Der Herr: (...) Wer
den Glauben nicht verloren hätte und die Wirkungen sehen wollte, die Gott
in den Menschen vermöge jenes Funkens der Liebe, den er in verborgener
Weise in ihr Herz gießt, hervorbringt, der würde ganz gewiß so sehr von
Liebe entflammt, daß er nicht länger leben könnte. Die Heftigkeit der
Liebe würde ihn in das Nichts auflösen. Allein obwohl das der Mensch
niemals begreift, so siehst du dennoch, wie in Folge dieser unbegriffenen
Liebe die Menschen verlassen die Welt, die Habschaft, die Freude, die
Verwandten, und alles Übrige, was ihnen theuer ist, und wie ihnen alle
Freudengenüsse zuwider sind. Vermöge dieser Liebe verkauft sich der Mensch
als Sklaven und bleibt Andern unterworfen bis zum Tode. Und so sehr nimmt
diese Liebe zu, daß er tausend Martern zu übernehmen bereitet ist, wie
dieß die Erfahrung zu allen Zeiten gezeigt und noch immer zeigt.
Du siehst, daß diese Liebe aus Thieren Menschen, aus Menschen Engel, aus
Engeln gleichsam Gott vermöge Mittheilung macht. Du siehst die Menschen in
Allem sich ändern, aus irdischen Wesen himmlische werden und mit Seele und
Leib in geistlichen Dingen sich üben. Du siehst sie ändern ihre Reden und
ihr Leben, und das Gegentheil von dem reden und thun, was sie vorher zu
reden und zu thun pflegten. Jedermann wundert sich darob und däucht ihm
eine vortreffliche Sache. Man beneidet sie, obwohl das Werk selber Niemand
versteht, als der es in sich selbst erfährt. Diese innige, eindringende
und süße Liebe, die der Mensch in seinem Herzen fühlt, läßt sich nicht
erkennen, schildern und verstehen, als aus der Einsicht, die der
Gemüthsaffect gewährt, in welchem der Mensch sich eingenommen, gebunden,
umgestaltet, zufrieden, ruhig und in den leiblichen Empfindungen
wohlgeordnet und ohne Widersetzlichkeit fühlt, so daß er Nichts besitzt,
Nichts will und Nichts verlangt. Er bleibt ruhig und befriedigt im
Innersten seines Herzens, und kennt nichts Anderes mehr. Er bleibt durch
einen sehr feinen Faden auf's Engste verbunden (mit Gott) und wird in
verborgener Weise von der Hand Gottes festgehalten, während er mit der
Welt, mit den Teufeln und mit sich selber kämpft und streitet. Er erkennt
sich zwar als sehr schwach, und fürchtet, weil er sich von keiner Seite
helfen kann, überall zu unterliegen; allein Gott läßt ihn nicht fallen.
Dieses ist jedoch noch nicht jene wahre (vollkommene) Liebe, welche du, o
Seele, zu kennen wünschest; sie ist es noch nicht. Dieselbe ist erst dann
vorhanden, wenn ich die Unvollkommenheiten des Menschen durch jene Mittel
und Wege, die sich mit der menschlichen Armseligkeit vertragen, sowohl im
Äußern als Innern weggeräumt und vertilgt habe. Das Übrige alsdann, was
man nicht sieht, betreffend, so verfahre ich in folgender Weise: Ich
steige nämlich mit einem sehr feinen Goldfaden, welches meine verborgene
Liebe ist, hernieder. An diesen Faden ist eine Angel gebunden, welche das
Herz des Menschen häckelt. Er fühlt sich dann verwundet, ohne zu wissen,
von wem er gefangen und gebunden sei. Er kann sich nicht bewegen; denn
sein Herz wird von mir, dem Gegenstande und Endziel (all seines Strebens)
gezogen, ohne daß er es begreift. Ich halte den Faden in der Hand und
ziehe den Menschen immer an mich durch eine so zarte und eindringende
Liebe, daß er sich überwunden gibt und ganz außer sich kömmt.
