Diotima!

Komm und besänftige mir das Chaos der Zeit ...


Friedrich Hölderlin (1770-1843)

Ausgewählte Gedichte


 




Elegie





Täglich geh ich heraus und such ein Anderes immer,
Habe längst sie befragt, alle die Pfade des Lands;
Droben die kühlenden Höhn, die Schatten alle besuch ich,
Und die Quellen; hinauf irret der Geist und hinab,
Ruh erbittend; so flieht das getroffene Wild in die Wälder,
Wo es um Mittag sonst sicher im Dunkel geruht;
Aber nimmer erquickt sein grünes Lager das Herz ihm
Wieder und schlummerlos treibt es der Stachel umher.
Nicht die Wärme des Lichts und nicht die Kühle der Nacht hilft
Und in Wogen des Stroms taucht es die Wunden umsonst.
Ihm bereitet umsonst die Erd ihr stärkendes Heilkraut
Und sein schäumendes Blut stillen die Lüftchen umsonst.

Wehe! so ists auch, so, ihr Todesgötter! vergebens,
Wenn ihr ihn haltet und fest habt den bezwungenen Mann,
Wenn ihr einmal hinab in eure Nacht ihn gerissen,
Dann zu suchen, zu flehn, oder zu zürnen mit euch,
Oder geduldig auch wohl in euren Banden zu wohnen
Und mit Lächeln von euch hören das furchtbare Lied.
Denn bestehn, wie anderes, muß in seinem Gesetze,
Immer altern und nie enden das schaurige Reich.
Aber noch immer nicht, o meine Seele! noch kannst dus
Nicht gewohnen und träumst mitten im eisernen Schlaf.

Tag der Liebe! scheinest du auch den Toten, du goldner!
Bilder aus hellerer Zeit, leuchtet ihr mir in die Nacht?

Liebliche Gärten, seid, ihr abendrötlichen Berge,
Seid willkommen, und ihr, schweigende Pfade des Hains.
Zeugen himmlischen Glücks! und ihr, allschauende Sterne,
Die mir damals oft segnende Blicke gegönnt!
Euch, ihr Liebenden, auch, ihr schönen Kinder des Frühlings,
Stille Rosen und euch, Lilien! nenn ich noch oft, -
Ihr Vertrauten! ihr Lebenden all, einst nahe dem Herzen,
Einst wahrhaftiger, einst heller und schöner gesehn!
Tage kommen und gehn, ein Jahr verdränget das andre,
Wechselnd und streitend; so tost furchtbar vorüber die Zeit
Über sterblichem Haupt, doch nicht vor seligen Augen,
Und den Liebenden ist anderes Leben gewährt.
Denn sie alle, die Tag und Stunden und Jahre der Sterne
Und der Menschen, zur Lust anders und anders bekränzt,
Fröhlicher, ernster, sie all, als echte Kinder des Aethers,
Lebten, in Wonne vereint, innig und ewig um uns.
Aber wir, unschädlich gesellt, wie die friedlichen Schwäne,
Wenn sie ruhen am See, oder, auf Wellen gewiegt,
Niedersehn in die Wasser, wo silberne Wolken sich spiegeln,
Und das himmlische Blau unter den Schiffenden wallt,
So auf Erden wandelten wir. Und drohte der Nord auch,
 Er, der Liebenden Feind, sorgenbereitend, und fiel
Von den Ästen das Laub und flog im Winde der Regen,
Lächelten ruhig wir, fühlten den Gott und das Herz
Unter trautem Gespräch, im hellen Seelengesange,
So im Frieden mit uns kindlich und selig allein.

