Mohammed Schemsed-din Hafis

(Übersetzung: Vincenz Ritter von Rosenzweig-Schwannau)


Aus: Buchstabe Elif

9.

Ostwind! Jenem schlanken Rehe
Sage du mit Gunst und Huld:

»Durch die Berge und die Wüsten
Irre ich durch deine Schuld.«

Zuckerhändler, dessen Leben
Lange währe! Warum, ach,

Frägt er nie dem Papageie,
Der da Zucker kauet1, nach?

Wenn du bei dem Freunde sitzest,
Einen Becher in der Hand,

So gedenke der Geliebten,
Die da irren durch das Land!2

Stolz, auf Schönheit hat vermuthlich
Es, o Rose, dir verwehrt,

Nach des Sprossers Thun zu fragen.
Den der Liebe Gram verzehrt.

 Durch die Macht der schönen Sitte
Fängt man auch den weisen Mann,

Während der verschmitzte Vogel
Jedem Netz und Garn entrann.

Wesshalb wird man nie die Farbe
Der Vertraulichkeit gewahr

An der schlanken, schwarzbeaugten,
Mondgesicht'gen Liebchenschaar?

Mehr als eines einz'gen Fehlers
Zeih' ich deine Reize nicht:

Dass es nämlich einem Schönen
Stets an Lieb' und Treu' gebricht.

Dankbar für der Freunde Umgang
Und des guten Glück's Gewinn.

Wolle du der Fremden denken,
Die durch Feld und Wüste zieh'n!

Ist's zu wundern, wenn am Himmel,
Durch Hafisens Wort erregt,

 Der Sohre3 Gesang zum Tanze
Den Messias selbst bewegt?4
 

1 Der Papagei, der da Zucker kaut, ist Hafis, der Dichter süsser Lieder.

2 Wörtlich: die den Wind messen.

3 Sohre, Suhara oder Anahid, die himmlische Venus, die befruchtende Göttin, die einst in den üppigen Lorberhainen um Tiflis ihre Tempel hatte; aber frevelnde Hände entweihten die Stätten. Anahid entzog den Höhen ihren befruchtenden Odem und zog nach Armenien, wo ihr noch Opfer gebracht werden; sie ist der Planet der Sänger und Musiker. Die aus der persischen Mythologie in den Islam herübergenommene Erzählung von der Verwandlung der Anahid oder Suhara in den bei den Orientalen diesen Namen führenden Planeten Venus, erzählt der Commentar zum Mesnewi (s. Mesnewi oder Doppelverse des Schich Mewlana Dschelaleddin Rumi, aus dem Persischen übertragen von Georg Rosen. S. 70, Anm. 218) folgendermassen: "Suhara, eine schöne Frau, hatte sich mit ihrem Manne entzweit und kam deshalb zu dem Tribunale der beiden Engel Harut und Marut (welche zur Erde herabgekommen waren, um die Schwächen des Menschengeschlechtes kennen zu lernen). Diese hatten kaum ihre Anmuth und Lieblichkeit erblickt, als sie ganz davon hingerissen wurden und deshalb ihre Angelegenheit in die Länge zu ziehen suchten. Als nun Suhara an einem anderen Tage wiederkam, luden die Engel sie in ihr Gemach und erklärten ihr da ihre Liebe. Suhara antwortete ihnen: Nur wenn ihr drei Thaten ausführt, werde ich eurem Wunsche willfahren: zuerst dass ihr den Götzen, den ich verehre, anbetet, zweitens, dass ihr meinen Gatten tödtet und drittens, dass ihr Wein trinket. Da nun die beiden Engel Mord und Götzendienst als grosse Verbrechen kannten, so weigerten sie sich darauf einzugehen; zum Weintrinken aber erklärten sie sich bereit, indem sie nicht wussten, dass dies die Quelle der Laster, die Mutter aller Schändlichkeiten ist. Wie man erzählt, sprach dann Suhara zu ihnen: Ihr steigt doch jeden Abend nach Beendigung eurer Regierungsgeschäfte zum Himmel auf; so saget mir das Wort, dessen göttliche Kraft euch befähigt, dies zu vollbringen. Die Engel theilten dem Weibe das erhabene Wort mit und durch dasselbe stieg sie zum Himmel empor. Gott aber verwandelte ihre Gestalt und machte sie zu einem Sterne." - Die persische Erzählung, nach welcher Suhara unschuldig bleibt, ist sinnreicher; doch ist die hier vorliegende Auffassung schon im Koran (2. 96) und ausserdem durch einen von Sujuti auf Autorität Ali's angegebenen Ausspruch Muhammed's (Hadis) bestätigt, nach welchem dieser, so oft er die Venus erblickte, ausgerufen haben soll: "Gott verfluche die Suhara; denn sie ist es, welche zwei Engel in Versuchung führte, den Harut und den Marut."

Diese uralte Sage findet sich im Talmud als die der beiden Engel Asa und Asael, welche zur Strafe dafür, dass sie die Menschentöchter verführten, in finstere Berge gebracht und dort mit Ketten in den Abgrund gesenkt wurden, wo Bileam und Salomo von ihnen Weisheit lernen. S. Meier's allgem. mythol. Lexikon.

4 Die Zusammenstellung der Suhara mit dem Messias ergab sich dem Dichter gleichsam von selbst dadurch, dass die Sphäre der Suhara insgemein auch die Sphäre des Messias heisst.

 

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