Gottesliebe

Worte der Liebe
aus der christlichen Welt
 

Christus - 7. Jh., Koptisches Museum, Alt-Kairo



 

Gertrud von Helfta
(1256-1302)

 

Geistliche Übungen

Aus der ersten Übung:

Eja, Jesus, Quelle des Lebens, laß mich aus dir selbst den Trunk des lebendigen Wassers trinken, damit mich - nachdem ich dich gekostet - in Ewigkeit nach nichts mehr dürste als nach dir. Tauche mich ganz unter in die Tiefe deiner Barmherzigkeit. Taufe mich in der Unfehlbarkeit deines kostbaren Todes.
Erneure mich in deinem Blut, womit du mich erkauft hast. Im Wasser deiner heiligsten Seite wasche jeden Makel ab, womit ich meine Taufunschuld befleckt habe. Erfülle mich mit deinem Geist und besitze mich ganz in Reinheit des Leibes und der Seele. Amen.
(S. 10)
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Eja, Jesus, unauslöschliches Licht, zünde in mir die brennende Lampe deiner Liebe unverlöschlich an und lehre mich meine Taufe ohne Makel zu bewahren, damit, wenn ich zu deiner Hochzeit erscheine, deinem Ruf folgend, ich wohlbereitet einzugehen verdiene in die Freuden des ewigen Lebens, um dich, o wahres Licht, und das honigfließende Antlitz deiner Gottheit zu schauen. Amen.
(S. 11)
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O holder Gast meiner Seele, mein herzliebster Jesus, deine süße Einverleibung sei mir heute Nachlaß all meiner Sünden, Ergänzung all meiner Säumnisse und Wiedererlangung meines ganzen verlorenen Lebens. Sie sei mir ewiges Heil, Wiederherstellung der Seele und des Leibes, Entzündung der Liebe, Erneuerung der Tugend und ewiger Abschluß meines Lebens in dir.
Sie sei mir Freiheit des Geistes, Gesundheit des Lebens, Ehrbarkeit des Wandels; sie sei mir Schild der Geduld, Zierde der Demut, Stab des Vertrauens, Trost der Betrübnis, Stütze der Beharrlichkeit. Sie sei mir Rüstung des Glaubens, Stärke der Hoffnung, Vollkommenheit der Liebe, Erfüllung deiner Gebote, Erneuerung des Geistes, Heiligung in der Wahrheit und Vollendung meines ganzen gottgeweihten Lebens.
Sie sei mir Anfang der Tugenden, Ende der Laster, Wachstum alles Guten und ein ewiger Bund deiner Liebe, damit ich, nur dem Körper nach in dieser Fremdlingschaft verbleibend, mit hungrigem Denken dort weile, wo du, mein bester Anteil, bist.
Möge ich an meinem Lebensende, nachdem ich die bittere Schale dieses Leibes abgeworfen, zu jenem süßesten Kern gelangen, wo ich im neuen Gestirn deiner verklärten Menschheit das herrliche Licht deiner erhabenen Gottheit schauen werde, wo die edelste Rose deines honigfließenden Antlitzes mich durch ihre alles beherrschende Schönheit erquicken wird, und wo ich, den Beschwernissen dieses Lebens enthoben, in Ewigkeit voller Freude Festmahl halten werde und aufjubeln ob der Schätze deiner Liebe, wie die Braut sich freut an den Wonnen ihres Königs. Amen.
(S. 12-13)
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Aus der zweiten Übung:

Eja, Jesus, Geliebtester meines Herzens, gewiß ist, daß keine geistige Frucht wachsen kann, sie werde denn vom Tau deines Geistes benetzt, von der Kraft deiner Liebe genährt: möchtest du demnach solches Erbarmen mit mir haben, daß du mich in die Arme deiner Liebe schließest und mich ganz mit deinem Geist erwärmst. Sieh da meinen Leib und meine Seele, dir übergebe ich sie, auf daß du sie besitzest.
Mein Geliebter, mein Geliebter, spende mir deinen Segen. Schließe mir auf die Fülle deiner Süßigkeit und führe mich in sie hinein. Denn von Herzen und aus ganzer Seele verlange ich nach dir und bitte dich, daß du allein mich besitzen wollest. Eja, ich dein und du mein! Mache, daß ich durch stets neuen Eifer des Geistes in deiner lebendigen Liebe wachse, und durch deine Gnade aufblühe wie die Lilien der Täler an Wasserbächen.
(S. 15)
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Eja, eja, teurer Jesus, bei der Liebe, in der du, Gott, Mensch geworden bist, in der du gekommen bist, zu suchen und selig zu machen, was verloren war, ziehe nun in mich, o mein Geliebter, ein und führe mich hinwiederum in dich hinein. In dem festen Felsen deines väterlichen Schutzes verberge mich. In der Spalte deines mildesten Herzens verwahre mich vor allem, was du nicht bist, o aller Teuren Teuerster, und gib mir ein Erbe im Volke Israel, auf daß mit dir mein Anteil sei unter den Töchtern Jerusalems. Amen.
(S. 16-17)
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Eja, liebster Jesus, dich allein habe ich erkoren zu meiner Seele treuem Liebhaber, zu meines Lebens bestem Gefährten. Deinetwegen leidet schmachtend meine Seele. Dir opfere ich die Liebe meines Herzens, dich erwähle ich zum Weggenossen und Führer. Dir opfere ich zu deinem Dienste meinen Leib und meine Seele; denn ich bin dein eigen und du bist mein.
Eja, aufs innigste verbinde dich nur, o wahre Liebe: dir opfere ich meine Keuschheit; denn du bist ganz süß und lieblich, ein Bräutigam voller Wonne; dir gelobe ich Gehorsam: denn deine väterliche Liebe lockt mich, deine Güte und Lieblichkeit zieht mich an. Dir verpflichte ich mich, deinen Willen zu erfüllen; denn dir anhangen, ist über alles wonniglich, dich lieben, überaus süß und wünschenswert.
Ich opfere mich dir auf, o Einziger meines Herzens, auf daß ich fortan dir allein lebe; denn süßer habe ich nichts gefunden, nichts nützlicher erachtet, als dir, meinem Geliebten, aufs innigste geeint zu werden.
Eja, bilde mein Herz nach deinem Herzen, damit ich ganz nach deinem Wohlgefallen zu wandeln verdiene.
(S. 18-19)
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Aus der dritten Übung:

Stimme Christi zur Seele:
Blicke mich an, wer ich bin, o meine Taube: ich bin Jesus, dein trauter Freund. Öffne mir das innerste Gemach deines Herzens. Denn ich bin aus dem Lande der Engel, schön an Gestalt. Ich selbst bin der Abglanz der göttlichen Sonne. Ich bin der strahlende Frühlingstag, der einzig immerfort leuchtet und keinen Abend kennt. Die überwesentliche Hoheit meiner Herrlichkeit erfüllt Himmel und Erde, und nur die Ewigkeit mißt ihre Ausdehnung. Ich allein führe auf meinem Haupt das kaiserliche Diadem meiner glorreichen Gottheit. Ich trage allzeit den rosenfarbenen Kranz, gebildet aus meinem Blut, das ich für dich vergoß. Keiner, weder über noch unter der Sonne, ist mir gleich.
Auf den Wink meiner Hand schreiten heran die Lilienchöre der Jungfrauen. Und ich gehe ihnen voraus im Reigen des ewigen Lebens, in den Wonnen meiner Gottheit. Ich erquicke sie durch den lieblichen Genuß frühlingshafter Glückseligkeit.
Gleichwohl verschmähe ich nicht, die Augen ins Tal hinabzusenken, wo ich Veilchen ohne Makel sammeln kann.
Die immer also mich minnen möchte, die will ich mir verloben, will sie hochschätzen und heftig lieben. Ich werde sie das Lied der Jungfrauen lehren, das so lieblich aus meinem Munde klingt, daß es sie zwingt, sich mit mir zu vereinigen in trautem Liebesbund. Was ich von Natur bin, soll sie durch Gnade werden. Ich will sie umfangen mit den Armen meiner Liebe und fest an das Herz meiner Gottheit drücken, damit sie durch die Kraft meiner glühenden Liebe zerschmilzt wie das Wachs vor dem Feuer. Geliebte Taube, wenn du mein sein willst, so mußt du mich zärtlich, weise und stark lieben, damit du all dieses in lieblicher Weise erfahren kannst.

Aufforderung der Liebe an die Seele:
Eja, wache auf, meine Seele, wie lange wirst du schlafen? Höre das Wort, das ich dir künde. Über dem Himmel ist ein König, der nach dir verlangt. Aus ganzem Herzen liebt er dich, und liebt dich über die Maßen. So traut minnt er dich, so treu liebt er, daß er deinetwegen sein Reich in Demut verließ. Indem er dich suchte, erduldete er, gleich einem Dieb erfaßt zu werden. Er liebt dich so herzlich, er minnt dich so heftig, er wetteifert so sanft, er eifert so wirksam, daß er seinen blühenden Leib freudig für dich in den Tod gab.
Er ist es, der dich rein gewaschen in seinem Blut, der dich durch seinen Tod befreit hat. Wie lange soll er auf dich warten, bis du ihn wiederliebst? Er hat dich und deine Liebe, ach so teuer erkauft. Er hat dich mehr als seine Ehre geliebt. Er hat dich mehr geliebt als seinen edlen Leib, den er deinetwegen nie geschont. Deshalb verlangt diese süße Minne, diese traute Liebe, dieser treue Liebhaber Gegenliebe von dir. Willst du sofort darauf eingehen, so ist er bereit, sich dir zu vermählen. Beeile dich darum, ihm zu melden, was du erwählst.

