Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Lam

2.

Ich schäme mich, dass ich dem Weine
Zur Zeit der Rosen hab' entsagt;

Mög' Niemand sich zu schämen haben
Weil Unrecht er zu thun gewagt!

Als Fallstrick auf der Bahn der Liebe
Erweiset meine Tugend sich,

Drum schäm' ich vor dem holden Schenken
In keinem Anbetrachte mich.

Des Blut's, das gestern Nachts geflossen
Aus meines Auges kleinem Haus,

Muss ich mich vor den Träumen schämen,
Die wandeln durch der Nächte Graus.

Weit schöner als die Sonne bist du.
Und Dank sei Gott gezollt dafür

Dass ich im Angesicht der Sonne
Mich nimmer schämen darf vor dir.

 Es wird vielleicht der Freund aus Milde
Nicht fragen ob gesündigt ich:

Denn es betrübte mich die Frage,
Und einer Antwort schämt' ich mich.

Nie wandte ich im ganzen Leben
Von deiner Schwelle mein Gesicht.

Und schäme mich, durch Gottes Gnade.
Vor dieser Schwelle1 sicher nicht.

Warum wohl unter deiner Lippe
So gifterfüllt der Becher lacht?2

Weil deine Lippe, gleich Rubinen,
Den Rebensaft sich schämen macht.

Wohl hält die trunkene Narcisse
Mit vollem Grund gesenkt das Haupt:

Vor jenem vorwurfsvollen Auge
Ist sich zu schämen ihr erlaubt.

Es hüllet in des Dunkels Schleier
Sich stets nur desshalb Chiser's Quell,

 Weil er sich vor Hafisen schämet,
Und diesem Lied, wie Wasser hell.3

Es birgt im Schleier einer Muschel
Die Perle desshalb ihr Gesicht,

Weil sie sich vor den Perlen schämet
Die mir erglänzen im Gedicht.
 

1 Der Ausdruck: vor dieser Schwelle, kann auch heissen: von dieser Seite, in diesem Anbetrachte.

2 Das gifterfüllte Lachen des Bechers ist das Überschäumen seines Inhaltes.

3 Ein lobender Vergleich, den man im Abendlande für ziemlich zweideutig hielte.

 

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