Es ist des Menschen seligster Gedanke, der
Gedanke an die Ewigkeit. - Wenn ich oft so düster zu meiner Louise
komme und über Menschen klage - und mir für die Zukunft bange wird -
da mahnt sie mich an die Ewigkeit - und das sind selige Stunden.
Aus dem Brief an Immanuel Nast Maulbronn kurz nach dem
18. April 1788
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Was wir doch für Menschen sind - Liebe! Ich meine, dieser Augenblick,
da ich bei Dir war, sei seliger gewesen als alle, alle Stunden, da ich
bei Dir. Unaussprechlich wohl war mir's, als ich so oben am Berg
ging und Deinen Kuß noch auf meinen Lippen fühlte. - Ich blickte so
heiß in die Gegend, ich hätte die ganze Welt umarmen mögen - und noch,
noch ist's mir so!
Aus dem Brief an Louise Nast Maulbronn gegen Ende April
1788
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Und sieh! liebe Rike! hätt ich ein Reich zu errichten, und Mut und
Kraft in mir, der Menschen Köpfe und Herzen zu lenken, so wäre das
eines meiner ersten Gesetze:
Jeder sei, wie er wirklich ist. Keiner rede, handle anders, als er
denkt und ihm's ums Herz ist.
Aus dem Brief an die Schwester Tübingen wahrscheinlich
Ende März 1791
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Ich bin des täglich gewisser, daß Lieb und Freundschaft die Fittiche
sind, auf denen wir jedes Ziel erschwingen.
Aus dem Brief an Neuffer Tübingen 28. November 1791
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Unser Herz hält die Liebe zur Menschheit nicht aus, wenn es
nicht auch Menschen hat, die es liebt.
Aus dem Brief an Neuffer Nürtingen vermutlich um den
31. März 1793
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Meine Liebe ist das Menschengeschlecht, freilich nicht das
verdorbene, knechtische, träge, wie wir es nur zu oft finden, auch in
der eingeschränktesten Erfahrung. Aber ich liebe die große, schöne
Anlage auch in verdorbenen Menschen. Ich liebe das Geschlecht der
kommenden Jahrhunderte. Denn dies ist meine seligste Hoffnung, der
Glaube, der mich stark erhält und tätig, unsere Enkel werden besser
sein als wir, die Freiheit muß einmal kommen, und die Tugend wird
besser gedeihen in der Freiheit heiligem erwärmenden Lichte als unter
der eiskalten Zone des Despotismus. Wir leben in einer Zeitperiode, wo
alles hinarbeitet auf bessere Tage. Diese Keime der Aufklärung, diese
stillen Wünsche und Bestrebungen einzelner zur Bildung des
Menschengeschlechts werden sich ausbreiten und verstärken und
herrliche Früchte tragen. Sieh! lieber Karl! dies ist's, woran nun
mein Herz hängt. Dies ist das heilige Ziel meiner Wünsche und meiner
Tätigkeit - dies, daß ich in unserm Zeitalter die Keime wecke, die in
einem künftigen reifen werden.
Aus dem Brief an den Bruder Tübingen erste Hälfte
September 1793
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Wir können nicht Berge zu Talen und Tale zu Bergen machen. Aber wir
können uns auf dem Berge des weiten Himmels und der freien Luft und
der stolzen Höhe und im Tale der Ruhe und Stille freuen und mit den
Lieblichkeiten und Herrlichkeiten, die wir von oben herab übersehen
hätten, um so vertrauter werden. Noch besser! Gibt's auf dem Berge für
uns zu tun, so klimmen wir hinauf, können wir pflanzen und bauen im
Tale, so bleiben wir da.
(...)
Die Sprache ist Organ unseres Kopfs, unseres Herzens,
Zeichen unserer Phantasien, unserer Ideen; uns
muß sie gehorchen. Hat sie nun zu lange in fremdem Dienste gelebt, so,
denk ich, ist fast zu fürchten, daß sie nie mehr ganz der freie,
reine, durch gar nichts als durch das Innre, so und nicht anders
gestaltete Ausdruck unseres Geistes werde.
Aus dem Brief an Neuffer Waltershausen um den 10.-15.
Juli 1794
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Ich schäme mich, daß ich Dich so mit meinem Unmut plage. Aber wenn ich
mit Gewalt von meinem armen Individuum abstrahieren wollte, schrieb'
ich eine Dissertation und keinen Brief. Das ist das Gute und Schlimme
in der Freundschaft, daß man sich immer gibt, wie man ist, daß man die
bösen Tage zweimal fühlt, weil man davon sprechen darf, so auch die
bessern.
