Gottesliebe

Worte der Liebe
aus der islamischen Welt
 

 

 




Mahmud Shabistari
(Mahmud Schebisteri)
(1288-1340)


Rosenflor des Geheimnisses


Im Nahmen des Königs, der ohne Gleichen (Gottes)

Im Nahmen dessen, der die Seele denken lehrte,
Die Seelenlampe mit dem Herzenslicht verklärte;

Die beyden Welten sind von Seiner Huld erhellt,
Zum Rosenflor ward durch Ihn der Staub im Feld.

Er, der in Einem Nu durch Seine Schöpfermacht,
Die Welt durchs Schöpfungswort: Du sey hervorgebracht,

Als Seiner Allmacht Hauch der Feder sich entwand,
Ein tausendfach Gemähld' im Feld des Nichts entstand;

Das Weltenpaar entstand aus diesem mächt'gen Hauch,
Des Menschen Seele ging hervor aus diesem auch.

Vernunft und Urtheilskraft in Adam offenbar,
Er wußte was der Grund von allen Dingen war;

Als er dann in sich selbst bestimmtes Wesen sah,
Da dachte er: wer bin denn ich? wie bin ich da?

In Einem schwang er sich vom Theil zum Ganzen auf,
Und richtete zur Welt dann wieder seinen Lauf.

Er sah Erscheinung sey der Welten Vielerley
Und daß die Einheit nur der Grund der Dinge sey.

Die Welt, die mystische des Seyns aus Einem Hauch,
Der dann woher er kam, dahin zurückkehrt auch.

Doch ist der Ort der Welt ein stätes Geh'n und Kommen,
Und wenn du's recht besiehst, so ist das Seyn nur Kommen,

Die Dinge kehren all zu ihrem Grund dem wahren,
Und Eins sind die verborg'nen und die offenbaren.

Gott ist der Ewige, Er, der mit Einem Hauch
Die beyden Welten schafft, und sie vernichtet auch.

Die Welt der Wirklichkeit, die mystische sind Eines,
Das Wenige wird viel, das Viele wird nur Eines.

Durch deine Phantasie wird Vielheit ausgeprägt,
Ein einz'ger Punct ist's nur, der sich im Kreis bewegt,

Und Eine Linie nur vom Anfang bis zum Ende,
Auf der sich das Geschöpf, die Welt bewegt behende.

Auf diesem Wege sind Wegweiser die Propheten,
Des Wegs Erfahrene, die kundig ihn betreten,

Und unser Cid (der Herr) an ihrer Spitze steht,
Er, der der erste, dort, und hier der letzte geht.

Das M im Wort Ahmed bezeugt die Einigkeit,
Und an die erste ist geknüpft die letzte Ainigkeit,

Geschlossen ist durch Ihn der Ruf des Wegs zu Gott,
Er ist die Station des Worts: ich ruf zu Gott,

Versammlung der Versammlungen ist seine Stätte
Und Seine Schönheit ist das Licht bey dem Gebethe,

Er geht voran, die Herzen folgen in dem Raum,
Die Seelen haben all ergriffen Seinen Saum.

Die Heiligen von vorn und hinten geben Kunde
Von seiner Station und seines Wallens Runde;

Mit sich bekannt sind sie die wahr Benennenden,
So des Erkannten als auch des Erkennenden,

Der Eine ruft: ich selbst bin Gott, mich bethe an,
Von Nah und Ferne spricht der And're und vom Kah.
[Kah: Kahn]

Der eine hat dich positive Wissenschaft,
Den Nachen aus dem Meer' ins Trockene gerafft,

Der Eine schließet still als Muschel Perlen ein,
Dem anderen genügt der Perlen matter Schein.

Der Eine nimmt vom Theil wie von dem Ganzen Wort,
Von dem, was war und ward, spricht der nur fort und fort.

Der Eine spricht vom Maal, vom Flaume und vom Haar,
Der And're macht was Wein und werde Kerze klar.

Der Eine spricht vom Seyn nach seinem dunklen Wahn
Und der von Götzen spricht, zieht sich als Mage an,
[Mage: Magier]

Die Worte, die nach Maß der Stationen fallen,
Die sind's, die zu verstehn dem Menschen schwierig fallen,

Wer über das, was hier gesaget, wird erstaunt,
Dem ist zu wissen noth, was hier wird eingeraunt.

 

Anlaß der Dichtung des Buches

Es war im Mond Schewwal, als von der Hidschret Jahren
Nach siebenhundert siebzehn noch verflossen waren,

[Schewwal: 717 = December 1317]

Da kam mit tausend Huld ein abgesandter Mann,
Zum Dienst der Frömmigkeit, geschickt aus Chorasan,

Ein Großer, welcher dort berühmt und strahlenhell,
Durch seine Tugenden des Lichtes reiner Quell,

Es sprach ganz Chorasan, die Kleinen und die Großen,
Der Beste ist er wohl von allen Zeitgenossen.

Es fanden sich im Brief gar viele Schwierigkeiten,
Zu deren Lösung nur der Heil'gen Winke leiten,

Das Schreiben war gereimt, es waren Frag' auf Fragen,
In Worten wenigen, in denen Welten lagen.

Durch einen Zufall las der Both' des Schreibens Kunde,
Die ging dann alsogleich durch's Land von Mund zu Munde,

Die Hochgeehrten all' der Stadt versammelt waren,
Die Augen all' auf den Derwisch gerichtet waren,

Darunter war ein Mann in Sachen viel erfahren,
Der hundertmal von mir gehört den Sinn den wahren.

Er sprach zu mir: Von dir die Antwort sey bestellt,
Daß Nutzen möge d'raus abziehen sich die Welt.

Ich sprach: Was hat es Noth, indem ich diese Fragen
In viel Tractaten schon erörternd ausgetragen.

Er sprach: Ja wohl! du wirst, hoff' ich, auf diese Fragen,
Die alle sind gereimt, gereimte Antwort sagen.

Da er mir solchen Vers auf's dringendste ansann,
Ich in gedrängtem Wort die Antwort d'rauf begann.

In Einem Augenblick sprach ich in freyem Kreise,
Nicht lang bedenkend mich, nicht wiederhohlterweise,

Man möge nun mit Huld und Gnade mich begleiten,
Nachsichtig mir verzeih'n der Fehler Kleinigkeiten.

Sie wissen alle wohl, daß ich in meinem Leben
Mir vorgenommen nie mich Versen zu ergeben,

Und wenn ich von Natur zum Dichten auch bereit,
So ist gar selten doch hiezu Gelegenheit.

Wiewohl in Prose ich geschrieben manches Buch,
So galt dem Doppelreim doch nie noch mein Versuch.

Dem Sylbenmaß, dem Vers ist nicht der Sinn gemäß,
Und nicht ein jeder Sinn paßt in des Reims Gefäß;

Buchstaben stimmen oft nicht überein mit Dingen,
Das kasp'sche Meer läßt sich in ein Geschirr nicht bringen;

Wie soll ich, da mich schon, die Wort' in Prosa engen,
Durch Reim und Sylbenmaß den Sinn noch mehr bedrängen!

Dieß sag' ich nicht aus Ruhm, ich sag's aus Dankbarkeit,
Weil mir der Mann von Herz so leichter dann verzeiht.

Ich schäme mich deßhalb der eignen Verse nicht,
In tausend Jahren herrscht Ein Attar im Gedicht.

Und lägen hier versteckt Geheimnißwelten hundert,
Sind's nur Ein Hauch des Dufts, den man in ihm bewundert.

Dies Alles sprach ich nur, wie's mir ein Zufall gab,
Nicht wie der Diw das Wort der Engel wandelt ab.

Ich schrieb die Antwort dann nach jenes Freunds Begehr,
Eins nach dem anderen, nicht minder und nicht mehr.

Der Bothe nahm den Brief mit Ehren und Geschick,
Und ging des Wegs, den er gekommen war, zurück.

Es stellt ein andermahl der Freund mir das Begehren,
Der Antwort Distichen mit and'ren zu vermehren.

Er sprach zu mir: Du mußt, was du gesagt, erläutern,
Den Quell der Wissenschaft zum Quell des Sinns erweitern.

Ich sah zu dieser Zeit die Möglichkeit nicht ein,
Mich voll Begeisterung Zusätzen nun zu weih'n,

Beschreiben kann ich nicht, wie mir's zu Muthe war,
Nur dem Begeisterten ist dieser Zustand klar.

Doch nach dem Wort, bekannt aus des Propheten Sagen,
Konnt' ich beweisen nicht, um was die Gläub'gen fragen.

Damit erhelle mehr, was das Geheimniß sey,
Begann zu sprechen dann des Genius Papagey.

Mit Gottes Hülf und Huld und seiner Gnade Leitung
Sprach ich's in kurzer Zeit und ohne Vorbereitung.

Das Herz hob sich zu Gott um Titel nun empor,
Da kam Eingebungswort: es heiß' der Rosenflor.

Da Gott den Titel selbst als Rosenflor bestellt,
So wird des Herzens Aug' durch selben aufgehellt.


Erste Frage

In meinen eigenen Gedanken ganz versenkt,
Frag' ich zuerst, was man sich bey Betrachtung denkt.


Antwort auf die erste Frage

Du sagtest mir: Sag' an, was der Betrachtung Sinn,
Indem gefallen ich in das Erstaunen bin.

Betrachtung heißt der Gang von Nichtigem zur Wahrheit,
Heißt schau'n in Einem Theil des Ganzen volle Klarheit.

Die Philosophen, die hierüber viel gelehrt,
Sie haben dieses so nach ihrer Art erklärt:

Wenn in des Herzens Grund Vorstellung ist zur Hand,
Wird von den Mysten sie Erwähnung beygenannt;
[Mysten: Mystiker]

Geht die Betrachtung dann in den Gedanken ein,
So wird dieß Übergang genennet insgemein;

Die Überlegung mit Vorstellung Hand in Hand,
Wird von Vernünftigen Betrachtung dann genannt.

Durch die Anordnung von Vorstellung, die bekannt,
Wird Unverstandenes, Verstand'nes dem Verstand,

Der Vater Vordersatz, der Nachsatz Mutter heißt,
Das Resultat der Sohn, o brüderlicher Geist.

Was und Wie erheischt Anwendung der Gedanken,
Und die erfordert dann der Gebrauch des Kanons Schranke.

Ein andermahl, wenn nicht die Leitung Gottes lenkt,
Ist nachgemacht, was sich der Mensch als eigen denkt.

Der Weg ist lang und weit, deßhalben lege ab,
Leg' ab für eine Zeit, wie Moses, deinen Stab.

Begebt euch kurze Zeit in's Thal der Sicherheit,
Und hört den Ruf: daß ihr von Gott und Gottes seyd.

Des Wahrheitsforschers Blick, der Einheit hat geschaut,
Fällt auf das Licht zuerst, was aus dem Daseyn thaut.

Wer der Erkenntniß Licht, das reine, hat geseh'n,
Der hat in jedem Ding vor Allem Gott geseh'n.

Wer gut zu denken wünscht, dem thut Entäuß'rung noth,
Betrachtendem genügt ein Blitzesstrahl von Gott.

Wem Gott der Herr nicht selbst anzeigen will die Pfade,
Den führt als Leiterinn die Logik nicht gerade.

Der Philosoph, der sich der Weisheit staunend weiht,
Sucht in den Dingen Nichts als ihre Möglichkeit,

Er schließt von Möglichkeit auf das Nothwendige,
Und staunt das Wesen an das Urnothwendige.

Bald kehrt er in dem Kreis des Schlusses um mit Bangen,
Bald liegt er in dem Band von Kettenschluß gefangen.

Indem sich mit dem Seyn befassen will Verstand,
Verwirret sich der Fuß im Kettenschluß gebannt.

Die Dinge werden sonst durch Gegensatz nur klar,
Doch Gleichen kennt nicht Gott, der ewig ist und klar.

Da Gott nicht Gegensatz, nicht seines Gleichen hat,
So weiß ich nicht, wie da Erkenntniß findet statt.

Von dem Nothwendigen ist Mögliches nicht Muster,
Wie wird der Suchende hierin ein Klarbewußter!

O des Unwissenden! der mit dem Kerzenbrand
Das Licht der Sonne sucht im wüsten Steppenland.



Erste Vergleichung

Wenn stets an Einem Platz die Sonne bliebe nur,
So wär' kein Unterschied in ihres Strahls Natur.

Es wüßte Keiner je, was diese Strahlen nähre,
Und zwischen Mark und Haut kein Unterschied dann wäre.

Von Gottes ew'gen Licht ist diese Welt nur Glanz,
Und offenbar ist Er in ihr verborgen ganz.

Unübertragbar ist von Gottes Licht der Schatz,
Deßhalben hat darin Veränderung nicht Platz.

Du wähnest, daß die Welt für sich sey unbeständig,
Daß durch ihr Wesen sie von selber sey lebendig;

Die durch Vernunft allein in weite Ferne sehen,
Sie müssen zweifelsohn' weit in die Irre gehen,

Vernunft, die ferne sucht, führt auf Irrwege zwey,
Auf Seelenwanderung und auf Philosophey.

Vernunft kann nicht den Glanz von diesem Licht ertragen,
Du mußt, um es zu schau'n, ein and'res Auge fragen.

Auf beyden Augen schielt, du weißt's, Philosophie,
Sie kann deßhalben Gott als Eins - erkennen nie.

Die Urtheilskraft allein ist Blinden zu vergleichen,
Einaugigte sind die, so an die Einsicht reichen.

Die Seelenwanderung ist eitles Resultat,
Weil sie im engen Aug' nur ihren Ursprung hat.

Dogmatiker, der all' der Tugenden beraubt,
Sich an die Dogmen hält, die nur der Ketzer glaubt,

Er ist, Triefaugiger, der nur nach außen flieht,
Der nur das Äußere der Gegenstände sieht.

So Metaphysiker, der Nichts von Einheit kennt,
Und in dem Finstern nur nach Nachgeahmtem rennt,

Was sie da sagen, sey es wenig oder viel,
Wird ihrem Aug' gesteckt von ihnen selbst zum Ziel,

Erhaben stehet Gott hoch über Was und Wie,
Erhaben über dem, was von Ihm sagen sie.



Zweyte Frage

Welch ein Gedanken ist Bedingung auf dem Pfade,
Denn was wir denken, ist bald Sünde und bald Gnade.


Antwort auf die zweyte Frage

Die Wallenden der Huld an Gott nur denken sollen,
Doch Sünde ist das Seyn von Gott zu denken wollen.

[Bezieht sich auf die Worte des Propheten:
Gedenkt an die Wohlthaten Gottes
und gedenkt nicht an das Wesen Gottes]

Nur nichtig Denken ist, zu denken Gottes Wesen,
Unmöglich ist's daraus ein Resultat zu lesen.

Die Zeichen werden all' durch's Wesen aufgehellt,
Doch durch die Zeichen dieß in Klarheit nicht gestellt;

Aus seinem Lichte ging hervor die ganze Welt,
Wird aber wohl durch sie Gott jemahls aufgehellt?

Entlasse die Vernunft und wende dich zur Wahrheit,
Das Aug' der Fledermaus erträgt nicht Sonnenklarheit,

Dort wo Beweise gibt von Gottes Seyn das Licht,
Was ist es da wohl noth, daß Gabriel noch spricht?

Wiewohl an Gottes Thron der Engel nahe steht,
So faßt er nicht das Seyn von Gottes Majestät;

Indem Sein Licht versengt des Engels Schwing' und Flügel,
Verbrennt es der Vernunft, so Kopf als Fuß und Bügel,

Das Licht von der Vernunft dem ew'gen Licht verglichen,
Ist wie das Aug' im Kopf dem Sonnenaug' verglichen.

Wenn das Gesehene dem Sehenden zu nahe,
Vermag die Sehkraft nicht, daß sie das Ding umfahe.

Das Schwarz im Auge ist im Grund vom Lichte hell,
Im Land der Finsterniß entspringt des Lebens Quell,

Da nicht des Auges Schwarz verleiht demselben Licht,
So siehe drüber 'naus, wo Ort zu sehen nicht.

Wie ist mit reiner Welt der niedre Staub verwandt?
Durch Einsicht wird der Grund der Tiefen nicht erkannt.

Vom Möglichen kann sich in beyder Welten Festen
Das Finst're trennen nicht, dieß weiß der Herr am besten.

In beyden Welten ist der Armuth schwarz Gesicht
Als höchstes Schwarz geschätzt, denn höh'res gibt es nicht.

Was soll ich sagen noch? es ist dieß Wort das feine,
Gleich einer hellen Nacht in finstrem Sonnenscheine.

Auf diesem Schauplatz, wo Verklärungslichter lagen,
Hab' ich der Worte viel, doch mag ich sie nicht sagen.


