Der Herr: (...) Wer
den Glauben nicht verloren hätte und die Wirkungen sehen wollte, die Gott
in den Menschen vermöge jenes Funkens der Liebe, den er in verborgener
Weise in ihr Herz gießt, hervorbringt, der würde ganz gewiß so sehr von
Liebe entflammt, daß er nicht länger leben könnte. Die Heftigkeit der
Liebe würde ihn in das Nichts auflösen. Allein obwohl das der Mensch
niemals begreift, so siehst du dennoch, wie in Folge dieser unbegriffenen
Liebe die Menschen verlassen die Welt, die Habschaft, die Freude, die
Verwandten, und alles Übrige, was ihnen theuer ist, und wie ihnen alle
Freudengenüsse zuwider sind. Vermöge dieser Liebe verkauft sich der Mensch
als Sklaven und bleibt Andern unterworfen bis zum Tode. Und so sehr nimmt
diese Liebe zu, daß er tausend Martern zu übernehmen bereitet ist, wie
dieß die Erfahrung zu allen Zeiten gezeigt und noch immer zeigt.
Du siehst, daß diese Liebe aus Thieren Menschen, aus Menschen Engel, aus
Engeln gleichsam Gott vermöge Mittheilung macht. Du siehst die Menschen in
Allem sich ändern, aus irdischen Wesen himmlische werden und mit Seele und
Leib in geistlichen Dingen sich üben. Du siehst sie ändern ihre Reden und
ihr Leben, und das Gegentheil von dem reden und thun, was sie vorher zu
reden und zu thun pflegten. Jedermann wundert sich darob und däucht ihm
eine vortreffliche Sache. Man beneidet sie, obwohl das Werk selber Niemand
versteht, als der es in sich selbst erfährt. Diese innige, eindringende
und süße Liebe, die der Mensch in seinem Herzen fühlt, läßt sich nicht
erkennen, schildern und verstehen, als aus der Einsicht, die der
Gemüthsaffect gewährt, in welchem der Mensch sich eingenommen, gebunden,
umgestaltet, zufrieden, ruhig und in den leiblichen Empfindungen
wohlgeordnet und ohne Widersetzlichkeit fühlt, so daß er Nichts besitzt,
Nichts will und Nichts verlangt. Er bleibt ruhig und befriedigt im
Innersten seines Herzens, und kennt nichts Anderes mehr. Er bleibt durch
einen sehr feinen Faden auf's Engste verbunden (mit Gott) und wird in
verborgener Weise von der Hand Gottes festgehalten, während er mit der
Welt, mit den Teufeln und mit sich selber kämpft und streitet. Er erkennt
sich zwar als sehr schwach, und fürchtet, weil er sich von keiner Seite
helfen kann, überall zu unterliegen; allein Gott läßt ihn nicht fallen.
Dieses ist jedoch noch nicht jene wahre (vollkommene) Liebe, welche du, o
Seele, zu kennen wünschest; sie ist es noch nicht. Dieselbe ist erst dann
vorhanden, wenn ich die Unvollkommenheiten des Menschen durch jene Mittel
und Wege, die sich mit der menschlichen Armseligkeit vertragen, sowohl im
Äußern als Innern weggeräumt und vertilgt habe. Das Übrige alsdann, was
man nicht sieht, betreffend, so verfahre ich in folgender Weise: Ich
steige nämlich mit einem sehr feinen Goldfaden, welches meine verborgene
Liebe ist, hernieder. An diesen Faden ist eine Angel gebunden, welche das
Herz des Menschen häckelt. Er fühlt sich dann verwundet, ohne zu wissen,
von wem er gefangen und gebunden sei. Er kann sich nicht bewegen; denn
sein Herz wird von mir, dem Gegenstande und Endziel (all seines Strebens)
gezogen, ohne daß er es begreift. Ich halte den Faden in der Hand und
ziehe den Menschen immer an mich durch eine so zarte und eindringende
Liebe, daß er sich überwunden gibt und ganz außer sich kömmt.
Gleichwie ein Aufgehängter, der mit den Füßen die Erde nicht berührt, in
der Luft an dem Seile hängt, durch welches er dem Tode anheimgefallen, so
hängt der Geist an jenem feinen Liebesfaden, durch welchen alle
verborgenen, feinen und unerkannten Unvollkommenheiten des Menschen
sterben; und Alles, was er dann liebt, liebt er mit der Liebe jenes
Fadens, von dem er sich gebunden fühlt. So wird auch alles Übrige, was er
thut und wirkt, mit jener Liebe gethan, gethan durch die Gnade, die man
gratum faciens heißt; denn Gott ist es, der mit seiner reinen Liebe wirkt,
ohne daß der Mensch sich einmenge. Nachdem Gott die Sorge für diesen
Menschen auf sich genommen und ihn ganz an sich gezogen hat, so wirkt
dieses Mittel (in ihm) und bereichert ihn mit seinen Gütern in solcher
Zunahme, daß er bei seinem Tode durch diesen Liebesfaden in den Abgrund
der Gottheit gezogen und in sich vernichtet wird, ohne es zu wissen. Und
obwohl der Mensch in diesem Zustande als eine todte, verlorne und
verächtliche Sache erscheint, so findet er doch sein Leben als ein in Gott
verborgenes, in welchem alle Schätze und alle Reichthümer des ewigen
Lebens sind. Niemand vermag es auszusprechen, ja nur zu denken, was Gott
dieser seiner geliebten Seele zubereitet hat.