Aus dem Brief an Neuffer Nürtingen Anfang Dezember 1795
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Du verstehst mich gewiß, wenn ich Dir sage, daß unser Herz auf einen
gewissen Grad immer arm bleiben muß. Ich werde mich auch wohl noch
mehr daran gewöhnen, mit wenigem fürlieb zu nehmen und mein Herz mehr
darauf zu richten, daß ich der ewigen Schönheit mehr durch eignes
Streben und Wirken mich zu nähern suche, als daß ich etwas, was ihr
gliche, vom Schicksal erwartete.
Aus dem Brief an Neuffer Frankfurt am Main 15. Januar
1796
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Ich hoffe diesen Sommer mehr zu tun als bisher. Der Trieb, aus
unserm Wesen etwas hervorzubringen, was zurückbleibt, wenn wir
scheiden, hält uns doch eigentlich einzig am Leben fest.
Freilich sehnen wir uns oft auch, aus diesem Mittelzustand von Leben
und Tod über zu gehn ins unendliche Sein der schönen Welt, in die Arme
der ewigjugendlichen Natur, wovon wir ausgegangen. Aber es geht ja
alles seine stete Bahn, warum sollten wir uns zu früh dahin stürzen,
wohin wir verlangen.
Die Sonne soll uns doch beschämen. Sie gehet auf über Bösen und Guten;
so können ja auch wir eine Weile unter Menschen und ihrem Tun und in
unserer eigenen Schranke und Schwachheit verweilen.
Aus dem Brief an den Bruder Frankfurt am Main 2. Juni
1796
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Sieh! die meisten Menschen finden überall wunderschöne Dinge,
wundergroße, wundererfreuliche Dinge, weil sie alles, was ihnen
begegnet, an ihrer innern Armut und Beschränktheit messen, weil sie
gar nicht verwöhnt sind durch sich selbst. Weil sie sich selbst zum
Sterben Langeweile machen, dünkt's ihnen überall so amüsant, und weil
sie fühlen, es sei so eigentlich nicht so sehr der Mühe wert, daß sie
das Glück begünstige, sind sie auch so äußerst dankbar gegen dieses
und nennen auch höflicherweise das weise und gerechte Schicksal
gnädig.
Aber wenn Du schon Dir selbst sehr viel bist, so bedarfst Du deswegen
auch der rechten Pflege für Dein Herz und Deinen Geist, Genuß der
Wahrheit und der Freundschaft!
Aus dem Brief an den Bruder Frankfurt wohl Ende Juni
und 10. Juli 1796
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Hätt ich Dich doch bei mir, lieber Bruder! daß wir uns einmal wieder
Freude machen könnten mit unsern Herzen.
Die Buchstaben sind für die Freundschaft wie trübe Gefäße für goldnen
Wein. Zur Not schimmert etwas durch, um ihn vom Wasser zu
unterscheiden, aber lieber sieht man ihn doch im kristallnen Glase.
(...)
Ich bin in einer neuen Welt. Ich könnte wohl sonst glauben, ich
wisse was schön und gut sei, aber seit ich's sehe, möcht ich lachen
über all mein Wissen. Lieber Freund! es gibt ein Wesen auf der Welt,
woran mein Geist Jahrtausende verweilen kann und wird, und dann noch
sehn, wie schülerhaft all unser Denken und Verstehn vor der Natur sich
gegenüber findet. Lieblichkeit und Hoheit, und Ruh und Leben, und
Geist und Gemüt und Gestalt ist ein seliges Eins in diesem
Wesen. Du kannst mir glauben, auf mein Wort, daß selten so etwas
geahndet und schwerlich wieder gefunden wird in dieser Welt. Du
weißt ja, wie ich war, wie mir Gewöhnliches entleidet war, weißt ja,
wie ich ohne Glauben lebte, wie ich so karg geworden bin mit meinem
Herzen, und darum so elend; konnt ich werden, wie ich jetzt bin, froh,
wie ein Adler, wenn mir nicht dies, dies Eine erschienen wäre und mir
das Leben, das mir nichts mehr wert war, verjüngt, gestärkt,
erheitert, verherrlicht hätte mit seinem Frühlingslichte? Ich habe
Augenblicke, wo all meine alten Sorgen mir so durchaus töricht
erscheinen, so unbegreiflich wie den Kindern.
Es ist auch wirklich oft unmöglich, vor ihr an etwas Sterbliches zu
denken, und eben deswegen läßt so wenig sich von ihr sagen. (...)
O sei glücklich, lieber Bruder! Ohne Freude kann die ewige Schönheit
nicht recht in uns gedeihen. Großer Schmerz und große Lust bildet den
Menschen am besten. Aber das Schusterleben, wo man Tag für Tag auf
seinem Stuhle sitzt und treibt, was sich im Schlafe treiben läßt, das
bringt den Geist vor der Zeit ins Grab.