Zweyte Vergleichung

Wenn seh'n du willst das ew'ge Licht der Sonn' in Gott,
So thuet dir, mein Freund, ein and'res Auge noth.

Wenn in die Sonne nicht vermag das Aug' zu schauen,
So kannst die Sonne du doch in dem Wasser schauen.

Je weniger sie dir im Wasser hell erscheint,
So länger kannst du sie darin betrachten, Freund.

Das Nichts ist Spiegel nur des Seyns des absoluten,
Aus welchem wiederstrahlt der Glanz des ewig Guten.

Entgegensteht dem Nichts als Licht das ew'ge Seyn,
Von beyden wirft zurück Begeisterung den Schein.

Aus dieser Einheit geht die Vielheit dann heraus,
Und wenn du zählest Eins, so werden Viele draus.

Wiewohl daß jede Zahl mit Einheit muß anfangen,
So kann sie doch zuletzt an's Ende nicht gelangen.

Ist in sich selber rein das selbstvernünft'ge Wesen,
So wird verborgner Schatz aus selbem aufgelesen.

Lies nur der Sage Wort: ich war verborgner Schatz,
So findest du sogleich Geheimniß auf dem Platz.

Der Spiegel ist das Nichts, die Welt der Wiederschein,
Der Mensch das Aug', die Welt sie spiegelt sich darein.

Des Wiederscheines Aug' bist du, Er ist das Licht,
Du schauest durch das Aug' im Aug' das Augenlicht.

Die Welt ist nur ein Mensch, der Mensch ist eine Welt,
So ist Erklärung hier auf's klarste dir gestellt.

Wenn du was hier gesagt, beym Lichte recht besiehst,
So findest du, daß Aug' und Licht dasselbe ist.

Der Überlief'rungsspruch erklärte diesen Sinn,
Und ohne Ohr und Aug' erfaßt du was darin.

Ein Spiegel ist die Welt vom Fuß bis zum Genick,
Und hundert Sonnen strahlt Ein Stäubchen bloß zurück.

Wenn Einem Tropfen du das Herz entzwey willst spalten,
So werden Meere sich wohl d'raus entfalten.

Und willst du dein Gesicht dem Stäubchen nur zuneigen,
So werden sich darin wohl tausend Menschen zeigen.

In einer Mücke Glied sind Elephanten viele,
Ein einz'ger Tropfen Thau erzeuget mehre Nile,

In einem einz'gen Korn verbergen sich viel Scheuern,
Aus Einem Hirsekorn kann sich die Welt erneuern.

Im Mückenflügel liegt ein ganzes Weltgewimmel,
In einem einz'gen Punct des Leibes liegt der Himmel.

So klein geschaffen ward des Herzens grünes Korn,
So ist's als Station für beyde Welt gebor'n;

Versammelt ist darin die Kraft der beyden Welten,
Bald macht der Teufel sich und bald der Mensch sich gelten.

Sieh, wie in dieser Welt, vermischt vom Kopf zum Fuß,
Der Engel mit dem Diw, mit Teufeln Genius.

Sie sind vermenget all' wie Körner mit der Frucht,
Verruchte, Gläubige, sind gläubig und verrucht.

Beysammen finden sich im Punct der Gegenwart
Der Tag, der Mond, das Jahr und Stunden aller Art.

Von Ewigkeit fiel schon zusamm' in Einer Wendung
Die Schöpfung Adams und des Herren Jesus Sendung.

Aus einem einz'gen Punct der Kette der Aionen
Entfalten tausendfach sich Völker, Regionen.

Und wenn der Punct im Kreis zu sich zurückgekehrt,
Ein jeder Mittelpunct als Umkreis sich umfährt.

Wenn du nur Einen Staub verrückst von seinem Ort,
So muß die ganze Welt zu Grunde geh'n sofort.

Im Wirbel drehet sich verliebt die ganze Welt,
Doch außer Möglichkeit ist nicht ein Theil gestellt.

Das Individuum ist in sich selbst gefangen,
Verzweifelnd, daß ein Theil das Ganze kann erlangen.

Du möchtest sagen, daß sie wandeln als gefangen,
Daß sie entkleidet sind und an dem Kleide hangen,

Beständig aufgeregt, beständig doch in Ruh',
Nicht Anfang, Ende nicht hat diese Weltenfluh';

Mit ihrem Wesen ist doch jegliche bekannt,
Weil eine jede sich dem Throne zugewandt.

Zu jedem Stäubchen liegt wohl unterm Flor verklärt
Des Liebchens Angesicht, deß Schönheit Seelen mehrt.



Erste Regel

Du hast bisher gehört den Nahmen von der Welt,
Komm her, sag an, was du gesehen von der Welt.

Was weißt du von der Form, was weißt du von dem Sinn?
Was ist die and're Welt, wo führet diese hin?

Sag mir: was ist Simurgh und was des Kafes Land,
Was Paradies und Höll' und was die Scheidewand?

[Simurgh: der Greif der Morgenländer,
in der Sprache der Mystik das höchste Wesen selbst,
Kaf: das nach den Begriffen der Morgenländer die
ganze Erde wie ein Ring umschließende Gebirge,
Aaraf: die Scheidewand zwischen Hölle und Himmel]

Was ist wohl jene Welt, die Keinem offenbar,
Und wo ein einz'ger Tag so lang als Erdenjahr?

Komm her und zeige mir: was wohl Dschabulka sey,
Nicht dieser ist die Welt, was du allhier gesehen.

Hast nicht gehört das Wort: Was sie nicht reden sehen
Und sag mir: was die Welt der Stadt Dschabulsa sey.

[Dschabulka: im Osten, Dschabulsa: im Westen
das zweyfache himmlische Jerusalem der Ssofi,
jenes die Welt des Ideals, welche die Scheidewand
zwischen der Welt der Wirklichkeit
und der mystischen, dieses die Welt der Geister
nach Vollendung ihres Laufes auf Erden]

Bedenke, was der Ost, und was der Westen sey,
Indem in aller Welt besteh'n nur diese zwey.

Komm her und höre an das Wort von Ibn Abbas,
Hör' selbes an zuerst, erkenne dann dich baß:

[Abdallah Ibn Abbas der große Überlieferer sagte:
wenn ich euch den Koranvers: "Gott schuf sieben
Himmel und sieben Erden deßgleichen"
ganz enthüllte, würdet ihr mich
als einen Ungläubigen verschreyen]

Du liegst im Schlafe und dein Seh'n ist Phantasie,
Was immer du geseh'n, ist nur Allegorie.

Wann du am jüngsten Tag erwachest, weißt du dann,
Daß alles dieses nur Einbildung sey und Wahn.

Wann sich das Traumgebild dem Schielenden vorstellt,
Wird Himmel und die Erd' in seinem Aug' entstellt.

Wann dich die Sonne (Gott) erfüllt mit Lichteswonne,
Vergeht das ird'sche Licht von Venus, Mond und Sonne.

Wenn nur ein einz'ger Strahl fällt auf den harten Stein,
Zerbricht er als Opal und strahlt mit farb'gem Schein.

Jetzt wo du handeln kannst, zu handeln sey beflissen,
Wann du nicht handeln kannst, was nützet dir dein Wissen?

Was soll ich sprechen dir das Wort vom Herzgenuß,
Worunter steckst den Kopf, im Schlamme mit dem Fuß? -

Die ganze Welt ist dein, was nützt's dem Invaliden?
Ich sah noch Keinen, dem so wenig ward beschieden.

Du sitzt an einem Ort gleich Schönen viele Stunden,
Und mit der Ohnmacht Hand hast du den Fuß gebunden.

Du sitzest Weibern gleich im Winkel der Verachtung,
Daß du unwissend bist, kommt gar nicht in Betrachtung.

Im Blute wälzen sich die Tapferen der Welt,
Du, mit verhülltem Kopf, gehst nicht aus deinem Zelt.

Was ist zu sehn hieraus o alter Weiberglauben,
Als daß Unwissenheit du gern' dir willst erlauben.

Den Weibern fehl't sowohl an Glauben als Verstand,
Wie magst als Mann du geh'n gleich ihnen durch das Land?

Bist du ein Mann, so schau um dich und komm heraus,
Und über Alles geh' was vor dir ist, hinaus.

Ruh' nicht bey Tag und Nacht im Lager aus der Bahnen,
Und bleibe nicht zurück von Weg und Karawanen.

Du geh' wie Abraham und suche Gottes Macht,
Verwandle Nacht in Tag, verwandle Tag in Nacht.

Was bildet vor der Stern, und was der Mond, die Sonne?
Die Schönheit, Phantasie, Vernunft (des Lebens Wonne).

Von diesem wend' dich ab, willst du den Weg bestehen,
Und sag: ich liebe nicht die, welche untergehen.

[Der 77. Vers der 6. Sure: das Wort Abrahams,
als er aus dem unterirdischen Gewölbe,
worin er erzogen worden war,
in der Nacht heraustrat, und den Stern sah
und sich niederwarf und denselben
anbethete, als er aber unterging,
sprach: Ich liebe nicht die Untergehenden,
deßgleichen von Mond und Sonne]

Wie Moses Sohn Amrans geh du auf diesem Pfade,
Damit du hören magst: Ich bin der Gott der Gnade.

Noch übrig bleibt der Weg bis an den Berg zu geh'n,
Für dich scholl nicht das Wort: Du wirst den Herrn nicht seh'n.

Die Wahrheit Bernstein zieht als leichtes Stroh dich an,
Und hält's der Berg nicht aus, wo ist für dich die Bahn?

Wenn zu dem Berg des Seyns hell die Verklärung naht,
Verflüchtigt selber sich wie Stäubchen von dem Pfad.

Der Bettler bath den Schah um eine Kleinigkeit,
Der in dem Augenblick dem Stroh den Berg verleiht.

Folg' dem Propheten nach in seiner Himmelfahrt,
Erfreu' der Wunder dich, die von der höchsten Art.

Du mußt heraus vom Haus', vom Haus' Ummchani's gehen,
Halt dich ans Wort: wer mich gesehn, hat Gott gesehen.

[Ummchani die Tochter  Ebu Talibs,
aus deren Haus der Prophet die nächtliche
Himmelfahrt unternahm]

Der beyden Welten Schatz, den setze du bey Seite,
Sitz' auf dem Berge Kaf in zweyer Bogen Weite.

Was du verlangest, gibt dir Gott der Herr geschwind,
Es zeigen sich bey dir die Dinge, wie sie sind.



Zweyte Regel

Für den, deß Seele ist verklärt in Gott dem Herrn,
Liegt aufgerollt die Welt als Buch von Gott dem Herrn.

Der Zufall ist Vocal, Substanz der Consonant,
Der Dinge Stufen sind der Vers, worin Bestand,

Der Welten jede vom Korane ein Capitel,
Dieß führte Fatiha und dieß Ichlaß als Titel,

Vernunft der Welten war als Vers der erste da,
Als B, womit beginnt die Formel Bismillah,

[Bismillah: "Im Nahmen Gottes des Allmilden,
des Allerbarmenden", womit alle Suren beginnen]

Als Weltenseel' alsdann der zweyte Vers, das Licht,
Das hell als Leuchte flammt, der's nicht an Öl gebricht.

[Der Lichtvers, der 36. der XXIV Sure]

Als dritten Vers beth' den des höchsten Himmels munter,
Als vierten lese dann den Vers des Throns herunter.

[Vers des höchsten Himmels: 55. Vers der VII. Sure
Vers des Throns: 256. Vers der II. Sure]

Die Sieben ist sodann der Himmelsleiber da,
Die sieben Glieder von der Sure Fatiha.

Dann wende deinen Blick dem Elemente zu,
Und des Korans Vers in jedem findest du.

Auf jene folgen dann drey Reiche der Natur,
Im Stande bist du nicht, daß du sie zählest nur.

Am Schöpfungsende kam des Menschen Seele dann,
Sie ist die Sure Mensch, die letzte im Koran.

Wenn du die Wahrheit suchst, blick' auf die Möglichkeit,
Weil diese ohne Seyn dich niemahls führet weit.


Dritte Regel. Betrachtung des Gesichtskreises

Sey nicht gefangen in dem Kerker der Naturen,
Begebe dich hinaus und schau der Allmacht Spuren.

Betrachte, wie der Herr erschaffen hat die Himmel,
Daß du ihn loben mögst im Schöpfungengewimmel.

Betrachte einmahl, wie des höchsten Himmels Kreis
Die beyden Welten faßt (nach göttlichem Geheiß);

Warum er wird genannt der Himmel, der Erbarmer
Und wie er sich verhält zum Herz der Menschen (armer);

[Bezieht sich auf die Überlieferungsworte:
"das Herz des Gläubigen ist der höchste
Himmel Gottes"]

Warum die Beyden stets voll regen Treibens brennen,
Und keinen Augenblick sich Rast und Ruhe gönnen.

Weil's Herz der Mittelpunct des weiten Himmels ist,
Das in der Mitte Punct, indeß Er Umfang ist.

Der Himmel mindert sich, mehrt sich bey Tag und Nacht,
Du Mann des Fortgangs bist als Himmel ganz gemacht.

Von ihm geht aus der Stoß, der treibt der Sterne Globen,
Sieh zu, warum sie all' nach Einer Seite toben.

Warum sie fort und fort von Ost nach Westen gehen,
Und schlaf- und nahrungslos in Einem fort sich drehen.

Bey Tage und bey Nacht der große Himmel hält,
Indem er sich umdreht die Runde dieser Welt.

Die and'ren Himmel all' befolgend sein Geheiß,
Sie schlagen all' das Rad und wälzen sich im Kreis.

In and'rer Richtung dreh'n sie sich nach Osten um,
Und formen so die Faust, die sich geballet, krum,

Der Gleicher ist der Sitz der Constellationen,
In dem sie alle gleich hart an einander thronen.

Der Widder, Stier, der Krebs, die Zwillinge, der Leu,
Die Ähre folgen sich einander in der Reih'.

Die Wag, der Scorpion, der Schütz, Steinbock deßgleichen,
Der Wassermann, der Fisch sind alle Himmelszeichen.

Fixsterne vierundzwanzigtausend an der Zahl,
Sie haben ihren Platz im Throngewölbe all'.

Der Himmel siebenten bewahrt Saturn als Wache,
Den sechsten Jupiter (was altbekannte Sache),

Den fünften hat sich Mars zu seinem Ort erwählet,
Der vierte ist vom Licht der Sonne glanzbeseelet,

Im dritten Venus thront, im vierten der Merkur,
Den nächsten hat durchfurcht des Mondes lichte Spur.

Das Haus Saturnes ist Steinbock und Wassermann,
Das Haus des Jupiters der Schütz und Fisch alsdann.

Den Widder nimmt der Mars und auch den Scorpion,
Die Sonne aber hat im Löwen ihren Thron.

Die Venus hat im Stier und in der Wage Curs,
Die Ähr und Zwillinge, die sind das Haus Merkurs.

Und weil der Krebs den Mond mit sich verwandt gefunden,
Hat er sich selbem ganz mit Kopf und Schwanz verbunden.

Durch Stationen acht und zwanzig geht sein Lauf,
Er stellet sich der Sonne im Gegenscheine auf,

Bis selber schrumpfet ein nach Dattelstengels Weise,
Nach Gottes Rathschluß, der allein der wahre Weise.

Wenn du betrachtest dieß als ein vollkommner Mann,
So wirst du sagen nie, es sey nur Eitles dran.

Die Texte des Korans sie geh'n auf diesen Satz,
Wer dieses eitel nennt, gibt schwacher Einsicht Platz.

Der Leib der Mücke hat vollkommene Statur,
Ist er auch nicht so groß wie Mars und wie Merkur.

Betrachtest du dieß wohl je länger und je länger,
So siehst du, es gehorcht der Himmel einem Dränger.

Dem Sternenkundigen ist Glück nicht eingeflößt,
Weßhalb er Manches sagt, woran sich Gläub'ger stößt,

Begreifen kann er nicht, daß dieses Firmament
Nur den Befehl von Gott, dem höchsten Herrn erkennt.


Vierte Regel

Du möchtest sagen, daß die Himmel alle kreisen
So Tag als Nacht nach eines Töpferrades Weisen,

Daß jeden Augenblick des Herren Wissenschaft
Aus Wasser und aus Thon ein neu Gefäß erschafft.

Was immer in der Zeit, was immer in dem Raum
Ist Eines Meisters Werk aus Einer Werkstatt Raum,

Wenn als Vollkommene die Sterne anzusehen,
Wie kommt's, daß immerfort dieselben untergehen?

Warum sind sie an Gang und Farb und an Gestalt
Verschieden unter sich und bunt und mannigfalt?

Warum bald im Zenith, bald wieder im Nadir,
Bald einzeln, bald gepaart sie stehen im Revier?

