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Katharina von Siena
(1347-1380)
Vom Ursprung, von den Erfordernissen
und von den Wirkungen der
wahrhaften Liebe zu Gott
Gott, die Liebe, sah, daß
das menschliche Herz nicht anders als durch Liebe zu gewinnen sei, wie es
denn durch Liebe geschaffen und darum zur Liebe so sehr geneigt ist. So
warf er denn dem Menschen den Angel der Liebe zu, indem Er ihm sein Wort
und seinen Sohn schenkte, und ihn mit unserer Menschheit bekleidete, um
einen dauernden Frieden zu stiften. -
Mein Wille ist es, spricht der HErr, daß du Mich allezeit und über Alles
liebest. So muß denn erstlich dein Wille von aller irdischen Begierde und
sinnlichen Liebe frei, abgeschieden und rein seyn, daß du in diesem Leben
nichts Sterbliches, Vergängliches und Zeitliches anders als nur um
Meinetwillen liebest; ja du sollst weder Mich, noch dich, noch deinen
Nächsten um deinetwillen, sondern Mich um Meinetwillen, dich um
Meinetwillen und auch deinen Nächsten um Meinetwillen lieben.
Du mußt zweitens in allen deinen Gedanken, Werken und Übungen nur Meine
Ehre und Verherrlichung im Auge haben und dich bestreben, Mich allein zu
loben durch Gebete, Worte und Werke, und dahin trachten, daß nicht nur du
selbst, sondern auch alle Andern Mich kennen, lieben und ehren.
Du mußt dir drittens die Gemüthsfassung zu verschaffen suchen, in der du
mit Mir so verbunden, und dein Wille meinem vollkommenen Willen so
gleichförmig werde, daß du nicht nur das Böse, sondern auch das Gute nicht
willst, das Ich nicht will. Der Friede deines Herzens und die Ruhe deines
Gemüthes soll nicht gestört werden, es möge dir in diesem Leben begegnen,
was da wolle. Du mußt unveränderlich fest glauben, daß Ich, dein
allmächtiger Gott, dich mehr liebe, als du dich selbst liebest, daß Ich
besser für dich sorge, als du selbst es thun kannst. Je mehr du dich Mir
anvertraust, desto mehr werde Ich dir helfen, dir nahe seyn und dich meine
freundliche Liebe fühlen lassen.
Wer standhaft und völlig seinen Willen verläugnet, gefällt Mir am besten,
und Ich bin allezeit mit ihm, denn es ist Mir nichts angenehmer und
lieber, als durch Meine Gnade mit euch umzugehen, in euch zu wohnen und zu
wirken. Es ist Meine Lust, bei den Menschenkindern zu seyn, um sie aus
freiem Willen durch Meine Gnade in Mich umzugestalten, und durch die
Mittheilung Meiner Vollkommenheit und besonders Meiner Ruhe und Meines
Friedens mit Mir
zu vereinigen. -
Wenn deine Seele nicht von aller Eigenliebe und Begierde, sich selbst und
der Welt zu gefallen, entblößt ist, so kann sie die heilige und
vollkommene Liebe nicht erlangen. Denn wenn diese dich mit Gott und dem
Nächsten vereiniget, so scheidet dich jene davon. Sie tödtet dich, ist
voll Verwirrung und Finsterniß, versetzt dich in Streit und schließt das
Herz zu, da hingegen die heilige Liebe Leben, Licht und Frieden gibt, das
Herz eröffnet und erweitert, Freund und Feind in sich aufnimmt.
(Aus Briefen)
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