Morgenrot der Gottheit. Auf deinen Wangen glüht wunderbar das Alpha und
Omega. In deinen Augen funkelt unauslöschlich die lichte Ewigkeit. Dort
leuchtet mir das Heil Gottes wie eine Fackel entgegen. Dort gesellt sich
als fröhliche Gespielin die schöne Liebe zur lichtvollen Wahrheit. Duft
des Lebens weht mir aus dir entgegen. Honig und Milch träufeln mir aus
deinem Munde zu. Wie bist du so schön, o Liebe, mein Gott! Und wie
anmutig, wie bewunderungswürdig und wie erhaben bist du, Teuerste, in
deinen Wonnen!
Du, o Königin, ruhst als erste auf dem göttlichen Thron, erfüllt von den
Reichtümern der kaiserlichen Dreifaltigkeit. Als vermählte und Braut des
höchsten Gottes erfreust du dich immerfort seines vertrauten Umgangs und
bist durch unzertrennliche Minne verbunden mit Gottes Sohn.
O Liebe, beim Versinken meines Lebens wolle mir gnädig als frühestes
Morgenlicht aufgehen! Und wenn du mich in dieser Fremdlingschaft
verscheiden siehst, dann laß mich aus dir ewiges Leben schöpfen. Gib mir,
diese Verbannung so zu beenden, daß ich unbehindert mit dir zur Hochzeit
des Lammes eingehen kann. Laß mich an deiner Hand meinen wahren Bräutigam
und Freund finden und durch dich ihm so innig vermählt werden, daß ich
mich in Ewigkeit nicht mehr seiner Umarmung zu entziehen vermag. O Liebe,
o Schlüssel Davids, erschließe und öffne mir alsdann das Allerheiligste,
damit ich, von dir eingeführt, ohne Verzug in Sion froh den Gott der
Götter schaue, ihn, nach dessen honigfließendem Antlitz jetzt mein Herz
verlangt und sich heftig sehnt.
(S. 61-65)
_____
Eja, o Liebe, meiner Minne Erstlingsblume, du bist mein kostbarstes
Verlobungsgeschenk und meine teuerste Hochzeitsgabe. Sieh, deinetwegen
habe ich die Welt verschmäht und all ihre Freude wie Kot erachtet, nur um
zu Vermählung mit dir zu gelangen. Eja, gib mir Zutritt zur Geheimkammer
deiner Liebe. Sieh, schon brennt mein Herz nach deinem Liebeskuß. Öffne
mir das traute Brautgemach deiner schönen Liebe. Sieh, es dürstet meine
Seele nach der Umarmung deiner innigsten Vereinigung.
Eja, bereite jetzt das Festmahl deiner überreichen Erbarmung und lade mich
zum Tische deiner Wonnen. Setze mir das köstliche Gericht deiner ewigen
Versöhnung vor, das allein meinen Geist zu stärken vermag. Eja, laß uns
jetzt zusammen Gastmahl halten, o mein teuerstes und höchstes Gut. Du bist
in dir selbst über alles Ermessen an allen Gütern reich und überfließend
und teilst dich der Kreatur wundersam mit.
Eja, erquicke mich reichlich mit dir selbst. Denn wie wird der Funken am
Leben bleiben, wenn nicht in seinem Feuer, oder wie kann der Tropfen
bestehen, getrennt von seiner Quelle?
Eja, deine teure Minneflamme verschlinge mich nun ganz, meinen Geist und
meine Seele, und erfasse mich von allen Seiten so, wie es deine freigebige
Allmacht mit einem geringen Stäublein spielend vermag.
O Liebe, o süßeste Mittagsglut, deine heilige Rast, so voller Frieden,
ergötzt mich über alles. Deine heiß ersehnten Sabbate sind erfüllt von
Gottes Gegenwart und übergossen von Lieblichkeit des mildstrahlenden
Antlitzes des Bräutigams.
Eja, o mein Geliebter, erwählt und auserkoren vor allen Kreaturen, laß
mich in dir erkennen und zeige mir, wo du weidest, wo du am Mittag ruhst.
Siehe, es erglüht und brennt mein Geist, wenn ich denke an die Wonne
deiner Ruhestunde. O Liebe, hier im honigfließenden Schatten deiner Minne
lasse ich all mein Hoffen und Vertrauen ruhen. Im Schoße deines Friedens
wohnt Israel ohne Bangen.
Nach dieser hocherwünschten Sabbatfeier sehnt sich inbrünstig meine Seele.
O Liebe, dich genießen führt zur huldvollsten und innigsten Verbindung des
ewigen Wortes mit der Seele, zur vollkommenen Vereinigung mit Gott. Mit
dir verkehren, heißt mit Gott verflochten werden. Dich genießen, heißt eins
werden mit Gott. Du bist jener Friede, der allen Begriff übersteigt; und
in ihm ist der Weg, der ins Brautgemach führt.
O wenn es mir Armen nur auf einen Augenblick gelingen möchte, zu rasten
unter dem trauten Mantel deiner Liebe, auf daß mein Herz durch einen
einzigen trostvollen Ausspruch deines lebendigen Wortes gestärkt würde und
meine Seele aus deinem Munde dieses gute und süße Wort zu hören bekäme:
"Dein Heil bin ich; siehe, schon steht dir offen die Brautkammer meines
Herzens."
Weshalb denn, o edle Liebe, hast du ein so garstiges, häßliches Wesen
geliebt, wenn nicht, um es in dir schön zu machen! Deine zärtliche Liebe
zieht mich an und lockt mich, o liebliche Blume, entsprossen der Jungfrau
Maria.
Laß meine Erwartung nicht zuschanden werden, sondern gib mir, in dir die Ruhe
meiner Seele zu finden. Nichts Erwünschteres habe ich gefunden, nichts
liebenswerter erachtet, nichts Teureres erwählt, als umschlungen zu
werden, o Liebe, von deinen Umarmungen, unter den Fittichen meines Jesus
zu ruhen und zu wohnen in den Zelten der göttlichen Minne. O Liebe, o
schöner Mittag, sterben möchte ich tausendmal, auf daß in dir ich Ruhe
fände. Ach, möchtest du doch, o Geliebtester, das so erhabene Antlitz
deiner schönen Liebe mir zuwenden.
O wenn mir doch gegeben würde, dir ganz nah zu kommen, daß ich mich nicht
nur neben dir, sondern in dir befände! Damit durch dich, Sonne der
Gerechtigkeit, in mir, die ich Staub und Asche bin, die Blüten aller
Tugenden aufgingen und meine Seele, dir, o Herr, vermählt, solche
Fruchtbarkeit erhielte, daß in mir die ruhmreiche Kinderschar aller
Vollkommenheiten geboren würde. Dann könnte ich einst, befreit aus diesem
Tal des Elends, in Ewigkeit vor deinem heißersehnten Angesicht mich
rühmen, daß du, o Spiegel ohne Makel, nicht verschmäht hast, dich mit mir, einer so großen Sünderin, in Wahrheit aufs innigste zu vereinigen.