Ach! wo bist du, Liebende, nun? Sie haben mein Auge
Mir genommen, mein Herz hab ich verloren mit ihr.
Darum irr ich umher, und wohl, wie die Schatten, so muß ich
Leben und sinnlos dünkt lange das Übrige mir.
Danken möcht ich, aber wofür? verzehret das Letzte
Selbst die Erinnerung nicht? nimmt von der Lippe denn nicht
Bessere Rede mir der Schmerz, und lähmet ein Fluch nicht
Mir die Sehnen und wirft, wo ich beginne, mich weg?
Daß ich fühllos sitze den Tag und stumm, wie die Kinder,
Nur vom Auge mir kalt öfters die Tropfe noch schleicht,
Und in schaudernder Brust die allerwärmende Sonne
Kühl und fruchtlos mir dämmert, wie Strahlen der Nacht,
Sonst mir anders bekannt! O Jugend! und bringen Gebete
Dich nicht wieder, dich nie? führet kein Pfad mich zurück?
Soll es werden auch mir, wie den Tausenden, die in den Tagen
Ihres Frühlings doch auch ahndend und liebend gelebt,
Aber am trunkenen Tag von den rächenden Parzen ergriffen,
Ohne Klag und Gesang heimlich hinuntergeführt,
Dort im allzunüchternen Reich, dort büßen im Dunkeln,
Wo bei trügrischem Schein irres Gewimmel sich treibt,
Wo die langsame Zeit bei Frost und Dürre sie zählen,
Nur in Seufzern der Mensch noch die Unsterblichen preist?

Aber o du, die noch am Scheidewege mir damals,
Da ich versank vor dir, tröstend ein Schöneres wies,
Du, die Großes zu sehn und die schweigenden Götter zu singen,
Selber schweigend mich einst stillebegeisternd gelehrt,
Götterkind! erscheinest du mir und grüßest, wie einst, mich,
Redest wieder, wie einst, Leben und Frieden mir zu?
Siehe! weinen vor dir und klagen muß ich, wenn schon noch
Denkend der edleren Zeit, dessen die Seele sich schämt.
Denn zu lange, zu lang auf matten Pfaden der Erde
Bin ich, deiner gewohnt, einsam gegangen indes,
O mein Schutzgeist! denn wie der Nord die Wolke des Herbsttags
Scheuchten von Ort zu Ort feindliche Geister mich fort.
So zerrann mein Leben, ach! so ists anders geworden,
Seit, o Liebe, wir einst gingen am ruhigen Strom.
Aber dich, dich erhielt dein Licht, o Heldin! im Lichte,
Und dein Dulden erhielt liebend, o Himmlische! dich.
Und sie selbst, die Natur, und ihre melodischen Musen
Sangen aus heimischen Höhn Wiegengesänge dir zu.
Noch, noch ist sie es ganz! noch schwebt vom Haupte zur Sohle,
Stillhinwandelnd, wie sonst, mir die Athenerin vor.
Selig, selig ist sie! denn es scheut die Kinder des Himmels
Selbst der Orkus, es rinnt, gleich den Unsterblichen selbst,
Ihnen der milde Geist von heitersinnender Stirne,
Wo sie auch wandeln und sind, segnend und sicher herab.

Darum möcht, ihr Himmlischen! euch ich danken und endlich
Tönet aus leichter Brust wieder des Sängers Gebet.
Und, wie wenn ich mit ihr, auf Bergeshöhen mit ihr stand,
Wehet belebend auch mich, göttlicher Othem mich an.
Leben will ich denn auch! schon grünen die Pfade der Erde
Schöner und schöner schließt wieder die Sonne sich auf.
Komm! es war, wie ein Traum! die blutenden Fittige sind ja
Schon genesen, verjüngt wachen die Hoffnungen all.
Dien im Orkus, wem es gefällt! wir, welche die stille
Liebe bildete, wir suchen zu Göttern die Bahn.
Und geleitet ihr uns, ihr Weihestunden! ihr ernsten,
Jugendlichen! o bleibt, heilige Ahnungen, ihr,
Fromme Bitten, und ihr Begeisterungen, und all ihr
Schönen Genien, die gerne bei Liebenden sind,
Bleibet, bleibet mit uns, bis wir auf seligen Inseln,
Wo die Unsern vielleicht, Dichter der Liebe, mit uns,
Oder auch, wo die Adler sind, in Lüften des Vaters,
Dort, wo die Musen, woher all die Unsterblichen sind,
Dort uns staunend und fremd und bekannt uns wieder begegnen,
Und von neuem ein Jahr unserer Liebe beginnt.

Aus: Friedrich Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe
Erster Band. Carl Hanser Verlag München 1981 (3. Auflage) (S. 262-265)

 

 

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