Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Lam

6.

Der du durch Wuchs und Reize
Das Herz entwendet mir!

Du kümmerst dich um Keinen,
Und Alle huld'gen dir.

Bald deinen Pfeil, bald Seufzer
Zieh' aus dem Herzen ich:

Wie sag' ich dir, o Seele,
Was ich schon litt um dich?

Beschrieb' ich Nebenbuhlern
Die Lippen von Rubin?

Frommt nimmer doch den Thoren
Ein schön gefärbter Sinn.1

Es mehrt sich deine Schönheit
So oft es wieder tagt,

Drum sich, dir gegenüber,
Der Mond hervor nicht wagt.2

Du nahmst das Herz, ich gebe
Auch noch die Seele dir;

Hab' Gram's genug: was schick'st du
Den Gram als Zöllner mir?

Hafis, weil du betreten
Der Liebe Heiligthum,

So fasse Ihn beim Saume,
Entsagend Allem drum.
 

1 Ein gefärbter Sinn heisst so viel als ein geistreiches Wort, und ist zugleich eine Anspielung auf die rothe Lippe.

2 Der nämlich verschwindet, wenn mit der Sonne der Tag erscheint.

 

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