Wodurch ward endlich denn des Himmels Herz entflammt,
Und welche Sehnsucht ist's, die diesem Kampf entflammt?

Die Sterne halten all' um ihn zu Fuß die Runde,
Die einen in der Höh', die and'ren auf dem Grunde,

Luft, Gluth und Fluth und Staub, die Vier der Elemente,
Sie haben ihren Platz dort unterm Firmamente,

Ein jedes eingeschränkt auf eigenen Altan,
So daß es vorwärts nicht und nicht zurücke kann.

Entgegenstehend sich in ihrem Mittelpuncte,
Sieht man sie doch vereint auf einem einz'gen Puncte.

Verschieden unter sich an Wesen und Figur,
Sind durch Nothwendigkeit sie Alle Eines nur.

Von ihnen stammt das Reich der dreyerley Reviere,
Das weite Reich der Stein', der Pflanzen und der Thiere.

Sie halten alle drey sich an des Stoffes Norm,
Und kümmern wenig sich (wie Mysten) um die Form.
[Mysten: Mystiker]

Und auf Gerechtigkeitsbefehl von Gott dem Herrn,
Stehn sie an ihrem Ort sich unterwerfend gern.

Die Steine hat der Grimm des Herrn in Staub geschmissen,
Durch Seine Liebe steh'n die Pflanzen auf den Füßen.

Aufricht'ge Diener steh'n die Thiere in der Reih,
Daß Art und Gattung und das Einzelne gedeih.

Wie Er's befohlen, steh'n sie alle fix und fest,
Indem kein einziges von seinem Zwecke läßt.


Fünfte Regel der Betrachtung über die Seelen

Den eig'nen Ursprung wollst auf rechtem Weg betrachten
Indem nebst Vater auch die Mutter ist zu achten.

Die Welt von Fuß zu Kopf - sie in dir selber schau,
Und was am ersten kommt, du auch am ersten schau.

Des Menschen Seele kam zuletzt in diese Welt,
Und sie, von beyden gleich schmarotzend, sich gefällt.

Nicht and're Ursach' ist am End' zu finden klar,
Indem sie durch ihr Selbst den Welten offenbar.

Unwissender, Tyrann sie steh'n dem Licht entgegen,
Doch sind sie Gegenstand des Seyns auf ihren Wegen.

Sobald des Spiegels Grund nicht abgeklärt und rein,
Wird das gezeigte Bild sogleich ein and'res seyn.

Der Sonne Strahlenguß strömt aus dem vierten Himmel
Und spiegelt sich dann ab in niedrem Staubgewimmel.

Du bist der Wiederschein von Ihm, dem Herrn der Engel,
Deßhalben betheten den Adam an die Engel.

Vor Allem hat bey dir sich Seele eingefunden,
Ein Faden ist an dich von jedem Ding gebunden,

Sie all' gehorchen dir und sind nicht selbst gewillet,
Weil Seele jeden Dings in deiner liegt verhüllet.

Du bist das Mark der Welt, von der du Mitte bist,
Du wisse, daß du selbst die Weltenseele bist.

Der Erde linkes Viertel ist dein Aufenthalt,
Weil in dem Leib das Herz auch auf der linken wallt.

Vernunft und Seele sind das Capital von dir,
Die Erd' und Himmel sind die Schatten nur von dir.

Betracht' das Nichtseyn, das die Quelle ist vom Seyn,
Die Höhe, so das Seyn der Niederung schließt ein.

Von zehen Tausend gab die Kraft dir die Natur,
Doch über Gränz', und Zahl setzt dich dein Wille nur.

Mit Werkzeug aller Art ist jeder Leib verseh'n,
Mit Gliederwerk und Band von Nerve und von Sehn';

Darüber ist erstaunt mit Recht Philosophie,
Erstaunet bleibt sie steh'n vor der Anatomie,

Und diesem Studium ist Keiner obgelegen,
Der eingestände nicht sein gänzlich Unvermögen.

Die Gränze und der Theil sind jedem Ding bestimmt,
Zurückkehrt es zu Gott, von dem es Ursprung nimmt;

Die Dinge all' besteh'n durch dieses letzte Wort,
Durch jenes preisen sie den Herrn in einem fort.

Kraft jenes Ursprungs geht ein jedes Ding hervor,
Und jedem offen steht alsdann der Rückkehr Thor,

Bey einem Thor herein, beym anderen hinaus,
Wiewohl für Unterhalt gesorgt von Haus zu Haus.

Du lernst auf diese Art der Attribute Nahmen,
Das Seyn ist nur die Form des Wiederscheins der Nahmen,

Der Macht, der Wissenschaft, und auch des Willens Nahmen,
Sie finden sich in dir, o Glücklicher! zusammen.

Der Alles hört und sieht, der Alllebendig spricht,
Die Dauer kommt von dort, von dir aus kommt sie nicht.

O Erster, der zugleich des Letzten Quelle ist!
O Inn'rer, der zugleich des Äuß'ren Quelle ist!

O Vielheit, die Zugleich der Einheit Qulle ist!
O Einheit, die zugleich der Vielheit Quelle ist!

Da du bey Tag und Nacht in Zweifeln dich versenkest,
So ist es besser, daß du deiner nicht gedenkest,

Und da Betrachtung nur zu dem Erstaunen führt,
So ist es besser, daß das Wort geschlossen wird.


Dritte Frage

Gib Kunde mir von mir und sag' mir, wer ich bin,
Im Wort': Geh' in dich selbst, was liegt darin für Sinn?


Antwort auf die dritte Frage

Du fragst ein andermahl, du fragst, was sey das Ich,
Ich soll erklären dir mein Wesen und mein Ich.

Wenn vorgestellet wird das absolute Seyn,
So wird bezeichnet es durch's Wort von Ich und Mein,

Wenn aller Dinge Grund gehörig ist bestimmt,
Die Sprache dann dafür das Wörtchen Ich annimmt.

Zufällig sind so Ich als Du der Existenz,
Sie sind das Gitter nur der Leuchte Existenz.

Ein Lichtgefäß nur sind der Körper und der Geist,
Bald strahlt's aus Spiegeln, bald aus Leuchten (wie du weißt).

Das Wörtchen Ich, sagst Du (mein hochverehrter Meister),
Beziehe sich nur stets auf's lichte Reich der Geister,

Wenn du Vernunft hierin zum Wegeweiser nimmst,
Du nimmer was ein Theil, und was dein Selbst bestimmst.

Vor Allem Meister mußt dich selber wohl erkennen,
Denn die Geschwulst ist nicht dem Fette gleich zu nennen.

Weit höher als der Leib und Seele steht das Ich,
Denn diese beyden sind nur Theile von dem Ich.

Dem Menschen nicht allein ist's Wörtchen Ich bestimmt,
Die Seel' ist nicht allein dem Menschen nur bestimmt.

Ergreif', was über Zeit und über Raum dich hält,
Setz' über Welten dich hinaus, in dir selbst Welt.

Einbildung macht das H des Worts Huweijet
Zu einem Augenpaar, wenn's an Beschauung geht.

[Hu, Gott, Jahu (Jehova) o Er!
das von diesem Pronomen gebildete Substantiv
ist Huweijet das absolute Seyn]

Es bleibet nicht der Weg, nicht jener, der ihn führt,
Wenn in Allah das H, das erste letztes wird,

[He der erste Buchstabe von Hu,
der letzte von Allah]

So Höll' als Paradies hat Möglichkeitsbestand,
Und zwischen beyden ist das Ich und Du die Wand.

Wird dieser Schleyer dann von deinem Aug' gehoben,
Sind Seiten, Spaltungen vor dir in Nichts zerstoben.

Das göttliche Gesetz hängt ab vom Ich und Du,
Als Faden bindet Seel' und Leib das Ich und Du,

Wenn man das Ich und Du aus dieser Mitte trennt,
So bleibet nicht Moschee, nicht Kirche noch Convent.

Bestimmung ist ein Punct, den spiegelt sich das Aug',
Das Wesen wird dann Zweck, wenn anders rein dein Aug'.

Der Weg des Wandelnden betraget nur zwey Schritte,
Wenn auf demselben auch gefahrvoll sind die Tritte.

Der eine über's H von Huweijet hinaus,
Der and're über's Feld von allem Seyn hinaus.

Auf diesem Schauplatz sind die Zahl und Vielheit Eins,
Wie aller Zahlen Seyn verborgen in der Eins.

Du bist die Menge, die zum Quell der Einheit wird,
Du bist die Einheit, die zum Quell der Menge wird.

Nur Jener wird zum Grund von dem Geheimniß kommen,
Der zu dem Ganzen hat vom Theil den Weg genommen.


Vierte Frage

Wer sind die Wallenden, die auf dem Wege rennen,
Und welchen soll ich den vollkommnen Menschen nennen?


Antwort auf die vierte Frage

Du fragst mich, wen man denn des Pfades Pilger nennet:
Der ist es, der genau den eignen Ursprung kennet,

Er, dem des Wandels Bahn Enthüllungen bereitet,
Ihn zum Nothwendigen vom Mangelhaften leitet.

Der Pilger ist's, der schnell vorübergeht als Freyer,
Der rein ist von dem Selbst wie von dem Rauch das Feuer.

Der umgekehrten Schritts zurück zu Gott gekommen,
Bis er geworden ganz zum Menschen, der vollkommen!


Sechste Regel

Vor Allem lerne du, wie's in der Zeit gekommen,
Daß aus dem Menschen ward ein neuer Mensch vollkommen?

Materie erschien zuerst im Mutterschooß,
Und rang alsdann daraus mit Geist beseelt sich los.

Durch Allmacht regt es sich als Embryo im Stillen,
Und tritt dann in die Welt begabt mit eignem Willen.

Am Kinde werden dann die Sinne ausgebildet,
So daß es in der That sich bald die Welt einbildet.

Wann alle Theile sind in Ordnung erst gekommen,
Wird zu dem Ganzen dann die Straße erst genommen,

Die Gluthen flammen auf des Zornes, der Begier,
Empor hebt sich der Stolz, der Geiz, die Habbegier;

Wie schlechte Eigenschaft ins Leben tritt herfür,
Wird schlechter dann der Mensch als Diw und reißend Thier.

Gesunken ist der Mensch alsdann zum tiefsten Punct,
Der von der Einheit ist der wahre Contrapunct;

Der Thaten Menge bringt die Vielheit nur zuwegen,
Und dieser steht gerad der Anbeginn entgegen.

Wenn er sich zugesteht, daß ihn das Netz verführe,
So ist er irrgeführt weit schlechter als die Thiere;

Wenn aber aus der Welt der Seelen strahlt ein Licht,
Sey's ein Eingebungsstrahl, sey's ein Beweis, der licht,

So wird sein Herz erhellt durch Gottes Huld und Gnade,
Er kehret dann zurück zum wahren Leitungspfade,

Durch der Eingebung Licht und durch Beweis voll Klarheit
Gelangt er auf den Weg der offenkundgen Wahrheit;

Er kehret dann zurück von dem Verließ des Schlechten
Und wendet sich hinauf zum Gipfel des Gerechten.

Zu dieser Zeit beginnt die Sünd' er zu bereuen,
Und wird im reinen Haus den Adam dann erneuen,

Er wird von Handlungen, von schmählichen, ganz rein,
Wie Idris der Prophet im vierten Himmel seyn.

Wann er von Schlechtigkeit sich erst hat losgekettet,
Hat er wie Noah auch das Leben sich gerettet.

Im Ganzen ist alsdann die Macht des Theils zu schauen,
Er wird wie Abraham beseelet von Vertrauen.

Wenn er ergeben ist in Thaten und im Worte,
Gelangt wie Moses er bis zu der höchsten Pforte;

Und ist er erst geklärt von seinem Wesen rein,
So fährt wie Jesus er zum vierten Himmel ein,

Und wann er einmahl nur sein Daseyn opfert auf,
So fährt wie Mohammed er in die Himmel auf;

Er wird als lichter Punct dem ersten sich vereinen,
Dort wo Propheten nicht und Engel nicht erscheinen.


Dritte Vergleichung

Prophet ist lichte Sonn' und Heiliger ist Mond,
Der gegenüber im Verein mit Gotte thront.

Prophetenschaft ist in sich selber rein und klar,
Die Heil'genschaft ist drin versteckt, nicht offenbar.

Im Heiligen ist Heil'genschaft verborgen nur,
In dem Propheten zeigt sich offen ihre Spur.

Der Pilger, der Gefährt' in des Propheten Bahn,
Der eignet Heiligkeit sich des Propheten an.

Er findet auf dem Weg vom: wenn ihr liebet Gott,
Zu dem geheimsten Ort des Spruchs: so liebt euch Gott.

Im trauten Cabinet vereint er sich mit Gott,
Und wird dort eingeschlürft auf einmahl dann von Gott,

Er folgt dem Heiligen in dessen tiefsten Sinn
Er wird ein Frommer, doch nie in des Heil'gen Sinn,

Des Heiligen Geschäft ist erst vollendet dann,
Wenn er vollendet dort, wo er gefangen an.



Fortsetzung der Antwort auf die vierte Frage

Vollkommner Mann ist der, so aus Vollkommenheit
Mit seiner Meisterschaft dem Dienst als Sclav' sich weiht,

Wenn er auf diese Art die Bahn durchmessen hat,
Setzt Gott ihm auf den Kopf den Bund vom Chalifat.

Die Dauer findet er, nachdem er sich vernichtet,
Zum Anfang wird sein End' dann wieder eingerichtet,

Er machet das Gesetz zu seinem Fahnenbaum,
Die Bahn die mystische zu seines Kleides Saum.

Die ew'ge Wahrheit ist sein Platz für alle Fälle,
Wo zwischen Glauben und Unglauben seine Stelle.

Der Sitten löblichsten ist nahe er verwandt,
Durch Eingezogenheit und Wissenschaft bekannt.

Ihm stehet Alles nah, er stehet Allem fern,
Ist im Geheimnißborn geweihet nur dem Herrn.


Vierte Vergleichung

Die Mandel wird zuletzt verderbt gewiß geschaut,
Wenn du, ist sie nicht reif, abzieh'n ihr willst die Haut;

Ist sie gereift, so ist sie gut auch ohne Häute,
Wenn du den Kern nur nimmst und thust die Haut beyseite;

Gesetz ist Mandelschal, und Wahrheit ist der Kern,
Und zwischen beyden liegt der wahre Weg zum Herrn,

Des Pilgers Fehler sind Gebrechen in dem Mark,
Auch ohne Schale ist er reif und schön und stark.

Wenn zur Gewißheit ist der Kund'ge vorgedrungen,
So ist die Mandel reif, die Schale ist zersprungen,

Doch and're Mandel schwillt mitsam' der Schale auf,
In diesem Wachsthum macht sie and'ren Kreiseslauf.

Aus Wasser und aus Staub erhebt sie sich zum Baum,
Der seine Äste streckt weit in der Himmel Raum,

Derselbe bringt hervor ein andermal ein Korn,
Durch Fügungen wird Eins als tausendfach geborn.

Wie Gang des Korns zum Baum auf Einer Linie wird,
Der Punct zur Linie und die zum Kreise wird,

Und wenn der ganze Kreis den Umlauf hat vollendet,
Beginnt der erste Punct, wo der letzte endet;

Zum zweytenmal wird er im Kreiseslauf gelangen
Zu jener Handlungsart, von der er ausgegangen.

Wann er auf diese Art die ganze Bahn durchrennt,
Wird ihm der Meisterbund vom Herren zuerkennt;

Nicht Seelenwanderung ist solcherley Gewährung,
Einstreuungen sind es im Auge der Verklärung,

Sie fragten, was da sey des Endes wahrer Sinn,
Die Antwort lautete: die Rückkehr zum Beginn.


Sechste Regel

Prophetenthum zuerst dem Adam eingebunden,
Hat die Vollendung dann in Mohammed gefunden,

Die Heiligkeit blieb nur, die ihren Weg gemacht,
Bis in der Welt als Punct den Umlauf sie vollbracht,

Ihr Ganzes wird an's Licht im Mehdi einst gestellt,
Vollendet wird durch ihn so die als jene Welt.

[Der Schlußstein der Heiligkeit ist
Mohammed Mehdi (richtiger Mohdi), der zwölfte Imam,
welcher zu Ende der Welt als Vorläufer des jüngsten Tags
aus der Grotte von Sermenrai, wo er verborgen schläft,
hervorkommen wird; er ist der Ausbund der Heiligkeit,
wie Mohammed der des Prophetenthums]

Die Heiligen sind nur die Glieder von dem Heile,
Er stellt das Ganze vor und sie sind nur die Theile,

Da er der Nächste sich zur Meisterschaft verhält,
So kommt Barmherzigkeit zu Stande in der Welt.