Eja, o Liebe, in der Todesstunde mögen mich deine Worte, die köstlicher
sind als Wein, erquicken und mich trösten deine Lippen, die süßer sind als
Honig und Honigseim; und sei du selbst mir Weg, auf daß ich nicht in
weglosem Land umherirre. Laß mich, laß mich mit deiner Hilfe, o Königin,
ohne Hindernis zu den schönen, fruchtbaren und einsamen Gefilden Gottes
gelangen, wo ich in Ewigkeit frohlockend die honigfließende Gegenwart
meines göttlichen Bräutigams und Lammes genießen möge.
(S. 65-68)
_____
Eja, o Liebe, du süßer Kuß, du bist jene Wasserquelle, nach der mich
dürstet. Siehe, nach dir verlangt ungestüm mein Herz. Ach, wollest du
doch, o volles Meer, mich geringes Tröpflein verschlingen. Du bist meiner
Seele lebendiger und trauter Eingang, damit - von mir weg in dich hinein -
mir werde ein Hingang.
Eja, öffne mir den rettenden Eingang deines geliebtesten Herzens. Siehe,
mein Herz, ich habe es nicht mehr, sondern du, o mein teuerstes Kleinod,
verwahrst es in dir unter sicherem Verschluß. Du bist der einzige, ganze
und geliebteste Wesensgrund meines Herzens. Dir allein hängt meine kleine
Seele mit Inbrunst an.
O wie selig ist deine Gesellschaft. Wahrhaftig, deine Vertraulichkeit ist
weit besser als viele Leben. Dein Duft ist wie der Seelenbalsam göttlichen
Friedens und göttlicher Versöhnung. Du bist wie die übervolle und
überreiche Vorratskammer des göttlichen Trostes. Ach Liebe, Königin, führe
mich doch in deinen Weinkeller, damit ich in Süßigkeit verkoste deine
hochedlen Weine, die dort verborgen sind. Siehe, all deine Gefäße sind
voll von Gott und überfließend vom Heiligen Geist.
O wenn mir hienieden schon zuteil würde, wonach ich begehre, und mir
gegeben würde, daß sich mein liebster Wunsch erfüllte und du dich in
Wahrheit zu mir kehren wolltest und mich erquicken mit dem
unaussprechlichen süßen Kuß deiner Versöhnung. Ach, o Geliebtester aller
Geliebten, laß mich dich in meiner Seele Innerstem umfangen und küssen,
auf daß ich dir wahrhaft geeint untrennbar anhange. O Liebe, du bist der
wonnevolle Kuß der heiligsten Dreifaltigkeit, der Vater und Sohn machtvoll
eint. Du bist jener heilbringende Kuß, den die kaiserliche Gottheit durch
den Sohn unserer schwachen Menschennatur aufgedrückt hat.
O beseligender Kuß, schließe mich geringes Stäublein nicht aus von der
Verbindung mit dir. Karge nicht mit deinen Liebkosungen und Umarmungen,
bis ich mit Gott ein Geist werde. Laß mich in Wirklichkeit
erfahren, welche Wonne es ist, dich, den lebendigen Gott, meine süßeste
Liebe, in dir selbst zu umarmen und mit dir vereint zu werden.
O Liebe, mein Gott, du bist mein kostbarster Besitz, ohne den ich im
Himmel und auf Erden nichts erhoffe, nichts will noch wünsche. Du bist
mein wahres Erbteil und meine ganze Erwartung, darauf all mein Zielen und
Streben hingerichtet ist.
Eja, o Liebe, deine in mir vollendete Minne sei mir Endziel und Vollendung
[meines Lebens]. Den Ehevertrag, den mein Herz jetzt mit dir abschließt,
zeige mir, wenn es Abend wird. - Auf dem Antlitz meines Geliebten Gottes
leuchtest du wie der Abendstern. - Wenn die Zeit meines Todes gekommen
ist, wolle mir gnädig erscheinen, o mein teurer und herrlicher Abend,
damit ich in dir den ersehnten Abend meiner Fremdlingschaft feiere, selig
einschlummernd und ruhend an deinem Herzen, so voll von jeglicher
Süßigkeit.
O Liebe, mein Gott, das Verlassen meiner irdischen Hülle werde mir zur
Umkleidung meiner Seele mit dir, damit eingehüllt in dich, in deinen
königlichen Schmuck, ich im hochzeitlichen Gewande mit meiner Brautgabe
würdig vor dem unsterblichen Bräutigam erscheine.
Eja, o Liebe, meine Todesstunde möge besiegelt werden mit dem Siegel
deiner trauten Liebe, dem das Prägebild deiner ewigen Versöhnung
aufgedrückt ist, damit der Strom deines überreichen Segens mich ohne
Verzug hinleite zum Anfang meiner ewigen Aufnahme in dir, zum
immerwährenden Genuß deiner Anschauung und zu nie endendem Besitz.
O Liebe, mein trauter Abend, möge ich dich in der Todesstunde mit Freude
und Frohlocken erblicken! Jene heilige Flamme, die in göttlicher Kraft
immerfort feurig lodert, reinige wahrhaft meine Seele von allem Makel und
aller Schuld.
O mein wonniger Abend, wenn für mich der Abend dieses Lebens anbricht, laß
mich in dir sanft einschlummern und jene selige Ruhe verkosten, die deinen
Lieben bereitet ist. Das überaus milde und freundliche Herabschauen deiner
schönen Minne ordne und regle huldvoll die Zurüstung meiner [himmlischen]
Hochzeit. Überdecke und verhülle mit den Reichtümern deiner Güte die
Dürftigkeit und Armut meines entarteten Lebens. In den Wonnen deiner Minne
wohnt meine Seele voll Vertrauen. O Liebe, dann sei mir selbst ein so
schöner Abend, daß deinetwegen meine Seele jauchzend und frohlockend
meinem Leib ein liebes Lebewohl sage und mein Geist, zurückkehrend zu
seinem Herrn, der ihn gegeben, unter deinem Schatten selig in Frieden
ruhe. Dann ruf mir zu mit der dir eigenen Stimme, klingend wie liebliches
Zitherspiel: "Sieh, der Bräutigam kommt, jetzt geh hinaus und eile in
seine nächste Nähe, damit sein glanzumstrahltes Antlitz dich erfreue."
O wie glücklich, wie selig der, dessen Pilgerschaft in dir endigt. Weh
mir, weh mir, wie lange wird sie noch währen? O wie wird jenes Dann
sein, wenn für mich das überaus süße und liebliche Nun gekommen
ist? Wenn die Herrlichkeit meines Gottes, Königs und Bräutigams sich mir
offenbaren und mir erscheinen wird in nie endendem Genuß und ewiger
Freude. Wenn ich in Wahrheit sehen und betrachten werde das ersehnte,
erwünschte und minnigliche Antlitz meines Jesus, nach dessen Schönheit
meine Seele solange gedürstet und begehrt hat. O gewiß, dann werde ich
erfüllt und gesättigt mit dem Strom jener Wonne, die, eingeschlossen in
den verborgenen Kammern der Gottheit, mir jetzt schon solange vorenthalten
blieb. Dann werde ich sehen und schauen meinen Gott, meine teuerste Liebe,
dessentwegen mir jetzt Geist und Herz entschwinden.