Gleichwie ein Aufgehängter, der mit den Füßen die Erde nicht berührt, in
der Luft an dem Seile hängt, durch welches er dem Tode anheimgefallen, so
hängt der Geist an jenem feinen Liebesfaden, durch welchen alle
verborgenen, feinen und unerkannten Unvollkommenheiten des Menschen
sterben; und Alles, was er dann liebt, liebt er mit der Liebe jenes
Fadens, von dem er sich gebunden fühlt. So wird auch alles Übrige, was er
thut und wirkt, mit jener Liebe gethan, gethan durch die Gnade, die man
gratum faciens heißt; denn Gott ist es, der mit seiner reinen Liebe wirkt,
ohne daß der Mensch sich einmenge. Nachdem Gott die Sorge für diesen
Menschen auf sich genommen und ihn ganz an sich gezogen hat, so wirkt
dieses Mittel (in ihm) und bereichert ihn mit seinen Gütern in solcher
Zunahme, daß er bei seinem Tode durch diesen Liebesfaden in den Abgrund
der Gottheit gezogen und in sich vernichtet wird, ohne es zu wissen. Und
obwohl der Mensch in diesem Zustande als eine todte, verlorne und
verächtliche Sache erscheint, so findet er doch sein Leben als ein in Gott
verborgenes, in welchem alle Schätze und alle Reichthümer des ewigen
Lebens sind. Niemand vermag es auszusprechen, ja nur zu denken, was Gott
dieser seiner geliebten Seele zubereitet hat.
(S. 327-329)
Drittes Hauptstück
Die Seele erkennt,
daß dasjenige, was sie unter dem
Scheine für Gottes Ehre that, aus der Eigenliebe hervorging.
Sie fühlt sich entsetzt bei der Anschauung der reinen Liebe,
und fragt, was es denn um diese Liebe sei.
Unser Herr antwortet ihr, daß sie dieses nicht
Begreifen könnte, und daß er, der die Liebe sei,
aus den Wirkungen erkannt werden könne.
Seele: (...) O
göttliche Liebe! Was kann ich noch mehr von dir sagen? Ich bin von dir
besiegt und überwunden. Ich fühle, daß ich sterbe vor Liebe, und fühle
doch die Liebe nicht; ich finde mich verloren in die Liebe, und kenne doch
die Liebe nicht; ich fühle, daß diese Liebe wirkt in mir, das Werk aber
verstehe ich nicht; ich fühle, daß mein Herz brennt von Liebe, das Feuer
der Liebe aber sehe ich nicht.
O mein Herr! Ich kann nicht aufhören, zu suchen nach einem Anzeichen
dieser Liebe, und obwohl ich durch das neue Licht, das du mir gezeigt
hast, völlig überwunden worden bin, so gebe ich doch die Hoffnung nicht
auf, fürder noch mehr inne zu werden von dieser Liebe, in welcher alles
Wünschenswerte des Himmels und der Erde enthalten ist, was den Menschen
erfreut, ohne ihn zu sättigen, und was in ihm den Hunger immer zunehmen
macht. Diese einfache und reine Liebe ist so süß und angenehm und dem
Herzen des Menschen so entsprechend, daß, wer nur einen Funken davon
gekostet hätte, nicht aufhören würde, ihm nachzugehen, sollte er auch
tausend Leben dafür lassen müssen.
Was ist doch diese Liebe, die Alles überwindet? Du, o Herr, hast mir
Vieles davon gesagt; aber es scheint mir allzuwenig zu sein. Da du mir den
flammenden Trieb verliehen, fürder noch mehr davon zu erforschen, so
glaube ich nicht, daß es vergeblich sei. Du hast mir befriedigenden
Aufschluß versprochen; bisher habe ich ihn noch nicht bekommen. Du hast
mir von dieser deiner einfachen und reinen Liebe einen Funken gezeigt, und
er entzündete in mir ein so großes Feuer, daß es mich verzehrt. Ich finde
keinen Ort der Ruhe auf Erden, und kann nichts Anderes mehr sehen und
empfinden. Vor Verwirrung bin ich außer mir. Ich weiß nicht, wo ich bin.
Ich bin so eingenommen, ergriffen und verwundet, daß ich sterben möchte,
und warte nur auf deine Fürsorge, die jedes auf das Heil zielende
Verlangen befriedigt.