Er ist der Leitende in der und jener Welt,
Der zum Nachfolgenden sich Menschensohn bestellt.


Fünfte Vergleichung

Wenn sich der Sonne Licht getrennet von der Nacht,
Erscheint des Orients, Meridians und Morgens Pracht,

Und wenn des Himmels Rad vollendet seinen Lauf,
Geht Nachmittag und Untergang und Abend auf.

Das große Licht der Sonn' ist das Prophetenthum,
Das bald in Adam, bald in Moses gehet um.

Willst du das große Buch der Weltgeschichte lesen,
So wirst erkennen du, weß Ranges sie gewesen.

Stets and'ren Schatten wirft die Sonne auf die Pfade,
Darnach kannst messen du des wahren Glaubens Grade.

In dem Äquator steht Mittags des Herren Licht,
Das reine, welches kennt des Unrechts Schatten nicht.

Kein Schatten folget dort dem graden Wuchs, dem ächten,
Nicht hinten und nicht vorn, nicht links und nicht zur Rechten.

Da er geraden Pfad zum Aufenthalt erwählt,
Hat er sich nach Befehl gerade aufgestellt.

Sein Schatten wird sich nie mit schwarzem Rande gatten,
O wahres Gotteslicht, o lichter Gottesschatten!

Als Kibla zwischen Ost und Westen lichtgetränkt,
Ist er im Mittelpunct des eig'nen Lichts versenkt.

Zum Musulmanne ward der böse Genius,
Verbarg als Schatten dann sich unter dessen Fuß.

Die Stufen alle schließt der Grad des Fußes ein,
Aus seinem Schatten geht hervor des Menschen Seyn,

Von seinem Lichte ist die Heiligkeit nur Schatten,
In welchem sich der Ost und West als Eins begatten.

Aus jedem Schatten, der auftrat auf seinen Wegen,
Entsteht ein anderer, der jenem tritt entgegen.

Ein Gotteskundiger, der kennt Moslimenruhm,
Ist Abgesandter nur von dem Prophetenthum.

Prophet vollendeter in der Propheten Gaben
Ist über Heilige bey Weitem hoch erhaben.

Er ist in Sicherheit und Ruhe vor der Welt,
Indem er Pflanz' und Thier und Erd' und Stein beseelt,

Zur Kenntniß Gottes geht er durch die Einheit ein,
Es zeiget sich in ihm, was absolutes Seyn.

Es bleibet in der Welt Ungläubiger nicht mehr,
Die Ungerechtigkeit wird offenbare Lehr'.


Fünfte Frage

Wer wird Erfahrener in Einheitslehr' genennt,
Wer ist der Kundige, der das Geheimniß kennt?


Antwort auf die fünfte Frage

Mit dem Geheimnisse der Einheit ist betheilet,
Wer in Standorten metaphysischen nicht weilet,

Der Kundige ist der, dem alles Seyn ist klar,
Und dem, was absolut im Wesen offenbar.

Er kennt nicht and'res Seyn als nur das wahre Seyn,
Das absolute Seyn von allem and'ren rein,

Die Existenz ist Nichts als Dorn, der krumm und kraus,
Du wirfst dieselbe ganz dich reinigend hinaus.

Geh', mach dich auf, kehr' das Gemach des Herzens aus,
Für den geliebten Freund bereite nun das Haus.

Gehst du hinaus aus dir, so wird hinein er gehen,
Und ohne dich wirst du erst seine Schönheit sehen.

Wer mild und liebend übt die frommen Werke aus,
Kehrt durch Entsagungen schon rein und nett das Haus,

Der hat in Kanaan sich längst schon eingefunden,
Die Spur vom Ort, wo man nicht hört, nicht sieht, gefunden.

So lang er in der Scham des Seyns noch ist befangen,
Wird seine Wissenschaft zum Quelle nicht gelangen.

So lang das Hinderniß du wirst beseit'gen nicht,
Wird in des Herzens Haus nicht kommen Gottes Licht.

Da es in dieser Welt vier Hindernisse gibt,
So wurde Reinigung vierfache auch beliebt.

Erst Reinigung von Unflath und von dunklen Flecken,
Dann von den Nadeln, die in der Versuchung stecken;

Die dritte Reinigung von schlechten Eigenschaften,
Wodurch als Bestien am Staub die Menschen haften,

Die vierte Reinigung geheim vor allen andern,
Hör' reden die, so auf der Bahn der Pilger wandern.

Wer sich durch diese vier gereinigt zum Gebeth,
Ist Würdiger fürwahr, der zu dem Herren fleht.

Bis du dich selber nicht für's Ganze spielest aus,
Wie wäre dein Gebeth was werth in Gottes Haus?

Erst wenn du selber bist von allen Makeln rein,
Dann wird auch dein Gebeth des Aug's Erfrischung seyn.

Vom Unterschiede bleibt alsdann auch keine Spur,
Erkennender, Erkannter dann ist Eines nur.


Sechste Frage

Wann der Erkennende und der Erkannte rein,
Was wird die Liebe wohl zur Handvoll Staubes seyn?


Antwort auf die sechste Frage

Du sey für Gottes Huld nicht kalt und undankbar,
Indem du nur durch Gott erkennen kannst was wahr,

Zwar ist Erkennender, Erkannter nur der Herr,
Doch durch die Sonne bleibt der Staub nicht wärmeleer,

Begier nach Sonnenglanz und nach dem Licht der Sonne
Darf wundern nicht im Staub, der Hoffnung hat von Wonne.

Erinnre dich an das, was angeboren dir,
So weißt du, wie daraus Gedanken geh'n herfür.

Warum sprach wohl der Herr: Bin ich nicht Euer Herr?
Wenn Einer nicht, der ja gesaget hätte, wär'.

An jenem Tage, wo geknetet ward der Lehmen,
Ward in das Herz geprägt des wahren Glaubens Schemen;

Willst du das Buch der Welt von einer Seite lesen,
So wirst du fassen ganz die Wissenschaft der Wesen,

Versprochen hast du viel, Verträge viel ermessen,
Doch aus Unwissenheit hast alle sie vergessen.

Deßhalb ward Gottes Wort gesendet zu der Erde,
Daß dir der Urvertrag zurückgerufen werde.

Wenn Gott den Herren du im Anfang hast gesehen,
So kannst du wieder Ihn an diesem Orte sehen.

Die Eigenschaften heut zu sehen, sollst du sorgen,
Daß du im Stande seyst zu seh'n das Wesen morgen,

Wenn nicht, so wende nicht verlorne Mühe an,
Und schreibe auf: Du wirst geführt nicht vom Koran.


Sechste Vergleichung

Der Blindgeborne wird von Farben Nichts erfahren,
Bewiesest du sie ihm auch schon seit hundert Jahren,

Im Weiß und Gelb und Roth, im Schmuck der grünen Flur
Wird er nichts Anderes als Schwarz erblicken nur.

Wenn Blindheit von Natur schon ist ihm angeboren,
Wird sie durch Salbe nicht des Augenarzts beschworen:

Vernunft, die schauen will den Zustand and'rer Welt,
Ist Blindgebornem gleich, dem alle Sehkraft fehlt.

Weit hinter der Vernunft besteht der Sinn im Mann,
Durch den Verborgenes er leicht erkennen kann:

Wie in dem Stein, dem Stahl das Feuer Gott verborgen,
Hat diesen Sinn der Herr in Seel' und Leib verborgen.

Wenn dieser Stein und Stahl zum Stoß zusammenprellt,
So wird durch dessen Licht erhellet beyde Welt.

Aus diesem Gleichniß wird dir das Geheimniß klar,
Wenn du's gehöret hast, trau Ihm, der ewig wahr.

Von Gottes Ebenbild bist du ein Exemplar,
Und in dir selber nimm, was sich dem Wunsch stellt dar.


Siebente Frage

Was ist der Punct, der spricht: Ich selber, ich bin Gott!
Dünkt dieses Spielwerk dir versilbert nur zur Noth?


Antwort auf die siebente Frage

Enthüllt Geheimniß liegt im Worte: Ich bin Gott,
Wer außer Gott dem Herrn kann sagen: Ich bin Gott?

Die Welt erkennen all', sie sprechen wie Manßur,
Sey's nun berauscht, sey's mit weinschwerem Kopfe nur,

Sie singen: Ich bin Gott, beständig Gott zum Preis,
Und sie bestehen nur in dieses Sinnes Kreis.

Wenn du mit Leichtigkeit dich denkst daraus zu ziehen,
So lies den Koranvers: wenn sie davor auch fliehen.

Wenn du willst wie Halladsch die Baumwoll' krämpelnd schlagen,
So wirst du nur den Hauch des Sinnes in dir tragen;

Des Wahnes Baumwoll nimm aus deinem Ohr zuerst,
Damit den Ruf von Gott, dem Rächenden, du hörst:

Da dieser Ruf von Gott an dich beständig geht,
Warum weilst du so lang, und stehest auf so spät?

O komm ins Thal, wo du gesichert vor der Noth,
Wo zu dir spricht der Baum: Ich selber, ich bin Gott.

Wenn es sich für den Baum zu sagen solches schickt,
Wie ziemte es sich nicht für den, der hochbeglückt?

Derjenige, deß Herz von allem Zweifel rein,
Ist überzeugt gewiß, daß Eins ist alles Seyn.

Die Ichheit steht nur Gott, nur Gott dem Herren an,
Der das Geheimniß ist und auch zugleich der Wahn.

Der Majestät von Gott sagt nicht die Zweyheit zu,
In selber ist nicht Ich, noch Wir, noch Ihr, noch Du.

Das Ich und Wir und Du und Er sind Eines nur,
Denn in der Einheit gibt's nicht Unterschiedesspur;

Wer leer ist von sich selbst (und voll nur ist von Gott),
In selbem widerhallt der Ruf des: Ich bin Gott.

Der wird für immerfort ohn' Untergang bestehen,
Der wird im Wandelnden und Wandel Eins nur sehen.

Vergötterung kann nur aus Anderem entstehen,
Doch aus dem Wandel kann die Einheit nur erstehen,

Vereinzelung entsteht sobald getrennt das Seyn,
Wenn nicht beym Menschen Gott und Mensch bey Gott will seyn.

Vergötterung ist ganz unmöglich im Verein,
Denn von der Einheit ist sie nur ein falscher Schein.

Aus Vielheit zwar erscheint die Schöpfung der Natur,
Doch ist dieß wirklich nicht und ist Erscheinung nur.


Siebente Vergleichung

Stell einen Spiegel auf mein Freund dir gegenüber,
Und schau die andere Person darin (mein Lieber!):

Sieh hinterm Spiegel dann was sey der Widerschein,
Nicht du, nicht jener ist's; wer ist der Widerschein?

Sobald ich wirklich bin in Wesenheit bestimmt,
So weiß ich nicht, was man für meinen Schatten nimmt.

Wie Seyn und Nichtseyn sich vereinen können nicht,
So werden nicht vereint die Finsterniß, das Licht,

Da die verfloss'ne Zeit nicht künftige zugleich,
Ist gegenwärtige nur einem Puncte gleich.

Sie ist ein einz'ger Punct, und dieser Punct zerfließt,
Weßhalb die fließende die Sonn' genennet ist.

Kein Anderer als Gott bewohnet dieses Feld,
Sag, was als Widerhall der Einheit schallt und gellt?

Da das Zufällige nur hat ein nicht'ges Seyn,
Wie kann daraus Substanz zusammgesetzet seyn!

Wann aus dem Reich des Nichts hervor die Körper geh'n,
Sie ausgedehnt in Läng' und Breit' und Tief' besteh'n:

Aus Arten solcherley besteht der Welten Seyn,
Da du es weißt, ergib mit Glauben dich darein.

Fürwahr! es ist fürwahr, kein and'res Seyn als Gott,
Sey's daß du sagest: Er ist Gott, sey's: Ich bin Gott.

Du trenne von dem Seyn, was dir nur zeigt der Wahn,
Du bleibe hier nicht fremd, und fang Bekanntschaft an.


Achte Frage

Warum heißt wohl der Mensch Ankommender, so bald
Er auf Beschauungspfad den weiten Raum durchwallt?


Antwort auf die achte Frage

In Trennung von der Welt besteht Genuß in Gott,
Sich selbst entfremden heißt befreunden sich mit Gott.

Wenn Mögliches den Staub der Möglichkeit abwischt,
Was nicht nothwendig ist, im selben ganz erlischt.

Das beyder Welten Seyn ist gleich nur einem Traum,
Denn in der Dauer liegt auch der Vernichtung Raum:

Nicht ein Erschaffner ist, wer zu dem Ziel kommt an,
Ein solches Wort spricht nicht, wer ein vollkommner Mann?

Wie soll das Nichtseyn wohl in diese Bahn gehören?
Und wie verhält sich wohl der Staub zum Herrn der Herren?

Wie soll das Nichtseyn wohl zu Gott dem Herrn gelangen?
Was soll es auf dem Weg als Wandelnder anfangen?

Wenn deiner Seele wird hievon die wahre Kunde,
Sagst du: Verhüte Gott! noch in derselben Stunde.

Du bist im Nichtseyn und das Nichtseyn ewig ruht,
Wie würde Mögliches nothwend'ges höchstes Gut?

Mit dem Zufälligen Substanz fällt ins Gesicht.
Was ist Zufälliges? Was Zeit durchdauert nicht.

Der Philosophen Zunft, die Physik componirt,
Als lang und breit und tief den Körper definirt,

Was ist Materie, als Nichtseyn absolut?
Auf welchem nur die Form begränzt, bestimmet ruht.

Wie ohne Stoff die Form ein bloßes, leeres Nichts,
So ist die Form auch ohn' Materie ein Nichts.

Aus diesen beyden, die nicht sind, besteh'n die Körper;
Was folgt daraus? als daß nicht ewig sind die Körper;

Betrachte Qualität, die ohne Quantität,
Die aus sich selber ist und dennoch nicht besteht.

Du lenk' auf Möglichkeit den Blick vom wahren Seyn,
Die ohne wahres Seyn nur mangelhaft kann seyn,

In Selbstvollkommenheit das wahre Daseyn scheint,
Was in die Sinne fällt, denselben nur erscheint,

Nicht wirklich existirt, was uns erscheint als Welt,
Der Zahlen gibt es viel, doch Eins nur wird gezählt;

Das Seyn der Welt ist Nichts als übertragnes Bild,
Vom Kopf zum Fuß ein Platz, auf dem man Possen spielt.



Achte Vergleichung der verschiedenen Arten des Daseyns

Ausdünstung steigt empor vom Meer und fällt dann wieder
Auf Gott des Herrn Befehl als Thau auf Felder nieder;

Der Sonne Strahl herab vom vierten Himmel fällt,
Und mit dem Thaue sich in Einem Leib vermählt.

Durch Wärme hebt er sich und nimmt den Weg nach oben,
Und in dem Himmel wird des Meeres Fluth erhoben,

Wenn sich mit Wärm' und Fluth, die Luft, der Staub vermischt,
Entkeimt daraus das Grün, das unser Aug erfrischt,

Als Nahrung stärkt die Pflanz' alsdann des Thieres Fiber,
Als Nahrung gehet dieß dann in den Menschen über,

In einen Tropfen es im Menschen übergeht,
Wie aus dem Tropfen dann zuletzt ein Mensch entsteht.

Wenn dann der Seele Licht einwandert in das Haus,
Entsteht ein schön' Gebild, ein menschliches, daraus.

Wird Knabe, Jüngling, Mann, und wird dann endlich Greis,
Begabt mit Urtheilskraft, der denkt, und schließt und weiß.

Und wird er auf Befehl von Gott dem Tod zum Raube,
So geht der Geist zum Geist, so geht der Staub zum Staube:

Denn einer Pflanze gleich ist jeder Theil der Welt,
Ein Tropfen aus dem Meer, der auf die Erde fällt,

Wie dann die Zeit vergeht, so kehren sie zurück,
Und ihrem Anfang gleich ist ihres Ends Geschick.

Von ihnen jedes geht zurück zum Mittelpunct,
Indem Natur sich nicht entfernt vom Mittelpunct.

Die Einheit ist ein Meer, allein ein Meer voll Blut,
Worinnen tausendfach als Woge steigt die Fluth,

Wie aus dem Tropfen, sieh! der aufstieg aus dem Meer,
Hervorgegangen ist der Nahmen, Formen Heer.

Der Dunst, der Thau, der Thon in Feuchtigkeit entglommen,
Die Pflanze und das Thier, und dann der Mensch vollkommen;

Ein Tropfen sind sie all', im Anfang und zu End',
Nur nach verschiedenen Bezeichnungen genennt.

Was Welt, Vernunft und Seel' und Himmel wird genennt,
Ist all' ein Tropfen nur vom Anfang bis zum End.

