Aus: Der Buchstabe Ra
XII. (12)
Einen Rath will ich dir ertheilen, hör' mich
Keine Ausflucht, was dir der Freund sagt, thue.
Mache zum Gewinn den Genuß der Schönen;
Denn das Schicksal lauert im Hinterhalte.
Erd' und Himmel gilt bei Verliebten wenig;
Denn der Preis ist groß und die Waare winzig.
Einen Trauten wünsch' ich und eine Flöte,
Daß ich beiden meine Gefühle klage.
Nimmer Wein zu trinken entschlossen bin ich,
Wenn nur auch das Loos den Entschluß begünstigt
Reuig setzt ich oft den Becher nieder;
Doch der Schenke hört nicht auf zu schmeicheln.
Wein von zwey und Mädchen von vierzehn
Jahren 1
Sind mein Umgang, Alte und Junge sprech' ich.
Da das Schicksal uns nicht um Rath gefragt hat,
Will ich, wenn es mir nicht behagt, nicht schmälen.
Gieß' mir Moschuswein in den Becher Schenke!
Daß aus meinem Innern dein Maal nicht schwinde.
Sagt ich nicht o Herz! vor den Locken hüt' dich,
Denn es werden Winde drinnen gefesselt.
Bring' des Wein's Rubin, des Sorbets Perlen,
Sag' zum Neid: betrachte die Großmuth, sterbe!
Wer vermag zu halten mein Herz! nun so schreyt denn:
Aufgeschaut! ein Rasender ist entlaufen.
Wer vergleicht meinen Gedichten Selman's 2
Verse? Sie besingen Soheir's Lieder.
Laß dich Nichts verlauten Hafis von Reue,
Du erlagst den Pfeilen der Brau'n des Schenken.
1 Der
Wein von Schiras hält sich vermuthlich nur auf sehr
kurze Zeit, weil hier zweyjähriger Wein zur Ehre des
Alters kommt; indessen läßt sich das Alt und Jung
sowohl auf Wein als auf Mädchen anwenden, indem der alte
Wein von zwey Jahren doch immer noch um zwölf Jahre
jünger ist als ein junges Mädchen von vierzehn, das im
Gegensatz des zweyjährigen Weines als alt erscheint.
2 Selman
und Soheir sind Namen zweier berühmten Dichter;
der letzte einer der Verfasser der sieben Moallakats
oder Preisgedichte, die im Tempel zu Mekka mit goldnen
Buchstaben geschrieben aufgehangen waren.
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