Aus dem Brief an Neuffer Frankfurt wohl Ende Juni und
10. Juli 1796
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Mein Teuerer!
Ich habe eine Welt von Freude umschifft, seit wir uns nicht mehr
schrieben. Ich hätte Dir gerne indes von mir erzählt, wenn ich jemals
stille gestanden wäre und zurück gesehen hätte. Die Woge trug mich
fort; mein ganzes Wesen war immer zu sehr im Leben, um über sich
nachzudenken.
Und noch ist es so! Noch bin ich immer glücklich wie im ersten Moment.
Es ist eine ewige fröhliche heilige Freundschaft mit einem Wesen, das
sich recht in dies arme geist- und ordnungslose Jahrhundert verirrt
hat! Mein Schönheitssinn ist nun vor Störung sicher. Er orientiert
sich ewig an diesem Madonnenkopfe. Mein Verstand geht in die Schule
bei ihr, und mein uneinig Gemüt besänftiget, erheitert sich täglich in
ihrem genügsamen Frieden. Ich sage Dir, lieber Neuffer! ich bin auf
dem Wege, ein recht guter Knabe zu werden. Und was mich sonst
betrifft, so bin ich auch ein wenig mit mir zufriedner. Ich dichte
wenig und philosophiere beinahe gar nicht mehr. Aber was ich dichte,
hat mehr Leben und Form; meine Phantasie ist williger, die Gestalten
der Welt in sich aufzunehmen, mein Herz ist voll von Lust; und wenn
das heilige Schicksal mir mein glücklich Leben erhält, so hoff ich
künftig mehr zu tun als bisher. (...)
Ich wollte Dir so viel schreiben, bester Neuffer! aber die armen
Momente, die ich dazu habe, sind so sehr wenig, um das Dir
mitzuteilen, was in mir waltet und lebt! (...)
Nur ihr Bild möcht ich Dir zeigen, und so brauchte es keiner Worte
mehr! Sie ist schön wie Engel. Ein zartes, geistiges,
himmlischreizendes Gesicht! Ach! ich könnte ein Jahrtausend lang in
seliger Betrachtung mich und alles vergessen bei ihr, so
unerschöpflich reich ist diese anspruchlose stille Seele in diesem
Bilde! Majestät und Zärtlichkeit und Fröhlichkeit und Ernst und süßes
Spiel und hohe Trauer und Leben und Geist, alles ist in und an
ihr zu einem göttlichen Ganzen vereint.
Aus dem Brief an Neuffer Frankfurt 16. Februar 1797
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Weißt Du die Wurzel alles meines Übels? Ich möchte der Kunst leben, an
der mein Herz hängt, und muß mich herumarbeiten unter den Menschen,
daß ich oft so herzlich lebensmüde bin. Und warum das? Weil die Kunst
wohl ihre Meister, aber den Schüler nicht nährt. Aber so etwas sag ich
nur Dir. Nicht wahr, ich bin ein schwacher Held, daß ich die Freiheit,
die mir nötig ist, mir nicht ertrotze. Aber siehe, Lieber, dann leb
ich wieder im Krieg, und das ist auch der Kunst nicht günstig. Laß es
gut sein! Ist doch schon mancher untergegangen, der zum Dichter
gemacht war. Wir leben in dem Dichterklima nicht. Darum gedeiht auch
unter zehn solcher Pflanzen kaum eine.
Aus dem Brief an den Bruder Frankfurt 12. Februar 1798
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Mein Alabanda sagt im zweiten Bande:
"Was lebt, ist unvertilgbar, bleibt in seiner tiefsten Knechtsform
frei, bleibt eins, und wenn du es zerreißest bis auf den
Grund, und wenn du bis ins Mark es zerschlägst, doch bleibt es
eigentlich unverwundet, und sein Wesen entfliegt dir siegend unter den
Händen usw."
Dies läßt sich mehr oder weniger auf jeden Menschen anwenden, und auf
die Echten am meisten. Und mein Hyperion sagt: "Es bleibt uns überall
noch eine Freude. Der echte Schmerz begeistert. Wer auf sein Elend
tritt, steht höher. Und das ist herrlich, daß wir erst im Leiden recht
der Seele Freiheit fühlen."
Aus dem Brief an den Bruder Frankfurt 4. Juli 1798
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Es ist auch gut, und sogar die erste Bedingung alles Lebens und aller
Organisation, daß keine Kraft monarchisch ist im Himmel und auf Erden.
