Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Be

4.

Aus dem Garten deiner Liebe schöpfet
Selbst Riswan's1 Gefild des Ruhmes Fluth;2

Von den Gluthen deiner Trennung borget
Selbst die Hölle ihre heisse Gluth.

Zuflucht sucht bei deiner schönen Wange
Und bei deiner schlanken Hochgestalt

Selbst das Paradies und selbst der Thuba;3
Wohl denn ihnen! Schöner Aufenthalt!4

Wie mein Aug', so sieht durch ganze Nächte
Auch der Strom der Paradiesesflur

Immerdar im Schlaf das Traumgebilde
Deiner trunkenen Narcisse5 nur.

Jeder Abschnitt6 in des Frühlings Buche
Ist ja deiner Schönheit Commentar,

Und ein jedes Thor7 des Paradieses
Bringt ein schönes Lobgedicht dir dar.8

Dieses Herz verbrannte, und die Seele,
Nicht erhielt sie das gewünschte Gut;

Denn erhielt sie's, so vergöss' sie nimmer
Ein mit Wasser untermengtes Blut.9

Deine Lippe und dein Mund geniessen
Salzesrechte mannigfacher Art

Auf das Herz, das leidende, das wunde,
Und den Busen, der zum Braten ward.

Wähne nicht, es sei'n zu deinen Zeiten
Nur Verliebte trunken und verstört:

Hast du nichts von jener Frömmler Lage,
Die da wüst geworden sind, gehört?

Jetzt zur Zeit der Herrschaft deiner Lippe
Wird es mir bis zur Gewissheit klar,

Dass, was den Rubin zu Tag gefördert,
Nur das Weltlicht einer Sonne war.10

Lüfte doch die Hülle, die dich decket!
Hüllt noch lang' dich dieser Schleier ein?

Brachte denn dir jemals diese Hülle
Andren Vortheil als nur Scham allein?11

Als die Rose dein Gesicht erblickte,
Glühte sie, da Neid sie überkam;

Als sie sich an deinem Dufte labte,
Schmolz zu Rosenwasser sie aus Scham.

Liebe nur zu deinem Angesichte
Taucht Hafisen in des Unglücks Meer;

Sieh, es gilt ja eines Menschen Rettung:
Komm und hilf, denn sonst versinket er.

Fruchtlos ziehe nimmer dieses Leben
- Gib's nicht zu, Hafis - an dir vorbei:

Mühe dich und trachte aufzufinden,
Was der Zweck des theuren Lebens sei.
 

1 Riswan ist der Name des Gärtners und Hüters des Paradieses (auch Miri hescht bihischt, d.i. der Fürst der acht Paradiese genannt), und bedeutet: Zufriedenheit.

2 Im Originale stehen die Worte bagh, das zugleich "Garten" und "Antlitz der Geliebten" bedeutet, und ab, das "Wasser, Glanz und Ruhm" bezeichnet.

3 Thuba, wörtlich: die Liebliche, Angenehme, ist der Name eines paradiesischen Baumes (des Lotosbaum's der Griechen), mit dem hier der hohe Wuchs des Geliebten, wie seine Wange mit dem Paradies verglichen wird.

4 Worte des Koran's, Sur. 13. Vers. 28.

5 Die Narzisse ist dem Orientalen das Symbol des Auges, und sie heisst häufig die trunkene, weil sie ihr Haupt zu Boden neigt.

6 Das Wort des Originals: Fassl, Abschnitt, heisst auch Jahreszeit, und ist absichtlich hier gewählt, wo des Frühlings gedacht wird.

7 Eben so absichtlich ist das Wort des Originals: Bab, Thor, gewählt, da es auch Hauptstück bedeutet und das darauf bezügliche Wort: Bihischt, "Paradies" (das acht Thore hat), an eine Menge von Büchern erinnert, die den Titel: Paradies führen.

8 Durch sein melodisches Geknarre.

9 D.h.: So weinte ich nicht blutvermischte Thränen.

10 Nach der Meinung der Morgenländer werden die Edelsteine in ihren Schachten durch die Einwirkung der Sonne gefärbt. Wenn darüber noch ein Zweifel obwalten könnte, sagt der Dichter, so würde er durch die Sonne des Angesichtes des Geliebten gehoben, welche dem Rubine seiner Lippen die Farbe gab.

11 Den Nachtheil nicht gesehen zu werden. Das Wort: Hidschab hat die doppelte Bedeutung von Schleier und von Schaam. - Sudi behauptet, fünf Distichen dieses Ghasels, die er nicht näher bezeichnet, seien aus einem Gedichte genommen, welches Hafisens Freund, der Dichter Kemaleddin Selman, zu Ehren des Königs Mu'izzeddin Uweis sang.

 

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