Der Herr: O meine theure Seele! Du verlangst zu wissen, was du
nicht zu begreifen vermagst. Dein Trieb und dein Verlangen sind, insoferne
der Mensch noch im Fleische lebt, übernatürlich, in Hinsicht auf den
geistigen Theil aber und auf den Zweck, zu dem du erschaffen bist, sind
sie natürlich, weil ja die Liebe dein Anfang gewesen und deine Mitte ist
und dein Ziel sein muß, und du ohne Liebe nicht leben kannst, da sie dein
Leben in dieser Welt und in der andern ist. Deßhalb möchtest du, von
heftigem Verlangen entzündet, wissen, was es denn um diese Liebe sei;
allein du kannst es nicht verstehen mit dem Verstande, auch nicht mit dem
Geiste, auch nicht mit dem Maßstabe irgend welcher Liebe, die du haben
magst. Auch jene, die im Vaterlande sind, verstehen sie nur nach dem Maße
der Gnade und Liebe, die sie in diesem Leben gehabt haben, (aber nicht
weiter, und nicht in der Wesenheit).
Denn die Liebe bin ich ja Gott selber, der ich nicht anders als nur aus
den wunderbaren Wirkungen dieser großen Liebe, die ich beständig gezeigt
habe und fortwährend zeige, und die nicht nach Gebühr geschätzt und
gedacht werden können, begriffen werden kann. Und wenn ich der Seele einen
Funken meiner einfachen und reinen Liebe zeige, so fühlt sie sich
gezwungen, diese Liebe auf mich zu richten. Sie hat eine solche Kraft, daß
sie die Seele zwingt, für mich zu thun, was immer sie vermag, selbst den
Tod, ja tausend Tode, wenn sie könnte, mit endlosen Martern zu leiden. Aus
den Wirkungen, die meine Liebe in den Menschen hervorbringt, läßt sich
erkennen das Maß dieser Liebe, das ihren Herzen ist eingegossen worden.
Allein ich sehe, theure Seele, daß du nicht diese wirksame Liebe aus ihren
Erfolgen zu erforschen suchst, sondern daß du fragest nach jenem
lieblichen Tropfen, den ich in die Herzen meiner Auserwählten ausgieße,
und der die Seele sammt Geist und leiblichen Empfindungen schmelzen
macht, daß sie sich nicht mehr regen können. Die Seele bleibt durch diesen
Tropfen versenkt in jene Süßigkeit der Liebe; sie kann und weiß Nichts
mehr zu wirken; sie fühlt sich in sich vernichtet und jedem Geschöpfe
entfremdet, bleibt aber dabei zufrieden im Innersten ihres Herzens,
friedlich mit Jedermann. Sie hat Nichts mehr zu wirken, und ist ganz von
diesem Liebestropfen eingenommen, der sie befriedigt ohne Nahrung.
Entflammt ruft sie daher aus:
Seele: O Nahrung ohne Geschmack, o Geschmack ohne Lust, o Lust ohne
Speise, o Speise der Liebe, durch welche sich nähren die Engel, die
Heiligen, die Menschen! O selige Speise, wer dich kostet, er weiß es
nicht, welch kostbares Ding es um dich sei. O wahre Speise, die unser
Verlangen vollkommen befriedigt! Du löschest jedes andere Verlangen in uns
aus. Wer diese Speise kostet, schätzt sich glücklich, ob er auch in diesem
Leben sich befindet, wo uns Gott nur einen kleinen Tropfen zeigt. Würde er
uns ein wenig mehr zeigen, der Mensch würde sterben durch diese so zarte
und eindringende Liebe; der Geist würde so davon entflammen, daß der
schwache Leib sich auflösen müßte. O himmlische Liebe! O göttliche Liebe!
Du hast mir den Mund geschlossen. Ich vermag und weiß nicht mehr zu reden;
ich will nicht mehr suchen nach dem, was ich nicht finden kann, und bleibe
besiegt und überwunden.
(S. 330-333)
Viertes Hauptstück
Daß nur derjenige
Gott findet, der ein reines Herz hat.
