Aus: Der Buchstabe Ain
IV. (4)
Durch Treue bin ich berühmt bei Schönen wie die Kerze,
Ich sitze bei der Nacht mit Trunknen, wie die Kerze.
Bei Nacht und Tage kommt kein Schlaf in meine Augen,
Ich weine, und bin krank durch Trennung, wie die Kerze.
Den Faden der Geduld zerschnitt die Scheer des Grames,
Ich lach' in der Gluth der Liebe, gleich der Kerze.
Den Schmetterling der Lust send' in die Nacht der
Trennung, 1
Sonst werde ich die Welt verbrennen wie die Kerze.
Wenn blut'ge Thränen nicht dem Auge heiß entströmten, 2
So wär' der Welt nicht kund mein Innres wie die Kerze.
Mein weinend Herz, o schau' es zwischen Gluth und Wasser,
Beständig klaget es, es jammert wie die Kerze.
Der Felsen der Geduld zerschmilzt wie Wachs vor
Schmerzen,
Seit deine Liebe mich zerschmelzet wie die Kerze.
Mein Tag ist finster ohne deine Weltenschönheit,
Doch unvollkommen ist die Liebe wie die Kerze. 3
Ergriffen hat Hafisen deiner Liebe Flamme,
Wann löschet Wasser diesen Brand aus wie die Kerze. 4
1 Ich tappe herum in der finstern
Nacht der Trennung: O sende mir doch den Schmetterling
des Genußes um mich in dieser Finsterniß zu trösten,
denn sonsten zehre ich mich an aus heißer Sehnsucht, wie
die Kerze.
2 Wie
die Kerze in heißen Tropfen schmilzt, so zerschmilzt
mein Auge in heiße blutige Thränen, welche mein Inneres
der Welt verkünden und offenbaren, wie sich die Kerze
durch ihre Flamme zeigt und offenbaret.
3 Die
Kerze opfert ihren Geist auf, indem sie sich selbst
brennend verzehret, so opfern wir auch unsere Seele auf.
4 Die
Kerze ist allen morgenländ'schen Dichtern das Bild eines
aus Liebsucht sich anzehrenden, in heiße Thränen
zerschmelzenden, treuen Liebenden, Hafis vergleicht sich
derselben in allen Stücken.
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