Heilige Liebesspur

Worte von Heiligen, Mystikern und anderen Hellhörigen
(vom 22. Mai 2010)

(c) Günter Havlena - Pixelio.de




Alfonso Maria de Liguori
(1696-1787)




Die Entzückung

"Es führte mich der König in die Weinlaube.
Er ordnete die Liebe in mir." (Hohes Lied)


Wo bin ich? o welches ist diese so süße,
So selige Laube? - Ich athme so reine,
So himmlische Lüfte, ich glühe und weine
So wonnig von heiliger Liebe berauscht.

Wer führte mich in den verschlossenen Garten,
Wo zahllose Blümlein die lieblichsten Düfte
So blühend verhauchen in heilige Lüfte,
Daß durch den Geruch sich ersättigt das Herz?

Ein wonniger Schlummer beglückt mich so selig;
O wecket, Geschöpfe! o wecket mich nimmer,
Ich flehe, beschwörend euch, lasset mich immer
Im Frieden genießen so seligen Traum.

Es hält mich die reineste Liebe gefesselt;
Ich fühle, wie gänzlich von irdischen Trieben
Mein Herz sie entlöset, sie einzig zu lieben,
Deß' sucht es beseligt nichts anderes mehr.

Wie fern auch von Flammen, doch fühl' ich mich glühen,
Wie ferne von Ketten, doch bin ich gebunden,
Wie ferne von Pfeilen, empfinde ich Wunden,
Ihr wollt mir nicht glauben? - Und dennoch ist's so.

Es fesseln der Ketten mich tausend und tausend,
Mein Herz ist von tausend der Bande gebunden,
Schon fühl' ich der Liebe unzählige Wunden,
Doch wer mich verwundet, Ihn finde ich nicht.

Ich fühle, daß liebliche Flammen mich zehren,
Sie bringen mir Tod und sie bringen mir Leben;
Ich lebe nur sterbend, doch gäbe dieß Leben
Für tausend der Leben ich nimmermehr hin.

Nur ewig alleine, möcht' immer ich schweigen,
Und möchte doch kosen von Liebe beständig,
Gern möchte ich ruhen, gern fliegen lebendig,
Und, Alle zu lieben, zu mir hinauf zieh'n.

Wenn tief in der Öde allein ich mich schaue,
Dann seh' ich am freundlichsten oft mich umrungen,
Je mehr ich getrennt bin, je fester geschlungen
Um meinen Geliebten fühlt dann sich mein Herz.

Erniedrigung sucht' ich, und hebe mich höher;
Wohl alles verlass' ich, und alles ich finde;
Ich fliehe die Freuden, und was ich empfinde,
Es sättigt mich süßer denn jegliche Lust.

Ich glühe und möchte stets flammender glühen;
Ich schmachte und möchte nur Schmerzen erwerben;
Bald möchte ich leben, bald möchte ich sterben,
Ach! was ich verlange, weiß selber ich nicht.

Ich suche und suche; was? weiß ich wohl nimmer;
Ich liebe und kann den Geliebten nicht nennen,
Weiß kaum in der Liebe allein zu erkennen,
Daß hoch und unendlich mein Einziger ist.

Verwundete Seelen! o saget mir, saget,
Was habt ihr für lindernde Mittel gefunden,
Zu heilen die lieblichen, bitteren Wunden,
Die glühend im Herzen die Liebe euch schlug?

Doch höret mich keine, nicht Eine erwidert,
Und selbst mein Geliebter! je lauter die Klagen,
Die innigsten Seufzer mein Leiden Dir sagen,
Je tauber verschließest Dein Ohr Du vor mir.

Erscheine, mein Trauter! der tief mich verwundet,
O sag' wer Du bist, was von mir Du begehrest;
O zeig' mir Dein Antlitz; so dieß Du gewährest,
Dann sterb' ich ja gerne, wenn also Du willst.

Doch laß, mein Geliebter! daß jetzund ich rede:
Wohl weissest Du alles, nur Eins nicht: zu lieben!
Sonst könntest, unzärtlich, kein Herz Du betrüben,
Das einzig Dich liebet, und Dir nur gefällt.

Und da Du mich liebst und so innig mich liebest,
Warum denn versetzest Du Wunden dem Herzen,
Wenn also Du mich in unendlichen Schmerzen
Willst ferne verlassen, so ferne von Dir?

O Grausamer! - Aber was rede ich? Wehe!
Dich, theuern Geliebten! kann grausam ich nennen?
Doch siehe! Du weißt es, daß nichts ich will kennen,
Denn Dir zu gefallen, und einzig nur Dir.

Es zwingt mich die Liebe, daß also ich rede;
Weiß thöricht mein Herz wie es redet und handelt?
Dein güldnes Geschoß, das die Herzen verwandelt,
Vor Liebe hat ganz es mich thöricht gemacht.

O Einziger, welchen ich inniglich liebe!
Des treuesten Herzens geliebteste Wonne,
O Schönster, o Alles, o göttliche Sonne!
O Schimmer, o Leben, o Friede, o Licht!

O einzig Geliebter! was kann ich ersinnen,
Dein göttliches Herz zu befrieden in Liebe?
O sag' mir, wie Deiner unendlichen Liebe,
Mit endlicher Liebe vergelten ich kann!

Zu viel ist noch wenig, o theurer Gebiether!
Zu wenig ist Schmachten in lieblichem Feuer,
Nicht leiden, nicht sterben für Dich, ist zu theuer;
Noch wenig ist's: werde ich gänzlich gelös't.

Wohlan denn! da andres ich nichts Dir kann sagen,
So sag' ich: Geliebter! empfange die Gabe:
Dir weihe ich ganz was ich bin, was ich habe,
Ich schenke mich ohne Bedingniß an Dich.



 

 

Text aus: Dom heiliger Sänger
oder fromme Gesänge der Vorzeit
Von J. P. Silbert [Johann Peter Silbert 1778-1844]
Wien und Prag bey Karl Haas 1820
(S. 262-266)

 

Bild: (c) Günter Havlena - Pixelio.de





 

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