Aus: Buchstabe Waw
10.
Auf das grüne Saatenfeld des Himmels
Und des Neumond's Sichel fiel mein Blick,
Und ich dachte an die eig'nen Felder
Und die frohe Erntezeit zurück;
Und ich sprach: »O Glück, du liegst im Schlummer,
Und doch strahlet schon der Sonne Licht!«
Und er sprach: »Trotz allem Vorgefall'nen
Nähre Hoffnung und verzweifle nicht!«
Wenn du dich zum Himmel aufgeschwungen,
Dem Messias ähnlich, frei1 und rein,
Dann verleiht dein Fackellicht der Sonne
Einen hundertfachen Strahlenschein.
Baue nicht zu sehr auf die Gestirne,
Diese nächt'gen Diebe, die geraubt
Keichosrewens königlichen Gürtel,
Und die Krone von Kjawusens Haupt.
Nicht so stolz gebehrde sich der Himmel,
Denn der Liebe sind für ihren Theil
Um ein Körnlein - lichte Mondesgarben,
Um zwei Körnlein - Plejasähren feil.
Zwar es lastet hindernd auf dem Ohre
Ein Gehäng von Gold und von Rubin:
Doch vergänglich ist die Zeit der Schönheit:
Rath ertheil' ich, und du höre ihn!
Deinem Maale nah' kein Bosheitsauge,
Denn, wo Schach um Schönheit wird gespielt,
Hat's den Stein so siegreich vorgeschoben,
Dass als Pfand es Sonn' und Mond erhielt.2
Der Verstellung und der Falschheit Feuer
Setzt des Glaubens Garbe bald in Brand:
Zieh' denn hin, Hafis, doch früher schleud're
Weit von dir dies woll'ne Mönchsgewand!
1 Messias (Messih) oder Jesus (Issa), den
Mohammedanern ein Prophet, hat den Beinamen Mudscherred, d.i. der
Freie, weil er sich von jeder irdischen Anhänglichkeit frei
gehalten.
2 D.h. Dein Maal hat auf dem Schachbrette der Schönheit seinen Pion so
weit vorgeschoben, dass er, als Sieger im Spiele, Mond und Sonne als
Pfand, d.i. als Gewinn erhielt; d.h. der Glanz deines Maales besiegte,
überstrahlte Mond und Sonne.
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