Wann, o wann wirst du dich mir zeigen, auf daß ich dich sehe und mit
Freude aus dir schöpfe, o Gott, lebendiger Born? Dann werde ich
trinken und mich berauschen an der Freudenfülle der lebendigen Quelle,
sprudelnd aus der Ergötzlichkeit jenes honigfließenden Antlitzes, nach dem
meine Seele verlangt.
O liebliches Antlitz, wann wirst du mich mit dir sättigen? Dann
werde ich bis vor das Antlitz Gottes hintreten zur Stätte deines
wunderbaren Zeltes, vor dessen Eingang mein Herz seufzend klagt ob der
Dauer meiner Fremdlingschaft.
Wann wirst du mich mit Freude erfüllen durch dein honigfließende
Antlitz? Dann werde ich schauen und küssen meinen Jesus, den wahren
Bräutigam meiner Seele, dem mein ganzes Herz schon in heißem Begehren
angehangen und nachgegangen ist.
O wer wird mich befreien von dem Elend dieser Pilgerschaft, wer mich
erlösen aus der Schlinge dieser Welt? O wann werde ich diesen elenden Leib
verlassen, auf das ich dich unmittelbar schaue, o Liebe, meinen Gott,
Gestirn der Gestirne. In dir, o teure Liebe, werde ich den Versuchungen
dieser Sterblichkeit entrinnen, in dir, meinem göttlichen Liebhaber, die
trennende Mauer meines Leibes sicher und frohlockend überspringen [und
dorthin gelangen], wo ich dich in Wahrheit, nicht mehr im Rätsel, schauen
werde von Angesicht zu Angesicht.
Eja, du Quelle des ewigen Lebens, hole mich zurück in dein abgrundtiefes
Meer, aus dem ich geflossen bin. Dort werde ich erkennen, wie ich erkannt
bin, lieben, wie ich geliebt bin: damit, wie du bist, ich dich sehe, mein
Gott, - durch Schauen, Genuß und Besitz beseligt in Ewigkeit. Amen.
(S. 68-74)
_____
O Liebe, mein Gott, wie nahe bist du denen, die dich suchen; wie süß, wie
liebenswürdig denen, die dich finden. O daß du mir doch jetzt dein
wunderbares Alphabet offenbartest, damit mein Herz das gleiche Studium wie
du betriebe. Künde mir nur in lebendiger Erfahrung Wesen und Weise des
glorreichen und uranfänglichen Alpha deiner schönen Liebe; verhehle mir
nicht das fruchtschwere Betha der Vollendung der Schöpfungsreihen deiner
kaiserlichen Weisheit. Mit dem Finger deines Geistes zeige mir genau und
der Reihe nach die einzelnen Buchstaben deiner Liebe, auf daß ich,
durchdringend bis zum Kern des Vorgenusses deiner Wonnen, mit dem Auge
eines reinen Herzens in Wahrheit sie erforsche und zu ergründen trachte,
sie erlerne, [auswendig] kenne und, soweit es in diesem Leben möglich ist,
sie auch ganz verstehe.
Lehre mich unter dem Beistand deines Geistes das Tau höchster
Vollkommenheit und führe mich zu dem Omega allseitiger Vollendung. Laß
mich in diesem Leben deine von Liebe und Zärtlichkeit erfüllte Schrift so
vollkommen erlernen, daß an der Vollendung deiner Liebe in mir nicht ein
Jota fehle, um dessentwillen ich Aufschub erleiden müßte, wenn du mich, o
Liebe, mein Gott, meine traute Minne, zu dir rufst, um in dir selbst dich
ewiglich zu schauen. Amen.
(S. 76-77)
_____
O Liebe, mein Gott, wer dich nicht liebt, ist stumm und noch Kind, und nur
der schreitet voran, der dir mit ganzer Seele anhangt, einzig dich liebend
ohne Unterlaß. Eja, möge ich mir selbst in der Schule deiner Liebe nicht
immer so überlassen sein wie ein zartes Küchlein deiner Fürsorge, das noch
im Ei ruht, sondern laß mich in dir und durch dich, ja mit dir gehen und
fortschreiten von Tag zu Tag, von Tugend zu Tugend, täglich dir, meinem
Geliebten, Frucht bringend auf einer neuen Stufe der Liebe. Auch genügt es
mir nicht, dich bloß dem Wortlaut nach zu kennen, sondern ich verlange,
begehre und wünsche es mir tausendmal, dich auch schauend zu erfassen,
dich starkmütig und nicht nur zärtlich, sondern auch weise zu minnen und
dir unaufhörlich anzuhangen, auf daß ich beginne, künftighin dir nicht
mehr in mir, sondern einzig und allein in dir zu leben.
So laß mich denn, o Liebe, dich in Wahrheit erkennen und bereite dir in
meiner Seele einen Thron in aller Heiligkeit. Amen.
(S. 77-78)
_____
O Liebe, mein Gott, jeder, der sich im Werk deiner Liebe mutig und schnell
erweist, wird gewiß allzeit vor deinem königlichen Angesicht stehen. Eja,
o Liebe, Königin der Königinnen, laß mich zu deinem Ruhm mit dir den Eid
leisten auf den neuen Kriegsdienst deiner Minne. Lehre mich, die Hand an
starke Werke zu legen und in dir und durch dich schnell und unverdrossen
die allergetreuesten Dienstmühen deiner Liebe zu übernehmen und zu
vollbringen. Mit dem Schwerte deines Geistes umgürte meine Lenden, o
Gewaltiger, und bekleide mich mit geistiger Kraft, damit ich in der
Ausübung jeglicher Tugend mannhaft und entschlossen handle und
festgegründet in dir mit unbesiegbarem Sinn unzertrennlich bei dir
ausharre. All meine Kräfte seien deiner Liebe so zu eigen, und meine Sinne
seien so in dir gegründet, und gefestigt, daß ich, wenn auch schwachen
Geschlechtes, durch die Kraft der Seele und männlichen Mut zu jener großen
Liebe gelange, die zum innersten Brautgemach der vollkommenen Vereinigung
mit dir führt.
Nun, o Liebe, nimm und besitze mich als dein Eigentum; denn ich habe
fortan weder Geist noch Seele außer in dir. Amen.
(S. 78-79)
_____
Selig die Augen, die dich sehen, o Liebe, mein Gott! - O wann, wann werde
ich dorthin kommen, wo du bist, wahres Licht, Gott und Lamm?