Daß diese Liebe in verborgener und geistiger Weise
und ohne äußere Bethätigung wirkt.
Von einigen Wirkungen dieser Liebe.
Ausruf der Seele über diese Liebe.
Von ihren Eigenheiten.
Seele: O Liebe! Das Herz, das dich kostet, hat den Anfang des
ewiges Lebens schon in dieser Welt; allein du, o Herr, hältst diese
Wirkung ihrem Besitzer verborgen, damit er nicht durch Eigenliebe dein
Werk verderbe. O Liebe! wer dich fühlt, begreift dich nicht; und wer dich
begreifen will, der kann dich nicht erkennen. O Liebe, du unser Leben,
unsre Seligkeit, unsre Ruhe. Die göttliche Liebe bringt alles Gute mit
sich und entfernet alles Schlimme von sich. O Herz, von göttlicher Liebe
verwundet, du bleibst unheilbar und von dieser lieblichen Wunde bis zum
Tode geführt, beginnst du ein endloses Leben zu leben. O Liebesfeuer, was
thust du in diesem Menschen? Du läuterst ihn, wie das Feuer das Gold, und
dann führst du ihn mit dir in das Vaterland zu jenem Ziele, zu dem du ihn
erschaffen hast.
Die Liebe ist ein göttliches Feuer; und gleichwie das materielle Feuer
immer hitzt und seiner Natur gemäß wirkt, so wirkt auch im Menschen die
Liebe Gottes immer ihrer Natur gemäß. Sie schwingt sich auf nach ihrem
Ziele und hört von ihrer Seite aus niemals auf, zum Besten des Menschen,
von dem sie eingenommen ist, zu wirken. Und wer ihr Werk nicht fühlt, ist
selbst daran Schuld; denn Gott ändert sich niemals, dem Menschen Gutes zu thun, so lange er lebt, und ist immer von Liebe zu ihm eingenommen.
O Liebe! Ich kann nimmer schweigen und kann nicht, wie ich wünschte, reden
von deinen lieblichen und süßen Wirkungen; denn ich bin von allen Seiten
voll deiner Liebe, die mir einen gewissen Trieb einflößt zu reden, aber
dann kann ich doch nicht. Für mich alleine rede ich wohl mit dem Herzen
und mit dem Innern; allein wenn ich das Wort vorbringen und was ich
empfinde, sagen will, dann fühle ich mich gebunden und die schwache Zunge
versagt mir. Ich möchte dann schweigen; aber ich kann wieder nicht, denn
der Trieb zu reden, treibt mich fort. Wenn ich von dieser Liebe sagen
könnte, was ich in meinem Herzen fühle, ich glaube, jedes andere Herz
würde entflammt werden, so entfernt es auch von der Liebe wäre. Ehe ich
aus diesem Leben scheide, wünsche ich einmal von dieser Liebe reden zu
können, wie ich sie nämlich in mir fühle, und wie sie in mir wirkt, und
was sie verlangt von dem Menschen, in den sie sich ergießt und den sie so
ganz erfüllt, daß kein Theil übrig bleibt, der nicht voll dieser Süßigkeit
über alle Süßigkeit und voll unbeschreiblicher Freude ist, so daß sich der
Mensch um dieser Liebe willen lebendig verbrennen ließe. Denn Gott
vereinigt einen gewissen Eifer mit seiner Liebe, vermöge dessen er keine
Widerwärtigkeit achtet, wie groß sie auch sei.
O mächtige und süße Liebe! Selig der, welcher von dir in Besitz genommen
wird! Denn du stärkest ihn, schützest und wahrest ihn vor jeder
Widerwärtigkeit der Seele und des Leibes. Du leitest Alles gar lieblich
zum Ziele, und verlassest niemals den Menschen. Du bleibst ihm treu, du
gibst ihm Licht wider die teuflischen Kunstgriffe, wider die Bosheit der
Welt und wider uns selbst, die wir so voll der Eigensucht und
Verschlagenheit sind. Diese Liebe ist so wirksam und erleuchtend, daß sie
alle Unvollkommenheiten aus unsern verborgenen und geheimen Höhlen
hervorzieht und sie uns vor Augen legt, damit wir Mittel dagegen brauchen
und sie von uns abwaschen.
