Aus: Der Buchstabe Fe
I. (1)
Wenn mein Glücksgestirn mir Hülfe gewähret,
Leg' ich die Hand an ihren Kleidsaum,
Wenn ich zu Handen ihn bring', o welche Wonne!
Bringt sie mich um, o welch ein Adel!
Dieses Herz voll Hoffnung hoffet von Keinem
Gnädigen Blicks erhört zu werden,
Ob ich gleich überall hin mit eignen Worten,
Was ich erlitt, verkündet habe.
Ha wie lange soll ich steinerne Herzen
Kosend mit Schmeicheleien nähren!
Diese verzärtelte Zucht von bösen Kindern
Fraget nicht viel nach ihrem Vater.
Dieser Augenbrauen Krause hat meinen
Bitten die Thür nie aufgemachet,
Wehe mir! Daß ich verlor der schönsten Jahre,
Besseren Theil in solchen Wünschen.
Ach, wann werden einst die Brauen des Freundes
Reichen die Hand uns armen Schwachen!
Keinem gelang's noch den Pfeil der Herzbegierde,
Solcher Gestalt in's Ziel zu schießen.
In den Winkel zog ich mit Verlangen,
Einsam zu seyn, und fromm zu leben,
Wunderlich scheint mir's daher, daß aller Orten,
Jünglinge Pauck' und Lauten schlagen.
Eremiten sind unwissend, o singe
Lustigen Ton, und laß den ersten, 1
Suche den Wächter voll Wein, er ist von Sinnen,
Bringe nur Wein und fürchte Nichts sonst.
Schauet nur den frommen Mann aus der Stadt an,
Ißt er zu Nacht nicht Leckerbissen?
Heilsam bekomme das Mahl, und die Verdauung
Diesem mit Heu genährten Thiere.
Wenn Hafis du auf dem Pfade der Liebe,
Weiter hinaus zu gehen verlangest,
Diene als Führer des Wegs der Wächter,
Heiligen Grabs, Ali's zu Redschef. 2
1 Naksch heißt die
ausgelassendste und nach den Lehren islamischer
Rigoristen am meisten verbotene Tonweise. Kul die
ernste minder anstößige. Die Frommen, meint Hafis,
wissen die eine und die andere nicht von einander zu
unterscheiden, der Sänger mag sie also immer
verwechseln.
2 Redschef,
nahe bei (der heut zerstörten) Stadt Kufa, der
Grabstätte Ali's, der hier selber unter dem
Wächter verstanden wird; Dschami nannte ihn so, und zog
sich dadurch böse Händel mit seinen Glaubensgenossen
den Schiiten zu.
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