Heilige Liebesspur

Worte von Heiligen, Mystikern und anderen Hellhörigen
(vom 30. April 2010)

(c) Günter Havlena - Pixelio.de




Angela von Foligno
(1248-1309)



Die Offenbarung der göttlichen Liebe
und Herrlichkeit
 

Mein Gemüth fühlte sich sehr dürre und trocken, ohne Andacht. Ich bat daher Gott, er möchte mir etwas von ihm selbst geben. Da eröffnete er mir die Augen meines Gemüthes und ich sah die Liebe selber zu mir kommen, Viel heller und deutlicher, als man mit leiblichen Augen etwas sehen kann. Ihres Gleichen kenne ich nicht, kann sie daher auch nicht beschreiben.
Ich war mit Liebe so erfüllt, daß ich ganz Liebe geworden zu seyn glaubte. Gottes Wort sprach zu mir: "Viele glauben, sie seien in der Liebe, und sie sind im Zorn. Viele glauben: ich hasse sie, und sie sind in meiner Liebe." Meine Seele fragte: Bin ich wohl auch ganz Liebe? oder bin ich im Zorn? Statt der Antwort ließ er mich die Sache selbst schauen und so lebendig empfinden, daß ich ganz befriedigt war. Auf einer Seite erblickte ich lauter Liebe und alles Gute, von Gott, nicht von mir herfließend; auf der andern Seite sah ich mich selbst dürr, unfruchtbar und untüchtig, etwas Gutes hervorzubringen. Daher erkannte ich, daß nicht ich es bin, die Gott aus sich selbst liebt, obwohl ich mich voll Liebe fühlte, sondern daß Gott allein es ist, der mir die Liebe schenkte. -
Es wurden mir die Augen meines Gemüthes eröffnet, und ich sah die Fülle Gottes, die die ganze Welt umfaßt, die Dinge droben, das Meer, und alles diesseits und jenseits des Meeres, den Abgrund, kurz Alles zumal. Überall sah ich nur die göttliche Macht auf eine so unbegreifliche Weise, daß meine Seele voll Erstaunen ausrief: Ach! so ist denn die ganze Welt voll von Gott. Ich sah, wie gering die ganze Welt gegen diese unermeßliche Macht Gottes ist, die über Alles ist und Alles erfüllet. Der HErr aber sagte zu mir: "Ich zeige dir nur einen kleinen Strahl meiner Macht." Das war mir aber schon genug, um alles Andere besser begreifen zu können.
Dabei sah ich in Gott eine so tiefe Herablassung zu allen Menschen und zu allen Dingen, eine so große Demuth, daß meine Seele beim Anblick dieser unaussprechlichen Macht und tiefsten Demuth des Allerhöchsten sich selbst wie nichts achtete und in sich nichts als Hochmuth erblickte vor diesem Abgrunde der Demuth.
Ein andermal fand ich mich ganz inwendig in Gott, tiefer als je, voll Freude und Seligkeit, voll unaussprechlicher Güter und nie empfundener Freudegenüsse. Ich fühlte göttliche Wirkungen in mir, die kein Engel und kein Heiliger zu begreifen und zu erzählen fähig ist. Gott vergegenwärtigte sich der Seele, auf eine innige Weise, durch diese unaussprechlichen Wirkungen. Und da begriff ich denn, wie Gott überall gegenwärtig ist, in der ganzen Natur, in allen Wesen, im Teufel sowohl als im Engel, in der Hölle und im Paradiese.
Es gibt aber noch eine andere, mehr besondere Gegenwart Gottes, welche die Seele ganz in sich selbst versammelt, und ihr viel größere Gnaden und Freuden mittheilt. Diese Vergegenwärtigung Gottes ist in sich selbst und ohne alle andere Gaben das wahre Gut, das die Heiligen im ewigen Leben genießen. Wenn sich Gott also vergegenwärtigt, sich ihr offenbart, so macht er sie für viel größere Gaben und Freuden empfänglich, als sie je gekostet hat. Die Seele wird aus allen ihren Finsternissen herausgezogen, und ihr eine Erkenntniß Gottes mitgetheilt, deren Möglichkeit ich nicht begreifen, deren Klarheit, Beseligung und Gewißheit kein Gedanke erreichen, geschweige denn fassen kann.
Ich habe mich aber nicht selbst in diesen Stand versetzt; Gott hat mich dazu erhoben. Nie wäre es mir eingefallen, diesen Stand zu suchen. Wirklich bin ich fast immer in diesem Stande; Gott erhebt mich plötzlich, wenn ich am wenigsten daran denke, und ohne auf meine Einwilligung zu warten. Da ist mir, als wenn ich die ganze Welt umfasse und beherrsche, als wenn ich nicht mehr auf Erden, sondern schon im Himmel in Gott wäre. Ich habe diese Offenbarung mehr als tausendmal und allemal auf eine neue und verschiedene Weise erfahren. Sie ist von dem Gut, das die Heiligen im Himmel genießen, nicht dem Wesen nach, sondern nur in der Art des Genusses verschieden, so zwar, daß der Kleinste im Himmel mehr genießet, als irgend eine Seele in diesem Leben.
(Aus der Kreuztheologie der Angela von Foligni)

 

 

Text aus: Stimmen aus dem Heiligthum der christlichen
Mystik und Theosophie. Für Freunde des inneren Lebens
und der tiefern Erkenntniß der göttlichen Dinge
gesammelt und herausgegeben von
Dr. Julius Hamberger [1801-1885]
Erster Theil Stuttgart 1857 (S. 96-98)

 

Bild: (c) Günter Havlena - Pixelio.de





 

 

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