Heilige Liebesspur

Worte von Heiligen, Mystikern und anderen Hellhörigen
(vom 4. Mai 2010)

(c) Günter Havlena - Pixelio.de




Angela von Foligno
(1248-1309)



Die Zeichen der Liebe

 

Die Zeichen der Liebe aber sind folgende:
Das erste Zeichen wahrer Liebe ist, daß der Liebende seinen Willen dem Willen des Geliebten unterwirft. Das zweite ist, daß er alle Freundschaft aufgiebt, welche dieser Liebe entgegen sein könnte, daß er Vater und Mutter verläßt und Schwester und Bruder, und alle andere Anhänglichkeit, welche dem Willen des Geliebten zuwider ist. Das dritte ist, daß man kein Geheimniß haben kann vor dem Geliebten, und diese Wirkung der Liebe ist meiner Meinung nach die höchste und die Vollendung aller andern Zeichen und Wirkungen der Liebe. Das vierte ist, daß der Liebende dem Geliebten sich zu verähnlichen strebt, so daß, wo er arm ist, auch der Liebende arm zu werden sucht, wo er voll Schmerz ist, er an dem Schmerze Theil zu nehmen sucht, auf daß beide gleichen Standes seien. Denn eine vollkommene Liebe kann nicht bestehen zwischen einem Reichen und Armen, zwischen einem Hohen und Niedrigen, zwischen einem Leidenden und Freudevollen; denn die Verschiedenheit des Standes zwischen solchen macht eine Theilnahme des einen am Stande des andern unmöglich und hindert die vollkommene Liebe. Die Liebe aber ist nicht nur eine verähnlichende, sondern auch eine einigende Tugend, die immer zum Gleichen, nicht zum Ungleichen hinstrebt.
 

 

Text aus: Mystische und ascetische Bibliothek
oder Sammlung der Hauptwerke der Mystiker und Asceten
vorzüglich des Mittelalters
Der heil. Angela von Foligno Gesichte und Unterweisungen
In deutscher Bearbeitung herausgegeben und mit Anmerkungen versehen
von J. H. Lammertz [Johann Heinrich Lammertz 1804-1883]
Köln, Bonn und Brüssel 1851
(S. 346-347)

 

Bild: (c) Günter Havlena - Pixelio.de




 


 

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