Rainer Maria Rilke
(1875-1926)
Liebeslied
Wie soll ich meine Seele halten, daß
sie nicht an deine rührt? Wie soll ich sie
hinheben über dich zu andern Dingen?
Ach gerne möcht ich sie bei irgendwas
Verlorenem im Dunkel unterbringen
an einer fremden stillen Stelle, die
nicht weiterschwingt, wenn deine Tiefen schwingen.
Doch alles, was uns anrührt, dich und mich,
nimmt uns zusammen wie ein Bogenstrich,
der aus zwei Saiten eine Stimme zieht.
Auf welches Instrument sind wir gespannt?
Und welcher Geiger hat uns in der Hand?
O süßes Lied.
aus: Rainer Maria
Rilke Sämtliche Werke.
Herausgegeben vom Rilke-Archiv.
In Verbindung mit Ruth Sieber-Rilke
Besorgt durch Ernst Zinn
Insel Verlag Frankfurt a. Main 1955 (Band 1 S. 482)
_______