Wenn einst der Tod befällt die Himmel und Planeten,
Wird alles Seyn der Welt vom Nichtseyn untertreten;

Wenn eine Wog' auftos't, verschlinget sie die Wesen,
So daß du glaubst, sie seyn noch gestern nicht gewesen.

Auf einmahl ist alsdann des Traumes Bild verschwunden,
Im Hause außer Gott wird Niemand sonst gefunden.

In diesem Augenblick wirst du die Näh' erlangen,
Und ohne dich wirst du zum Freundsgenuß gelangen.

Genuß ist da, sobald das Bild des Traums zerstoben,
Genuß ist da, sobald der Fremde sich gehoben.

Sag' nicht das Mögliche, vergiß' Peripherie,
Es war nothwendig nicht und wird nothwendig nie.

Dieß sagt nicht, wer den Sinn der Lehre faßt mit Klarheit,
Denn dieses hieße nur verfälschen Gold der Wahrheit.

Du bist ein reicher Herr, dem tausend Dinge sprossen,
Bedenk, wohin du fließt, woher du bist geflossen?

Vom Ganzen und vom Theil, vom Menschen will ich nun,
Dir kund, was offenbar und was verborgen, thun.


Neunte Frage

Was ist nothwendiger, was möglicher Genuß?
Was Ferneseyn und Näh', was Mangel, Überfluß?


Antwort auf die neunte Frage

Vernimm nun unverfälscht von mir die heil'ge Sage,
Verlustig gingst der Näh' durch deiner Selbstheit Lage.

Da alles Seyn empor taucht aus des Nichtseyns Meer,
Entsteht die Fern' und Näh', das Minder und das Mehr.

Derjenige ist nah, den schon das Licht umsprüht,
Der ferne, der im Nichtseyn für das Seyn nicht glüht.

Fällt von dir selbst ein Licht in deine Wüsteneyen,
So wird es dich vom Seyn, dem eigenen befreyen.

Was kommt für dich heraus aus dem Nichtseyn und Seyn?
Als jetzt die Nacht der Furcht und dann der Hoffnung Schein.

Es wird sich fürchten nicht vernünft'ger Mann, der weiß,
Die Amme macht dem Kind durch Furcht bald kalt, bald heiß.

Der Furcht ist ledig, wer durchdrungen von der Pflicht,
Denn ein arabisch Pferd bedarf der Geißel nicht.

Wie könntest fürchten du der Hölle Pein und Feuer,
Da du an Seel' und Leib von allem Seyn ein Freyer?

Das reine Gold kannst du auch ohne Flamm' zerrennen,
Da ohne Zusatz es, was soll darin wohl brennen?

Dir schwebt nichts and'res vor, als nur dein eignes Du
Allein dein eignes Seyn bedenke du in Ruh.

Wenn von dir selber du den Schleyer hast gelüftet
So hast du von der Welt denselben auch gelüftet.

Im Kreis des Seyns bist du der Theil, der unterst steht,
Da deinem Du der Punct der Einheit widersteht.

Das Einzelne der Welt, es überwältigt dich,
Und wie der Satan sagt, sagst du: Wer ist wie Ich?

Deßhalb, sagst du, hab' ich zur freyen Wahl den Raum?
Der Leib ist nur das Pferd, das zähmt der Seele Zaum.

Des Leibes Zaum wird in der Seele Hand geleget,
Die Forderungen all' daher ihr auferleget,

Das Unheil kommt vom Seyn, du weißt nicht, es betreten
Dieselben Pfade, die so zu dem Feuer bethen.

Wie wäre, kluger Mann! denn fähig freyer Wahl
Der Mensch, dess' Wesen leer und nichtig, eitel, schal?

Da Seyn und Nichtseyn gleich für das Geschöpf zumahl,
So sage an, woher kam wohl die freye Wahl

Dem, dessen Existenz im eignen Seyn nicht ruht,
Dem, der von sich aus selbst nicht bös ist und nicht gut?

Hast du in beyder Welt gesehen je schon Einen,
Dem ohne Gram je ward Genuß von Freuden reinen?

Wem trugen Früchte schon all' seiner Hoffnung Sprossen?
Wer hat für immer schon Vollkommenheit genossen?

Die Stufen bleiben zwar, doch alle die Gewalt'gen,
Sie unterstehen Gott dem Herrn, dem Allgewalt'gen.

Du, der, daß überall Gott immer wirket, weiß,
Du setze nie den Fuß hinaus aus deinem Kreis.

Du frage nur dich selbst was Vorbestimmung sey,
Und lerne dann daraus, wer ihr Bekenner sey.

Wer and'rer Lehre folgt, als der von Gottes Zwang,
Der geht, sagt der Prophet, mit Magiern entlang.

Der Magier spricht von Gott und spricht von Ahriman,
Der Freyheitsschwindler spricht von sich und Ihm alsdann,

Auf uns bezogen, sind die Handlungen nur Bild,
Auf Gott bezogen, sind sie Schein, der schillernd spielt.

Du wardst erschaffen nicht um aus dir frey zu handeln,
Warst auserwählt um Gottes Nahmen abzuwandeln.

Durch seine Allmacht ward die Welt und es war gut,
Durch seine Wissenschaft befahl er absolut;

Eh' Seel' und Körper ward geschaffen, war's bestimmt,
Welch' einen Lauf die That und jede Handlung nimmt.

Der Eine, der durch siebenhunderttausend Jahr',
Gehorsam, doch mit Fluch am Hals belastet war.

Die Sünd' im Anderen sich mit der Reinheit paart,
So daß gereinigt er fortan genennet ward,

Und wunderbar, was der versäumet hat im Dienste,
Hat diesem Gottes Huld gerechnet zum Verdienste,

Die Sünde Adams hat gebracht den Fluch zuwege,
O Handlung ohne Grund auf unbekanntem Wege!

Für Gottes Herrlichkeit sind ohne Werth Atome,
Er ist gereiniget von Schlüssen der Phantome.

O Ungeschickter sag', wie ward von Ewigkeit
Bestimmt Prophet und Vater der Unwissenheit?

Der Mensch, der Gott stets fragt um's Wie und das Warum,
Maßt Mitherrschaft sich an in Gottes Herrscherthum.

Dem Herren ziemts, daß er Warum und Wie ausfrage,
Dem Sklaven stehts nicht an, daß er entgegensage.

Die Wesenheit des Herrn liegt in der Herrlichkeit,
Angab' von Ursach' ziemt sich nicht der Göttlichkeit.

Dem Herren ziemts, daß er bald huldvoll, bald ergrimmt,
Der Sklave wird durch Zwang und Fügung nur bestimmt.

Die Wunderwerke sind dem Menschen aufgezwungen,
Aus freyer Wahl ist Nichts demselben noch gelungen.

Der Mensch hat Kunde nicht von seinem eignen Seyn,
Wie magst du fragen ihn, was unrein sey, was rein?

Des Armen Hey! den Zwang in vollen Anspruch nimmt,
Der ohne freye Wahl zum Handeln wird bestimmt.

Nicht Ungerechtigkeit ist was nur Gnad' und Huld,
Und die Gerechtigkeit trägt nicht des Drängers Schuld;

Das äußere Gesetz ward deßhalb aufgesperret,
Weil selbes über sich den Menschen erst belehret.

Da du zu schwach, das Recht zu finden selbst heraus,
So setze über dich dich selbst zuerst hinaus.

Die Allgemeinheit wird dich von dir selbst befreyen,
Derwisch, du trittst durch Gott nun in des Reigens Reihen.

Geh' zu und gib die Seel' am Thor des Leibes auf;
Ergib dich in vorher bestimmter Dinge Lauf.


Zehnte Frage

Was für ein Meer ist dieß, dess' Ufer Redekraft,
Und welche Perle wird vom Grund herausgeschafft?


Antwort auf die zehnte Frage

Das Seyn ist dieses Meer, deß Ufer Redesinn,
Die Muschel ist Buchstab, das Herz die Perle d'rin.

Ein Perlentausend, hoch von jeder Wog' getragen,
Und Überlieferung und Korantext und Sagen.

In einem Augenblick schlägt selbes tausend Wellen,
Und doch wird minder nicht ein einz'ger Tropfen fehlen.

Das Seyn der Wissenschaft ist dieses Meeres Grund,
Im Schall der Worte gibt sich Perlenspender kund.

Wenn die Bedeutungen in dieses Meer sich senken,
Wirds zur Nothwendigkeit an Gleichnisse zu denken.


Neunte Vergleichung

Gehöret habe ich, daß in des Frühlings Lauf
Die Perlenmuschel taucht aus Omman's Meeren auf.

Vom Grund des Meeres taucht sie in die Höhe auf,
Es sitzt auf ihr das Meer und schließt den Mund ihr auf.

Der Dunst, der aus dem Meer emporsteigt, eine Wolke,
Fällt nieder auf Geheiß von Gott als Regenmolke.

Der Mund der Muschel schlürft nur ein'ge Tropfen ein,
Und schließet sich dann fest wie eine Thür von Stein.

Mit vollem Herzen geht sie nach des Grundes Wegen,
Und eine Perle wird, was war ein Tropfen Regen.

Der Taucher nimmt zum Grund des Meeres seinen Lauf
Und hohlt die Perlen dann, die glänzenden herauf.

Der Leib ist Ufer und das Seyn ist tiefes Meer,
Der Dunst ist Gottes Huld, der Regen Nahmen schwer.

Als Taucher stürzt Vernunft sich in der Tiefe Reich,
Ein Perlenhundert hängt an selben sich sogleich.

Für jede Wissenschaft ist's Herz gleichsam Gefäß,
Die Muschel ist der Schall, der jedem Wort gemäß,

Mit Blitzesschnelle fährt die Seele dann empor,
Und führt Buchstabenschall geschwinde zu dem Ohr.

Zerbrich die Muschel, nimm heraus der Muschel Stern,
Wirf weg die Schale, halt' dich an das Mark, den Kern.

Grammatik und Syntax, das Wörterbuch die drey,
Sind nichts als leeres Wort und schales Mancherley.

Wer seine Wissenschaft auf selbes nur verwendet,
Der hat des Lebens Schatz in Possen rein verschwendet;

Dem bleibet in der Hand nichts als die Haut die schale,
Man findet erst den Kern, wenn man zerschlägt die Schale.

Es reißt jedoch der Kern nicht ohne Schal' und Haut,
Der äuß'ren Wissenschaft ist inn're eingebaut.

Vernimm, o Bruder, trink ein Glas voll guten Rath,
Mit Seel' und Herzen geh' und übe Glaubensthat;

Gesetzgelehrter herrscht im Himmel wie auf Erden,
Wird, wenn durch Wissenschaft er klein, zum Großen werden.

Die Handlung, die in den geheimsten Zustand dringt,
Gilt mehr als Wissenschaft, die nur in Worten klingt.

Doch Handlung, die aus Lehm und Wasser nur entsteht,
Ist nicht wie Wissenschaft, die tief zum Herzen geht.

Such' zwischen Seel' und Leib den Unterschied den größten,
Denn jene ist der Ost und dieser liegt im Westen.

Des Leibes Werk verhält sich zu der Wissenschaft,
Wie äuß'res Thun zu innerer Begeist'rungskraft.

Doch Wissenschaft ist nicht, was sich zur Welt hinneigt,
Was nur an Formen klebt, und inn'ren Sinn nicht zeigt;

Die Wissenschaft verträgt sich nicht mit Habbegier:
Willst du den Engel, so entfern' den Hund von dir.

Des Glaubens Wissenschaft ist Eigenschaft der Engel,
Sie kommen in kein Herz, worin des Hundes Mängel.

So lautete das Wort von Gottes Abgesandten,
Doch horche aufmerksam den Worten so gewandten.

Kein Engel kommt, wenn auch gezwungen mit Gewalt,
Ins Haus, das angefüllt mit bildlicher Gestalt.

Du geh' und wische ab von deinem Herz die Mängel,
Wenn's Einkehr' werden soll und Station für Engel.

Von ihm erlerne dann das Erbe des Propheten,
Und für die and're Welt beginn das Feld zu jäten.

Lies Verse des Korans, die in der Seele haften,
Und schmücke selbe aus mit guten Eigenschaften.



Von den löblichen Sitten und Eigenschaften

Grundsteine der Moral sind die Gerechtigkeit,
Die Weisheit, Reinigkeit und dann die Tapferkeit;

Nur wer gerade spricht und handelt, ist ein Weiser,
Mit solcher Eigenschaft ist ausgeschmückt ein Weiser,

Die Weisheit steckt der Seel' und steckt dem Herzen Ziel,
Gleichweit entfernt von dem Zuwenig und Zuviel.

Die Reinigkeit hält die Begierden in dem Zaum,
So daß für schnöde Lust und Habbegier nicht Raum.

Der Tapfere ist rein, der Hochmuth liegt ihm weit,
Von Feigheit gleich entfernt und gleich von Heftigkeit.

Gerechtigkeit ist seines Wesens Attribut,
Weil er nicht ungerecht, ist von Natur er gut;


Die gute Eigenschaft erscheinet in der Mitte,
Von Fehl' und Übermaß entfernt ist gute Sitte.

Nur in die Mitte führt die Straße, so gerad,
Auf beyden Seiten stürzt zum Höllengrund der Pfad;

Fein ist sie wie ein Haar und scharf wie Schwert, das schneidet,
Wie keiner ihr entgeht, sie keinen lange leidet.

Gerechtigkeit erkennt nur einen Widerpart,
Und die Gebrechen sind von siebenfacher Art.

Geheimniß liegt versteckt in jeder einz'len Zahl,
Weßhalb es sieben Meer' und Höllen gibt zumahl.

Die Hölle ist nur, was Gerechten widerstreitet,
Das Paradies ist der Gerechtigkeit bereitet.

Lohn der Gerechtigkeit wird Licht und Gnade seyn,
Der Ungerechten Lohn ist eitel Fluch und Pein.

Das Gute kommt hervor im Haus der Mäßigkeit,
Vollkommen ist gerecht, wer handhabt Billigkeit.

Da, was zusammgesetzt (der Leib), ein Ganzes nur,
Ist Urtheilskraft versagt den Theilen von Natur.

Einfachem Wesen wird alsdann das Ganze gleich,
Der Bund vermittelt dann so dieß als jenes Reich.

Dieß ist kein Bund, wo Theil an Theile ist gereiht,
Indem der Geist von dem, was Körper ist, befreyt.

Wann Lehmen und die Fluth gereinigt sind und eben,
So wird von Gott dem Herrn der Geist hinzugegeben.

Wann ausgeglichen sind die Theil' und Elemente,
Dann strahlt der Seele Welt in ihrem Elemente.

Der Strahl der Seele fällt dann in des Leibes Reich,
Wie auf die Erde Strahl der Sonn' der Seele gleich.


Zehnte Vergleichung

Wiewohl die Sonne thront hoch in dem vierten Himmel,
So fällt ihr Licht herab doch auf das Staubgewimmel.

Des Elements Natur steht von der Sonne ferne,
Nicht trocken und nicht feucht, nicht warm und kalt sind Sterne.

Die Elemente sind von ihr nur warm und kalt,
So weiß und roth und grün und blau und gelb gemahlt.

Die Sonne herrscht gerecht von außen und von innen,
Sie ist nicht außerhalb und ist auch nicht darinnen.

Als ausgeglichen war der Elemente Streit,
Hat Seel' als Liebender der Schönheit sich geweiht.

Vermählung mystische vom Glauben ausgeprägt,
Der Welt ward Urvernunft als Kebsweib beygelegt.

Aus dieser Eh' entstand als Frucht Beredsamkeit,
Die Wissenschaften und die Liebenswürdigkeit.

Die Anmuth kam herab aus höh'rer Geisterwelt
Gleich einem Trunkenen, der unbekümmert fällt.

Sie pflanzte in der Stadt des Guten Banner auf,
Und machte ganz verwirrt der beyden Welten Lauf.

Bald sitzt auf Schönheitsgaul sie als ein Königsreiter,
Handhabt als Rede bald das Schwert der Worte heiter.

In den Personen heißt sie Liebenswürdigkeit
Und in dem Wort wird sie genennt Beredsamkeit.

Der Heilige, der Schah, der Mönch und der Prophet,
Ein jeder unterm Wink von ihrer Herrschaft steht.

Was ist das Etwas in dem schönen Angesicht,
Sag' an, was ist es denn, allein ist's Schönheit nicht!

Die Schönheit, welche raubt die Seelen, kommt von Gott,
Und die Genossenschaft theilt kein Geschöpf mit Gott.

Wie würde wohl geraubt das Herz von Sinnenlust?
Wie könnte Gott denn je sich zeigen, in dem Wust?

Erkenn', daß überall einwirket Sein Geheiß,
Und setze deinen Fuß nicht außer deinem Kreis.

