Wenn je ein Schönes mir zu bilden glückte . . .

Kurze Liebesgedichte deutscher Dichter und Dichterinnen

 



Wilhelm Müller
(1794-1827)


Die Himmelfahrt

Dank deinem Kusse ganz allein, nun flieg' ich in den Himmel,
Und hasche mit den Engeln mich im seligen Gewimmel.
Sie jagen mich, sie greifen mich, sie wollen gern mich fangen,
Ich reiß' mich los und laufe heim, zu küssen deine Wangen.
(S. 257)
_______



Du gabst mir einen ersten Kuß, davon erkrankt' ich sehr;
Gieb einen zweiten mir anjetzt, und stell' mich wieder her.
Und giebst du einen dritten mir alsdann noch hinterdrein,
So werd' ich bis an meinen Tod gesund und fröhlich sein.
(S. 345)
_______



Einer aus Vielen

O küsse mich nicht mit hundert Küssen,
Ich bitte dich!
Mach' einen Kuß aus hundert Küssen,
So küsse mich!
(S. 349)
_______



Wer kann die Liebe aufschreiben?

Wären Flüss und Meere Tinte, wär' der Himmel mein Papier,
Wüchsen Federn wie die Ähren auf der weiten Erde mir,
Hülfen mir die Engel schreiben um die Wette Tag und Nacht,
Sag', wann wär' es ausgeschrieben, was die Lieb' in mir gedacht?
(S. 258)

_______


Aus: Gedichte von Wilhelm Müller.
Vollständige kritische Ausgabe bearbeitet von James Taft Hatfield.
Berlin W. 35 B. Behr's Verlag 1906.
(Deutsche Literaturdenkmale des 18. und 19. Jahrhunderts No. 137)



 

 


zurück weiter
zur Übersicht


 

zurück zur Startseite