Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Joseph von Hammer-Purgstall)


Aus: Der Buchstabe Ghain

I. (1)

Vom Duft des Rosenbeets gelock't
Gieng ich heut' früh in Gärten,
Um Nachtigallen gleich
Mein trunknes Hirn zu heilen.

Ich sah mit unverwandtem Blick
Der Rose in die Augen,
Die in der Dämmerung
Wie eine Lampe flammte.

Sie war auf ihre Schönheit stolz
Und stolz auf ihre Jugend,
Weil sich das Herz Bülbül's 1
Ihr ganz ergeben hatte.

Die liebliche Narziße schloß
Mit Sehnsucht auf das Auge,
Die Tulpen brannten sich
Aus Neid ein Maal in Busen.

Die Lilien verlängerten
Der Zunge Schwerdt zum Schnupfe,
Die Anemone sprach
Leis wie ein Ohrenbläser.

Bald hielt ich Flaschen in der Hand
Gleich wahren Weinverehrern,
Bald nahm ich wie der Schenk'
Der Trunkenen den Becher.

Benütze die Gelegenheit,
Die Zeit der Lust und Jugend,
Hafis braucht ausser dem
Propheten keine Botschaft. 2

1 Bülbül, die Nachtigall; in den folgenden Strophen sieht Hafis in den Blumen nichts als den Ausdruck des Neides, der Eifersucht, der Verzweiflung, über die Schönheit seiner Geliebten.

2 Eine Anspielung auf Mahommeds wörtliche Ueberlieferung: Künde Ihnen, was dir aufgetragen ward, und wenn sie es nicht annehmen, darf es dich nicht kümmern.



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