Die Wahrheit ist im Kleid der Gottheit sonder Zweifel,
In dem Gewand des Trug's ist selbe nur der Teufel.



Eilfte Frage

Was ist der Theil, der größer als des Ganzen Heil,
Und welcher ist der Weg zu suchen diesen Theil?


Antwort auf die eilfte Frage

Das Daseyn absolut ist größer als das Ganze,
Das Ganze ist zwar da, doch jenes noch darüber.

Dem Existirenden ward Vielheit nur zu Theil,
Es hat die Einheit nicht, die in dem inn'ren Theil'.

Des Ganzen Daseyn ist aus Vielheit nur entstanden,
Die in der Einheit selbst als Theil nur ist vorhanden,

Wiewohl das Ganze viel erscheint als äuß'res Heil,
So ist dasselbe doch viel minder als ein Theil.

Zuletzt der Theil sich nie zum wahren Seyn aufschwingt,
Indem ihn unter sich das wahre Seyn bezwingt.

Das Universum hat nicht Existenz in Wahrheit,
Es ist Zufälligkeit gestützet auf die Wahrheit.

Des Universums Seyn ist Viel und Eines auch;
Die Mannigfaltigkeit durchweht der Einheit Hauch.

Zufälligkeit des Seyns ist der Versammlung Schacht,
Indem Zufälligkeit zum Nichts die Reise macht.

Es macht, daß jeder Theil vor'm All' sinkt in das Nichts.
Und manchmahl macht das All' die Möglichkeit zu nichts.

Das Ganze ist die Welt, die, eh' das Auge blinkt,
In's Nichtseyn, so daß nichts von ihr bleibt übrig, sinkt.

Ein ander Weltenall tritt andersmahl ins Werde,
Mit jedem Augenblick wird Himmel und wird Erde;

Mit jedem Augenblick wird jünglinghaft der Greis,
Der jüngste Tag vereint und er zerstreut den Kreis.

Ein jedes Ding ist da für einen Augenblick,
Geboren wird's und stirbt im selben Augenblick.

Daß dieß der jüngste Tag, sollst du vielleicht nicht glauben;
Denn jenen lehrt die That, und diesen lehrt der Glauben.

Und zwischen beyden ist der Unterschied sehr groß,
Gib aus Unwissenheit dich nicht ungläubig bloß.

Betracht' das Einzelne und das Gesammte klar,
Betracht' die Stunde und den Tag, den Mond und das Jahr.


Eilfte Vergleichung

Du findest, willst du dich Betrachtungen hingeben,
Daß du im Tode seyst, indem du bist am Leben.

Was immer existirt hienieden in der Welt,
Als Gleichniß wird in Leib' und Seele dargestellt.

Die Welt ist nur Person vom Sinn begränzt gleich dir,
Du bist derselben Seel' und sie ist Körper dir.

Dreyfachen Todes stirbt ein jeder Menschensohn,
In jedem Augenblick als seyende Person.

Es tödtet zweyter Tod die Lust nach dem Genuß,
Der dritte ist der Tod, den Jeder sterben muß.

Da Tod und Leben stets sich stehen gegenüber,
So lebst drey Leben auch in dieser Welt, o Lieber!

Den zweyten Tod der Wahl kann sich die Welt nicht geben,
Der wird vor aller Welt nur dir allein gegeben.

Durch jeden Augenblick verändert sich ihr Wesen,
So daß sie and're wird, was sie zuerst gewesen.

Wie sie am jüngsten Tag muß einstens unterliegen,
Das offenbaret sich in deinen letzten Zügen.

Der Leib ist Erde und im Kopf des Himmels Wonne,
Die Sinne sind Gestirn', die Seele ist die Sonne.

Gebirg ist dein Gebein, dieß füllt der Glieder Räume,
Die Pflanzen sind das Haar, und Hand und Fuß die Bäume.

Dein Körper wird am Tag, wo du verläßt das Leben,
Aus Reu, der Erde gleich am jüngsten Tage, beben.

Verwirrung wird's Gehirn und Schreck die Seel' erfassen,
Die Sinnen werden all' Gestirnen gleich erblassen,

Von deinen Gliedern rinnt der Schweiß gleich einem Meer,
Und du versinkst darin, kopflos, fußlos, steinschwer.

Durch deinen Scheidungskampf wird dein Gebein so leicht,
Daß es, o armer Mann, gefärbter Baumwoll gleicht,

Verrenkt ist Bein und Bein zerbrochen und zerrennt,
Ein jeder Schlafgesell vom anderen getrennt.

Wenn denn dein Leib zuletzt verhaucht das schöne Leben,
Dann wird dein Grund wie Berg am jüngsten Tage eben.

Auf diese Weise wird es mit der Welt ergehen,
Und ihren Untergang wirst du in deinem sehen.

Der Dauernde ist Gott, das And're dauert nicht,
Wie dieses Gott der Herr in sieben Gliedern spricht.

Was außer Ihm vergeht, belehrt uns der Koran,
Und dann: Mit neuem Kleid ist Schöpfung angethan.

Vernichtet wird die Welt und wird dann wieder neu,
Wie eingekörpert wird die Seel' und wieder frey.

Die Schöpfung des Geschöpfs wird immerfort erneut,
Und wenn sein Leben auch gewährt die längste Zeit.

Die Welt ist Ausfluß nur von Gottes ew'ger Gnade,
Der selber sich verklärt durch seiner Nahmen Grade.

Von dieser Seite wird's im Augenblick vollendet,
Von jener Seite wird's dem Nichtseyn zugewendet.

Indem sich so verhält der beyden Welten Lage,
Zeigt sich die Dauer erst der Welt am jüngsten Tage.

In Allem was du siehst, nothwendig liegt darin
Die eine Welt der Form, die and're Welt vom Sinn.

Genuß der ersten ist beständ'ger Trennung Quelle,
Die and're währt in Gott, in ungetrübter Helle.

Sobald der Gegenstand in seinem Äußern wahr,
So wird durch diese Welt der and'ren Wesen klar.

Der Nahmen zwar des Seyns ist dauerndes allein,
Dort wo die Dauer ist, wird alles ruhend seyn.

Was nie als Möglichkeit da ist in dieser Welt,
Wird in der anderen als wirklich dargestellt.

Zu jeder Handlung, die du einmahl unternommen,
Kannst du mit Leichtigkeit zurück auch mehrmahls kommen.

Und immer sey es dann zum Nutzen oder Schaden,
Wird angefüllt damit der Seele Speisegaden.
[Gaden: Haus]

Durch die Gewohnheit wird der Zustand zur Natur,
Und durch der Tage Lauf wird Frucht gereifet nur.

Durch die Gewohnheit wird der Mensch in Kunst vollkommen,
Und durch die Übung ist zum Denken er gekommen.

Die Wort' und Thaten all' sie kommen an das Licht,
Am Tage, wo der Herr wird halten Weltgericht.

Wenn du von Kleid und Hemd den Körper willst entblößen,
Zeigst du auf einmahl uns die Tugenden und Blößen.

So wirst, vom Leib getrennt, du ausgezogen seyn,
Und alles ist an dir wie klares Wasser rein.

Dann wird dein Inneres im Grunde hell und klar,
Dann lies: Am Tag wo das Geheimniß offenbar.

Wie in der Sinne Welt, die alle wir bewohnen,
Sind Eigenschaften dein, die Leiber und Personen,

Wie aus vereinter Kraft der Elemente vier,
Dreyfach entspringt der Stein, die Pflanze und das Thier.

So wird durch deine Kraft auch höh're Seelenwelt,
Mit Feuer bald verbrennt und bald durch Licht erhellt.

Sobald der jüngste Tag der Sinne Form zerbricht,
Entschwindet Oberes und Unt'res dem Gesicht.

Für Leiber gibt's nicht Tod auf ew'ger Lebensflur,
Der Seele Model hat dort eine Farbe nur.

Dort werden Hand und Fuß des Herzens Form annehmen,
Und von der Finsterniß gereinigt wird der Lehmen.

Du wirst im reinen Licht der Gottheit dann verklärt,
Und ohne Schleyer ist dir Gott zu schau'n gewährt.

Ich weiß nicht was für Trunkenheit begehrest du,
Die beyden Welten dann zusammenschlagest du,

Bedenk des Vers: Der Herr schenkt reines Wasser ein,
Der reine Trank heißt, von dir selbst gereinigt seyn,

Welch ein Geschmack! o welch ein Glück! welch ein Genuß!
O welch ein Zustand! welch ein Gut und Sehnsuchtskuß!

Wann ohne uns wir sind, o welche Zeit, wie gut!
Wenn als Derwische wir doch Reiche absolut.

Wann ohne Glauben, ohn' Vernunft und unbewußt,
Wir trunken stürzen hin in dieses Staubes Wust.

Was hat da für Gewicht denn Edens Freudentraum?
In diesem Cabinet ist nicht für Fremde Raum.

Nachdem ich dein Gesicht gesehn, getrunken Wein,
So weiß ich nicht, wie wird es weiter mit mir seyn?

Nach einem Rausche bleibt der wüste Kopf nicht aus,
Und der Gedanke füllt mit Blut des Herzens Haus.


Zwölfte Frage

Wie wäre - Ewiges und Zeitliches getrennt,
Da dieses man als Welt, als Gott das erste kennt?


Antwort auf die zwölfte Frage

Da von dem Zeitlichen das Ew'ge nicht getrennt,
So wird, was über's Seyn, auch dauernd nicht genennt,

Wie jenes ist und dieß, so ist der Anka nur,
Denn Nahmen außer Gott sind ohne Sinnes Spur.

[Anka der fabelhafte Vogel, von dem es heißt:
überall mit Nahmen genannt, doch nirgends
als wirklich bekannt]

Unmöglich ist's für's Nichtseyn wirklich da zu seyn,
Und unvergänglich ist das Wesen durch das Seyn.

Wenn jenes dieses wird, wird dieses nur zu jenem,
Die Formen liegen all' vor dir verklärt im Schönen.

Das Seyn der Welt wird von Einbildung nur gehegt,
Gleich einem Puncte, der im Kreise sich bewegt.

Geh', drehe einen Punct, der feurig rund im Kreis,
So siehst durch Schnelligkeit du einen Feuerkreis.

Das Eine wird zum Ziel auch wider seinen Willen,
Indeß die Einheit nie entsteht aus Zahlen vielen.

Befreye dich vom Sinn des Worts: was außer Gott,
Du trenne dich davon nach der Vernunft Geboth.

Und zweifelst du vielleicht, daß dieses Fantasey,
Wiss', daß in Einheit auch der Schein des Irrthums sey,

Die Einheit ist im Nichtseyn wie im Seyn vorhanden,
Aus dem Verhältniß ist die Vielheit nur entstanden,

Verschiedenheit der Ding' und Mannigfaltigkeit,
Aus dem Chamäleon entstehts der Möglichkeit.

Da beyder Existenz nur eine einz'ge ist,
So liefern sie Beweis, daß Gott ein einz'ger ist.



Dreyzehnte Frage

Sag, was versteht der Mann, deß Innres hell und licht,
Wenn er bedeutungsvoll von Aug' und Lippe spricht?

Was meint mit Muttermal, mit Locke und mit Flaum,
Der schwebt in mystischer Begeist'rung höchstem Raum'?


Antwort auf die dreyzehnte Frage

Ein jedes Ding, das sich hier vor die Sinne stellt,
Ist nur ein Widerschein der Sonne jener Welt.

Im Lockenhaar und Flaum', in Muttermal und Brauen,
Ist Sinnbild jener Welt an seinem Ort zu schauen.

In der Erhabenheit und Schönheit strahlet Gott,
Die ist der Locken Nacht und jene Wangenroth.

Als Gottes Eigenschaft sind Grimm und Gnade klar,
Sie zeigen sich in Wang' und in der Locken Haar,

Fällt dieser Wörter eins in des Gehöres Sinn,
So wird Bezeichnetes sodann Object darin.

Die Welt des Sinns und der Bedeutungen unendlich,
Wie würden sie durchs Wort, das endliche, verständlich?

Bedeutungen enthüllt in der Beschauung Reichen,
Wie könnte Wortausdruck dieselben je erreichen?

Wenn Mann von Herzen will Bedeutungen erläutern,
So wird durch Gleichniß nur er tiefen Sinn erweitern,

Der Schatten jener Welt ist nur die Sinnenwelt,
Sie ist der Säugling nur, das jen' als Amme hält.

Bey mir ists ausgemacht, daß jene ersten Worte
Herunter fielen nur von ihrem ersten Orte.

Zum Übersinnlichen benützt sie Sprachgebrauch,
Von ihrem wahren Sinn, das Volk was weiß es auch?

Die aufgeschwungen sich zu der vernünftigen Horte,
Sie übertrugen von daher hieher die Worte.

Vernünftiger hat stets das Sachverhältniß inne,
Wenn er hinuntersteigt zum Worte von dem Sinne.

Unmöglich ists jedoch das Ganze zu vergleichen,
Es fehlt die Sache dir, wo Worte aus nicht reichen,

Hierinnen hat es nicht Subtilitäten Noth,
Denn dieser Secte Haupt ist And'rer nicht als Gott;

Allein so lang du bey dir selbst, bewahr, bewahre
Den Ausdruck, den dich lehrt Gesetz das offenbare.

Zustände dreyerley nimmt Mann von Herz zum Tausch,
Vernichtung seiner selbst, den Wein und Sinnenrausch.

Wenn dir an Handlungen der Wesen es gebricht,
Werd' durch Nachahmungstrieb zuletzt Ungläub'ger nicht.

Wer wohlbekannt mit den Verzückungen den dreyen,
Der weiß was Worte, weiß was die Bedeutung seyen.

Nicht ist Begeisterung der Wahrheit metaphorisch,
Nicht Jeder weiß, was in dem Wandel allegorisch.

Es prahlen sich, o Freund', die Wahrheitskenner nicht,
Wo statt Beweises gilt nur der Beschauung Licht;

Ich habe nur gelehrt der Wörter Stell' und Geist,
Du handle aus dir selbst und frey, da du es weißt.

In den Bedeutungen sieh auf des Endes Ende,
Und was nothwendig ist, im Einzelnen vollende,

Bleib bey Vergleichungen, die dir das Wahre weisen,
Und läutere dich selbst von allen andren Weisen.

Und da die Regel fest gestellt auf diese Art,
Will ich noch Gleichnisse dir weisen dieser Art.


Erste Andeutungen über das Aug' und die Lippe

Betrachte was im Aug des Schönen offenbar,
Und das Nothwendige beachte und bewahr!

Vom trüben Auge wich die Krankheit und der Wein,
Aus dem Rubine fließt die Quelle von dem Seyn;

Von seinem Auge sind die Herzen all' betrunken,
Die Seelen all' von dem Rubin in Lieb versunken;

Die Herzen alle sind ob seines Aug's zerstückt,
Sein Mundrubin Arzney der kranken Seele schickt.

Wiewohl sein Aug die Welt gleichgültig nur anschau't,
Von seinen Lippen doch stets Huld und Gnade thaut.

Bald ists beschäftiget mit Menschenschmeicheley,
Bald springt es Elenden und Mittellosen bey.

Aus Schelmerey beseelt das Aug den Staub, die Fluth,
Den Himmel bringt der Mund durch Einen Hauch in Gluth.

In jedem Wink' des Augs thut Korn im Netz sich kund,
Und eine Schenke sitzt im Winkel von dem Mund.

Mit Einem Wink' zerstört das Aug der Welten Lauf,
Mit Einem Kusse baut der Mund sie wieder auf.

Von seinem Auge ist in Wallung stets das Blut,
Durch seinen Mundrubin sind Seelen all' in Wuth.

So oft das Auge winkt, dasselbe Herzen raubt,
So oft die Lippe kos't, dieselbe Seelen raubt.

Wenn du das Aug, den Mund anflehst, dir hold zu seyn,
So saget dieser ja, und jenes saget nein.

Mit Nicken weiß das Aug die Welten zu beseelen,
Mit Küssen schmeichelt Mund in einem fort den Seelen,

Ein einz'ger Wink des Augs - wir geben auf die Seele,
Ein einz'ger Kuß des Mundes - wir stehen zu Befehle.

Auf Einen Wink des Augs wird jüngster Tag erbeben,
Auf Einen Hauch des Munds tritt Adam in das Leben.

Durchs Denken an das Aug und an den Mund, die trunken,
Ist eine Welt in Weinanbethung ganz versunken,

Die beyden Welten nimmt in sich das Auge nicht,
Und nimmt es sie, so ist's nur trunknes Traumgesicht.

Als Trunkenheit und Schlaf kann unser Seyn nur währen,
Was für Verhältniß hat der Staub zum Herrn der Herren?

