Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Be

1.

Ich sprach: »O Sultan du der Schönen.
Erbarme dieses Fremdlings dich!«

Er sprach: »Wenn er dem Herzen folget,
Verirrt der arme Fremdling sich.«

Ich sprach zu Ihm: »Verzieh' ein wenig!«
Er sprach: »Entschuldigt lass mich sein,

Denn es erträgt das Kind des Hauses1
Vom Fremdling nicht so viele Pein.«

Was grämt's den Zärtling, der da schlummert
Auf königlichem Hermelin,

Legt Stein' und Dornen sich der Fremdling
Als Polster und als Kissen hin?

Du, der so viel bekannte Seelen
An seiner Locken Kette hält!

Dein Moschusmaal auf rother Wange,
 Ein Fremdling ist's, der sehr gefällt.

Fremd scheint die Ämsenschaar des Flaumes,
Die deine Wange rings umschliesst,

Wenn gleich in China's Bilderhause
Ein Moschusstrich kein Fremdling ist.2

Auf deines Mondgesichtes Farbe
Erscheint des Weines Widerschein

Als Fremdling, wie die Ergwansblüthe3
Auf Rosenblättern würde sein.

Ich sprach: »Du, dessen nächt'ge Locke
Der Abend eines Fremdlings scheint!

Du magst dich vor dem Morgen hüten,
Wenn dieser Fremdling klagt und weint!«4

Er sprach: »Hafis! Selbst die Bekannten
Steh'n da verwundert über mich:

D'rum ist's begreiflich, setzt der Fremdling,
Krank und von Gram ermattet, sich.«
 

1 D.i. der weichlich Erzogene.

2 Mani, der berühmte Maler und Stifter der Secte der Manichäer, dessen Lehre im dreizehnten Jahrhundert n. Ch. sich vom östlichen Asien bis zum westlichen Europa verbreitete. Er begründete die Göttlichkeit seiner Sendung vorzugsweise durch Kunstwerke der Malerei, da sein Pinsel mit China's Gemälden wetteiferte die damals und bis zum Aufblühen persischer Kunst die berühmtesten im ganzen Oriente waren: daher heisst auch seine Werkstatt vorzugsweise das Bilderhaus oder das chinesische Bilderhaus, d.i. dasjenige, das wetteifert mit den chinesischen Gebilden. - Mit diesem Bilderhause vergleicht hier Hafis die blühende Wange des Lieblings; und wie an den Gemälden des Bilderhauses ein Moschusstrich, d.i. eine dunkle Schattierung, nichts seltsames und fremdes an sich hat, eben so wenig darf der Flaum, die Schattierung im Bilde des schönes Gesichtes befremden. Überdies gilt auch China für das Vaterland des Moschus.

3 Ergwan oder Ergawan ist die Syringa persica, deren purpurrothe Blüthe hier mit dem Wein verglichen wird, den sich die Dichter des Orients immer nur roth denken.

4 Weil die Orientalen, wie früher bereits erwähnt, behaupten, dass das Gebet zu Gott am Morgen ihm besonders wohlgefällig sei und er es vorzugsweise erhöre. Siehe 11. Ghasel des Buchstaben Elif, Note 5.

[5 Den Gebeten vor Sonnenaufgang schreiben die Orientalen eine grosse Wirkung und häufige Erhörung zu.]

 

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