Aus: Buchstabe Be
2.
Der Morgen graut; die Wolke
Hüllt sich in Schleier ein:
Den Morgenwein, ihr Freunde!
Auf, bringt den Morgenwein!
Seht, wie auf Tulpenwangen
Der Thau hell niedersinkt:
D'rum bringt mir Wein, o Freunde,
Wein, den man immer trinkt!
Die Luft des Paradieses
Weht von der Wiese Rain:
D'rum trinket unablässig
Vom allerreinsten Wein!
Ein Thron ist's aus Smaragden,
Auf dem die Rose sitzt:
D'rum bringe Wein, der feurig
Gleich dem Rubine blitzt!
Man schloss das Thor der Schenke
Zum zweiten Male zu:
O öffne du es wieder,
Der Pforten Öffner du!1
Wohl ist es zu verwundern,
Dass in so froher Zeit
Das Weinhaus man verschlossen
Mit solcher Schnelligkeit.
Dein Mund, roth wie Rubine,
Ist sich des Rechts bewusst,
Das wohl das Salz nur hätte
Auf eine wunde Brust.2
Hafis, sei unbekümmert!
Es schlägt das Liebchen »Glück«
Am Ende doch den Schleier
Vom Angesicht zurück.
1 Eine Anspielung auf den
bekannten Spruch: Ja mufettihul - ewab iftatih lana chairal - bah, d.i.
O Öffner der Pforten, öffne uns die beste Pforte! - welcher häufig über
den Thoren öffentlicher Gebäude steht.
2 Des Rechtes zu heilen nämlich; denn auch dein Mund hat sales et
lepores. Wörtlich heisst es: Deine Rubinenlippe hat Salzrechte auf die
wunden, zu Braten gewordenen Busen. Der Vergleich einer gemarteten,
schmerzdurchglühten Brust mit einem Braten, den orientalische Dichter so
häufig gebrauchen, klingt in ihrer Sprache nicht so unedel und
prosaisch, wie er in der unsrigen klingen würde.
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