Diese Liebe, die unsern Willen leitet und regiert, damit er im Kampfe
gegen die Versuchungen tapfer und beharrlich sei, nimmt den Affect und
Verstand ein, daß sie nichts Anderes mehr suchen. Auch das Gedächtniß ist
davon erfreut. Nur mehr die Liebe ist jetzt Bewohner und Besitzer der
Seele, und gewährt niemand Andern mehr den Eingang. Die Liebe führt
beständig einen lieblichen Geschmack mit sich, von dem sich der Mensch
leiten läßt, und dieser Geschmack ist so stark, daß es keine Marter gibt,
die der Mensch nicht gerne auf dem peinvollsten Wege zum Heile auf sich
nimmt.
O Liebe! Wenn ich auch mit Worten von dir spreche, ich kann die Süßigkeit
und Lieblichkeit, die das Herz fühlt, nicht ausdrücken; sie bleibt im
Herzen verschlossen und entzündet sich durch das Reden auf das Neue. Wer
diese Worte ohne Gefühl der Liebe hört oder liest, der schätzt sie
freilich nicht hoch, und sie streichen wie ein Wind ohne Geschmack und
Lust an ihm vorbei; allein wenn ich die Freude, die Lust und die Wonne,
welche diese Lust ihren geliebten Herzen verleiht, ausdrücken könnte, dann
würde Jedermann, der diese Worte hört oder liest, davon unwiderstehlich
ergriffen werden. Denn sie ist ja dem menschlichen Herzen so angemessen,
daß es, sobald es deren Nähe fühlt, sich aufthut, um damit erfüllt zu
werden. Indessen kann Niemand mit dieser göttlichen Liebe erfüllt werden,
der sich nicht vorher jeder andern Liebe entleert hat. Allein wenn das
Herz nur einen kleinen Tropfen davon fühlt, so wünscht es so sehr, ihn zu
vermehren, daß es für Nichts achtet Alles, was es Wünschenswerthes gibt in
dieser Welt. Für diese Liebe bekämpft der Mensch seine bösen Gewohnheiten,
die ihn hindern, sie zu erlangen und ist immer bereit, alles noch so Große
für diese heilige Liebe zu thun.
(S. 334-336)
Fünftes Hauptstück
Andere Wirkungen der Liebe. Wie sie
wirkt,
wann sie will, und wie das Werk ganz das ihrige ist.
Von den Werken, die für die Liebe, in der Liebe
und von der Liebe vollbracht werden.
Erklärung derselben.
O Liebe! Durch deine Anmuth
und Holdseligkeit brichst du die Herzen, die härter als Diamant sind, und
machst, daß sie schmelzen wie Wachs am Feuer. O Liebe! Du machst, daß die
Größten sich für die Kleinsten auf Erden und die Reichsten für die Ärmsten
in der Welt ansehen. O Liebe! Du machst, daß die Weisesten als Thoren
erscheinen, und nimmst den Gelehrten die Wissenschaft, um ihnen dafür eine
Erkenntniß zu geben, die jede andere Erkenntniß übertrifft. O Liebe! Du
verscheuchest aus dem Herzen jeden Trübsinn, jede Härte, jede Selbstsucht,
jede weltliche Lust. O Liebe! Du machst aus den Bösen Gute, aus den
Arglistigen Einfältige. Durch deine sinnreichen Kunstgriffe stiehlst du
dem Menschen seinen freien Willen, so daß er sich zufrieden gibt,
von dir allein geleitet zu werden, weil ja du unsre Führerin bist.
O Liebe! Deine Wirkungen sind der Erde fremd, und deßhalb machst du den
Menschen aus einem irdischen Geschöpfe zu einem himmlischen, zu einem, der
für menschliches Wirken untauglich ist und nimmst ihm alle Weisen
irdischer Bethätigung. O Liebe! Du thust alles zu unserm Heile Gehörige,
was wir ohne dich zu thun nicht vermögen und verstehen.