- Ich weiß, daß ich dich zuletzt doch mit meinen Augen sehen werde, Jesus,
Gott, meinen Heiland.
Selig die Ohren, die dich hören, o Liebe, mein Gott, Wort des Lebens! - O
wann, wann wird deine honigsüße Stimme mich trösten und einladen zu dir? -
Eja, laß mich vor böser Kunde nicht erschrecken, sondern alsbald den
herrlichen Klang deiner Stimme hören. Amen.
Selig der Atem, der dich in sich hineinzieht, o Liebe, mein Gott, süßer
Duft des Lebens! - O wann, wann wird mir der Wohlgeruch deiner
honigfließenden Gottheit entgegenwehen? - Eja, möge ich bald zu den
fruchtbaren und lieblichen Auen deiner ewigen Anschauung gelangen. Amen.
Selig der Mund, o Liebe, mein Gott, der die Worte deines Trostes kostet,
die süßer sind als Honig und Honigseim. - O wann, wann wird meine Seele
gesättigt werden mit der Fülle deiner Wonne?
Eja, möchte ich hienieden auf solche Weise kosten, wie süß du bist, mein
Herr, daß ich dich im Himmel, o Gott meines Lebens, selig genieße in
Ewigkeit. Amen.
Selig die Seele, die in unzertrennlicher Liebesumarmung sich dir
anschmiegt, und selig das Herz, das, mit dir den Bund unauflöslicher
Freundschaft schließend, den Kuß deines Herzens empfindet, o Liebe, mein
Gott! - O wann, wann werde ich von deinen beglückenden Armen umschlungen
werden, wann dich, o Gott meines Herzens, unmittelbar schauen? - Eja,
bald, bald, aus dieser Verbannung befreit, laß mich dein honigfließendes
Antlitz im Jubel schauen. Amen.
(S. 82-83)
_____
In Liebe halte ich dich fest, o geliebtester Jesus, und werde dich nicht
lassen; denn dein Segen genügt mir keineswegs, wenn ich dich nicht selbst
festhalte und besitze, du mein bester Anteil, meine ganze Hoffnung und
Erwartung. Du aber, o Liebe, lebenspendendes Leben, in Gottes lebendigem
Wort, das du selber bist, belebe mich - wiederherstellend in mir, was an
göttlicher Liebe in mir zerstört und erloschen ist.
O Liebe, mein Gott, der du mich erschaffen hast, in deiner Liebe erschaffe
mich neu.
O Liebe, die du mich erlöst hast, was in mir in der Liebe zu dir
vernachlässigt wurde, das ergänze du selbst und erlöse in mir.
O Liebe, mein Gott, der du mich im Blute deines Christus dir erkauft hast,
in deiner Wahrheit heilige mich.
O Liebe, mein Gott, der du mich als Tochter angenommen hast, nach deinem
Herzen nähre, ja, nähre mich.
O Liebe, die du mich dir und keinem andern erkoren hast, laß mich dir ganz
anhangen.
O Liebe, mein Gott, der du mich ohne Entgelt geliebt hast, gib mir, daß
ich dich aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und aus allen Kräften liebe.
O Liebe, allmächtiger Gott, in deiner Liebe befestige mich.
O Liebe, höchste Weisheit, gib mir, weise zu lieben dich.
O Liebe, Quelle aller Süßigkeit, gib mir, in Wonne zu verkosten dich.
O Liebe, teuer über alles, gib mir, dir allein zu leben.
O Liebe, treu über alles, in jeglicher Trübsal tröste mich und hilf mir.
O Liebe, gemeinschaftlich über alles, all meine Werke wirke in mir.
O Liebe, siegreich über alles, gib mir, bis ans Ende zu verharren in dir.
O Liebe, herzinnig über alles, die du mich niemals verlassen hast, dir
empfehle ich meinen Geist.
In der Todesstunde nimm mich auf zu dir. Mit eigenem Munde rufe mich zu
dir und sprich: "Heute noch wirst du bei mir sein. Nun verlasse die
Verbannung und mache dich auf zum feierlichen Morgen der unverwelklichen
Ewigkeit. Dort wirst du mich, Jesus, finden, das wahre Heute
der göttlichen Klarheit, der ich Anfang und Endziel jeglicher Kreatur bin.
Nicht mehr wird für dich der Morgen dieser Wandelbarkeit erfolgen, sondern
in mir, dem wahren Heute, wirst du das immerwährende Heute
besitzen, auf daß, wie ich lebe, auch du in mir lebst, deinem Jesus,
deinem Gott und Geliebten - überglücklich jauchzend ohne Ende."
(S. 83-85)
_____
Aus der sechsten Übung:
Eja, o Liebe, tritt du an meiner Statt vor das Angesicht des großen Gottes
und laß dort den Aufschrei meiner Sehnsucht kund werden; denn im Verlangen
nach Gott ist vor Durst all meine Kraft verdorrt. Eja, ziehe und hebe
meinen Geist zu dir empor; denn mein Leib und mein Geist schwinden hin im
Begehren nach Gott, meinem Heiland. Eja, stelle mich meinem Herrn und
König vor; denn schon ist zerschmolzen meine Seele vor Erwartung meines
Bräutigams. O Liebe, nun erfülle aufs schnellste mein Verlangen - zögerst
du, so sterbe ich, vor Liebe verschmachtend.
(S. 86-87)
_____
Eja, o Gott, meine heilige Süße, in dir erweitere mein Herz und mache weit
meine Seele, damit mein ganzes Inneres von deiner Herrlichkeit erfüllt
werde.
O wann wird es für meine Seele heißen: So kehr denn ein in deine Ruhe;
denn der Herr hat dir wohlgetan?
O wann werde ich jene ergötzliche Stimme vernehmen: Komm, geh ein in das
Brautgemach deines Bräutigams?
O wann werde ich in dir, o Jesus, mein süßester Friede, ruhen und
entschlummern, auf daß ich schaue deine Herrlichkeit?
Du aber, o Leben meines Geistes, hast die Macht, mein dir anvertrautes Gut
zu bewahren und meine Seele zurückzuführen zu dir, der mich erschaffen.
O Liebe, Liebe, wann wirst du meine Seele aus dem Kerker befreien? O wann,
wann sie, meine Einzige, von der Fessel des Körpers lösen?
O wann, wann wirst du mich in das Brautgemach meines Bräutigams einführen,
damit ich ihm durch nie endenden Genuß verbunden werde?
Eja, o Liebe, beschleunige mein Hochzeitsfest; denn tausendmal wünsche ich
zu sterben, um solche Wonnen kosten zu können - jedoch nicht mein Wohl,
sondern dein Wohlgefallen suche ich.
(S. 89-90)
_____
O wann, wann, geliebtester Jesus, werde ich in dein Haus mit Brandopfern
kommen, um dir ein Jubelopfer darzubringen und dir einzulösen meine
Gelübde, die meine Lippen festgesetzt in meiner Not?