Stimme der sich Gott opfernden Seele:
Ich bin eine mutterlose Waise; dürftig bin ich und arm. Außer Jesus habe ich keinerlei Trost. Er allein kann den Durst meiner Seele stillen. Er ist der Auserwählte und einzige Freund meines Herzens. Er ist der König der Könige und der Herr aller Herren. Wenn er, der höchste Kaiser, mir Elenden und Niedrigen seine Gnade erzeigen und mit mir nach seiner Barmherzigkeit verfahren will, gemäß seiner unendlichen Güte, so überwiegt einzig seine Milde und alles hängt von seinem guten Willen ab.
O wer gibt mir, daß ich nach seinem Herzen werde, daß sein Begehren sich nach seinem höchsten Wohlgefallen in mir vollziehe. Das allein könnte mich erfreuen und trösten.
Eja, Jesus, einziger Geliebter meines Herzens, trauter Liebhaber, geliebt, geliebt über alles, was jemals geliebt worden ist. Nach dir, o lebendiger, blühender Frühlingstag, seufzt und schmachtet die Liebessehnsucht meines Herzens. O wäre es mir doch vergönnt, dir so innig vereint zu werden, daß alsdann aus dir, du wahrhaftige Sonne, die Blüten und Früchte meines Fortschrittes sproßten. Sehnsuchtsvoll erwarte ich dich.
Komm denn zu mir wie der Tauber zu seiner Gefährtin. Du hast das Innerste meines Herzens verwundet durch deine Anmut und Schönheit. Mein Geliebter, mein Geliebter, werde ich nicht mit dir verbunden - ich könnte in Ewigkeit nicht froh sein. Eja, dein und mein Verlangen, mein Freund, mein Freund, mein Freund, erfülle durch die Tat.

Stimme Christi:
In meinem Heiligen Geist werde ich mich mit dir verloben, werde ich dich an mich fesseln durch ein unauflösliches Band. Du sollst mein Gast sein, und ich werde dich in meine lebenspendende Liebe einschließen. Ich werde dich bekleiden mit dem edlen Purpur meines kostbaren Blutes, dich krönen mit dem erlesenen Gold meines bitteren Todes. Mit mir selbst werde ich dein Verlangen stillen und so dich erfreuen in Ewigkeit.
(S. 21-24)
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Gebet
Eja, Jesus, blühender Bräutigam, wie der Tod die Seele aus dem Körper hinüberführt, so möge deine Liebe mein Herz in dich hinüberführen, auf daß ich dir durch ein unlösliches Band anhange.
Nimm mich auf, mein Jesus, in den Abgrund deines Erbarmens und wasche mich rein von jeglichem Makel in den Tiefen deiner Mildherzigkeit. Nimm mich auf, mein Jesus, in die Umarmung deiner Gnadenhilfe, auf daß ich verdiene, mit dir durch den Bund ewiger Einigung verknüpft zu werden.
Nimm mich auf, mein Jesus, in den seligen Ehebund deiner Liebe; dort laß mich verkosten den Kuß deines honigfließenden Mundes.
(S. 29-30)
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Gebet
Eja, mein Geliebter, aus Tausenden erkoren, laß mich unter dem Schatten deiner Liebe ruhen und umhülle mich mit dem Vlies deiner Makellosigkeit. Dort werde ich von deiner Hand den Schleier der Lauterkeit erhalten, den ich unter deiner Leitung und Führung fleckenlos vor den Richterstuhl deiner Glorie bringen möge mit der hundertfältigen Frucht reinster Unschuld.
(S. 33)
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Aus der vierten Übung:

Gebet
Mein Geliebter, in unzertrennlicher Umarmung der Liebe drücke ich dich an mein Herz, mein Jesus. Siehe, mit der ganzen Liebe meines Herzens halte ich dich fest, und wenn du mich auch tausendmal segnen würdest, ich ließe nimmermehr von dir.
(S. 42)
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Gebet
Siehe, ich trete hin zu dir, o verzehrendes Feuer, mein Gott. Eja, in der Feuersglut deiner Liebe zieh mich Stäublein gänzlich in dich, verschlinge und verzehre mich.
Siehe, ich trete hin zu dir, o mein wonniges Licht.
Eja, laß dein Antlitz über mir leuchten, auf daß meine Finsternis vor dir wie [das Licht] am Mittag werde.
Siehe, ich trete hin zu dir, o seligste Einigung. Eja, mache mich eins mit dir durch das Band lebendiger Liebe.
(S. 43)
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Was geht mich nun fürder die Welt an, o mein teurer Jesus? Siehe, nicht einmal im Himmel möchte ich etwas außer dir. Dich allein liebe ich, dich begehre ich, dich schätze ich, dich ersehne ich, nach dir dürste ich, dich minne ich. In dir vergehe ich ganz, mein Geliebter, mein Geliebter. Eja, trage mich hinein in die lodernde Flamme deiner lebendigen Feuersglut und gib mir, mich jetzt schon so fest an dich anzuschmiegen, daß es mir, nach der Trennung vom Leibe in der Todesstunde, in Ewigkeit wohl sei in dir. Denn meine Seele liebt dich, mein Herz verlangt nach dir, all meine Kraft strebt dir zu und alles mir entschwundene Leben ist schon in dich übergegangen. O Jesus, aller Geliebten Geliebtester. Zu dir spricht mein Herz: Du bist der Liebste mein, meine einzig wahre und sichere Freude, mein bester Anteil, den meine Seele liebt und begehrt.
(S. 54)
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Was bin ich, mein Gott, Leben meiner Seele? Ach, ach, wie fern von dir! Siehe, ich bin wie ein Stäublein, das der Wind von der Erde aufwirbelt. Eja, in der Kraft deiner Minne fache den Glutwind deiner allmächtigen Liebe heftig an. Durch den Sturmwind deines Geistes versetze mich mit Gewalt in dich und nimm mich auf in den Schoß deiner liebevollen Fürsorge, damit ich wahrhaft anfange, von mir zu lassen und in dich, meine süße Liebe, eingehe. Dort, dort gib mir, mich selbst in dir zu verlieren, mich selbst so rückhaltlos zu verlassen, daß in mir von mir keine Spur zurückbleibe, wie das Stäublein, das verweht, keine Spur von sich zurückläßt. Eja, eja, führe mich so restlos in die Empfindung deiner Liebe ein, daß in dir all meine Unvollkommenheit getilgt werde und ich außer dir kein Leben mehr besitze. Eja, gib mir, mich in dir so zu verlieren, daß ich mich in Ewigkeit nimmermehr finde außer in dir.
(S. 54-55)
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Was bin ich, mein Gott, Liebe meines Herzens? Ach, ach, wie verschieden von dir.
Bin ich wie ein geringes Tröpflein deiner Güte, so du das volle Meer aller Süßigkeit.
Eja, o Liebe, Liebe, öffne nur ein Weilchen über mich die Herzenskammer deines Mitleids.
Laß fließen über mich die herabströmenden Wasser deiner milden Vaterschaft.
Laß hereinbrechen über mich die starken Quellen des Abgrunds deiner grenzenlosen Barmherzigkeit.
Es verschlinge mich die Tiefe deiner innigsten Zuneigung. Laß mich untertauchen in das grundlose Meer deiner nachsichtigen Güte.
Laß mich untergehen in den Wasserfluten deiner lebendigen Liebe, wie ein Tropfen des Meeres sich verliert in dessen tiefer Fülle.
Daß ich sterbe, sterbe in der Hochflut deines unendlichen Erbarmens, wie der Feuerfunke erlischt im wilden Wogendrang des Stromes.
Es überriesle mich der Regenguß deiner Liebe.
Es raffe hinweg mein Leben dein Liebestrunk.
Der geheime Ratschluß deiner weisesten Liebe bewirke und vollführe in mir den ruhmreichen Tod lebenspendender Liebe.
Dort, dort werde ich in dir mein Leben verlieren, wo du ewig lebst, o meine Liebe, Gott meines Lebens. Amen.
(S. 55-56)
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Was bin ich, mein Gott, mein heiliges Entzücken?
Ach, ach, all deiner Geschöpfe Auswurf bin ich geworden. Aber du bist meine große Zuversicht; denn in dir ist mir hinterlegt der Ersatz und der Überfluß alles dessen, was ich verloren habe. Eja, o Liebe, Liebe, häufe jetzt auf mich die Fülle deiner grenzenlosen Güte und Nachsicht. Beuge mich unter die Last deiner unendlichen Barmherzigkeit und Milde. Laß mich meinen Geist aushauchen in den süßen Hauch deines Geistes. Laß mich einschlummern unter dem Schleier deiner Minne. In vollem Verkosten deiner Lieblichkeit möge ich den Geist aufgeben, damit ich in dich, o meine süße Wonne, mir selbst entschwindend, sanft eingehe, in deinen Umarmungen versinke und im Kusse deiner honigfließenden Liebe wahrhaftig begraben werde.
Hülle mich in das Grabtuch deiner teuren Erlösung. Salbe mich mit dem Balsam deines kostbaren Todes. Lege mich in das marmorne Grab deines durchbohrten Herzens und, wie unter einem Stein, verbirg mich unter dem lieben Blick deines holden Angesichtes, auf daß du in Ewigkeit für mich Sorge tragest.
Dort, dort, mein Geliebter, möge ich begraben sein im erquickenden Schatten deiner väterlichen Liebe. Ich werde ruhen, ruhen, ruhen im ewigen Angedenken deiner teuren und lebendigen Freundschaft.
Eja, eja, in dir, o starke Liebe, ersterbe mein Fleisch. In dir, o lebenspendende Liebe, verhauche mein Leben. In dir, o süße Liebe, werde zu Asche meine ganze Wesenheit. Und in dem honigfließenden Lichte deines Angesichtes ruhe in Ewigkeit meine Seele. Amen.
(S. 56-57)
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Gott meines Lebens, Beleber meiner Seele, mein süßester Geliebter, mein Vater, Bräutigam und Fürsorger, dir biete ich den ganzen Schatz meiner Liebe an, [ihn versenkend] in den Glutherd deines feurigen Geistes, in den Schmelzofen deiner lebendigen Liebe. Deinetwegen, deinetwegen, o aller Teuren Teuerster, trete ich zur Stunde harte Wege an; denn ich weiß, daß dein Erbarmen besser ist als alles Leben.
Eja, o mein Geliebter, die ich auf deine Güte baue, in deiner göttlichen Kraft mit der Waffenrüstung deines Geistes umgürte mich zum Kampf, auf daß du alle Nachstellungen meiner Feinde von mir abwendest. Und alles, was in mir nicht ausschließlich dir allein lebt, das wolle in deiner unauslöschlichen Liebe selbst in mir niederhalten, auf daß, mit dem gütigen Beistand deiner lebendigen Zuneigung, angelockt und gestärkt durch die belebende Süßigkeit deiner Minne, ich dich liebe. Lieben laß mich dich, o meine süße Stärke. Laß mich unter deiner Führung das sanfte Joch und die leichte Bürde deiner Liebe so fröhlich tragen, daß alle Mühen des Dienstes, den ich dir, mein Geliebter, entrichte, wie wenige Tage erscheinen ob der Größe meiner Liebe. Das süße Wehen deines Geistes verkürze und erleichtere mir alle Last und Hitze des Tages. Du aber wollest gnädig alles Handeln und Üben meines Lebens verflechten in das helfende Mitwirken des Lebens deiner Liebe, auf daß in Ewigkeit meine Seele dich preise, mein ganzes Leben dir unermüdlich diene und mein Geist frohlocke in dir, meinem Gott und Heiland. Und all mein Denken und Tun sei dir Lobpreis und Danksagung.
(S. 58-59)
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Eja, jetzt, o Liebe, mein König und mein Gott, jetzt, o mein Jesus, mein Geliebter, in die liebevolle Obhut deines göttlichen Herzens nimm mich auf.
Dort, dort - auf daß ich ganz dir lebe - mit deiner Liebe aufs innigste verknüpfe mich.
Eja, eja, in das weite Meer deiner grundlosen Barmherzigkeit schleudere mich.
Dort, dort, dem Tiefinnersten deiner überströmenden Güte gib mich hin.
Eja, jetzt, in die verzehrende Flamme deiner lebendigen Liebe wirf mich.
Dort, dort - bis zur völligen Verbrennung von Seele und Geist - in dir laß aufgehen mich.
Eja, und in der Sterbestunde, der Fürsorge deiner väterlichen Liebe stelle mich anheim.
Dann, dann, o mein süßes Heil, durch den Anblick deiner honigfließenden Gegenwart tröste mich.
Alsdann, mit dem Genuß deiner teuren Erlösung, mit der du mich losgekauft hast, erquicke mich.
Dann, mit der hellen Stimme deiner schönen Liebe rufe mich zu dir.
Dann, in der Umarmung deiner nachsichtsvollen Versöhnung nimm mich auf.
Dann, mit dem sanften Atemzug deines wonnefließenden Geistes ziehe mich an dich, ziehe mich in dich und trinke mich in dich hinein.
Dann, im Kusse vollkommener Einigung versenke mich auf ewig in den Genuß deiner Anschauung und gib mir alsdann, daß ich dich sehe, dich besitze und in aller Ewigkeit dich in höchster Seligkeit genieße; denn meine Seele begehrt dich, o Jesus, aller Geliebten Geliebtester. Amen.
(S. 59-60)
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Aus der fünften Übung:

