Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe He

5.

Selig ist das holde Lüftchen,
Das mit Ambra schwanger geht,

Und, von Lust nach dir getrieben,
Schon am frühsten Morgen weht.

Eile, o beglückter Vogel,
Als mein Führer mir voran,

Denn mein Auge schmolz aus Sehnsucht
Jenem Thürstaub bald zu nah'n.

Meiner Harmgestalt gedenkend,
Die da schwimmt im Herzensblut,

Blickt man auf zum neuen Monde
Dort am Rand der Abendgluth.

Kömmt dereinst mit deiner Liebe
An sein Ziel mein Lebenslauf,

Spriesst, statt Gras, aus meinem Grabe
Eine rothe Rose auf.

Athm' ich noch, von dir geschieden?
O der Schmach! Doch du verzeih'st:

Denn was wäre sonst die Tugend,
Die man Schuldvergebung heisst?

Nur allein von deinen Freunden
Lernt die Luft was Liebe sei,

Denn sie reisst am weissen Morgen
Sich das schwarze Kleid entzwei.1

Ruf' in deinem zarten Sinne
Nicht so schnell den Unmuth wach,

Weil ja dein Hafis so eben
Erst: »Im Namen Gottes!« sprach.2
 

1 Der weisse Morgen heisst die Morgenröthe, die dem Aufgang der Sonne unmittelbar vorausgeht, im Gegensatze jener schwächeren Dämmerung, auf welche die eigentliche Morgenröthe folgt. - Der Sinn dieser Stelle ist also: Die Luft durchdringt im Momente der Morgenröthe (des weissen Morgens) das Schwarz der Nacht im Gefühle einer Liebe, die sie von deinen Anbetern lernte, die gleich ihr im Liebesschmerz sich die Kleider zerreissen.

2 D.h. Wecke deinen Unmuth gegen mich nicht so schnell, weil ich erst am Anfange meiner Beschwerden gegen dich bin. Mit dem Bismillah, d.i. im Namen Gottes, wird nämlich jede Unternehmung des frommen Mohammedaners begonnen.

 

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