O wann, wann werde ich kommen und erscheinen vor deinem heiligen Thron,
damit ich dein honigfließende Antlitz schaue, dessen göttliches Licht das
Verlangen aller Heiligen stillt und ihre Herzen wie auch ihre Stimmen und
Lippen zu süßem Jubel hinreißt?
Eja, o Geliebter meiner Wünsche, vernimm mein Rufen, hab acht auf mein
Flehen und erhöre mich; denn dich, o mein König und mein Gott, dich ruft,
dich begehrt, dich sucht das Seufzen meines Herzens und das Verlangen
meiner Seele. Nach dir weint mein Auge, und auf dich richtet sich mein
Blick. Du bist mein Gott, meine Wonne und meine Liebe, meine Hoffnung von
Jugend auf. Du bist alles, was ich will, hoffe und begehre.
Und nun, o mein Geliebter, in jener so starken Liebe, in der du, zur
Rechten des Vaters in meinem Fleische thronend, mich in deinen Händen und
Füßen sowie in deinem süßesten Herzen eingeschrieben trägst, um in
Ewigkeit meine Seele, die du so teuer erkauft hast, nicht zu vergessen -
entrichte jetzt dir selbst, mein Gott, meine Barmherzigkeit, statt meiner
für all deine Guttaten, die du mir erwiesen hast, noch erweisest und
erweisen wirst, ein ewiges, unendliches und unwandelbares Lob, wie du es
kannst und in dir selbst leicht vermagst, und wie du weißt, daß es deiner
ehrfurchtgebietenden Glorie und der Hoheit deiner Würde entspricht.
Brich aus statt meiner, mein teurer Jesus, in so warme und innige
Danksagung, wie sie dir, mein großer und wunderbarer Herr, gebührt. Lobe
dich in dir, in mir und für mich mit der Allgewalt deiner Gottheit, mit
der ganzen Inbrunst deiner Menschheit, vonseiten und aus dem Liebesdrang
des Weltalls, bis du mich, das geringste Atom deiner gesamten Schöpfung,
durch dich, der du der Weg bist, leitest - zu dir, der du die Wahrheit
bist, hinführst - und in dich, der du das Leben bist, einführst und
verbirgst, auf daß in Ewigkeit dein holdseliges und anmutvolles Antlitz
mein Anteil sei.
(S. 93-94)
_____
Mein König und mein Gott, meine Liebe und Freude, dir jubelt meine Seele
und mein Herz. Dich, Leben meiner Seele, meinen Gott, meinen lebendigen
und wahren Gott, Urquell des ewigen Lichtes (der du das Licht deines
honigfließenden Antlitzes über mir Unwürdigem leuchten läßt), dich zu
grüßen, zu loben, zu verherrlichen und preisen verlangt mein Herz. Und das
Werk meiner Kräfte und meiner Sinne weihe ich dir zu einem Ganzopfer neuen
Lobes und inniger Danksagung. Und was könnte ich dir vergelten, mein Herr,
für alles Gute, das du mir erwiesen hast? Siehe, ich erkenne es, mehr denn
deine Ehre hast du mich geliebt, hast dich selbst um meinetwillen nicht
geschont, und dazu hast du mich für dich erschaffen, dazu mich dir erkauft
und erkoren, um mich zu dir hinzuführen und mir zu verleihen, glückselig
in dir zu leben und in Ewigkeit dich selig zu genießen. Was habe ich denn
im Himmel außer dir, oder was von all deinen Gütern will oder wünsche ich
weiterhin außer dir?
Du bist, Herr, meine Hoffnung, du mein Ruhm, meine Freude, meine
Seligkeit.
Du bist der Durst meines Geistes, du das Leben meiner Seele, du der Jubel
meines Herzens.
Wohin, mein Gott, wird mich meine Bewunderung gegen dich führen?
Du bist der Anfang und die Vollendung alles Guten, und wie von lauter
Frohlockenden ist aller Wohnen in dir.
Du bist das Lob meines Herzens und meines Mundes.
Du bist von Goldglanz übergossen in der Frühlingsanmut deiner festlichen
Liebe.
Deine allvermögende Gottheit möge dich lobpreisen und verherrlichen; denn
du bist der Ursprung des ewigen Lichtes und der Born des Lebens.
Kein Geschöpf vermag dich würdig zu loben.
Du genügst dir völlig, weil du niemals in dir abnimmst.
Dein honigfließendes Antlitz kräftigt über Honig und Honigseim die Seelen
deiner Heiligen.
(S. 95-96)
_____
Mein Herz und mein Fleisch frohlocken in dir, dem lebendigen Gott, und
meine Seele freut sich in dir, meinem wahren Heil. O wie wunderbar ist
dein Tempel, Herr der Heerscharen! Wie glorreich ist die Stätte deiner
Wohnung, wo du, der allerhöchste Gott, über allem thronst in deiner
Majestät. Es verlangt und es schmachtet die Kraft meiner Seele nach dem
Eintritt in deine Herrlichkeit.
Gott, mein Gott, meines Herzens Jubel und Liebe, Zuflucht und Stärke,
Gott, mein Ruhm und mein Lobpreis, o wann wird meine Seele dich preisen in
der Versammlung der Heiligen?
O wann werden meine Augen dich sehen, den Gott der Götter? Gott meines
Herzens, o wann wirst du mich erfreuen durch den Anblick deines
honigfließenden Angesichts?
O wann wirst du das Verlangen meiner Seele stillen durch die Offenbarung
deiner Glorie? Mein Gott, mein auserlesener Anteil, meine Stärke und mein
Ruhm!
O wann werde ich eindringen in deine Wunderwerke, um deine Macht und
Herrlichkeit zu schauen?
O wann wirst du mich bekleiden mit dem Ehrenmantel des Lobes an Stelle des
Geistes der Betrübnis, damit im Verein mit den Engeln all meine Glieder
dir ein Jubelopfer darbringen?
Gott meines Lebens, o wann werde ich eintreten in das Zelt deiner Glorie,
damit auch ich dir das hochherrliche Alleluja singe, und vor all deinen
Heiligen dich preise meine Seele und mein Herz, weil du deine Erbarmungen
groß an mir erwiesen hast?
Mein Gott, mein Erbe, o wann wird, wenn einst die Schlinge dieser
Sterblichkeit zerrissen ist, dich meine Seele unmittelbar schauen und
preisen?
O wann werde ich auf ewig wohnen in deinem Zelt, um deiner Majestät ein
neues Lied zu singen ob der Fülle deiner Barmherzigkeit?
Dir, o Herr, gleicht keiner von den Göttern, und unvergleichlich ist die
Tiefe der Reichtümer deiner wunderbaren Herrlichkeit.
Wer wird den Abgrund deiner Weisheit erforschen, und wer wird aufzählen
die unerschöpflichen Schätze deiner überreichen Barmherzigkeit? Wahrlich,
keiner ist so groß, keiner so vortrefflich wie du, mein Gott,
unsterblicher König.