Eja, o Liebe, mein Gott, du allein bist meine Liebe. Du bist mein liebster Heiland. Du bist meine ganze Hoffnung und Freude, mein höchstes und bestes Gut. Vor dich, mein Gott, meine innigste Liebe, will ich frühmorgens hintreten und dich betrachten; denn du bist die immerwährende Lieblichkeit und Süßigkeit. Du bist mein Herzensdurst. Du bist die völlige Sättigung meines Geistes. Je mehr ich dich trinke, um so mehr dürstet mich.
O Liebe, mein Gott, dein Anblick ist mir ein sonnenheller Tag: jener Tag in den Vorhöfen des Herrn, der besser ist als tausend sonst, nach dem allein meine Seele, die du erlöst hast, seufzt.
Eja, wann wirst du mich sättigen mit der Wonne deines honigfließenden Angesichts? Es sehnt und verzehrt sich meine Seele ob der Fülle deiner Lieblichkeit. Siehe, ich erwähle und ziehe vor, unbeachtet zu sein im Hause meines Gottes, auf daß ich desto inniger den Genuß deines süßesten Antlitzes erstreben kann.
O Liebe, dich schauen heißt in Gott verzückt werden. Dir anhangen heißt hochzeitlich mit Gott verbunden werden. O klarstes Licht meiner Seele und hellstrahlender Morgen, eja, nun werde Tag in mir und leuchte in mir so auf, daß ich in deinem Lichte das Licht schaue und durch dich meine Nacht sich in Tag verwandle. O mein teuerster Morgen, alles, was du nicht bist, will ich aus Liebe zu deiner Liebe als nichts und eitel erachten. Eja, suche mich schon morgens bei Tagesanbruch heim, auf daß ich in dich sofort ganz umgestalte werde.
O Liebe, nicht nur lichttragend, sondern Gott tragend, nun ströme breit in mich ein, damit ich selig in dir zerfließe. Laß mich, mir selbst entschwunden, in dich überfließen ganz und gar, so daß ich mich niemals in der Zeit mehr zurückholen kann, sondern dir verschmolzen bleibe in alle Ewigkeit.
O Liebe, du bist jene einzigartige Schönheit, jene überragend Zier, die in dieser Welt nicht geschaut wird, es sei denn verhüllt durch die Flügel der Seraphim. O wann wird mich solche und soviel Schönheit erquicken? O kaiserlicher Morgenstern von göttlicher Klarheit strahlend! O wann wird mich deine Gegenwart erleuchten?
O liebenswürdige Schönheit, wann wirst du mich mit dir sättigen? Mögen mir hienieden nur auf kurze Zeit einige schwache Strahlen deiner Schönheit zuteil werden, auf daß es mir vergönnt sei, deine Süßigkeit wenigstens ein Weilchen zum voraus zu genießen, und dich, meinen besten Anteil, selig beglückt zum voraus zu verkosten. Eja, kehre dich jetzt ein wenig zu mir, damit ich auf dich, Blume der Blumen, mein Auge hefte.
Du bist der hellstrahlende Spiegel der heiligsten Dreifaltigkeit, den man drüben von Angesicht zu Angesicht, hier indes nur im Rätsel mit dem Auge eines reines Herzens schaut. Eja, besprenge mich mit deiner Reinheit, und ich werde gereinigt sein. Berühre den Grund meines Herzens mit deiner Lauterkeit, und ich werde weißer als Schnee. Es überwiege, ich bitte darum, die Größe deiner Liebe, und es umhülle mich die Fülle deiner Verdienste, auf daß das Mißverhältnis zwischen meiner und deiner Anmut und Schönheit mich nicht fernhalte von dir.
Blick auf mich und schaue, und laß mich dich erkennen und verstehen. Du hast mich zuerst geliebt. Du hast mich erwählt, als ich dich nicht erwählte. Jedem, der nach dir dürstet, eilst du freiwillig entgegen. Der Glanz des ewigen Lichtes strahlt auf deiner Stirn.
Eja, zeige mir dein Angesicht und laß mich deine Schönheit betrachten. Wie ist so lieblich und schön dein Antlitz, strahlend im herrlichsten Morgenrot der Gottheit. Auf deinen Wangen glüht wunderbar das Alpha und Omega. In deinen Augen funkelt unauslöschlich die lichte Ewigkeit. Dort leuchtet mir das Heil Gottes wie eine Fackel entgegen. Dort gesellt sich als fröhliche Gespielin die schöne Liebe zur lichtvollen Wahrheit. Duft des Lebens weht mir aus dir entgegen. Honig und Milch träufeln mir aus deinem Munde zu. Wie bist du so schön, o Liebe, mein Gott! Und wie anmutig, wie bewunderungswürdig und wie erhaben bist du, Teuerste, in deinen Wonnen!
Du, o Königin, ruhst als erste auf dem göttlichen Thron, erfüllt von den Reichtümern der kaiserlichen Dreifaltigkeit. Als vermählte und Braut des höchsten Gottes erfreust du dich immerfort seines vertrauten Umgangs und bist durch unzertrennliche Minne verbunden mit Gottes Sohn.
O Liebe, beim Versinken meines Lebens wolle mir gnädig als frühestes Morgenlicht aufgehen! Und wenn du mich in dieser Fremdlingschaft verscheiden siehst, dann laß mich aus dir ewiges Leben schöpfen. Gib mir, diese Verbannung so zu beenden, daß ich unbehindert mit dir zur Hochzeit des Lammes eingehen kann. Laß mich an deiner Hand meinen wahren Bräutigam und Freund finden und durch dich ihm so innig vermählt werden, daß ich mich in Ewigkeit nicht mehr seiner Umarmung zu entziehen vermag. O Liebe, o Schlüssel Davids, erschließe und öffne mir alsdann das Allerheiligste, damit ich, von dir eingeführt, ohne Verzug in Sion froh den Gott der Götter schaue, ihn, nach dessen honigfließendem Antlitz jetzt mein Herz verlangt und sich heftig sehnt.
(S. 61-65)
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Eja, o Liebe, meiner Minne Erstlingsblume, du bist mein kostbarstes Verlobungsgeschenk und meine teuerste Hochzeitsgabe. Sieh, deinetwegen habe ich die Welt verschmäht und all ihre Freude wie Kot erachtet, nur um zu Vermählung mit dir zu gelangen. Eja, gib mir Zutritt zur Geheimkammer deiner Liebe. Sieh, schon brennt mein Herz nach deinem Liebeskuß. Öffne mir das traute Brautgemach deiner schönen Liebe. Sieh, es dürstet meine Seele nach der Umarmung deiner innigsten Vereinigung.
Eja, bereite jetzt das Festmahl deiner überreichen Erbarmung und lade mich zum Tische deiner Wonnen. Setze mir das köstliche Gericht deiner ewigen Versöhnung vor, das allein meinen Geist zu stärken vermag. Eja, laß uns jetzt zusammen Gastmahl halten, o mein teuerstes und höchstes Gut. Du bist in dir selbst über alles Ermessen an allen Gütern reich und überfließend und teilst dich der Kreatur wundersam mit.
Eja, erquicke mich reichlich mit dir selbst. Denn wie wird der Funken am Leben bleiben, wenn nicht in seinem Feuer, oder wie kann der Tropfen bestehen, getrennt von seiner Quelle?
Eja, deine teure Minneflamme verschlinge mich nun ganz, meinen Geist und meine Seele, und erfasse mich von allen Seiten so, wie es deine freigebige Allmacht mit einem geringen Stäublein spielend vermag.
O Liebe, o süßeste Mittagsglut, deine heilige Rast, so voller Frieden, ergötzt mich über alles. Deine heiß ersehnten Sabbate sind erfüllt von Gottes Gegenwart und übergossen von Lieblichkeit des mildstrahlenden Antlitzes des Bräutigams.
Eja, o mein Geliebter, erwählt und auserkoren vor allen Kreaturen, laß mich in dir erkennen und zeige mir, wo du weidest, wo du am Mittag ruhst. Siehe, es erglüht und brennt mein Geist, wenn ich denke an die Wonne deiner Ruhestunde. O Liebe, hier im honigfließenden Schatten deiner Minne lasse ich all mein Hoffen und Vertrauen ruhen. Im Schoße deines Friedens wohnt Israel ohne Bangen.
Nach dieser hocherwünschten Sabbatfeier sehnt sich inbrünstig meine Seele.
O Liebe, dich genießen führt zur huldvollsten und innigsten Verbindung des ewigen Wortes mit der Seele, zur vollkommenen Vereinigung mit Gott. Mit dir verkehren, heißt mit Gott verflochten werden. Dich genießen, heißt eins werden mit Gott. Du bist jener Friede, der allen Begriff übersteigt; und in ihm ist der Weg, der ins Brautgemach führt.
O wenn es mir Armen nur auf einen Augenblick gelingen möchte, zu rasten unter dem trauten Mantel deiner Liebe, auf daß mein Herz durch einen einzigen trostvollen Ausspruch deines lebendigen Wortes gestärkt würde und meine Seele aus deinem Munde dieses gute und süße Wort zu hören bekäme: "Dein Heil bin ich; siehe, schon steht dir offen die Brautkammer meines Herzens."
Weshalb denn, o edle Liebe, hast du ein so garstiges, häßliches Wesen geliebt, wenn nicht, um es in dir schön zu machen! Deine zärtliche Liebe zieht mich an und lockt mich, o liebliche Blume, entsprossen der Jungfrau Maria.
