Aus: Mesnewiat

6.

Wer in die Welt, die wirre, hat seinen Fuss gesetzt,
Hinab in eine Grube muss steigen er zuletzt.

Die Welt ist eine Brücke: in's Jenseits läuft sie aus,
Ein Ort des Unbestandes, ein ödes, wüstes Haus.

Misstraue dieser Brücke voll Schrecken und voll Grau'n;
Bereite dich zur Reise, hier ist kein Haus zu bau'n.

Dies Köschk von kurzer Dauer¹ ist - wie der Weise spricht -
Ganz einer Wüste ähnlich, nur Schätze birgt es nicht.

Der Wahrheit Perle bohrten² die Männer von Verstand,
Die dieses Wohngebäude ein Gasthaus nur genannt.

Zieh' weiter, denn man siedelt sich nicht im Gasthaus an;
Zieh' weiter, denn man weilet nicht auf der Erdenbahn.

Verlange nicht nach Gelde und Würden dieser Welt:
Die Würde ist ein Brunnen und Schlangen gleicht das Geld.

Ich nehme an, du ständest so hoch wie Behramgjur,³
So fällst du doch am Ende in's Netz der Grube nur.

Bist du kein Blinder - sagt' ich - sieh auf die Grube hin,
Und handle immer - sagt' ich - mit vorsichtsvollem Sinn!

Entgehen konnte Keiner noch diesem Aufenthalt,⁴
War Bettler oder König, war jung er oder alt.

Der du vorbei einst wandelst an mir mit stolzem Sinn,
Hafis wünscht ein Gebetlein: so bete denn für ihn!
 

1 D.h. Diese vergängliche Welt.

2 D.h. Die Wahrheit sprachen.

3 Behramgjur, Sohn Jesdidscherd's, ein mächtiger persischer König, der die Hofsprache Deri einführte. Die letzte Silbe Gjur bedeutet auch Grube; sie bedeutet noch: wilder Esel, Lastthier und ward als Symbol der Stärke dem Namen des besagten Monarchen beigefügt. Siehe die 3. Anmerkung zum 13. Ghasel aus dem Buchstaben Schin.

[3 Behram, mit dem Beinamen Kiur, der wilde Esel, welcher in Persien für das Symbol der Kraft und Stärke gilt, hatte einst, wie das Schahname erzählt, einen solchen wilden Esel bis in eine Grotte verfolgt, worin man aber weder Letzteren noch ihn mehr fand. Hafis spielt hier mit dem Kiur, das Grab bedeutet, auf den Beinamen Behram's an.]

4 Der Grube des Grabes nämlich.