Wer wird die Glorie deiner Majestät schildern?
Wer sich ersättigen können an dem Anblick deiner Klarheit?
Wie soll das Auge ausreichen beim Schauen oder das Ohr beim Hören in der
Bewunderung der Herrlichkeiten deines Angesichts?
Gott, mein Gott, du allein bist wunderbar und herrlich. Du allein groß und
preiswürdig, allein freundlich und liebenswürdig, allein schön und
lieblich, allein anmutig und wonnevoll, du allein groß und erhaben, so daß
man unter der ganzen Herrlichkeit Himmels und der Erde deinesgleichen
nicht findet. Dein wunderbares Licht ist meinem Herzen lieb und wert über
alle Pracht. Dein Licht allein kann meinen Geist erfreuen und des Lebens
Überdruß in Freude und Frohlocken wandeln.
O wann wirst du der Lampe meiner Seele unauslöschliches Licht verleihen
und wieder in dir anzünden, damit, wie ich erkannt bin, ich mich in dir
erkenne? O wie glücklich, wie selig, den schon in sich verborgen hütet die
Glorie deines Angesichts. O wann wird auch mich Unwürdige jener süßeste
Strahl ganz in sich ziehen, auf daß ich mit dir eine Liebe und
ein Geist werde? Mein ganzes Inneres sagt dir: Herr, wer ist dir
gleich? Wahrlich, du hast keinen, der dir an Herrlichkeit gleichkäme; denn
du allein bist Gott, herrlich und erhaben in Ewigkeit. O wann wirst du
mich Arme aus dem Staub heben, damit ich vor deinem königlichen Angesicht
stehe; wann mir statt Asche die Krone der unvergänglichen Freude schenken,
damit in ewiger Jubelfreude meine Seele dich preise für all die Güter, die
du mir in unverdienter Huld gewährt? Schon lodert auf zu dir meine Seele
und mein Herz, mein Herzensgott, mein Anteil du auf ewig! In dir frohlockt
mein Geist, o Gott, mein Heil! Hätte ich Macht über jeglicher Kreatur, ich
vereinigte sie, samt all den herrlichen Werken deiner Hände, zum Ruhme
deines Lobes. Schon beim Angedenken deines Lobes zerschmilzt mein Geist
und meine Seele. Hätte ich aller Engel und Menschen Kräfte, ich wollte sie
mit Freuden zu deinem Lob verwenden, auf daß mir in Fülle gegeben würde zu
kosten, wie wunderbar die Preisgesänge deines Lobes sind und die
Festesfreuden vor deinem heiligen Thron, wo du in seliger Ruhe Sabbat
feierst - du und die Bundeslade deiner Heiligkeit -, wo Tausende und
abertausendmal Tausende dich umstehen, unaufhörlich, Tag und Nacht das
Heilig, Heilig, Heilig verkündend.
Dort, dort, in das goldene Rauchfaß deines göttlichen Herzens (darin
beständig zu deinem Lob der süßeste Weihrauch ewiger Liebe brennt) werfe
auch ich als winziges Weihrauchkörnlein mein Herz hinein, wünschend und
verlangend, daß auch dieses mein verächtliches und unwürdiges Herz, durch
den Hauch deines Geistes mächtig entflammt, sich wandle in ein einziges
Feuer deines Lobes und jene tiefen Seufzer, die ich aus Erdentiefen in
Sehnsucht nach dir ausstoße ob meiner schmerzlich langen Erwartung, dir zu
ewigem Lob und immerwährender Verherrlichung gereichen mögen. Amen.
(S. 99-103)
_____
O Gott meines Herzens und mein auserkorener Anteil! Ach, ach, wie lange,
wie lange bleibt meine Seele der Gegenwart deines holden Antlitzes
beraubt? Dir ist vollauf bekannt die ganze leibliche Schwere meines
Erdenaufenthaltes und ihre Gebrechlichkeit, die du wohl weißt, - bekannt,
wie groß und schwer das Elend meiner Verbannung ist, in der ich lebe.
Eja, Geliebter meiner Sehnsucht, nach dir dürstet das Innere meines
Herzens.
Eja, laß mich bald zu dir gelangen, Gott, lebendiger Quell, auf daß ich
auf immer ewiges Leben in dir schöpfe.
Eja, laß dein Antlitz über mich leuchten, auf daß ich dich frohlockend
schaue von Angesicht zu Angesicht.
Eja, bald, bald zeige dich mir, damit ich mich selig deiner erfreue in
Ewigkeit.
Eja, eja, o Leben meines Geistes, trage hinüber und vereinige mit dem
festlichen Harfenspiel deiner Liebe das laute Rufen meiner Sehnsucht und
so gänzlich mache dir mein Leben zu eigen und so innig verbinde meine
Seele deiner Liebe, daß all mein Leben und Wirken dir lobsinge auf
zehnsaitiger Harfe und all mein Wollen mit dir vereint in dir beginne,
fortschreite und sich vollende, o wahrhaftes Leben meiner Seele.
Eja und eja, o wahre Liebe meines Herzens, bringe dir selbst statt meiner
in dieser Stunde ein so hochgestimmtes und erhabenes Feierspiel des Lobes
und des Dankes dar - in das alle himmlischen Engelreihen jubelnd
einstimmen mögen - für jenes überaus große und süße Gut, das du selbst mir
bist, mein Gott, und daß du dich würdigst, von mir, dem Auskehricht aller
Geschöpfe, erkannt, geliebt und gelobt zu werden; denn du bist mein Gott
und Heiland, die einzige Ursache meines Heils und das Leben meiner Seele.
Eja, und in jenem Feierspiel des Lobes soll meine Seele die geringe Kraft
meines Geistes in dich ausgießen und sich völlig auflösen in der Liebe
deines Lobes, bis dereinst mein Geist glücklich zu dir heimkehrt, o Gott.
Eja, und in diesem Leben laß mich also in der Erinnerung deines Lobes mich
ergötzen, daß in der Stunde meines Todes das dürstende Verlangen und die
starke Liebe, dich zu sehen, zu loben und bei dir zu sein, in mir obsiege
über die Gewalt des Todes. Sei du mir selbst in jenen Todesängsten Pforte
und Vaterland, bis du mich zu den innersten Freuden des himmlischen Lebens
führst, damit in Ewigkeit in dir frohlocke mein Geist und meine Seele.
Amen.
(S. 111-113)
_____
Mein Herz weilt und haftet, wo Jesus, mein Leben, will. Eja, geliebter,
vor allem geliebter Jesus, du bist das getreue Leben meiner Seele. Du bist
ihre ganze Sehnsucht; nach dir allein dürstet das Innerste meines Herzens;
deine wonnereiche Seligkeit, deine wunderbare Schönheit, deine erhwürdige
Gestalt, deine liebenswürdige Anmut haben mir eine gar süße Wunde
geschlagen, so daß es mir beschwerlich ist, das Licht dieser Welt zu
sehen.