Die absolute Monarchie hebt sich überall selbst auf, denn sie ist
objektlos; es hat auch im strengen Sinne niemals eine gegeben. Alles
greift ineinander und leidet, sowie es tätig ist, so auch der reinste
Gedanke des Menschen, und in aller Schärfe genommen, ist eine
apriorische, von aller Erfahrung durchaus unabhängige Philosophie, wie
Du selbst weißt, so gut ein Unding als eine positive Offenbarung, wo
der Offenbarende nur alles dabei tut, und der, dem die Offenbarung
gegeben wird, nicht einmal sich regen darf, um sie zu nehmen, denn
sonst hätt er schon von dem Seinen etwas dazugebracht.
Aus dem Brief an Isaak von Sinclair Homburg vor der
Höhe 24. Dezember 1798
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Es ist wunderbar, daß der Mensch nichts weiterbringt, wenn er alles
gleichgültig ansieht, und doch auch nichts wirkt und fördert, wenn er
sich verkümmert, daß er also, um zu leben und tätig zu sein, beides in
seiner Brust vereinigen muß, die Trauer und die Hoffnung, Heiterkeit
und Leid. Und dies ist, wie ich glaube, auch der Sinn des Christen.
Aus dem Brief an die Mutter Homburg vor der Höhe 18.
Juni 1799
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Erinnerst Du Dich unserer ungestörten Stunden, wo wir und wir nur
umeinander waren? Das war Triumph! beide so frei und stolz und wach
und blühend und glänzend an Seel und Herz und Auge und Angesicht, und
beide so in himmlischem Frieden nebeneinander! Ich hab es damals schon
geahndet und gesagt: Man könnte wohl die Welt durchwandern und fände
es schwerlich wieder so. Und täglich fühl ich das ernster. (...)
Aber eine Natur wie Deine, wo so alles in innigem, unzerstörbarem,
lebendigem Bunde vereint ist, diese ist die Perle der Zeit, und wer
sie erkannt hat und wie ihr himmlisch angeboren eigen Glück dann auch
ihr tiefes Unglück ist, der ist auch ewig glücklich und ewig
unglücklich.
Aus dem Brief an Susette Gontard Homburg vermutlich
Ende Juni 1799
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Jeder Mensch hat doch seine Freude, und wer kann sie ganz verschmähen?
Die meine ist nun das schöne Wetter, die heitre Sonne und die grüne
Erde, und ich kann diese Freude mir nicht tadeln, sie heiße, wie sie
will, ich habe nun einmal keine andre in der Nähe, und hätte ich noch
eine andre, so würd ich diese niemals doch verlassen und vergessen,
denn sie nimmt niemand nichts und altert nicht, und der Geist findet so
viel Bedeutung in ihr; und wenn ich einmal ein Knabe mit grauen Haaren
bin, so soll der Frühling und der Morgen und das Abendlicht mich Tag
für Tag ein wenig verjüngen, bis ich das Letzte fühle und mich ins
Freie setze und von da aus weggehe - zur ewigen Jugend!
Aus dem Brief an die Schwester Homburg Juli 1799
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Nur Glauben und Liebe und Hoffnung soll nie aus meinem Herzen weichen,
dann gehe ich, wohin es soll, und werde gewiß am Ende sagen: Ich habe
gelebt! Und wenn es kein Stolz und keine Täuschung ist, so darf ich
wohl sagen, daß ich in jenen Stücken nach und nach, durch die
Prüfungen meines Lebens, fester und stärker geworden bin.
Aus dem Brief an die Schwester Stuttgart wohl erste
Hälfte Oktober 1800
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Je sicherer der Mensch in sich und je gesammelter in seinem
besten Leben er ist und je leichter er sich aus untergeordneten
Stimmungen in die eigentliche wieder zurück schwingt, um so heller und
umfassender muß auch sein Auge sein, und Herz haben wird er für alles,
was ihm leicht und schwer und groß und lieb ist in der Welt.
Aus dem Brief an Christian Landauer Hauptwil Mitte bis
Ende Februar 1801
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A Deo principium [lat. Der Anfang ist von Gott]. Wer dies versteht und
hält, ja bei dem Leben des Lebens! der ist frei und kräftig und
freudig, und alles Umgekehrte ist Chimäre und zergehet insoferne in
Nichts.
Aus dem Brief an den Bruder Hauptwil wohl zweite Hälfte
März 1801
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Aus: Friedrich
Hölderlin: Sämtliche Werke und Briefe
Zweiter Band. Carl Hanser Verlag München 1981 (3. Auflage)
Auf den Kalligraphie-Blättern:
Ausschnitte aus den Briefen von
Susette Gontard (Diorima)
Entnommen aus:
Adolf Beck - Hölderlins Diotima Susette Gontard
Gedichte Briefe Zeugnisse
Insel Taschenbuch Verlag Frankfurt am Main 1980