Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Elif

2.

Du, von dessen holder Wange
Licht der Mond der Schönheit borgt

Und aus dessen Kinnes Brunnen
Anmuth sich mit Glanz versorgt!1

Wann, o Herr, wird es sich fügen,
- Was mein stetes Streben war, -

Dass ich mein Gemüth versammle,
Während sich zerstreut dein Haar?2

Dich zu schauen, schwang die Seele
Auf den Rand der Lippe sich:

Soll zurück, soll vor sie schreiten?
Was befiehlt dein Wille? Sprich!

Hoch den Saum vom Staub und Blute,
Gehst vorüber du an mir!

Denn es liegen viele Todte,
Die du hingeopfert, hier.

Freunde! Lasst den Liebling wissen,
Dass er wüst gemacht mein Herz,

Denn es fühlt ja Eure Seele
Mit der meinen gleichen Schmerz!

Wo dein Aug' gestrahlt, that Jeder
Auf Enthaltsamkeit Verzicht:

Drum vor deinen trunk'nen Augen
Prahle man mit Tugend3 nicht!

Scheint es doch, mein Glück erwache
Endlich aus dem langen Schlaf,

Da der Schimmer deines hellen
Angesicht's sein Auge traf.4

Sende mir ein Rosensträusschen
Deiner Wange durch den Ost,

Dass ich deines Gartenstaubes
Düfte athme, mir zum Trost!

Schenken, Ihr von Dschem's Gelage,5
Lebet glücklich immerdar,

 Wenn in Eurem Kreis gleich nimmer
Weingefüllt mein Becher war!

Horch, Hafis thut eine Bitte;
Sprich ein Amen denn getrost:

»Deine zuckersüsse Lippe
Sei in Zukunft meine Kost!«

Ostwind, sag' in meinem Namen
Jesd's Bewohnern: »Ueberall

Soll das Haupt der Undankbaren
Werden Eures Schlägels Ball!6

Bin ich fern gleich von der Nähe,7
Meine Wünsche sind nicht fern,

Und ich diene Eurem König
Und mein Wort, es preist Euch gern.«8

Fürst, beschirmt von hohem Sterne,
Ich beschwöre dich, erlaub',

Dass dem Himmel gleich ich küsse
Deines Prunkgezeltes Staub!
 

1 Glanz heisst im Persischen Abirui, wörtlich: Wasser des Gesichtes. Eine Anspielung auf den zarten Schweiss im Brunnen des Kinnes (Kinngrübchen).

2 Ein versammeltes Gemüth heisst ein ruhiges, glückliches. - Der Sinn dieses Verses ist daher: So lange deine schönen Haare zerstreut sind und mich durch ihr loses Flattern anlocken, wird auch mein Gemüth nicht versammelt, d.i. nicht ruhig werden.

3 Wortspiel mit Mesturi, Tugend, Enthaltsamkeit, und Mestan, die Trunkenen, d.i. die Augen. - Da ähnliche Wortspiele, die bei den Orientalen für einen grossen Redeschmuck gelten, in diesem Diwan nur zu häufig vorkommen, so würde die jedesmalige Erklärung derselben in einer besonderen Anmerkung den Leser nur anwidern und ihm doch häufig unverständlich bleiben; wir haben uns daher begnügt, durch das Drucken der betreffenden Worte mit durchschossenen Lettern darauf aufmerksam zu machen. [Hier wiedergegeben durch Kursivdruck, I.S.]

4 Schimmer heisst im Persischen Ab, Wasser. - Du hast gleichsam mein eingeschlafenes Glück dadurch geweckt, dass du Wasser deines Angesichtes auf sein Auge spritztest.

5 Unter den Schenken vom Gelage Dschem's (des mächtigen altpersischen Königs Dschemschid, Dejoces) versteht Hafis die ihm feindlich gesinnten Höflinge von Jesd (einer drei Tagereisen von Schiras entfernten Landschaft), den er einst besang, ohne von ihm eine Belohnung erhalten zu haben, was er jenen Höflingen zuschreibt.

6 Ein Vergleich, von dem in Persien üblichen Spiele mit dem Balle und dem an oberen Spitze mit einem krummen Häkchen versehenen Schlägel, einer Art Jeu de maille hergenommen. - Diese Stelle scheint ironisch gemeint, da er dem Könige von Jesd und dessen Bewohnern nichts zu danken hatte.

7 Des Königs von Jesd.

8 Durch diese und die unmittelbar folgenden Verse lenkt Hafis wieder ein und scheint sich wegen des so eben Gesagten entschuldigen zu wollen.

 

 

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