Ich bin mir selbst zuwider. Wie lange, wie lange werde ich, o mein
Geliebter, noch harren, bis ich dich genieße und dein liebreiches Antlitz
schaue. Du bist meiner Seele heißes Verlangen. Der Himmel, die Erde und
alles, was in ihnen ist, ist mir ohne dich die winterliche Eisesstarre.
Dein liebreiches Antlitz allein ist mir Beruhigung, ja ein Frühlingstrost.
Eja, o Liebe, Liebe, wann wird mir von dir die Gabe zuteil, daß mein Leib,
durch dich vernichtet, wieder zu Staub werde und meine Seele in dich, o
Gott, ihren lebendigen Ursprung, zurückfließe? Die über alles reinen
göttlichen Ausströmungen, die ihre gottförmigen Strahlen von höchstem
Throne aussenden, ergreifen mächtig meinen Geist. Was soll das Blättlein
am Baume länger warten, mitten in dem so furchtbar tobenden Sturm dieser
Welt?
Eja, o Liebe, Liebe, halte mich mit deiner starken Rechten, auf daß im
Sturm nicht untergehe meine Seele. Das sanfte Rauschen des lebendigen
Wassers, aufsprudelnd aus seinem eigenen Urquell, hat mein Herz
unwiderstehlich ergriffen; ach, keine Leier ist jemals so süß erklungen!
Dieses Leben ist mir gleichgültig geworden wie ein Traum. Wie lange, wie
lange werde ich seinen Trug ertragen?
Eja, o Liebe, Liebe, wolle mich doch niemals von deiner Fessel lösen, bis
du mich dem einzigen Geliebten meines Herzens darbietest in seinem süßen
Schoß. O süßer Wohlgeruch der Lebensfrucht, die du selber bist, o mein
eigenster Geliebter, du hast mir meinen Geist entführt, so daß der
modernde Leib mir zum ekligen Misthaufen geworden ist, weshalb mein
Seufzen zu dir auch niemals aufhört.
Eja, o Liebe, Liebe, wann willst du mich vom Körper lösen, damit ich den
Geliebten meines Herzens in unmittelbarer Schau genieße und bei ihm bleibe
ohne Ende? Ein einziger Strahl deiner Gottheit, durch deine Menschheit mir
gewährt, erfreut wunderbar meinen Geist, sodaß, hätte ich auch tausend
Leiber, ich sie alsogleich verschmähen würde. Welche Wonnen, meinst du,
sind dann [noch] verborgen im Genusse deiner lichten Klarheit?
Tausendmaligen Tod würde ich für nichts erachten, wäre es mir vergönnt,
die Lieblichkeit deiner Wahrheit zu schauen.
Eja, o Liebe, Liebe, handle erbarmungsvoll mit mir und entführe mich
schnell zum hehren Feste, an dem ich die Glorie meines getreuen Erlösers
und Bräutigams betrachten darf. Die Fülle deiner Gottheit allein kann
meine Seele sättigen, die du huldvoll für dich erschaffen hast. Der Genuß
eines einzigen Tropfens deiner Süßigkeit reißt meinen Geist so mächtig
fort, daß statt allen Lebens der Tod mir süß erscheint, durch den ich dein
Antlitz ewig schauen kann.
Eja, o Liebe, Liebe, wann wirst du meine Seele vom Leibe trennen, daß mein
Geist in dir, Geliebtester, dauernd wohne? Deine minnigliche Umarmung ist
so süß, daß, hätte ich tausend Herzen, sie gleich zerfließen müßten. Dein
feuriges Küssen läßt mein Leben in dir untertauchen und fesselt
unauflöslich meine Seele an dich. Wie gern, o wie gern stürbe ich, auf daß
ich ganz einginge in den Strom deiner Gottheit?
Eja, o Liebe, Liebe, o möchtest du doch deine festliche Hochzeit in mir
vollziehen, daß meine Seele, aus dem Jammertal befreit, in ihrem Ursprung
verschlungen würde wie der Tropfen im Meer. Eja, o süßester Jesus, meines
Herzens Geliebtester über alles, was geliebt werden kann, mein einzig
Erkorener, sei du mein Führer in diesem Elend, damit ich meine Tage in
deinem Lob beschließe und in deiner Gnade und Freundschaft mein Leben wohl
vollende.
Eja, Jesus, süße Liebe, sei du Zuflucht deiner armen Braut, die ohne dich
nichts Eigenes hat noch irgend ein Gut. Sei ihr Lenker auf dem
hochgehenden Meer dieser Welt und ihr Trost in dem schrecklichen Sturm des
Todes. Reiche mir deine gütige Hand und sei selbst der Stab meiner Stärke,
auf den ich mich so fest stütze, o süßer Befreier meiner Seele, daß vor
deiner Macht zunichte werden alle Täuschungen und Anmaßungen meiner
Feinde.
Eja, Jesus, mein getreuer Freund, der Abgrund deiner reich strömenden
Barmherzigkeit sei mir der sichere Schoß, in dessen Obhut ich den
furchtbaren Anstürmen meiner Feinde entrinne. Alsdann sei du mir selbst
eine sichere Freistätte, zu der ich mich frohgemut emporschwinge aus der
Gefangenschaft aller Übel.
Eja, Jesus, meine süße Hoffnung, dein göttliches Herz, aus Liebe zu mir
gebrochen und allen Sündern ohne Unterlaß geöffnet, sei meiner Seele beim
Scheiden aus diesem Leibe der erste Zufluchtsort, wo durch die abgründige
Tiefe deiner unendlichen Liebe in einem Augenblick meine ganze
Sündenschuld verschlungen werde, auf daß ich mit dir, o Geliebter meines
Herzens, mich ungehindert dem himmlischen Reigen anschließen kann.
Eja, Jesus, meine einzige Rettung, mein Heiland und mein Gott, sende mir
bei meinem Ende die getreue Helferin Maria, deine liebenswürdige Mutter,
den vielgerühmten Meeresstern, damit ich, vom Anblick der Morgenröte ihres
glorreichen Angesichts erleuchtet, erkenne, daß du, Sonne der
Gerechtigkeit, dich durch die Klarheit deines Lichtes meiner Seele
näherst. Eja, vor allen Geliebten Geliebtester, du kennst das Verlangen
meines Herzens; denn du allein bist die Sehnsucht meiner Seele. Eja, so
komm denn baldigst, damit ich vor deinem minniglichen Antlitz meine
Herzenswehen ganz vergesse.