Laß meine Erwartung nicht zuschanden werden, sondern gib mir, in dir die Ruhe meiner Seele zu finden. Nichts Erwünschteres habe ich gefunden, nichts liebenswerter erachtet, nichts Teureres erwählt, als umschlungen zu werden, o Liebe, von deinen Umarmungen, unter den Fittichen meines Jesus zu ruhen und zu wohnen in den Zelten der göttlichen Minne. O Liebe, o schöner Mittag, sterben möchte ich tausendmal, auf daß in dir ich Ruhe fände. Ach, möchtest du doch, o Geliebtester, das so erhabene Antlitz deiner schönen Liebe mir zuwenden.
O wenn mir doch gegeben würde, dir ganz nah zu kommen, daß ich mich nicht nur neben dir, sondern in dir befände! Damit durch dich, Sonne der Gerechtigkeit, in mir, die ich Staub und Asche bin, die Blüten aller Tugenden aufgingen und meine Seele, dir, o Herr, vermählt, solche Fruchtbarkeit erhielte, daß in mir die ruhmreiche Kinderschar aller Vollkommenheiten geboren würde. Dann könnte ich einst, befreit aus diesem Tal des Elends, in Ewigkeit vor deinem heißersehnten Angesicht mich rühmen, daß du, o Spiegel ohne Makel, nicht verschmäht hast, dich mit mir, einer so großen Sünderin, in Wahrheit aufs innigste zu vereinigen.
Eja, o Liebe, in der Todesstunde mögen mich deine Worte, die köstlicher sind als Wein, erquicken und mich trösten deine Lippen, die süßer sind als Honig und Honigseim; und sei du selbst mir Weg, auf daß ich nicht in weglosem Land umherirre. Laß mich, laß mich mit deiner Hilfe, o Königin, ohne Hindernis zu den schönen, fruchtbaren und einsamen Gefilden Gottes gelangen, wo ich in Ewigkeit frohlockend die honigfließende Gegenwart meines göttlichen Bräutigams und Lammes genießen möge.
(S. 65-68)
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Eja, o Liebe, du süßer Kuß, du bist jene Wasserquelle, nach der mich dürstet. Siehe, nach dir verlangt ungestüm mein Herz. Ach, wollest du doch, o volles Meer, mich geringes Tröpflein verschlingen. Du bist meiner Seele lebendiger und trauter Eingang, damit - von mir weg in dich hinein - mir werde ein Hingang.
Eja, öffne mir den rettenden Eingang deines geliebtesten Herzens. Siehe, mein Herz, ich habe es nicht mehr, sondern du, o mein teuerstes Kleinod, verwahrst es in dir unter sicherem Verschluß. Du bist der einzige, ganze und geliebteste Wesensgrund meines Herzens. Dir allein hängt meine kleine Seele mit Inbrunst an.
O wie selig ist deine Gesellschaft. Wahrhaftig, deine Vertraulichkeit ist weit besser als viele Leben. Dein Duft ist wie der Seelenbalsam göttlichen Friedens und göttlicher Versöhnung. Du bist wie die übervolle und überreiche Vorratskammer des göttlichen Trostes. Ach Liebe, Königin, führe mich doch in deinen Weinkeller, damit ich in Süßigkeit verkoste deine hochedlen Weine, die dort verborgen sind. Siehe, all deine Gefäße sind voll von Gott und überfließend vom Heiligen Geist.
O wenn mir hienieden schon zuteil würde, wonach ich begehre, und mir gegeben würde, daß sich mein liebster Wunsch erfüllte und du dich in Wahrheit zu mir kehren wolltest und mich erquicken mit dem unaussprechlichen süßen Kuß deiner Versöhnung. Ach, o Geliebtester aller Geliebten, laß mich dich in meiner Seele Innerstem umfangen und küssen, auf daß ich dir wahrhaft geeint untrennbar anhange. O Liebe, du bist der wonnevolle Kuß der heiligsten Dreifaltigkeit, der Vater und Sohn machtvoll eint. Du bist jener heilbringende Kuß, den die kaiserliche Gottheit durch den Sohn unserer schwachen Menschennatur aufgedrückt hat.
O beseligender Kuß, schließe mich geringes Stäublein nicht aus von der Verbindung mit dir. Karge nicht mit deinen Liebkosungen und Umarmungen, bis ich mit Gott ein Geist werde. Laß mich in Wirklichkeit erfahren, welche Wonne es ist, dich, den lebendigen Gott, meine süßeste Liebe, in dir selbst zu umarmen und mit dir vereint zu werden.
O Liebe, mein Gott, du bist mein kostbarster Besitz, ohne den ich im Himmel und auf Erden nichts erhoffe, nichts will noch wünsche. Du bist mein wahres Erbteil und meine ganze Erwartung, darauf all mein Zielen und Streben hingerichtet ist.
Eja, o Liebe, deine in mir vollendete Minne sei mir Endziel und Vollendung [meines Lebens]. Den Ehevertrag, den mein Herz jetzt mit dir abschließt, zeige mir, wenn es Abend wird. - Auf dem Antlitz meines Geliebten Gottes leuchtest du wie der Abendstern. - Wenn die Zeit meines Todes gekommen ist, wolle mir gnädig erscheinen, o mein teurer und herrlicher Abend, damit ich in dir den ersehnten Abend meiner Fremdlingschaft feiere, selig einschlummernd und ruhend an deinem Herzen, so voll von jeglicher Süßigkeit.
O Liebe, mein Gott, das Verlassen meiner irdischen Hülle werde mir zur Umkleidung meiner Seele mit dir, damit eingehüllt in dich, in deinen königlichen Schmuck, ich im hochzeitlichen Gewande mit meiner Brautgabe würdig vor dem unsterblichen Bräutigam erscheine.
Eja, o Liebe, meine Todesstunde möge besiegelt werden mit dem Siegel deiner trauten Liebe, dem das Prägebild deiner ewigen Versöhnung aufgedrückt ist, damit der Strom deines überreichen Segens mich ohne Verzug hinleite zum Anfang meiner ewigen Aufnahme in dir, zum immerwährenden Genuß deiner Anschauung und zu nie endendem Besitz.
O Liebe, mein trauter Abend, möge ich dich in der Todesstunde mit Freude und Frohlocken erblicken! Jene heilige Flamme, die in göttlicher Kraft immerfort feurig lodert, reinige wahrhaft meine Seele von allem Makel und aller Schuld.
O mein wonniger Abend, wenn für mich der Abend dieses Lebens anbricht, laß mich in dir sanft einschlummern und jene selige Ruhe verkosten, die deinen Lieben bereitet ist. Das überaus milde und freundliche Herabschauen deiner schönen Minne ordne und regle huldvoll die Zurüstung meiner [himmlischen] Hochzeit. Überdecke und verhülle mit den Reichtümern deiner Güte die Dürftigkeit und Armut meines entarteten Lebens. In den Wonnen deiner Minne wohnt meine Seele voll Vertrauen. O Liebe, dann sei mir selbst ein so schöner Abend, daß deinetwegen meine Seele jauchzend und frohlockend meinem Leib ein liebes Lebewohl sage und mein Geist, zurückkehrend zu seinem Herrn, der ihn gegeben, unter deinem Schatten selig in Frieden ruhe. Dann ruf mir zu mit der dir eigenen Stimme, klingend wie liebliches Zitherspiel: "Sieh, der Bräutigam kommt, jetzt geh hinaus und eile in seine nächste Nähe, damit sein glanzumstrahltes Antlitz dich erfreue."
O wie glücklich, wie selig der, dessen Pilgerschaft in dir endigt. Weh mir, weh mir, wie lange wird sie noch währen? O wie wird jenes Dann sein, wenn für mich das überaus süße und liebliche Nun gekommen ist? Wenn die Herrlichkeit meines Gottes, Königs und Bräutigams sich mir offenbaren und mir erscheinen wird in nie endendem Genuß und ewiger Freude. Wenn ich in Wahrheit sehen und betrachten werde das ersehnte, erwünschte und minnigliche Antlitz meines Jesus, nach dessen Schönheit meine Seele solange gedürstet und begehrt hat. O gewiß, dann werde ich erfüllt und gesättigt mit dem Strom jener Wonne, die, eingeschlossen in den verborgenen Kammern der Gottheit, mir jetzt schon solange vorenthalten blieb. Dann werde ich sehen und schauen meinen Gott, meine teuerste Liebe, dessentwegen mir jetzt Geist und Herz entschwinden.
Wann, o wann wirst du dich mir zeigen, auf daß ich dich sehe und mit Freude aus dir schöpfe, o Gott, lebendiger Born? Dann werde ich trinken und mich berauschen an der Freudenfülle der lebendigen Quelle, sprudelnd aus der Ergötzlichkeit jenes honigfließenden Antlitzes, nach dem meine Seele verlangt.
O liebliches Antlitz, wann wirst du mich mit dir sättigen? Dann werde ich bis vor das Antlitz Gottes hintreten zur Stätte deines wunderbaren Zeltes, vor dessen Eingang mein Herz seufzend klagt ob der Dauer meiner Fremdlingschaft.
Wann wirst du mich mit Freude erfüllen durch dein honigfließende Antlitz? Dann werde ich schauen und küssen meinen Jesus, den wahren Bräutigam meiner Seele, dem mein ganzes Herz schon in heißem Begehren angehangen und nachgegangen ist.
O wer wird mich befreien von dem Elend dieser Pilgerschaft, wer mich erlösen aus der Schlinge dieser Welt? O wann werde ich diesen elenden Leib verlassen, auf das ich dich unmittelbar schaue, o Liebe, meinen Gott, Gestirn der Gestirne. In dir, o teure Liebe, werde ich den Versuchungen dieser Sterblichkeit entrinnen, in dir, meinem göttlichen Liebhaber, die trennende Mauer meines Leibes sicher und frohlockend überspringen [und dorthin gelangen], wo ich dich in Wahrheit, nicht mehr im Rätsel, schauen werde von Angesicht zu Angesicht.
