Eduard Mörike
(1804-1875)
An die Geliebte
Wenn ich, von deinem Anschaun tief gestillt,
Mich stumm an deinem heilgen Wert vergnüge,
Dann hör ich recht die leisen Atemzüge
Des Engels, welcher sich in dir verhüllt.
Und ein erstaunt, ein fragend Lächeln quillt
Auf meinem Mund, ob mich kein Traum betrüge,
Daß nun in dir, zu ewiger Genüge,
Mein kühnster Wunsch, mein einzger, sich erfüllt?
Von Tiefe dann zu Tiefen stürzt mein Sinn,
Ich höre aus der Gottheit nächtger Ferne
Die Quellen des Geschicks melodisch rauschen.
Betäubt kehr ich den Blick nach oben hin,
Zum Himmel auf - da lächeln alle Sterne;
Ich kniee, ihrem Lichtgesang zu lauschen.
Aus: Eduard Mörike
Sämtliche Werke in vier Bänden.
Erster Band: Gedichte. Carl Hanser Verlag München 1981
(Auf Grund der Originaldrucke herausgegeben
von Herbert G. Göpfert) (S. 124)
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