O Liebe! Dein Name ist so lieblich, daß er Alles versüßt. Süß ist der Mund
desjenigen, der dich nennt, besonders wenn die Worte aus einem Herzen
kommen, das voll deines lieblichen Saftes ist, der den Menschen
wohlwollend, sanft, liebenswürdig, freundlich, großmüthig und dienstfertig
macht.
O Liebe! Wenn du mit deinem lieblichen und reizvollen Pfeile auf was immer
für eine Weise in das Herz des Menschen einzudringen vermagst, und dieses
von keiner Liebe eingenommen und erfüllt ist, so hat dein Funke, wie er
klein sein mag, eine solche Gewalt, daß das Herz Alles für dich fahren
läßt.
Diese Liebe macht, daß jede Bitterkeit und Widerlichkeit süß und lieblich
erscheint. O Liebe! Welch süße Lieblichkeit und welch liebliche Süßigkeit
führst du mit dir! Du bist das Gemeingut Aller, und in je mehr Geschöpfe
du dich ergießest, desto mehr wird dein Wille vollbracht. Und je mehr der
Mensch diese deine liebliche Glut erkennt und spürt, desto mehr wird er
davon entflammt und desto mehr verlangt er darnach. Er begehrt keine
andere Probe davon, als die er (bereits) fühlt, ohne eine Vernunfteinsicht
darüber vorlegen zu können. Die Liebe entreißt die Vernunft und auch den
Willen, und bleibt Herr vom ganzen Menschen, und thut ganz nach ihrem
Belieben mit ihm, wie und wann sie will, und das Werk bleibt ganz ihr
Werk; denn alsdann geschehen alle Werke entweder für die Liebe oder in der
Liebe, oder durch die Liebe. (...)
O Liebe! Du erfüllst das Herz des Menschen, aber bist so groß, daß er dich
nicht fassen kann. Er gibt sich zwar ruhig, fühlt sich aber nicht
befriedigt. Mittels des Herzens ergreifst und besitzest du den Menschen
und lassest nichts Anders, als dich dahin eingehen. Mit einem festen Bande
bindest du alle Empfindungen der Seele und des Leibes. O liebliche
Knechtschaft der Liebe, die den Menschen in dieser Welt frei und zufrieden
in der andern ohne Ende selig macht!
O Liebe! Dein Band ist so lieblich und stark, daß es die Engel und
Heiligen miteinander verknüpft. Es bleibt fest und knapp und bricht
niemals. Die mit dieser Kette gebundenen Menschen sind so innig vereinigt,
daß sie nur Einen Willen und Ein Absehen haben. Alles scheint unter ihnen
gemein zu sein, Zeitliches wie Geistliches. In dieser Verbindung macht man
keinen Unterschied zwischen Reichen und Armen, zwischen Nation und Nation.
Aller Gegensatz bleibt ausgeschlossen; die Liebe macht alles Krumme gerade
und macht Eins, was entzweit ist.
(S. 336-339)
Siebentes Hauptstück
Unser Herr fragt die Seele um die
Liebe, die sie fühlt.
Von den Worten, die er zu ihr spricht.
Die Seele antwortet, so gut sie es vermag,
kann aber das Gefühl und die Liebesentflammung
nicht aussprechen. Sie fragt unsern Herrn,
wie denn eine von Liebe eingenommene Seele
noch auf Erden leben könne.
Von den Eigenschaften derselben.
Seele: Ich vernehme wohl gewisse Worte, aber nur im Innersten
meines Herzens, welches sich vom Liebesfeuer entzündet fühlt. Diese Worte
und dieses Gefühl der Liebe vermag ich nicht auszusprechen, da es nicht
Worte gleich andern Worten sind. Sie öffnet mir das Herz und gießt da so
gnadenreiche Erkenntnisse ein, daß es ganz von Liebe entflammt und sich
verzehrt; es weiß aber in Sonderheit weder Worte, noch Feuer, noch Liebe
zu unterscheiden. Das Herz ist nur von einer liebeseligen Freude
ergriffen, eingenommen und festgehalten.
Die Seele sieht nicht, wie dieses Werk vor sich geht, obschon sie bei
solcher Heimsuchung wohl begreift, daß die Liebe ihr alle erdenkliche
Zärtlichkeit erweiset, welche nur immer ein wahrer Freund seinem Freunde
erweiset, wenn die Liebe so groß ist, als man sich nur immer denken kann.