Eja, du Quelle des ewigen Lebens, hole mich zurück in dein abgrundtiefes Meer, aus dem ich geflossen bin. Dort werde ich erkennen, wie ich erkannt bin, lieben, wie ich geliebt bin: damit, wie du bist, ich dich sehe, mein Gott, - durch Schauen, Genuß und Besitz beseligt in Ewigkeit. Amen.
(S. 68-74)
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O Liebe, mein Gott, wie nahe bist du denen, die dich suchen; wie süß, wie liebenswürdig denen, die dich finden. O daß du mir doch jetzt dein wunderbares Alphabet offenbartest, damit mein Herz das gleiche Studium wie du betriebe. Künde mir nur in lebendiger Erfahrung Wesen und Weise des glorreichen und uranfänglichen Alpha deiner schönen Liebe; verhehle mir nicht das fruchtschwere Betha der Vollendung der Schöpfungsreihen deiner kaiserlichen Weisheit. Mit dem Finger deines Geistes zeige mir genau und der Reihe nach die einzelnen Buchstaben deiner Liebe, auf daß ich, durchdringend bis zum Kern des Vorgenusses deiner Wonnen, mit dem Auge eines reinen Herzens in Wahrheit sie erforsche und zu ergründen trachte, sie erlerne, [auswendig] kenne und, soweit es in diesem Leben möglich ist, sie auch ganz verstehe.
Lehre mich unter dem Beistand deines Geistes das Tau höchster Vollkommenheit und führe mich zu dem Omega allseitiger Vollendung. Laß mich in diesem Leben deine von Liebe und Zärtlichkeit erfüllte Schrift so vollkommen erlernen, daß an der Vollendung deiner Liebe in mir nicht ein Jota fehle, um dessentwillen ich Aufschub erleiden müßte, wenn du mich, o Liebe, mein Gott, meine traute Minne, zu dir rufst, um in dir selbst dich ewiglich zu schauen. Amen.
(S. 76-77)
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O Liebe, mein Gott, wer dich nicht liebt, ist stumm und noch Kind, und nur der schreitet voran, der dir mit ganzer Seele anhangt, einzig dich liebend ohne Unterlaß. Eja, möge ich mir selbst in der Schule deiner Liebe nicht immer so überlassen sein wie ein zartes Küchlein deiner Fürsorge, das noch im Ei ruht, sondern laß mich in dir und durch dich, ja mit dir gehen und fortschreiten von Tag zu Tag, von Tugend zu Tugend, täglich dir, meinem Geliebten, Frucht bringend auf einer neuen Stufe der Liebe. Auch genügt es mir nicht, dich bloß dem Wortlaut nach zu kennen, sondern ich verlange, begehre und wünsche es mir tausendmal, dich auch schauend zu erfassen, dich starkmütig und nicht nur zärtlich, sondern auch weise zu minnen und dir unaufhörlich anzuhangen, auf daß ich beginne, künftighin dir nicht mehr in mir, sondern einzig und allein in dir zu leben.
So laß mich denn, o Liebe, dich in Wahrheit erkennen und bereite dir in meiner Seele einen Thron in aller Heiligkeit. Amen.
(S. 77-78)
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O Liebe, mein Gott, jeder, der sich im Werk deiner Liebe mutig und schnell erweist, wird gewiß allzeit vor deinem königlichen Angesicht stehen. Eja, o Liebe, Königin der Königinnen, laß mich zu deinem Ruhm mit dir den Eid leisten auf den neuen Kriegsdienst deiner Minne. Lehre mich, die Hand an starke Werke zu legen und in dir und durch dich schnell und unverdrossen die allergetreuesten Dienstmühen deiner Liebe zu übernehmen und zu vollbringen. Mit dem Schwerte deines Geistes umgürte meine Lenden, o Gewaltiger, und bekleide mich mit geistiger Kraft, damit ich in der Ausübung jeglicher Tugend mannhaft und entschlossen handle und festgegründet in dir mit unbesiegbarem Sinn unzertrennlich bei dir ausharre. All meine Kräfte seien deiner Liebe so zu eigen, und meine Sinne seien so in dir gegründet, und gefestigt, daß ich, wenn auch schwachen Geschlechtes, durch die Kraft der Seele und männlichen Mut zu jener großen Liebe gelange, die zum innersten Brautgemach der vollkommenen Vereinigung mit dir führt.
Nun, o Liebe, nimm und besitze mich als dein Eigentum; denn ich habe fortan weder Geist noch Seele außer in dir. Amen.
(S. 78-79)
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Selig die Augen, die dich sehen, o Liebe, mein Gott! - O wann, wann werde ich dorthin kommen, wo du bist, wahres Licht, Gott und Lamm?
- Ich weiß, daß ich dich zuletzt doch mit meinen Augen sehen werde, Jesus, Gott, meinen Heiland.
Selig die Ohren, die dich hören, o Liebe, mein Gott, Wort des Lebens! - O wann, wann wird deine honigsüße Stimme mich trösten und einladen zu dir? - Eja, laß mich vor böser Kunde nicht erschrecken, sondern alsbald den herrlichen Klang deiner Stimme hören. Amen.
Selig der Atem, der dich in sich hineinzieht, o Liebe, mein Gott, süßer Duft des Lebens! - O wann, wann wird mir der Wohlgeruch deiner honigfließenden Gottheit entgegenwehen? - Eja, möge ich bald zu den fruchtbaren und lieblichen Auen deiner ewigen Anschauung gelangen. Amen.
Selig der Mund, o Liebe, mein Gott, der die Worte deines Trostes kostet, die süßer sind als Honig und Honigseim. - O wann, wann wird meine Seele gesättigt werden mit der Fülle deiner Wonne?
Eja, möchte ich hienieden auf solche Weise kosten, wie süß du bist, mein Herr, daß ich dich im Himmel, o Gott meines Lebens, selig genieße in Ewigkeit. Amen.
Selig die Seele, die in unzertrennlicher Liebesumarmung sich dir anschmiegt, und selig das Herz, das, mit dir den Bund unauflöslicher Freundschaft schließend, den Kuß deines Herzens empfindet, o Liebe, mein Gott! - O wann, wann werde ich von deinen beglückenden Armen umschlungen werden, wann dich, o Gott meines Herzens, unmittelbar schauen? - Eja, bald, bald, aus dieser Verbannung befreit, laß mich dein honigfließendes Antlitz im Jubel schauen. Amen.
(S. 82-83)
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In Liebe halte ich dich fest, o geliebtester Jesus, und werde dich nicht lassen; denn dein Segen genügt mir keineswegs, wenn ich dich nicht selbst festhalte und besitze, du mein bester Anteil, meine ganze Hoffnung und Erwartung. Du aber, o Liebe, lebenspendendes Leben, in Gottes lebendigem Wort, das du selber bist, belebe mich - wiederherstellend in mir, was an göttlicher Liebe in mir zerstört und erloschen ist.
O Liebe, mein Gott, der du mich erschaffen hast, in deiner Liebe erschaffe mich neu.
O Liebe, die du mich erlöst hast, was in mir in der Liebe zu dir vernachlässigt wurde, das ergänze du selbst und erlöse in mir.
O Liebe, mein Gott, der du mich im Blute deines Christus dir erkauft hast, in deiner Wahrheit heilige mich.
O Liebe, mein Gott, der du mich als Tochter angenommen hast, nach deinem Herzen nähre, ja, nähre mich.
O Liebe, die du mich dir und keinem andern erkoren hast, laß mich dir ganz anhangen.
O Liebe, mein Gott, der du mich ohne Entgelt geliebt hast, gib mir, daß ich dich aus ganzem Herzen, aus ganzer Seele und aus allen Kräften liebe.
O Liebe, allmächtiger Gott, in deiner Liebe befestige mich.
O Liebe, höchste Weisheit, gib mir, weise zu lieben dich.
O Liebe, Quelle aller Süßigkeit, gib mir, in Wonne zu verkosten dich.
O Liebe, teuer über alles, gib mir, dir allein zu leben.
O Liebe, treu über alles, in jeglicher Trübsal tröste mich und hilf mir.
O Liebe, gemeinschaftlich über alles, all meine Werke wirke in mir.
O Liebe, siegreich über alles, gib mir, bis ans Ende zu verharren in dir.
O Liebe, herzinnig über alles, die du mich niemals verlassen hast, dir empfehle ich meinen Geist.
In der Todesstunde nimm mich auf zu dir. Mit eigenem Munde rufe mich zu dir und sprich: "Heute noch wirst du bei mir sein. Nun verlasse die Verbannung und mache dich auf zum feierlichen Morgen der unverwelklichen Ewigkeit. Dort wirst du mich, Jesus, finden, das wahre Heute der göttlichen Klarheit, der ich Anfang und Endziel jeglicher Kreatur bin. Nicht mehr wird für dich der Morgen dieser Wandelbarkeit erfolgen, sondern in mir, dem wahren Heute, wirst du das immerwährende Heute besitzen, auf daß, wie ich lebe, auch du in mir lebst, deinem Jesus, deinem Gott und Geliebten - überglücklich jauchzend ohne Ende."
(S. 83-85)
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Aus der sechsten Übung:

