Heilige Liebesspur

Worte von Heiligen, Mystikern und anderen Hellhörigen
(vom 1. Mai 2010)

(c) Günter Havlena - Pixelio.de




Angela von Foligno
(1248-1309)



Von der zehnten Tröstung
und dem zehnten Gesichte
 

Als ich zu einer andern Zeit im Gebete war, vernahm ich plötzlich sehr huldreiche Worte und er sprach: Meine Tochter, weit theurer mir, als ich dir, mein geliebter Tempel, das Herz des allmächtigen Gottes ruhet auf deinem Herzen. Und zugleich mit diesen Worten kam mir eine gar süße Empfindung, wie ich sie niemals empfunden habe; denn sie durchdrang alle meine Glieder; und während dessen lag ich da. Und er sprach wiederum: die Liebe des allmächtigen Gottes ruhet auf dir, mehr als auf ein Weib dieser Stadt; er findet sein Wohlgefallen an dir und deiner Genossin. Bemühet euch, daß euer Leben ein Licht sei für alle, die darauf achten wollen; für die aber, die nicht darauf achten werden, wird es ein strenges und hartes Gericht sein. Und meine Seele begriff, daß dieses strenge Gericht mehr über die Gelehrten, als über die Ungelehrten ergehen werde; denn sie verachten diese Wirkungen der göttlichen Gnade in einfältigen Seelen, obgleich sie selbe aus der hl. Schrift könnten kennen lernen.
Und er fügte hinzu: So groß ist die Liebe des allmächtigen Gottes gegen euch, daß er beständig bei euch verweilt; und wenn ihr auch nicht solche Empfindung davon habt, so ruhen doch seine Augen auf euch. Und es schien mir, als sähe ich mit den Augen meines Geistes die Augen Gottes, und ich empfand dadurch eine größere Wonne, als ich auszusprechen vermag, und es thut mir leid, daß ich es jetzt gewissermaßen zum Spotte sage. War nun auch diese Wonne groß, so kehrten doch meine Sünden mir ins Gedächtniß zurück, und es schien mir, als sei nichts Gutes an mir und als habe ich nie etwas gethan, was Gott wohlgefällig sein könnte. Es fliegen aber Zweifel in mir auf, weil mir so große Dinge gesagt wurden, und ich sprach: Wenn du, der du zu mir redest, der Sohn des allmächtigen Gottes wärest, müßte dann meine Seele nicht eine größere Wonne haben, als sie hat? denn ich vermöchte ja die Wonne deiner Gegenwart in mir nicht zu ertragen; und dazu bin ich dessen ja so gar unwürdig. Und ich erhielt die Antwort: Weil ich nicht will, darum hast du jetzt keine größere Wonne; aber eine größere ist dir bereitet; wisse die ganze Welt ist voll von mir. Und ich sah, daß eine jegliche Creatur von ihm erfüllt war. Und er sprach zu mir: Ich vermag alles, auch daß du mich siehst, wie ich mit den Aposteln gewandelt bin, ohne aber meine Gegenwart zu empfinden. Das sprach er aber nicht mit Worten, wie wir sie sprechen. Aber meine Seele verstand, daß er also redete und noch weit Erhabeneres, und erkannte die vollkommene Wahrheit desselben.
Auf daß er aber erkläre, ob es wahr sei, was er sprach, rief meine Seele aus: Wenn es denn wahr ist, daß du der allmächtige Gott bist, und das wahr ist, was du sagst, so gieb mir, da es so erhabene Dinge sind, ein Zeichen, auf daß ich sicher sein kann, und befreie mich von allem Zweifel. Und ich bat, er möge mir ein körperliches Zeichen geben oder sagen; z. B. er möge mir ein Licht, oder einen Edelstein, oder sonst etwas anderes in die Hand geben. Oder er möge mir jedes andere beliebige Zeichen geben, und ich versprach, es niemanden zu zeigen, als wem er wolle, daß ich's zeigen soll. Und er antwortete: das Zeichen, welches du begehrst, würde dich bloß erfreuen, wenn du es sähest oder berührtest; aber den Zweifel könnte es dir nicht benehmen, und durch ein solches Zeichen könntest du betrogen werden. Ich will dir aber ein besseres Zeichen geben, als das, welches du begehrst; und dieses Zeichen wird immerdar bei dir sein, innerlich in deiner Seele, und du wirst es fortwährend empfinden. Und das soll das Zeichen sein: Du wirst immer glühen in der Liebe Gottes und für die Liebe Gottes und in deinem Innern erleuchtet sein von der Erkenntniß Gottes. Das sei dir ein ganz untrügliches Zeichen, daß ich es bin; denn dieses kann kein anderer geben, denn ich allein: und dieses Zeichen senke ich ein in das Innere deiner Seele, und es ist besser, als das andere, welches du begehrtest. Eine Liebe zu mir flöß' ich dir ein, von welcher deine Seele berauscht, erglühen wird in Liebe zu mir, so daß du alle Trübsale um meinetwillen ertragen wirst. Und so jemand dir Böses sagt oder thut, wirst du es für eine Gnade ansehen und ausrufen: einer solchen Gnade bin ich unwürdig. Eine solche Liebe trug ich zu euch, und sie war so groß, daß ich alles in Geduld und Demuth für euch erduldet habe. Dann also wirst du erkennen, daß ich in dir bin, wenn du, so dir jemand etwas Böses sagt oder thut, es nicht nur geduldig erträgst, sondern ein großes Verlangen darnach trägst und es für eine Gnade achtest; das aber ist ein sicheres Zeichen der Gnade Gottes. Und siehe, ich salbe dich jetzt mit einer Salbe, mit welcher auch der hl. Syrikus gesalbt war und viele andere Heilige. (...)

 

 

Text aus: Mystische und ascetische Bibliothek
oder Sammlung der Hauptwerke der Mystiker und Asceten
vorzüglich des Mittelalters
Der heil. Angela von Foligno Gesichte und Unterweisungen
In deutscher Bearbeitung herausgegeben und mit Anmerkungen versehen
von J. H. Lammertz [Johann Heinrich Lammertz 1804-1883]
Köln, Bonn und Brüssel 1851
(S. 112-116)

 

Bild: (c) Günter Havlena - Pixelio.de





 

 

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