Bei diesem Werke schmilzt die Seele, wird der Erde enthoben, geläutert,
vereinfacht, getröstet, gestärkt, immer von der Liebe angezogen, immer
noch mehr entflammt vom Feuer der Liebe. Doch wird sie nicht lange
in diesem so eindringenden und starken Brande belassen, da die menschliche
Natur diese Heftigkeit der Liebe nicht ertragen könnte. Es bleibt ihr nur
ein beständiger Eindruck davon im Herzen, so daß sie gleichsam immer in
Gott lebt mit dieser Liebe.
O Liebe! Du verschlingst in dir dieses Herz und lassest die menschliche
Natur einsam auf Erden, wo sie keinen Ort und keine Ruhe findet. Sie
erscheint als eine Verbannte, weil sie jeden Gegenstand (des Genußes)
verloren, sei er vom Himmel, sei er von der Erde.
O Liebe, so entzündet und eingenommen für diese Seele, in welcher du so
große Liebeswerke vollbringst! Ich möchte wissen, wie denn diese Kreatur
auf Erden der Seele und dem Leibe nach lebe, welches denn die
Eigenschaften (dieses ihres Lebens) seien, und wie sie denn (zu gleicher
Zeit) im Himmel und mit den Geschöpfen auf Erden im Verkehre sei. Denn ich
sehe sie ein Leben führen, das sehr verschieden vom Leben der Übrigen ist
und mehr zur Bewunderung als zur Erbauung gereicht. Sie achtet Nichts mehr
hoch und scheint Herrin des Himmels und der Erde zu sein, so arm sie ist.
Von Wenigen vermag sie verstanden zu werden. Sie hat eine große Freiheit
und ist ohne Furcht, daß ihr Etwas abgehen möchte. Sie hat Nichts und
scheint doch Alles ihr zu gehören.
(S. 342-343)
Achtes Hauptstück
Zustand der von Liebe eingenommenen
Seele.
Wie Gott es verschiebt, ihr die Erkenntniß
ihrer Fehler zu verleihen, weil sie es
nicht ertragen könnte. Sie hat keine Ruhe,
wenn sie Verdacht hat, es möchte ein Fehler
vorhanden sein, über welchen der Geist
noch keine Genugthuung erhalten hätte.
(...) O wer die süßen Vertraulichkeiten sehen und die Flammenworte hören
und diese freudige Begeisterung fühlen könnte, in welcher man Gott und
Mensch nicht mehr unterscheidet und das Herz in einem solchen Sein sich
bethätigt fühlt, daß es ihm vorkommt, Gott habe seinen geliebten Seelen
ein kleines Paradies als Vorspiel des wahren und großen Paradieses
gesendet, mit großen Zeichen der Liebe, die nur jenen Liebenden bekannt
sind, die sich in das Meer der göttlichen Liebe verabgründet und darin
ertränkt haben.
O Liebe! Dieses Herz, das du besitzest, ist so hocherhaben und so groß
durch den inneren Frieden, daß es lieber eine große Marter dafür
übernehmen, als ohne ihn bleiben wollte, was immer für ein Gut des Himmels
oder der Erde sie hätte. Gleichwohl wird dieser Friede von Niemand
geschätzt, als der ihn erfährt und kostet. Ein Herz, das sich in Gott
befindet, sieht alles Geschaffene unter seinen Füßen, nicht aus Stolz oder
Hochmuth, sondern vermöge der Einigung, in die es mit Gott getreten ist.
Denn kraft dieser betrachtet es Alles, was von Gott ist, als Eigenthum, ja
es sieht, kennt und weiß Nichts mehr, als Gott. Ein Herz, das von
Gottesliebe eingenommen ist, kann nicht überwunden werden, da Gott seine
Stärke ist. Du kannst es nicht schrecken mit Hölle, nicht erfreuen mit dem
Paradiese. Denn es ist so geordnet, daß es Alles, was ihm gefällt, von
Gottes Hand annimmt, und dadurch mit der ganzen Welt und mit dem Nächsten
gleichsam in unzerstörlichem Frieden bleibt. So ist es von Gott in sich
geordnet und gefestigt.