Eja, o Liebe, tritt du an meiner Statt vor das Angesicht des großen Gottes und laß dort den Aufschrei meiner Sehnsucht kund werden; denn im Verlangen nach Gott ist vor Durst all meine Kraft verdorrt. Eja, ziehe und hebe meinen Geist zu dir empor; denn mein Leib und mein Geist schwinden hin im Begehren nach Gott, meinem Heiland. Eja, stelle mich meinem Herrn und König vor; denn schon ist zerschmolzen meine Seele vor Erwartung meines Bräutigams. O Liebe, nun erfülle aufs schnellste mein Verlangen - zögerst du, so sterbe ich, vor Liebe verschmachtend.
(S. 86-87)
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Eja, o Gott, meine heilige Süße, in dir erweitere mein Herz und mache weit meine Seele, damit mein ganzes Inneres von deiner Herrlichkeit erfüllt werde.
O wann wird es für meine Seele heißen: So kehr denn ein in deine Ruhe; denn der Herr hat dir wohlgetan?
O wann werde ich jene ergötzliche Stimme vernehmen: Komm, geh ein in das Brautgemach deines Bräutigams?
O wann werde ich in dir, o Jesus, mein süßester Friede, ruhen und entschlummern, auf daß ich schaue deine Herrlichkeit?
Du aber, o Leben meines Geistes, hast die Macht, mein dir anvertrautes Gut zu bewahren und meine Seele zurückzuführen zu dir, der mich erschaffen.
O Liebe, Liebe, wann wirst du meine Seele aus dem Kerker befreien? O wann, wann sie, meine Einzige, von der Fessel des Körpers lösen?
O wann, wann wirst du mich in das Brautgemach meines Bräutigams einführen, damit ich ihm durch nie endenden Genuß verbunden werde?
Eja, o Liebe, beschleunige mein Hochzeitsfest; denn tausendmal wünsche ich zu sterben, um solche Wonnen kosten zu können - jedoch nicht mein Wohl, sondern dein Wohlgefallen suche ich.
(S. 89-90)
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O wann, wann, geliebtester Jesus, werde ich in dein Haus mit Brandopfern kommen, um dir ein Jubelopfer darzubringen und dir einzulösen meine Gelübde, die meine Lippen festgesetzt in meiner Not?
O wann, wann werde ich kommen und erscheinen vor deinem heiligen Thron, damit ich dein honigfließende Antlitz schaue, dessen göttliches Licht das Verlangen aller Heiligen stillt und ihre Herzen wie auch ihre Stimmen und Lippen zu süßem Jubel hinreißt?
Eja, o Geliebter meiner Wünsche, vernimm mein Rufen, hab acht auf mein Flehen und erhöre mich; denn dich, o mein König und mein Gott, dich ruft, dich begehrt, dich sucht das Seufzen meines Herzens und das Verlangen meiner Seele. Nach dir weint mein Auge, und auf dich richtet sich mein Blick. Du bist mein Gott, meine Wonne und meine Liebe, meine Hoffnung von Jugend auf. Du bist alles, was ich will, hoffe und begehre.
Und nun, o mein Geliebter, in jener so starken Liebe, in der du, zur Rechten des Vaters in meinem Fleische thronend, mich in deinen Händen und Füßen sowie in deinem süßesten Herzen eingeschrieben trägst, um in Ewigkeit meine Seele, die du so teuer erkauft hast, nicht zu vergessen - entrichte jetzt dir selbst, mein Gott, meine Barmherzigkeit, statt meiner für all deine Guttaten, die du mir erwiesen hast, noch erweisest und erweisen wirst, ein ewiges, unendliches und unwandelbares Lob, wie du es kannst und in dir selbst leicht vermagst, und wie du weißt, daß es deiner ehrfurchtgebietenden Glorie und der Hoheit deiner Würde entspricht.
Brich aus statt meiner, mein teurer Jesus, in so warme und innige Danksagung, wie sie dir, mein großer und wunderbarer Herr, gebührt. Lobe dich in dir, in mir und für mich mit der Allgewalt deiner Gottheit, mit der ganzen Inbrunst deiner Menschheit, vonseiten und aus dem Liebesdrang des Weltalls, bis du mich, das geringste Atom deiner gesamten Schöpfung, durch dich, der du der Weg bist, leitest - zu dir, der du die Wahrheit bist, hinführst - und in dich, der du das Leben bist, einführst und verbirgst, auf daß in Ewigkeit dein holdseliges und anmutvolles Antlitz mein Anteil sei.
(S. 93-94)
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Mein König und mein Gott, meine Liebe und Freude, dir jubelt meine Seele und mein Herz. Dich, Leben meiner Seele, meinen Gott, meinen lebendigen und wahren Gott, Urquell des ewigen Lichtes (der du das Licht deines honigfließenden Antlitzes über mir Unwürdigem leuchten läßt), dich zu grüßen, zu loben, zu verherrlichen und preisen verlangt mein Herz. Und das Werk meiner Kräfte und meiner Sinne weihe ich dir zu einem Ganzopfer neuen Lobes und inniger Danksagung. Und was könnte ich dir vergelten, mein Herr, für alles Gute, das du mir erwiesen hast? Siehe, ich erkenne es, mehr denn deine Ehre hast du mich geliebt, hast dich selbst um meinetwillen nicht geschont, und dazu hast du mich für dich erschaffen, dazu mich dir erkauft und erkoren, um mich zu dir hinzuführen und mir zu verleihen, glückselig in dir zu leben und in Ewigkeit dich selig zu genießen. Was habe ich denn im Himmel außer dir, oder was von all deinen Gütern will oder wünsche ich weiterhin außer dir?
Du bist, Herr, meine Hoffnung, du mein Ruhm, meine Freude, meine Seligkeit.
Du bist der Durst meines Geistes, du das Leben meiner Seele, du der Jubel meines Herzens.
Wohin, mein Gott, wird mich meine Bewunderung gegen dich führen?
Du bist der Anfang und die Vollendung alles Guten, und wie von lauter Frohlockenden ist aller Wohnen in dir.
Du bist das Lob meines Herzens und meines Mundes.
Du bist von Goldglanz übergossen in der Frühlingsanmut deiner festlichen Liebe.
Deine allvermögende Gottheit möge dich lobpreisen und verherrlichen; denn du bist der Ursprung des ewigen Lichtes und der Born des Lebens.
Kein Geschöpf vermag dich würdig zu loben.
Du genügst dir völlig, weil du niemals in dir abnimmst.
Dein honigfließendes Antlitz kräftigt über Honig und Honigseim die Seelen deiner Heiligen.
(S. 95-96)
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Mein Herz und mein Fleisch frohlocken in dir, dem lebendigen Gott, und meine Seele freut sich in dir, meinem wahren Heil. O wie wunderbar ist dein Tempel, Herr der Heerscharen! Wie glorreich ist die Stätte deiner Wohnung, wo du, der allerhöchste Gott, über allem thronst in deiner Majestät. Es verlangt und es schmachtet die Kraft meiner Seele nach dem Eintritt in deine Herrlichkeit.
Gott, mein Gott, meines Herzens Jubel und Liebe, Zuflucht und Stärke, Gott, mein Ruhm und mein Lobpreis, o wann wird meine Seele dich preisen in der Versammlung der Heiligen?
O wann werden meine Augen dich sehen, den Gott der Götter? Gott meines Herzens, o wann wirst du mich erfreuen durch den Anblick deines honigfließenden Angesichts?
O wann wirst du das Verlangen meiner Seele stillen durch die Offenbarung deiner Glorie? Mein Gott, mein auserlesener Anteil, meine Stärke und mein Ruhm!
O wann werde ich eindringen in deine Wunderwerke, um deine Macht und Herrlichkeit zu schauen?
O wann wirst du mich bekleiden mit dem Ehrenmantel des Lobes an Stelle des Geistes der Betrübnis, damit im Verein mit den Engeln all meine Glieder dir ein Jubelopfer darbringen?
Gott meines Lebens, o wann werde ich eintreten in das Zelt deiner Glorie, damit auch ich dir das hochherrliche Alleluja singe, und vor all deinen Heiligen dich preise meine Seele und mein Herz, weil du deine Erbarmungen groß an mir erwiesen hast?
Mein Gott, mein Erbe, o wann wird, wenn einst die Schlinge dieser Sterblichkeit zerrissen ist, dich meine Seele unmittelbar schauen und preisen?
O wann werde ich auf ewig wohnen in deinem Zelt, um deiner Majestät ein neues Lied zu singen ob der Fülle deiner Barmherzigkeit?
Dir, o Herr, gleicht keiner von den Göttern, und unvergleichlich ist die Tiefe der Reichtümer deiner wunderbaren Herrlichkeit.
Wer wird den Abgrund deiner Weisheit erforschen, und wer wird aufzählen die unerschöpflichen Schätze deiner überreichen Barmherzigkeit? Wahrlich, keiner ist so groß, keiner so vortrefflich wie du, mein Gott, unsterblicher König.
Wer wird die Glorie deiner Majestät schildern?
Wer sich ersättigen können an dem Anblick deiner Klarheit?
Wie soll das Auge ausreichen beim Schauen oder das Ohr beim Hören in der Bewunderung der Herrlichkeiten deines Angesichts?
Gott, mein Gott, du allein bist wunderbar und herrlich. Du allein groß und preiswürdig, allein freundlich und liebenswürdig, allein schön und lieblich, allein anmutig und wonnevoll, du allein groß und erhaben, so daß man unter der ganzen Herrlichkeit Himmels und der Erde deinesgleichen nicht findet. Dein wunderbares Licht ist meinem Herzen lieb und wert über alle Pracht. Dein Licht allein kann meinen Geist erfreuen und des Lebens Überdruß in Freude und Frohlocken wandeln.