Eja, o Liebe, merke auf meine Todesstunde und drücke ihr dein Siegel auf,
damit unter deiner treuen Hut, ob deiner grenzenlosen Güte (auf die allein
ich mich stütze) nichts meiner Seele zu schaden vermag. Bekunde bei meinem
Scheiden so wirksam deine liebliche Weisheit und also stärke meine arme
Seele, daß in ihr auf ewig das unbegrenzte Erbarmen erstrahle, das du,
ruhmvoller König, im Leben wie im Sterben, durch dich selbst in ihr
gewirkt hast. Verzehre alsdann alle meine Kräfte in deiner Kraft und
versenke mich ob deiner Barmherzigkeit in den Abgrund der Gottheit, wo
mich sättige, erquicke und erfülle das minnigliche Antlitz Jesu, meines
Herzgeliebten, in deiner Herrlichkeit. Amen.
(S. 113-118)
_____
Mein Gott und mein Herr, geliebter Schöpfer und Erlöser, auf den allein
mein Herz gehofft, an den ich geglaubt, den ich bekannt habe. O
Frühlingsblüte der Gottheit, benetze mich mit dem Tau deiner herrlich
blühenden Menschheit, damit am Träufeln deiner heiligen Liebe und
Süßigkeit meine Seele sich erfreue. Laß mich das Leid dieser Verbannung
vergessen, in dir aller Tugenden Zuwachs bringen und dir geeint, o
vorzüglichstes Kleinod und Blüte aller Tugenden, die jammervolle
Fremdlingschaft gelassen ertragen und in aller Trübsal und Bedrängnis
geduldig handeln.
Mein Gott und mein König, der du im Heiligtum bist, worin mein Leben mit
meinem Jesus verborgen ist, siehe, deine keuschen Wonnen haben mich
überflutet. Schon bin ich in dir mir selbst erstorben und lebendig in dir
untergegangen. Und nun, wohin soll ich gehen ohne dich? Weder im Himmel
noch auf Erden kann ich etwas außer dir. Mein Gott, Ruhm Israels, der du
im Heiligtum wohnst, in dem ich bin, lebe und mich bewege, auf dich allein
vertraue ich. In dir ist weit geworden mein Herz; denn du bist meine ganze
und einzige Freude und all meine Sehnsucht. Dein Lichtstrahl hat meinen
schlummernden Geist aufgeweckt.
O wann wird meine Seele verschlungen vom lebenspendenden Strom deines
süßesten und immerwährenden Genusses? O wann wird deine Liebesflut meinen
Geist forttragen und mich dir zurückgeben, um dein honigfließendes Antlitz
zu schauen, Gott meines Lebens, Urheber meines Heils und Hort meiner
Seele, ohne den ich nichts bin, nichts weiß, nichts kann noch vermag, auf
den allein ich hoffe, zu dem zu kommen ich mich sehne, dessen köstliches,
Leben ausströmendes Angesicht zu schauen und ihm unzertrennlich anzuhangen
ich mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und aller Kraft begehr?
Eja, weihe mein Wesen und mein Leben ausschließlich deinem Preis und Ruhm,
auf daß in all meinen Gedanken, Worten, Werken und Herzensregungen dich
immer lobe und verherrliche das Werk meiner Seele wie auch alle Kraft und
Wesenheit meines Leibes in vollkommenster Hochschätzung und Liebe. Eben
dies, daß meine Seele im Kerker dieses Leibes eingeschlossen ist, nach
dir, o Gott, lebendiger Quell, innig verlangend, erglühend und lechzend,
und daß sie unglücklich ist in dieser Verbannung - kenne ich doch weder
meinen Eingang noch Ausgang - und einzig und allein dies, daß du, Vater
der Erbarmnisse, das Werk deiner Hände nicht verschmähst noch verlassest -
das möge die abgründige Tiefe deiner Güte bewegen, meine Fremdlingschaft
mit jenem innigsten Erbarmen, anzusehen, daß du mir voll Mitleid erwiesen
hast, als du dreiunddreißig Jahre dieselbe Verbannung auskosten wolltest,
wie du dich auch meiner erbarmt hast, als dein süßestes Herz aus Liebe
brach, um mich am Kreuz für dich zu erwerben.
Eja, meiner Seele seligstes Leben, sei du in all meinen Versuchungen mein
Triumph und mein Sieg, in all meinen Krankheiten meine Geduld, in
jeglicher Trübsal mein Trost, in jedem Gedanken, Wort und Werk meine volle
Absicht, mein Anfang, mein Ziel und meine Vollendung; sei in meinem ganzen
Leben meine Heiligung und in meiner langmütigen Erwartung bis zum Ende des
guten Kampfes meine Barmherzigkeit.
Eja, o mein herrliches Erbe und meiner Seele bester Anteil, auf den allein
meine Erwartung und meine Hoffnung gerichtet sind, in meiner Todesstunde
bereite und ordne all das Meinige in deiner Güte und Milde, damit die
Fahne deines kostbaren Kreuzes mir alsdann den festesten Schutz gegen alle
Nachstellungen des Satans gewähre und die ruhmvollen Waffen deines
siegreichen Leidens - die Nägel samt der Lanze - mir die sichersten
Geschosse gegen seine tausendfältigen Ränke seien, auf daß, umgeben vom
Wall deines siegreichen und liebreichen Todes und bezeichnet mit dem
Kaufpreis deines kostbaren Blutes, während du mir Führer und Wegzehrung
bist, ich sicher durch die enge Spalte des Todes hindurchschreite.
Und nun verlaß mich nicht, mein Heil, sondern erscheine mir in deiner
Liebe, Güte und Barmherzigkeit, damit ich von Angesicht zu Angesicht dich
schaue, Gott, meinen Geliebten, der du mich für dich erschaffen hast.
Dort, o Schirmer meiner Seele, teurer Jesus, zeige mir im Spiegel deiner
unverhüllten Anschauung die Herrlichkeit deiner Gottheit, damit von deinem
seligen und herrlichen Lob mein Geist und meine Seele erfüllt werde und in
Ewigkeit mein Herz sich erfreue in dir, meinem süßen Heiland.
Und meine Seele, die du erlöst, möge frohlocken ob der Güter deines
Hauses, genährt mit der stärkenden Fülle der genießenden Anschauung deines
honigfließenden Angesichts, erfreut und beglückt, den unzähligen
Versuchungen und Schlingen des Teufels, der Welt und des Fleisches, sowie
den Todesängsten entronnen zu sein, wie auch deinetwegen, mein süßester
Anteil und glückseligstes Leben, den sie nun besitzen wird. Da, wo du in
mir bist und ich in dir, unzertrennlich mit dir verbunden durch ewige
Liebe, werde ich ob all der Guttaten, die du mir erwiesen hast, deinen
Namen ununterbrochen preisen; denn du bist der Gott meines Lebens, der
Erlöser und Geliebte meiner Seele.
(S. 118-121)
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Aus: Das neue
Gertrudenbuch
von P. Willibrord Verkade OSB [1868-1946]
enthaltend St. Gertruds "Geistliche Übungen"
und Auszüge aus dem "Gesandten der göttlichen Liebe"
Zweite Auflage
Beuroner Kunstverlag Beuron / Hohenzollern 1935