Verwundert fragt Vernunft, was wohl das Wort beweist,
Daß du nach meinem Aug gemacht, gebildet seyst.


Zweyte Andeutung über die Locke

Die Sage von dem Haar des Freundes ist gar lang,
Dieß ist Geheimnißort, was tönet der Gesang?

Frag mich nicht Freund, was sey der Locke krauses Haar,
Das Band für Liebende, die rasend ganz und gar.

Noch gestern sprach ich viel von dem geraden Wuchs,
Ey schweige! sprach zu mir der Locken Spitze flugs.

Gerades muß daher dem Krummen unterliegen,
Und auf dem Pfade viel der Hindernisse liegen.

Die Herzen sind dadurch in Ketten all' gelegt,
Die Seelen alle sind durch selbes tief bewegt.

Ein jedes Haar wird hunderttausend Herzen ziehen,
Aus seinen Ringen kann kein einz'ges Herz entfliehen.

Wenn Moschus haucht das Haar, das aufgelöste dicht,
So bleibet in der Welt auch Ein Ungläub'ger nicht.

Und wenn dasselbe ruht in Ketten fest gebunden,
Wird in der ganzen Welt Ein Gläub'ger nicht gefunden.

Da jeder Ring ein Netz von Zwist und Unruh flicht,
So schlagt die Schelmerey das Haar aus dem Gesicht.

Was schadet es, wenn auch das Haar geschnitten wird,
Wenn minder wird die Nacht, der Tag so heller wird?

Wenn Karawane der Vernunft wird angegriffen,
So wird sie mit der Hand der Lockenkraus' ergriffen.

Nicht Einen Augenblick ist's Haar in Ruh geborgen,
Indem es bald den Abend bringt, und bald den Morgen.

Aus hundert Tagen macht die Locke Eine Nacht,
Und Spiele mancherley gar seltene sie macht.

Der Lehmen Adams ward erst dann geknetet gahr,
Als er durchduftet ward mit Wohlgeruch vom Haar.

Das Haar hat unsrer Seel' ein Zeichen eingeprägt,
Wodurch es nimmer ruht und immer sich bewegt.

Mit jedem Augenblick hab' ich die Spitz' ergriffen,
Und habe so mein Herz aus meiner Seel' gegriffen;

Das Herz wird durch das Haar deßhalben so verwirrt,
Weil des Gesichtes Glanz das Herz mit Gluth umflirrt.


Dritte Andeutung über Wange und Flaum

Die Wang' ist Abglanz nur der Schönheit, die in Gott,
Im Flaume scheint hervor die Majestät von Gott.

Die Schönheitslinie zieht in dem Gesicht der Flaum,
Und sie begränzet dort den schönheitlichten Raum.

Der grüne Flaum stellt vor die Flur der Seelenwelt,
Weßhalb den Nahmen er vom Lebensquell erhält.

Durch Finsterniß des Haars mach' aus dem Tage Nacht,
Und such den Lebensquell in dem smaragdnen Schacht;

Wie Chisern ohne Spur von Sand und einer Stätte,
So trinkt den Lebensquell, wie er, aus grünem Beete.

Wenn du die Wange siehst und siehst den grünen Flaum,
Bleibt über Einheit nicht und Vielheit Zweifeln Raum.

Du siehst den Stand der Welt im finstrem Lockenhaar,
Und in dem Flaume liegt Geheimniß offenbar.

Wenn Jemand grünen Flaum auf schönen Wangen schaut,
So hat sein Angesicht mein Herz im Flaum geschaut.

Die Glieder des Korans, die sieben seh' ich d'rin,
Ein jeder Buchstab ist ein Meer von tiefem Sinn.

Ein jedes Haar des Barts in sich verborgen hält
Viel tausend Meere Wissenschaft der myst'schen Welt.

Im Wasser schauest du das Herz von Gottes Thron,
In Wang' und Flaum' schaust du der Schönheit höchsten Thron.


Vierte Andeutung über das Maal

Einfacher Punct ist in dem Angesicht das Maal,
Der Einheit Mittelpunkt, der Kreis der Vielheit Zahl,

Aus diesem Punct geht aus der Kreis der Doppelwelt,
Geht aus das Lineament, wodurch das Herz zerfällt.

Von diesem Maal ist Herz voll Qual und blut'ger Pein,
Von diesem schwarzen Punct ist Herz der Widerschein.

Dem Maale gleich voll Blut zu seyn, ist Herzenskost,
Und nirgend führt hinaus der Weg von dieser Post.

Die Vielheit kann sich mit der Einheit nicht vereinen,
Zwey Puncte gibt es in der Einheit nicht, nur Einen.

Ich weiß nicht, ob das Herz des Maales Widerschein,
Ich weiß nicht, ob das Maal des Herzens Widerschein;

Ob von dem Widerschein des Maals das Herz entstanden,
Ob durch den Widerschein vom Herz das Maal vorhanden;

Ob das Gesicht im Herz, ob Herz in dem Gesicht,
Ist mir verhüllt, und das Geheimniß weiß ich nicht.

Wenn Widerschein dieß Herz soll seyn von jenem Maal,
Woher Verschiedenheit, die ohne Gränz' und Zahl?

Bald ist's wie trunknes Aug voll Unruh, wüst und graus,
Bald wie verwirrtes Haar, wie Locken wirr und kraus;

Bald leuchtend wie der Mond, der im Gesichte prunkt,
Bald ist es finster wie des Maales schwarzer Punct;

Bald ist's Moschee und bald der Kirche Grabverließ,
Bald ist die Hölle drin, und bald das Paradies;

Bald über Himmel all fühlt selbes sich erhaben,
In einem Haufen Staub bald liegt es tief begraben.


Vierzehnte Frage

Was ist der Sinn von Kerz' und Liebchen, und von Wein,
Was heißt denn Forderung stets liederlich zu seyn?


Antwort auf die vierzehnte Frage

Das Liebchen, Kerz' und Wein sie sind des Seyns Erklärung,
In einem jeden liegt des wahren Seyns Verklärung.

Der Wein, die Kerze sind Begeistrung und Erkenntniß,
Und in dem Liebchen schau des wahren Seyn's Bekenntniß.

Der Wein ist Lampenglas, die Kerze leuchtet drin,
Der Glanz des Geisteslichts ist dann des Liebchens Sinn.

Von Liebchens Schönheit sprang in Moses Herz der Funken,
Der Wein ward Gluth, die Kerz' als Baum von Feuer trunken.

Der Wein, die Kerze sind das Licht der Himmelfahrt,
Die Majestät des Herrn im Liebchen ist bewahrt.

Der Wein, die Kerze und das Liebchen sind bereit,
Verliere nicht statt liebzukosen, itzt die Zeit.

Du zech' vom Weine der Entselbstung eine Zeit,
Vielleicht vom eignen Ich wirst du alsdann befreyt.

Trink Wein und nimm als Glas des Freundes Angesicht,
Indem dir nicht Pokal des trunknen Aug's gebricht.

Trink Wein vom ew'gen Glas, den Schenke dir einschenkt,
Der Text aus dem Koran: der Herr hat sie getränkt.

Der reine Trank ist der, der von beflecktem Seyn,
Dich reiniget, wenn du betrunken stets willst seyn.

O trinke Wein, damit du hebst der Kälte Flor,
Der schlechte Trinker geht dem guten Manne vor!

Dem, der entfernet ist von Gottes Angesicht,
Paßt Flor der Finsterniß viel besser als das Licht.

Denn Adam fand in Nacht der Reue bittre Frucht,
Und Satan ward im Licht des Hochmuths bald verflucht.

Ihm, dessen Herz umwölkt, ein Spiegel ist voll Rauch,
Was nützt es ihm, wenn er sich drin beschauet auch?

Wenn auf den Wein ein Strahl vom Angesichte fällt,
Darein von Blasen auch zugleich die Menge fällt.

Bedeckt mit Blasen fließt der Seelen Welt im Strome,
Doch diese Blasen sind für Heilige die Dome.

Von diesem Weine ist die Weltvernunft berauscht,
Die Weltenseele steht mit Ring im Ohr und lauscht,

Und eine Schenke ist die ganze Welt für Zecher,
Von jedem Sinnstaub der Busen ist ein Becher;

Vernunft und Engel sind, und Seele ist betrunken,
Die Luft, die Erde sind, der Himmel ist betrunken.

Der Himmel dreht sich um, daß er verwirrt Ihn suche,
Begierde schwellt das Herz nach einzigem Geruche.

Die Engel trinken rein aus dieser reinen Hefe
[das Hefen: irdenes Gefäß]
Und ausgegossen ward dann in den Staub die Hefe.

Von Hefen wurden dann berauscht die Elemente,
Das ein' ersäufte sich, indeß das and're brennte.

Vom Duft der Hefe, der auf jenen Staub gesprungen,
Entstand der Mensch, der sich zum Himmel dann geschwungen.

Von ihrem Widerschein ward morscher Leib zur Seele,
Von ihrer Hitze ward belebt gefrorne Seele;

Durch diesen Hefeduft ist das Geschöpf verwirrt,
So daß beständig es von seinem Hause irrt;

Der Hefe Duft macht den zu einem Philosophen,
Indeß die anderen auf Überlief'rung hoffen.

Aufricht'ger Diener wird, wer halb geschlürft den Saft,
Ein Liebender, wer ganz geleert der Flasche Kraft.

In Einem Zuge trinkt ein Anderer gar aus
Den Schenken und den Wein, das Glas, das Humpenhaus.

Verschlungen hat er All' und hält den Mund noch offen,
O Herz! groß wie das Meer von dem noch mehr zu hoffen,

Er hat auf Einen Zug geleert das ganze Seyn,
Und ist von Läugnungen, Bekenntnissen nun rein.

Auf die Enthaltsamkeit und auf den trocknen Traum
Verzichtend greift er nach des alten Wirthes Saum.


Fünfte Andeutung über die Orte des äußeren Lebens

Befreyung von dem Ich wird im Bordell erscheinen,
Unglauben ist die Selbstsucht, wenn auch in dem Reinen.

An Eines halten sich, die wüste Pfade wallen,
Einswerdung läßt die angehängten Dinge fallen.

Den Wüsten ist die Welt, die ganze Wüsteney,
Die Stätte Liebender, die aller Sorgen frey.

Der Wüsten Stelldichein ist Vogelnest der Seele,
Bordell und Schenken sind raumlosen Hauses Schwelle.

Auf Wüstem Wüstes liegt in Wüster Stelldichein,
Auf jenem Felde liegt die Welt als Wasserschein.

Die wüste Stätte hat nicht Gränzen und nicht Wände,
Noch Keiner sah davon den Anfang und das Ende.

Wenn hundert Jahre du auch weilst in diesen Gründen,
So wirst du weder dich  noch Andern dorten finden.

Ein Haufe weilet dort, die kopflos, fußlos sind,
Die nicht Ungläubige und auch nicht Gläub'ge sind.

Der Wein der Selbstentäußerung hat sie ergriffen,
Sie hat Verzicht auf das, was gut und bös, ergriffen.

Sie trinken alle Wein, doch ohne Mund und Gaumen,
Sie thaten All Verzicht auf guten, bösen Nahmen,

Auf Sage mystische auf himmlisches Gesicht,
Auf Bild der Einsamkeit und auf der Würde Licht.

Von Hefenduft sind sie bewußtlos hingesunken,
Von dem Geschmack des Nichtseyns sind sie ganz betrunken.

Den Stab, den Wasserkrug, den Gurt und Rosenkranz,
Im Hefen opfern sie's mit einem Mahle ganz.

Bald fallen und bald steh'n sie auf in Thon und Fluth,
Entströmend ihrem Aug', der Thränen statt nur Blut;

Bald tragen sie im Rausch in der Mysterienwelt
Des Königs Laufern gleich den Nacken hoch gestellt;

Bald drücken sie ihr schwarz Gesicht hart an die Wand,
Bald zeigen roth geschminkt sie sich im höchsten Stand;

Bald drehen sie sich auf des Reigens hehrem Pfade,
So ohne Kopf als Fuß im Kreis gleich einem Rade.

Mit jedem Tone, den der Sänger ihnen bringt,
Begeisterung in sie von andren Welten dringt.

Der Seele Reigen ist nicht leeres Wort und Schall,
Nein! jede Melodie Geheimnißwiderhall.

Die Kutte ziehe aus und wirf sie in die Luft,
Gereiniget alsdann von Farbe und von Duft.

Hinweggewaschen dann vom reinen Weine, schau,
Die Farben all, das Schwarz, das Roth und Grün und Blau.

Wer einen Becher trinkt alsdann von reinem Wein,
Der wird ein Ssofi seyn von Eigenschaften rein;

Die Seele reinigt er von allem Staub und Mist,
Er kann nicht sagen dann, wie ihm geschehen ist.

Er greifet nach dem Saum von trunkenem Gesicht
Und kümmert weiter sich um Scheich und Jünger nicht.

Was braucht er Tugend hier, was Eingezogenheit?
Der Jünger und der Scheich, die Leute stehen weit.

Willst du nach Großem und nach Kleinem dich bescheiden,
Wird Götz' und Gurt und Christenthum dich besser kleiden.

Der Trunkenheit im Schlaf ist unser Seyn zum Raub,
Zum Herrn des Herren, wie verhält sich dann der Staub?

Verwundert fragt Vernunft, was wohl das Wort beweis't,
Daß du nach meinem Aug' gemacht, gebildet seyst.


Fünfzehnte Frage

Unglauben sind der Götz, der Gurt, das Christenthum,
Wenn nicht, so sage mir's, ich bitte dich darum?


Antwort auf die fünfzehnte Frage

Das Götzenbild stellt vor der Einheit Liebe rein,
Den Gürtel binden heißt, bereit zum Dienste seyn.

Unglaub' und Glaube sind entstanden in dem Seyn,
Von der Einswerdung ist der Götzendienst der Stein.

Das Ding ist Gegenstand, und sonst nichts von dem Seyn,
Und was das eine ist, wird bald ein andres seyn.

Bedenke wohl, o du, der ein Vernünft'ger bist,
Daß Götzenbild nicht leer von tiefem Sinne ist.

Du wiss', daß Gott der Herr desselben Schöpfer ist,
Und was aus Gutem kommt, nothwendig gut auch ist.

Denn an sich selber ist das Daseyn gut und rein,
Wenn Böses ist darin, wird es von Andrem seyn.

Wär's Moslim dir gegönnt den Glauben recht zu kennen,
So würdest Glauben du im Götzendienst' erkennen.

Wär Götzendienern klar, weß Bild der Götze sey,
Wie ging er jemahls irr, in seiner Litaney?

Weil er im Götzen nur den äußern Gott erkennt,
Wird nach der Satzung er Ungläubiger genennt.

Wenn du im Götzen nicht verborgnen Gott schaust an,
So bist, nach dem Gesetz, auch du kein Musulman,

Nicht Rosenkranz, Gebeth, nicht Lesung im Koran, -
Macht zum Ungläub'gen dich, macht dich zum Musulman,

Zu den Ungläubigen wird in der That gehören,
Wer durch Allegorie des Islam sich läßt stören.

In jedem Körper ist der Seele Hauch verborgen,
In dem Unglauben liegt der Glauben so verborgen.

Auch der Ungläub'ge preis't den Herrn mit That und Wort,
Der Text: Ein jedes Ding ist hier an seinem Ort.

[Ein jedes Ding: es ist kein Ding,
das Ihn nicht lobpreiset]

Was soll ich sagen, da vom Weg' ich abgekommen?
Laß streiten sie nachdem das Wort: Sag, Gott gekommen.

[Sag, Gott: das Ende des 92. Verses der VI. Sure:
Sag: Gott, dann laß sie spielen unter sich
in der Furth, in der sie schwimmen]

Wer schmückt das Götzenbild mit Schönheit und mit Roth,
Wer diente Götzen wohl, wenn es nicht wollte Gott?

Gott hat's gethan, Gott hat's gesagt, Gott ist's gewesen,
Gut ist's gethan, gut ist's gesagt, gut ist's gewesen.

Nur Eines schau und sag und kenne als das Beste,
Aus dieser Wurzel sproßt des Glaubens Stamm und Äste;

Ich sag' dieß nicht allein, du liest es im Koran,
Gott kennt nicht Unterschied in den Geschöpfen an.

[Der 3. Vers der LXVII. Sure:
"du wirst keinen Unterschied sehen
in den Geschöpfen des Alllebenden".]


Sechste Andeutung über den Gürtel

Ich dachte nach, was Grund von jedem Dinge sey,
Und sah, daß Gürtel nur des Dienstes Zeichen sey.

Der Mann von Wissenschaft den Anhaltspunct nicht findet,
Bis daß er ersten Grund des Ding's nicht hat ergründet.