O wann wirst du der Lampe meiner Seele unauslöschliches Licht verleihen und wieder in dir anzünden, damit, wie ich erkannt bin, ich mich in dir erkenne? O wie glücklich, wie selig, den schon in sich verborgen hütet die Glorie deines Angesichts. O wann wird auch mich Unwürdige jener süßeste Strahl ganz in sich ziehen, auf daß ich mit dir eine Liebe und ein Geist werde? Mein ganzes Inneres sagt dir: Herr, wer ist dir gleich? Wahrlich, du hast keinen, der dir an Herrlichkeit gleichkäme; denn du allein bist Gott, herrlich und erhaben in Ewigkeit. O wann wirst du mich Arme aus dem Staub heben, damit ich vor deinem königlichen Angesicht stehe; wann mir statt Asche die Krone der unvergänglichen Freude schenken, damit in ewiger Jubelfreude meine Seele dich preise für all die Güter, die du mir in unverdienter Huld gewährt? Schon lodert auf zu dir meine Seele und mein Herz, mein Herzensgott, mein Anteil du auf ewig! In dir frohlockt mein Geist, o Gott, mein Heil! Hätte ich Macht über jeglicher Kreatur, ich vereinigte sie, samt all den herrlichen Werken deiner Hände, zum Ruhme deines Lobes. Schon beim Angedenken deines Lobes zerschmilzt mein Geist und meine Seele. Hätte ich aller Engel und Menschen Kräfte, ich wollte sie mit Freuden zu deinem Lob verwenden, auf daß mir in Fülle gegeben würde zu kosten, wie wunderbar die Preisgesänge deines Lobes sind und die Festesfreuden vor deinem heiligen Thron, wo du in seliger Ruhe Sabbat feierst - du und die Bundeslade deiner Heiligkeit -, wo Tausende und abertausendmal Tausende dich umstehen, unaufhörlich, Tag und Nacht das Heilig, Heilig, Heilig verkündend.
Dort, dort, in das goldene Rauchfaß deines göttlichen Herzens (darin beständig zu deinem Lob der süßeste Weihrauch ewiger Liebe brennt) werfe auch ich als winziges Weihrauchkörnlein mein Herz hinein, wünschend und verlangend, daß auch dieses mein verächtliches und unwürdiges Herz, durch den Hauch deines Geistes mächtig entflammt, sich wandle in ein einziges Feuer deines Lobes und jene tiefen Seufzer, die ich aus Erdentiefen in Sehnsucht nach dir ausstoße ob meiner schmerzlich langen Erwartung, dir zu ewigem Lob und immerwährender Verherrlichung gereichen mögen. Amen.
(S. 99-103)
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O Gott meines Herzens und mein auserkorener Anteil! Ach, ach, wie lange, wie lange bleibt meine Seele der Gegenwart deines holden Antlitzes beraubt? Dir ist vollauf bekannt die ganze leibliche Schwere meines Erdenaufenthaltes und ihre Gebrechlichkeit, die du wohl weißt, - bekannt, wie groß und schwer das Elend meiner Verbannung ist, in der ich lebe.
Eja, Geliebter meiner Sehnsucht, nach dir dürstet das Innere meines Herzens.
Eja, laß mich bald zu dir gelangen, Gott, lebendiger Quell, auf daß ich auf immer ewiges Leben in dir schöpfe.
Eja, laß dein Antlitz über mich leuchten, auf daß ich dich frohlockend schaue von Angesicht zu Angesicht.
Eja, bald, bald zeige dich mir, damit ich mich selig deiner erfreue in Ewigkeit.
Eja, eja, o Leben meines Geistes, trage hinüber und vereinige mit dem festlichen Harfenspiel deiner Liebe das laute Rufen meiner Sehnsucht und so gänzlich mache dir mein Leben zu eigen und so innig verbinde meine Seele deiner Liebe, daß all mein Leben und Wirken dir lobsinge auf zehnsaitiger Harfe und all mein Wollen mit dir vereint in dir beginne, fortschreite und sich vollende, o wahrhaftes Leben meiner Seele.
Eja und eja, o wahre Liebe meines Herzens, bringe dir selbst statt meiner in dieser Stunde ein so hochgestimmtes und erhabenes Feierspiel des Lobes und des Dankes dar - in das alle himmlischen Engelreihen jubelnd einstimmen mögen - für jenes überaus große und süße Gut, das du selbst mir bist, mein Gott, und daß du dich würdigst, von mir, dem Auskehricht aller Geschöpfe, erkannt, geliebt und gelobt zu werden; denn du bist mein Gott und Heiland, die einzige Ursache meines Heils und das Leben meiner Seele.
Eja, und in jenem Feierspiel des Lobes soll meine Seele die geringe Kraft meines Geistes in dich ausgießen und sich völlig auflösen in der Liebe deines Lobes, bis dereinst mein Geist glücklich zu dir heimkehrt, o Gott. Eja, und in diesem Leben laß mich also in der Erinnerung deines Lobes mich ergötzen, daß in der Stunde meines Todes das dürstende Verlangen und die starke Liebe, dich zu sehen, zu loben und bei dir zu sein, in mir obsiege über die Gewalt des Todes. Sei du mir selbst in jenen Todesängsten Pforte und Vaterland, bis du mich zu den innersten Freuden des himmlischen Lebens führst, damit in Ewigkeit in dir frohlocke mein Geist und meine Seele. Amen.
(S. 111-113)
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Mein Herz weilt und haftet, wo Jesus, mein Leben, will. Eja, geliebter, vor allem geliebter Jesus, du bist das getreue Leben meiner Seele. Du bist ihre ganze Sehnsucht; nach dir allein dürstet das Innerste meines Herzens; deine wonnereiche Seligkeit, deine wunderbare Schönheit, deine erhwürdige Gestalt, deine liebenswürdige Anmut haben mir eine gar süße Wunde geschlagen, so daß es mir beschwerlich ist, das Licht dieser Welt zu sehen.
Ich bin mir selbst zuwider. Wie lange, wie lange werde ich, o mein Geliebter, noch harren, bis ich dich genieße und dein liebreiches Antlitz schaue. Du bist meiner Seele heißes Verlangen. Der Himmel, die Erde und alles, was in ihnen ist, ist mir ohne dich die winterliche Eisesstarre. Dein liebreiches Antlitz allein ist mir Beruhigung, ja ein Frühlingstrost.
Eja, o Liebe, Liebe, wann wird mir von dir die Gabe zuteil, daß mein Leib, durch dich vernichtet, wieder zu Staub werde und meine Seele in dich, o Gott, ihren lebendigen Ursprung, zurückfließe? Die über alles reinen göttlichen Ausströmungen, die ihre gottförmigen Strahlen von höchstem Throne aussenden, ergreifen mächtig meinen Geist. Was soll das Blättlein am Baume länger warten, mitten in dem so furchtbar tobenden Sturm dieser Welt?
Eja, o Liebe, Liebe, halte mich mit deiner starken Rechten, auf daß im Sturm nicht untergehe meine Seele. Das sanfte Rauschen des lebendigen Wassers, aufsprudelnd aus seinem eigenen Urquell, hat mein Herz unwiderstehlich ergriffen; ach, keine Leier ist jemals so süß erklungen! Dieses Leben ist mir gleichgültig geworden wie ein Traum. Wie lange, wie lange werde ich seinen Trug ertragen?
Eja, o Liebe, Liebe, wolle mich doch niemals von deiner Fessel lösen, bis du mich dem einzigen Geliebten meines Herzens darbietest in seinem süßen Schoß. O süßer Wohlgeruch der Lebensfrucht, die du selber bist, o mein eigenster Geliebter, du hast mir meinen Geist entführt, so daß der modernde Leib mir zum ekligen Misthaufen geworden ist, weshalb mein Seufzen zu dir auch niemals aufhört.
Eja, o Liebe, Liebe, wann willst du mich vom Körper lösen, damit ich den Geliebten meines Herzens in unmittelbarer Schau genieße und bei ihm bleibe ohne Ende? Ein einziger Strahl deiner Gottheit, durch deine Menschheit mir gewährt, erfreut wunderbar meinen Geist, sodaß, hätte ich auch tausend Leiber, ich sie alsogleich verschmähen würde. Welche Wonnen, meinst du, sind dann [noch] verborgen im Genusse deiner lichten Klarheit? Tausendmaligen Tod würde ich für nichts erachten, wäre es mir vergönnt, die Lieblichkeit deiner Wahrheit zu schauen.
Eja, o Liebe, Liebe, handle erbarmungsvoll mit mir und entführe mich schnell zum hehren Feste, an dem ich die Glorie meines getreuen Erlösers und Bräutigams betrachten darf. Die Fülle deiner Gottheit allein kann meine Seele sättigen, die du huldvoll für dich erschaffen hast. Der Genuß eines einzigen Tropfens deiner Süßigkeit reißt meinen Geist so mächtig fort, daß statt allen Lebens der Tod mir süß erscheint, durch den ich dein Antlitz ewig schauen kann.
Eja, o Liebe, Liebe, wann wirst du meine Seele vom Leibe trennen, daß mein Geist in dir, Geliebtester, dauernd wohne? Deine minnigliche Umarmung ist so süß, daß, hätte ich tausend Herzen, sie gleich zerfließen müßten. Dein feuriges Küssen läßt mein Leben in dir untertauchen und fesselt unauflöslich meine Seele an dich. Wie gern, o wie gern stürbe ich, auf daß ich ganz einginge in den Strom deiner Gottheit?