Seele: O Liebe! Wie nennst du jene deine geliebten Seelen?
Der Herr: Ego dixi: Dii estis et filii Excelsis omnes. Ps. 91 (Ich
sagte: Götter seid ihr und Kinder des Allerhöchsten Alle.)
Seele: O Liebe! Du vernichtest deine Liebenden in sich selbst, und
hernach stellest du sie dir selbst wieder her als wahrhaft und vollkommen
freie Leute, die da Herren ihrer selbst sind. Sie wollen nur, was Gott
will. Alles Andere ist für sie ein lästiges Hinderniß.
O Liebe! Ich finde keine geeigneten Worte, um deine gütige und liebliche
Herrschaft, deine starke und sichere Freiheit, deine so süße und anmuthige
Holdseligkeit auszudrücken. Was immer der wahrhaft Liebende sagt von der
Liebe, es reicht niemals an das was er sagen möchte. Er sucht
Liebesausdrücke, die dieser Liebe entsprechen, aber er findet sie niemals.
Denn die Liebe mit ihrem Wirken ist unendlich, und unsere Sprache ist
nicht nur endlicher Art, sondern auch sehr schwach und kann sich niemals
genügen und fühlt sich beschämt, da sie nicht aussprechen kann, was sie
möchte. Aber obgleich Alles, was der Mensch spricht, wie Nichts ist, so
richtet er sich doch durch dieses Sprechen von dem, was das Herz fühlt,
gewissermaßen auf das Neue empor, um nicht zu sterben vor Liebe.
Was sagst du, o mein Herr, von dieser deiner geliebten Seele, die so sehr
von Liebe zu dir eingenommen ist?
Der Herr: Ich sage, sie ist ganz mein. Und du, o Seele, was sagst
du von diesem deinem Herzen?
Seele: Ich sage, mein Gott ist von Liebe verwundet, und ich lebe in
ihm freudig und zufrieden.
(S. 344-346)
Dreizehntes Hauptstück
Daß sich die Liebe nicht
begreifen läßt,
und das Herz, welches davon erfüllt ist,
freudig und zufrieden lebt.
Von der großen Barmherzigkeit, welche Gott
dem Menschen in diesem Leben erzeigt.
Daß seine Gerechtigkeit in dem Augenblick erscheint,
in welchem die Seele vom Leibe getrennt wird
und hingeht an den Ort, der für sie bestimmt ist.
Daß die Seele ihre Ruhe nur in Gott haben kann.
O mein Herz! Was wirst du sagen von dieser Liebe? Was fühlst und
empfindest du davon? Ich sage: Meine Worte sind innere Jubilirungen, für
die es keine geeigneten Ausdrücke gibt. Nicht aus äußeren Zeichen, selbst
nicht aus Martern, (wenn sie gleich aus Liebe zu Gott erduldet werden,)
wird man diese Liebe begreifen können; nur der, welcher sie fühlt und
empfindet, kann Etwas davon begreifen. Alles, was man von der Liebe sagen
kann, ist Nichts, denn je weiter man darin geht, desto weniger man davon
versteht; allein das Herz ist voll und zufrieden, und sucht nichts Anderes
und möchte nichts Anderes finden, als was es wirklich fühlt. Alle ihre
Worte sind innig, wonnereich, lieblich und so zartgeistig, geheimnißvoll
und geeinigt mit dem, der sie eingibt, daß nur das Herz in seinem
Innersten, weil es mit Gott vereinigt ist, sie versteht. Allein nur Gott
ist es, der sie begreift; das Herz empfindet wohl, begreift aber nicht.
Und so bleibt das Werk in Gott und der Nutzen im Menschen; allein dieser
innige Liebesverkehr, welchen Gott mit dem Herzen des Menschen hat, bleibt
verborgen zwischen ihnen, zwischen Gott nämlich und dem Herzen.
(S. 356-357)
aus: Leben
und Schriften der heiligen
Katharina von Genua
Deutsch bearbeitet von Peter Lechner [1805-1874]
Regensburg Druck und Verlag von Joseph Manz 1859