Steh' unter Männern fest durch Männlichkeit gestaltet,
Erfüll' des Herren Wort: Was ihr versprochen, haltet.

Mit Gaul der Wissenschaft und mit des Glücks Csakan
Heb' auf der Andacht Ball auf dieser Maillebahn.

[Tschewgian das ungarische Csakany,
der Stock, womit der Ballen auf der Maillebahn fortgetrieben
oder mit dem am gekrümmten Ende aufgehoben wird]

Es hat dich Gott der Herr zu diesem End' erschaffen,
Wiewohl Er andere Geschöpfe viel erschaffen.

Der Vater Wissenschaft, das Handeln aber Mutter,
So ist der Fröhlichkeit bereitet viel, o Guter!

Von allen Menschen ist ohn' einen Vater keiner,
Der wahre Heiland ist in dieser Welt nur Einer.

Befrey dich von Mystik und von Allegorie,
Von dem Phantom des Lichts und Wunderphantasie,

Das Wunder sey für dich, daß Gott du bethest an,
All Anderes ist Stolz und Trunkenheit und Wahn.

Was nicht in diesem Ding auf Armuth hat Bezug,
Ist bloßer Stufengang, und Nichts als List und Trug.

Der Satan, so der Fürst von der Verfluchten Chor,
Bringt dennoch tausendfach die Gaukeley hervor.

Bald kommt er von der Wand, bald kommt er von dem Dach,
Bald sitzt im Herzen er, bald in des Leibs Gemach.

Er kennet, was in dir versteckt, verborgen ist,
Er bringt in dich den Trug, Unglauben, Laster, List;

Er führt dich als Imam, du folgst ihm auf dem Fuße,
Wie aber kommst du so wohl jemahls zum Genusse?

Wenn deine Wunder nur in deiner Selbstheit Wahn,
So bist du Pharao, der maßt sich Gottheit an.

Der so mit Gott dem Herrn aufs innigste vertraut,
Wird auf der Linie des Dünkels nie geschaut.

Geschöpfen wendest du dich zu, bewahr, bewahre,
Daß du dich selbst nicht fängst im Handel dieser Waare.

Gehst du mit Pöbel um, wirst du in Thier verwandelt,
Was Thier? da es sich um viel Schlimmeres noch handelt,

Du laß mit Pöbel dich nie in Gesellschaft ein,
Sonst wird dein Naturel bald umgekehret seyn.

Verschwendet hast in Scherz und Possen du dein Leben,
Wo liegt das Gute wohl in sogestaltem Leben?

Versammlung nenne sie wenn ihnen eng und bang,
Der Esel wird Imam, hey! wie sein Bart so lang!

Weil in Unwissenheit die Führer träge ruhn,
Deßhalben ist so schlecht des Menschen Zustand nun.

Gesendet wird Dedschal, begabt mit Einem Auge,
Als Probe in der Welt, wozu er hier wohl tauge.

[Dedschal: der Antichrist]

Welch eine Probe schau, wenn du bey Sinnen bist,
Im Esel, der als Scheich des Pöbels Disteln frißt.

Nun sieh die Esel an, die Jünger von dem Esel,
Wie aus Unwissenheit sie huldigen dem Esel.

Als von dem jüngsten Tag Mohammed sprach das Wort,
Hat diesen Fall er angezeigt an manchem Ort'.

Verschwunden ist nunmehr die Milde und die Scham,
Denn der Unwissende hat niemahls Scheu und Scham.

Der ganze Lauf der Welt ist völlig umgekehrt,
Wenn du nachlässig bist, sieh zu, wie lang es währt.

Ein Mann verflucht, verbannt, dem Haß des Volks geweiht,
Deß Vater guter Mann, ist nun der Scheich der Zeit.

Der ungerath'ne Sohn betritt nun Chisers Bahn,
Gerechte waren doch sein Vater und sein Ahn.

Nun hast zu deinem Scheich gewählet einen Esel,
Der, wenn es größren gibt als du, ein größrer Esel.

Er unterscheidet nicht den Mund, den Bund, den Hund,
Wie war ihm Mittel dich zu reinigen denn kund?

Da stets des Sohns Natur an die des Vaters streift,
Was soll ich sagen da, wo Licht auf Licht gehäuft?

Der Sohn des guten Sinns des Vaters Wege sucht,
Ist der Cypresse gleich hochtragend ihre Frucht.

Wie käme Glaubensscheich dazu, zu unterscheiden
Das Gute, das zu thun, das Böse, das zu meiden?

Die Jüngerschaft erheischt das Wesen zu ergründen,
Und Glaubensleucht' um Licht der Seele anzuzünden.

Die Wissenschaft ward nie durch todten Leib ergründet,
Und von dem Staube ward nie Leuchte angezündet.

Ich hab' entschlossen mich aus diesen trift'gen Gründen,
Zum Unterschied den Gurt des Magus umzubinden.

Nicht ob es mir gebräch' an Ruhme weit und breit,
Nein! mir gebricht's an Ansehn nur und Würdigkeit.

Theilt Niedriger mit mir als Scheich den Ruhm im Land,
Ist's besser als berühmt, zu bleiben unbekannt.

Doch kam Eingebung mir von Gottes inn'rem Licht,
Die Weisheit will's, dich soll der Blöde ärgern nicht;

Wann in dem Lande nicht Auskehrer wär' bestellt,
So würde bald in Mist vergraben seyn die Welt.

Verwandtschaft ist der Grund, der an einander hält,
Am besten weiß es Gott, so geht es in der Welt.

Den Umgang derer, die des Wegs nicht kundig, fliehe,
Und wenn du Andacht suchst, das was Gewohnheit, fliehe.

Gewohnheit, Andacht thun nicht gut in Einem Haus,
Und wenn du Andacht übst, so laß Gewohnheit aus.



Siebente Andeutung über das Christenthum

Im Christenthum seh ich als Ziel Entäuß'rung nur,
Befreyung von Nachahmung und Nachbetherspur,

Der Seele Kloster ist die Einheit für den Christen,
Der Ort, worin des ew'gen Phönix Gluthen nisten,

Dieß geht von Gottes Geist, dem Herren Jesus aus,
Der gehet außerdem vom heil'gen Geiste aus,

Die Seele ward von Gott dir in den Leib gelegt,
Sie, die vom heil'gen Geist an sich das Merkmahl trägt.

Wenn du dich kannst befreyn vom Hauch der Menschlichkeit,
Gelangest du zur Majestät der Göttlichkeit,

Wer wie ein Engel sich entzieht dem Staubgewimmel,
Der thront wie Gottes Geist zu höchst im vierten Himmel.


Zwölfte Vergleichung

Der Säugling lieget in des Lebens ersten Stunden
Bey seiner Mutter in der Wiege eingebunden,

Sobald er mannbar, schickt er sich zur Reife an,
Und gibt dem Vater das Geleit, wenn er ein Mann.

Die Elemente sind als Mutter dir gegeben,
Du bist der Sohn, der Vater ist das höh're Leben.

Herr Jesus sprach, als er im Himmel ward erhoben:
Mein Ursprung, und des Vaters Reich, sie sind von oben.

O Seele! auf den Weg zum Vater dich bereite,
Und da der Vater reis't, so gib ihm das Geleite.

Willst fliehen als Simurgh zum Himmel du empor,
So wirf den Geyern erst die Welt zum Fraße vor.

Dem Geistigen gib Brot, dem Anderen die Welt,
Indem der Hund sich nur im Schmutzigen gefällt.

Was sind Verhältnisse? das Rechte sey dein Lauf,
Du wende dich zu Gott und gib Verhältniß auf.

Für den, der in dem Meer' des Nichtseyns untertaucht,
Ist der Verhältnißtext die Münze, die er braucht;

Von dem Verhältniß, das den Grund in Lüsten hat,
Ist Hochmuth nur und Stolz das einz'ge Resultat.

Wenn nicht Begier und Lust hier in dem Mittel wär',
So wär' Verhältniß nichts als eine Fabel leer.

Allein sobald die Lust die sinnliche tritt ein,
Wird's Weib die Mutter, und der Mann der Vater seyn.

Ich sag' es nicht, wer dir der Vater und die Mutter ist,
Denn ehren mußt du sie als Sohn zu jeder Frist.

Die Mangelhafte heißt die Schwester an Verstand,
Der Brudernahme ward den Neid'schen zugewandt.

Den Feind, den nächsten dir, benennest du dein Kind,
Und Blutsverwandte die, so dir am fremdsten sind.

Sag mir, wer sind sie denn die Öhme und die Tanten,
Die nur durch Kränkungen und Kummer dir Bekannten?

Gefährten sind's, die gehn mit dir dieselbe Straße,
Sie gehn, o Bruder! nur aus Scherz dieselbe Straße.

Und wenn mit deinem Ahn du sitzest um zu sprechen,
Was soll ich sagen von des alten Mann's Gesprächen?

Du hörst von ihnen nichts als Mährchen, Fabeln, Rath,
Bey des Propheten Seel'! nur Possen in der That.

Durch Männlichkeit befrey' von diesen dich als Mann,
Doch taste nicht die Pflicht und die Gesetze an.

Wenn du ein Pünctchen nur an dem Gesetze rührst,
Ungläub'ger du alsdann in beyden Welten wirst.

Behüt'! versäume des Gesetzes Pflichten nicht,
Doch habe auch zugleich dich selber im Gesicht.

Die Nadel bringt Dir Nichts als Tadel, o mein Guter!
Du lasse sie zurück wie Jesus seine Mutter.

[Nadel: bezieht sich auf die moslimische Legende,
daß, als Jesus in den vierten Himmel auffuhr,
er aus Versehen eine Nadel,
die ihm am Saume des Kleides stecken geblieben,
mitgenommen, und also nicht eher
den Eintritt erhalten konnte, bis er sich
der Nadel als eines irdischen Gutes, entledigt]

Sey Hanefi, sey rein nach Gottes heil'gem Worte,
Und steh dem Mönche gleich an seines Klosters Pforte.

[Hanefi: bezieht sich auf den 66. Vers der II. Sure:
"Abraham war nicht Jude und nicht Christ,
sondern Moslim Hanefi d. i. Rechtgläubiger
in natürlicher Religion."]

So lang im Aug' du hast fremdartige Natur,
Ist die Moschee für dich ein Christenkloster nur.

Wenn aber du entsagst dem ird'chen Wohl und Weh,
So wird das Kloster selbst für dich dann zur Moschee.

Ich weiß nicht, was du bist, ob Musulman ob Christ,
Entsage der Begier, du dann befreyet bist.

Die Glocke und der Gurt, der Götz und Christenthum,
Sie winken dir: Entsag' den Würden und dem Ruhm.

Willst eingereiht du seyn vertrauter Diener Schaaren,
Bewähr aufrichtig dich, befleiße dich des Wahren.

So nimm auf deinem Weg dich selber bey dem Schopf,
Verbanne Glaubenswahn und Meinung aus dem Kopf.

Wenn in dem Innern sitzt Ungläubiger in Frieden,
So sey mit Äuß'rem nicht als Musulman zufrieden.

Mit jedem Augenblick fang' neu den Glauben an,
Sey Musulman! sey Musulman! sey Musulman!

Der Glauben gibt es viel, die den Unglauben mehren,
Unglauben ist das nicht, was Glauben kann vermehren.

Verzicht auf Gleißnerey, auf Lobpreis und auf Ruhm,
Wirf weg die Kutt', und bind' den Magusgürtel um.

Sey als Ungläubiger, sey unser Scheich alsdann,
Und wenn ein Mann du bist, so gib das Herz als Mann.

Dem Christenknaben gib das Herz als minniglich,
Entäußre der Bestätigung und Läugnung dich.


Achte Andeutung über die Götzen und Christenknaben

Der Götzenknab' und Götz, sie sind das äußre Licht,
Das stets hervor aus dem Gesicht der Schönen bricht,

Das Herzen unterjocht durch seine Schönheitsmacht,
Das sie zum Sänger bald, und bald zum Schenken macht.

Hey! welch ein Sänger, der mit Einer Melodey
In hundert Scheuern wohl verbrennt das Korn und Heu,

Hey! welch ein Schenke, der mit einem einz'gen Becher
Entseelt hinwirft zweyhundert siebzigjähr'ge Zecher!

Wenn er des Morgens sich begibt in die Moschee,
So hält kein kund'ger Mann es auch in seiner Näh'.

Des Abends gehet er ins Kloster dann betrunken,
Macht Mährchen aus dem Wort, womit die Ssofi prunken;

Begibt alsdann berauscht sich in die Medrese,
Gesetzgelehrter wird berauscht durch seine Näh'.

Durch seine Liebe sind die Frommen all' verloren,
Durch seinen Wandel setzt er ihnen ein den Sporen.

Mein ganzes Handeln wird erleichtert nur durch ihn,
Und von unglaub'ger Lust ward ich befreyt durch ihn.

Den macht er zum Giaur und den zum Musulman,
Die ganze Welt füllt er mit böser Unruh an.

Durch seinen Mund wird, was in Schutt lag, wieder ganz,
Und seiner Wangen Licht gibt den Moscheen Glanz,

Die Selbsterkenntniß wehrt ein hundertfacher Flor,
Der Hochmuth liegt, der Stolz, das Dunkel liegt ihm vor.

Da kam dieß Götzenbild herein zur Morgenzeit
Und weckte aus dem Schlaf mich der Nachlässigkeit.

Durch seine Wangen ward's in meiner Seele licht,
Durch ihn erkannt' ich erst, an was es mir gebricht.

Und als ich ihm so in die lichten Wangen sah,
Da stieg aus meiner Seel' empor ein staunend Ah.

Er sprach: O Gleißender zu mir, o Übergypster,
Dein Leben gibst du hin für Ruhm und Ehr', o Liebster.

[Übergypster: Gypso obductus, Scheinheiliger]

Sieh, wie mit Wissenschaft und Frömmigkeit und Wahn,
O Unvollkommener, zurückbliebst auf der Bahn!

Wenn einen Augenblick du ins Gesicht mir schaust,
Ist's mehr als tausend Jahr', die du gehorsam baust;

Kurz, dieses Angesicht, das Welten spendet Glanz,
Enthüllte sich vor mir und zeigte mir sich ganz.

Da ward mein Angesicht der Seele schwarz vor Scham,
Daß ich des Lebens Lauf so eitel, sorglos nahm.

Als nun gesehn der Mond, deß Leuchten Sonnenleben,
Daß ich die Hoffnung ganz der Seele aufgegeben,

Da füllt' er einen Becher an und gab ihn mir,
Von seinem Wasser flammt' das Feuer auf in mir;

Er sprach: Mit diesem Wein, der ohne Farb' und Duft,
Wasch du hinab was dir das Seyn zurückeruft.

Als ich von diesem Wein, der rein, getrunken hatte,
Da fiel berauscht ich in den finstern Staub der Matten.

Nun bin ich in das Seyn und bin ins Nichts versunken,
Ich bin vernünftig nicht, nicht nüchtern, nicht betrunken.

Bald bin ich wie sein Aug', berauscht, betrunken ganz,
Bald wie sein Lockenhaar, voll Gluthen und voll Glanz;

Bald auf dem Aschenherd durch eigene Natur,
Und bald im Rosenflor, durch seiner Wangen Spur.


Schluß

Von diesem Rosenflor hob ich den Duft hervor,
Und gab den Nahmen ihm Geheimnißrosenflor.

Daraus entblühten dann geheimnißvolle Rosen,
Von denen Niemand noch bisher gewußt zu kosen.

Der Lilien Zungen sind darinnen alle laut,
Und der Narcisse Aug' darinnen Alles schaut.

Betrachte dieß genau mit deinem Herzensauge,
Damit die Zweifel all' zu lösen es dir tauge.

Sieh überlieferte vernunfterkannte Wahrheit,
Durch Wissenschaft gereimt in voller Himmelsklarheit.

Sieh's nicht als Läugner an mit einem Zug voll Zorn,
Sonst stechen Rosen dir ins Auge dann den Dorn.

Der Nichterkenntniß Maal ist Nichts als gut zu nennen,
Denn dankbar seyn dem Herrn, das heißt den Herrn erkennen.

Mein Zweck ist, daß, wenn mein Geehrter einst gedenkt,
Er sagen möge: Huld von Gott sey ihm geschenkt!

Des Buches Schluß hiemit mit meinem Nahmen ende:
O Gott verleihe mir ein hochgelobtes Ende!

Aus: Mahmud Schebisteri's Rosenflor des Geheimnisses
Persisch und Deutsch
herausgegeben von Hammer-Purgstall
Pesth und Leipzig 1838


 

Biographie:
siehe (engl.) http://en.wikipedia.org/wiki/Mahmud_Shabistari


[Anmerkung: die Hervorhebungen durch rote Schriftfarbe sind von mir I. S.]

 

 


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