Eja, o Liebe, Liebe, o möchtest du doch deine festliche Hochzeit in mir vollziehen, daß meine Seele, aus dem Jammertal befreit, in ihrem Ursprung verschlungen würde wie der Tropfen im Meer. Eja, o süßester Jesus, meines Herzens Geliebtester über alles, was geliebt werden kann, mein einzig Erkorener, sei du mein Führer in diesem Elend, damit ich meine Tage in deinem Lob beschließe und in deiner Gnade und Freundschaft mein Leben wohl vollende.
Eja, Jesus, süße Liebe, sei du Zuflucht deiner armen Braut, die ohne dich nichts Eigenes hat noch irgend ein Gut. Sei ihr Lenker auf dem hochgehenden Meer dieser Welt und ihr Trost in dem schrecklichen Sturm des Todes. Reiche mir deine gütige Hand und sei selbst der Stab meiner Stärke, auf den ich mich so fest stütze, o süßer Befreier meiner Seele, daß vor deiner Macht zunichte werden alle Täuschungen und Anmaßungen meiner Feinde.
Eja, Jesus, mein getreuer Freund, der Abgrund deiner reich strömenden Barmherzigkeit sei mir der sichere Schoß, in dessen Obhut ich den furchtbaren Anstürmen meiner Feinde entrinne. Alsdann sei du mir selbst eine sichere Freistätte, zu der ich mich frohgemut emporschwinge aus der Gefangenschaft aller Übel.
Eja, Jesus, meine süße Hoffnung, dein göttliches Herz, aus Liebe zu mir gebrochen und allen Sündern ohne Unterlaß geöffnet, sei meiner Seele beim Scheiden aus diesem Leibe der erste Zufluchtsort, wo durch die abgründige Tiefe deiner unendlichen Liebe in einem Augenblick meine ganze Sündenschuld verschlungen werde, auf daß ich mit dir, o Geliebter meines Herzens, mich ungehindert dem himmlischen Reigen anschließen kann.
Eja, Jesus, meine einzige Rettung, mein Heiland und mein Gott, sende mir bei meinem Ende die getreue Helferin Maria, deine liebenswürdige Mutter, den vielgerühmten Meeresstern, damit ich, vom Anblick der Morgenröte ihres glorreichen Angesichts erleuchtet, erkenne, daß du, Sonne der Gerechtigkeit, dich durch die Klarheit deines Lichtes meiner Seele näherst. Eja, vor allen Geliebten Geliebtester, du kennst das Verlangen meines Herzens; denn du allein bist die Sehnsucht meiner Seele. Eja, so komm denn baldigst, damit ich vor deinem minniglichen Antlitz meine Herzenswehen ganz vergesse.
Eja, o Liebe, merke auf meine Todesstunde und drücke ihr dein Siegel auf, damit unter deiner treuen Hut, ob deiner grenzenlosen Güte (auf die allein ich mich stütze) nichts meiner Seele zu schaden vermag. Bekunde bei meinem Scheiden so wirksam deine liebliche Weisheit und also stärke meine arme Seele, daß in ihr auf ewig das unbegrenzte Erbarmen erstrahle, das du, ruhmvoller König, im Leben wie im Sterben, durch dich selbst in ihr gewirkt hast. Verzehre alsdann alle meine Kräfte in deiner Kraft und versenke mich ob deiner Barmherzigkeit in den Abgrund der Gottheit, wo mich sättige, erquicke und erfülle das minnigliche Antlitz Jesu, meines Herzgeliebten, in deiner Herrlichkeit. Amen.
(S. 113-118)
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Mein Gott und mein Herr, geliebter Schöpfer und Erlöser, auf den allein mein Herz gehofft, an den ich geglaubt, den ich bekannt habe. O Frühlingsblüte der Gottheit, benetze mich mit dem Tau deiner herrlich blühenden Menschheit, damit am Träufeln deiner heiligen Liebe und Süßigkeit meine Seele sich erfreue. Laß mich das Leid dieser Verbannung vergessen, in dir aller Tugenden Zuwachs bringen und dir geeint, o vorzüglichstes Kleinod und Blüte aller Tugenden, die jammervolle Fremdlingschaft gelassen ertragen und in aller Trübsal und Bedrängnis geduldig handeln.
Mein Gott und mein König, der du im Heiligtum bist, worin mein Leben mit meinem Jesus verborgen ist, siehe, deine keuschen Wonnen haben mich überflutet. Schon bin ich in dir mir selbst erstorben und lebendig in dir untergegangen. Und nun, wohin soll ich gehen ohne dich? Weder im Himmel noch auf Erden kann ich etwas außer dir. Mein Gott, Ruhm Israels, der du im Heiligtum wohnst, in dem ich bin, lebe und mich bewege, auf dich allein vertraue ich. In dir ist weit geworden mein Herz; denn du bist meine ganze und einzige Freude und all meine Sehnsucht. Dein Lichtstrahl hat meinen schlummernden Geist aufgeweckt.
O wann wird meine Seele verschlungen vom lebenspendenden Strom deines süßesten und immerwährenden Genusses? O wann wird deine Liebesflut meinen Geist forttragen und mich dir zurückgeben, um dein honigfließendes Antlitz zu schauen, Gott meines Lebens, Urheber meines Heils und Hort meiner Seele, ohne den ich nichts bin, nichts weiß, nichts kann noch vermag, auf den allein ich hoffe, zu dem zu kommen ich mich sehne, dessen köstliches, Leben ausströmendes Angesicht zu schauen und ihm unzertrennlich anzuhangen ich mit ganzem Herzen, mit ganzer Seele und aller Kraft begehr?
Eja, weihe mein Wesen und mein Leben ausschließlich deinem Preis und Ruhm, auf daß in all meinen Gedanken, Worten, Werken und Herzensregungen dich immer lobe und verherrliche das Werk meiner Seele wie auch alle Kraft und Wesenheit meines Leibes in vollkommenster Hochschätzung und Liebe. Eben dies, daß meine Seele im Kerker dieses Leibes eingeschlossen ist, nach dir, o Gott, lebendiger Quell, innig verlangend, erglühend und lechzend, und daß sie unglücklich ist in dieser Verbannung - kenne ich doch weder meinen Eingang noch Ausgang - und einzig und allein dies, daß du, Vater der Erbarmnisse, das Werk deiner Hände nicht verschmähst noch verlassest - das möge die abgründige Tiefe deiner Güte bewegen, meine Fremdlingschaft mit jenem innigsten Erbarmen, anzusehen, daß du mir voll Mitleid erwiesen hast, als du dreiunddreißig Jahre dieselbe Verbannung auskosten wolltest, wie du dich auch meiner erbarmt hast, als dein süßestes Herz aus Liebe brach, um mich am Kreuz für dich zu erwerben.
Eja, meiner Seele seligstes Leben, sei du in all meinen Versuchungen mein Triumph und mein Sieg, in all meinen Krankheiten meine Geduld, in jeglicher Trübsal mein Trost, in jedem Gedanken, Wort und Werk meine volle Absicht, mein Anfang, mein Ziel und meine Vollendung; sei in meinem ganzen Leben meine Heiligung und in meiner langmütigen Erwartung bis zum Ende des guten Kampfes meine Barmherzigkeit.
Eja, o mein herrliches Erbe und meiner Seele bester Anteil, auf den allein meine Erwartung und meine Hoffnung gerichtet sind, in meiner Todesstunde bereite und ordne all das Meinige in deiner Güte und Milde, damit die Fahne deines kostbaren Kreuzes mir alsdann den festesten Schutz gegen alle Nachstellungen des Satans gewähre und die ruhmvollen Waffen deines siegreichen Leidens - die Nägel samt der Lanze - mir die sichersten Geschosse gegen seine tausendfältigen Ränke seien, auf daß, umgeben vom Wall deines siegreichen und liebreichen Todes und bezeichnet mit dem Kaufpreis deines kostbaren Blutes, während du mir Führer und Wegzehrung bist, ich sicher durch die enge Spalte des Todes hindurchschreite.
Und nun verlaß mich nicht, mein Heil, sondern erscheine mir in deiner Liebe, Güte und Barmherzigkeit, damit ich von Angesicht zu Angesicht dich schaue, Gott, meinen Geliebten, der du mich für dich erschaffen hast. Dort, o Schirmer meiner Seele, teurer Jesus, zeige mir im Spiegel deiner unverhüllten Anschauung die Herrlichkeit deiner Gottheit, damit von deinem seligen und herrlichen Lob mein Geist und meine Seele erfüllt werde und in Ewigkeit mein Herz sich erfreue in dir, meinem süßen Heiland.
Und meine Seele, die du erlöst, möge frohlocken ob der Güter deines Hauses, genährt mit der stärkenden Fülle der genießenden Anschauung deines honigfließenden Angesichts, erfreut und beglückt, den unzähligen Versuchungen und Schlingen des Teufels, der Welt und des Fleisches, sowie den Todesängsten entronnen zu sein, wie auch deinetwegen, mein süßester Anteil und glückseligstes Leben, den sie nun besitzen wird. Da, wo du in mir bist und ich in dir, unzertrennlich mit dir verbunden durch ewige Liebe, werde ich ob all der Guttaten, die du mir erwiesen hast, deinen Namen ununterbrochen preisen; denn du bist der Gott meines Lebens, der Erlöser und Geliebte meiner Seele.
(S. 118-121)
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Aus: Das neue Gertrudenbuch
von P. Willibrord Verkade OSB [1868-1946]
enthaltend St. Gertruds "Geistliche Übungen"
und Auszüge aus dem "Gesandten der göttlichen Liebe"
Zweite Auflage
Beuroner Kunstverlag Beuron / Hohenzollern 1935


 


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